Ernst von Dohnanyi
[
?dohnaː?i
] (auch
Dohnanyi Ern?
; *
27. Juli
1877
in
Pressburg
,
Osterreich-Ungarn
; †
9. Februar
1960
in
New York City
) war ein ungarischer
Pianist
und
Komponist
.
Ernst von
Dohnanyi
entstammte einer musikalischen Familie und erhielt den ersten Musikunterricht von seinem Vater
Friedrich Dohnanyi
(
ungarisch
: Dohnanyi Frigyes, 1843?1909), einem Professor fur Mathematik und Amateurcellisten. Er galt als Wunderkind und trat schon fruh als Komponist und Pianist hervor. Seine weitere Ausbildung erhielt er an der
Franz-Liszt-Musikakademie
Budapest
, wo er Klavier und Komposition bei dem
Organisten
der
Kathedrale von Bratislava
Carl Forstner
studierte. 1894 wurde er in die Klavierklasse von
Istvan Thoman
sowie die Kompositionsklasse
Hans von Koesslers
aufgenommen, die gleichzeitig auch
Bela Bartok
besuchte. Ebenfalls 1895 machte Dohnanyi Bekanntschaft mit
Johannes Brahms
, der sein Klavierquintett c-Moll op. 1 uberschwanglich lobte. 1897 beendete er seine Studien in Budapest und gab nach kurzen weiteren Unterweisungen durch
Eugen d’Albert
sein Debut in
Berlin
. In den folgenden Jahren feierte er sowohl als Komponist als auch als Pianist internationale Erfolge. Seit 1905 lehrte er an der Berliner
Hochschule fur Musik
, wo er 1908 zum Professor ernannt wurde.
1915 kehrte er auf Grund des
Ersten Weltkrieges
nach
Ungarn
zuruck, wo er ab 1916 an der Budapester
Franz-Liszt-Musikakademie
lehrte. 1918 wurde er Chefdirigent und Prasident der Philharmonischen Gesellschaft des
Philharmonischen Orchesters Budapest
, was er bis 1944 blieb. 1919 musste er auf Druck des
Horthy
-Regimes sein Lehramt niederlegen. In den 1920er Jahren knupfte er auf vielen Konzertreisen Verbindungen zu den USA. 1928 konnte er seine Lehrtatigkeit an der Musikakademie Budapest wieder aufnehmen, sechs Jahre spater wurde er zu ihrem Direktor ernannt, ein Amt, das er schon 1918/1919 ausgeubt hatte.
Er brach auch nach
Hitlers
Machtergreifung seine Beziehungen zu
Deutschland
und
Osterreich
nicht ab. Trotzdem musste Dohnanyi auf nationalsozialistischen Druck hin 1941 das Amt des Direktors der
Budapester Musikakademie
niederlegen. 1943 grundete er die
Budapester Symphoniker
.
[1]
Seine Beziehung zum
Nationalsozialismus
blieb ambivalent: einerseits sorgte er dafur, dass die judischen Mitglieder der Philharmonie bis 1944 (d. h. bis zur Auflosung des Orchesters) gehalten werden durften, andererseits setzte er sich im November 1944 wahrend der
Schlacht um Budapest
in das noch zum nationalsozialistischen Deutschen Reich gehorende
Osterreich
ab. Obwohl diese Entscheidung wahrscheinlich nicht politisch zu verstehen war, hat man sie ihm im kommunistischen Ungarn bis in die 1970er Jahre nicht verziehen ? 1945 wurde er sogar zum Kriegsverbrecher erklart.
Nachdem er 1948 nach
Argentinien
gezogen war, ging er ein Jahr spater in die USA, wo er als Professor an der
Florida State University
in
Tallahassee
wirkte. Ab 1953 begann er wieder zu konzertieren und blieb bis zu seinem Tode aktiv.
[2]
Dohnanyi war in erster Ehe mit der osterreich-judischen Pianistin
Elisabeth Kunwald
verheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor,
Hans
(1902?1945) und Grete (1903?1971), die spater beide in die
Bonhoeffer
-Familie einheirateten: Grete ehelichte den altesten Sohn
Karl Friedrich
und Hans die Tochter
Christine
. Von 1919 bis 1949 war Dohnanyi mit der Schauspielerin
Elsa Marguerite Galafres
verheiratet; von 1949 bis zu seinem Tode mit
Ilona Zachar
.
Sein Neffe
Antal Dorati
war Dirigent und Komponist.
Ernst von Dohnanyi ist der Großvater von
Klaus
und
Christoph von Dohnanyi
sowie der Urgroßvater von
Johannes
und
Justus von Dohnanyi
.
Dohnanyis Musiksprache ist oft vorschnell als epigonal und stark an Brahms orientiert bezeichnet worden. Dies geschieht nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass er von der ungarischen Komponistentriade Dohnanyi ?
Kodaly
?
Bela Bartok
sicherlich mit Abstand der konservativste Kopf war. Zudem finden sich die Wurzeln seiner Musik klar im 19. Jahrhundert, wobei Brahms als Ausgangspunkt seines Schaffens und wichtiger Impulsgeber gewertet werden kann. Dennoch entwickelte Dohnanyi recht schnell einen charakteristischen Personalstil, der sich nicht auf das Nachahmen großer Vorbilder beschrankt, sondern eine eigenstandige Weiterentwicklung der Musik der Spatromantik darstellt.
Dohnanyi verfugte uber eine ausgezeichnete, sehr reife Kompositionstechnik, Ideenreichtum und Sinn fur opulente Klangfarben. Obwohl er sich an traditionellen Kompositionsschemata orientierte, liegt der Reiz seiner Werke oft gerade darin, dass er mit deren Grenzen experimentiert. In Harmonik, Instrumentation und Formgebung ging er gerne deutlich uber die Tonsprache seiner Vorbilder hinaus. Zeitweise entwickelte er einen geradezu grotesken Tonfall, der ein wenig an
Schostakowitsch
erinnert. Anders als seine ungarischen Altersgenossen griff Dohnanyi eher selten auf ungarische Folklore zuruck. Seine besten Werke zeigen Dohnanyi als einen zwar konservativen, aber dennoch sehr einfallsreichen und eigenstandigen Komponisten.
Dohnanyi zahlt zu den bedeutendsten Pianisten der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts. Einerseits setzte er sich fur die klassisch-romantische Klavierliteratur ein, darunter die Klaviersonaten
Beethovens
, andererseits bewahrte er sich auch als Interpret moderner Musik (u. a. von Bela Bartok). Daruber hinaus veroffentlichte er ein auch heute noch instruktives Lehrwerk (
Die wichtigsten Fingerubungen zur Erlangung einer sicheren Klaviertechnik
, Budapest 1929).
Auch als Padagoge, der technische Mittel und musikalische Aussage als Einheit ansah, besaß Dohnanyi nachhaltigen Einfluss. Zu seinem Budapester Schulerkreis gehorten u. a.
Geza Anda
, Sari Biro (1912?1990),
Gyorgy Cziffra
, George Feyer (1912?2001),
Annie Fischer
,
Ferenc Fricsay
,
Ervin Nyiregyhazi
und
Peter Solymos
. Christoph von Dohnanyi studierte bei seinem Großvater nach dessen Emigration in die USA an der Florida State University.
- Orchesterwerke
- Sinfonie F-Dur (1896, unveroffentlicht)
- Sinfonie Nr. 1 d-Moll op. 9 (1900/01)
- Sinfonie Nr. 2 E-Dur op. 40 (1943/44, rev. 1953?56)
- Der Schleier der Pierrette op. 18 (1908/09), Ballett-Pantomime nach
Arthur Schnitzler
- Suite fis-Moll op. 19 (1908/09)
- Ruralia hungarica op. 32b (1924)
- Sinfonische Minuten op. 36 (1933)
- American Rhapsody op. 47 (1953)
- Konzerte
- Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll op. 5 (1897/98)
- Klavierkonzert Nr. 2 h-Moll op. 42 (1946/47)
- Violinkonzert Nr. 1 d-Moll op. 27 (1914/15)
- Violinkonzert Nr. 2 c-Moll op. 43 (1949/50)
- Konzertstuck D-Dur op. 12 fur Violoncello und Orchester (1903/04)
- Variationen uber ein Kinderlied C-Dur op. 25 fur Klavier und Orchester (1914)
- Concertino op. 45 fur Harfe und Kammerorchester (1952)
- Vokalwerke
- Szegediner Messe op. 35 (1930)
- Cantus vitae, Kantate op. 38 (1939?41)
- Stabat mater op. 46 (1952/53)
- drei Opern
- Lieder
- Chore
- Kammermusik
- Klavierquartett fis-Moll (1891/1893)
- 2 Klavierquintette (Nr. 1 c-Moll op. 1, 1895, Nr. 2 es-Moll op. 26, 1914)
- 3 Streichquartette (Nr. 1 A-Dur op. 7, 1899, Nr. 2 Des-Dur op. 15, 1906, Nr. 3 a-Moll op. 33, 1926)
- Violoncellosonate b-Moll op. 8 (1899)
- Violinsonate cis-Moll op. 21 (1912) (fruhere Version 1894)
- Serenade fur Streichtrio C-Dur op. 10 (1902)
- Sextett C-Dur op. 37 fur Klavier, Klarinette, Horn und Streichtrio (1935)
- Streich-Sextett B-Dur
- Aria op. 48, No. 1 fur Flote und Klavier
[3]
- Passacaglia op. 48, No. 2 fur Flote solo ? Eleanor Baker Lawrence gewidmet
- Klaviermusik
- Vier Klavierstucke op. 2 (1896/97)
- Vier Rhapsodien op. 11 (1902/03)
- Winterreigen op. 13 (1905)
- Humoresken in Form einer Suite op. 17 (1907)
- Suite im alten Stil op. 24 (1913)
- Sechs Konzertetuden op. 28 (1916)
- Ruralia hungarica op. 32a (1923/24)
- Sechs Klavierstucke op. 41 (1945)
- Drei Klavierstucke op. 44 (1951)
- Daily Finger Exercises, 3 Bande (1960)
Im Jahr 1930 erhielt Dohnanyi das
Matthias-Corvinus-Ehrenzeichen
.
- Thomas Schipperges:
Grundton der Gelassenheit. Zur Musik Ernst von Dohnanyis.
In:
Musica.
Band 45, 1991, S. 12?17.
- Jochen Thies:
Die Dohnanyis. Eine Familienbiografie.
Propylaen, Berlin 2004,
ISBN 3-549-07190-6
.
- Herbert Schneider, Zur musikhistorischen Stellung der fruhen Kammermusikwerke Ernst von Dohnanyis, in:
Zwischen Volks- und Kunstmusik. Aspekte der ungarischen Musik
, hrsg. von S. Fricke, W. Frobenius, S. Konrad und T. Schmitt, Saarbrucken 1999, S. 110?126
- ↑
Artikel uber die Budapester Symphoniker
von Robert Adelson, 2012.
- ↑
Veronika Kusz:
A Wayfaring Stranger: Ernst von Dohnanyi’s American Years, 1949?1960
. California Studies in 20th-Century Music 25. University of California Press, Oakland 2020,
ISBN 978-0-520-30183-2
.
- ↑
James A. Grymes:
Ernst von Dohnanyi. A Bio-Bibliography
. Greenwood Press, Westport/ London 2001,
ISBN 0-313-30850-0
,
S.
203
.