Erich Gutenberg
(*
13. Dezember
1897
in
Herford
; †
22. Mai
1984
in
Koln
) war ein
deutscher
Wirtschaftswissenschaftler
. Er gilt als Begrunder der modernen deutschen
Betriebswirtschaftslehre
(BWL) nach dem
Zweiten Weltkrieg
.
Gutenberg war Sohn eines Fabrikanten, besuchte das humanistische
Friedrichs-Gymnasium Herford
und legte das Abitur im Fruhjahr 1918 in einem
Lazarett
wahrend des
Ersten Weltkrieges
ab.
Gutenberg studierte ab Januar 1919 zunachst
Naturwissenschaften
, insbesondere Physik und Chemie, an der
Technischen Hochschule
in
Hannover
, brach das Studium aber bereits im Juni 1919 wieder ab. Der Grund war der Wunsch des Vaters, er solle in das elterliche Unternehmen eintreten. Der Betrieb stellte Dreschmaschinen und andere Produkte fur die Landwirtschaft her. Bei Ausbruch des
Ersten Weltkrieges
zahlte das Unternehmen
Niebaum & Gutenberg
400 Mitarbeiter. Das Unternehmerumfeld pragte den jungen Erich Gutenberg. Nach dem Tod des alteren Bruders, der das Unternehmen ubernommen hatte, wurde nach langwierigen Verhandlungen mit Partner Niebaum eine Einigung erzielt, dass Erich Gutenbergs zum 1. Januar 1926 in das Unternehmen eintreten wurde.
Gutenberg konnte nach wenigen Monaten wieder an die Universitat als Student wechseln. Eigentlich wollte er sein naturwissenschaftliches Studium weiterfuhren, doch gab es im elterlichen Unternehmen keinen Bedarf fur eine Fuhrungskraft mit Ingenieursausbildung. Gutenberg entschloss sich im Juni 1919 zur Aufnahme eines Studiums der
Nationalokonomie
an der
Universitat Wurzburg
und wechselte bald zur
Universitat Halle/Saale
. Dort studierte er zur gleichen Zeit wie sein Bruder. Im Dezember 1921
promovierte
er dort mit dem Thema
Thunens
Isolierter Staat als Fiktion
.
Ab Januar 1922 arbeitete er zunachst als Angestellter in der Maschinenfabrik
Starke & Hoffmann
in
Hirschberg
(Niederschlesien), um Berufspraxis fur das elterliche Unternehmen zu sammeln. Gutenbergs Eintrittsabsichten in das elterliche Unternehmen wurden hinfallig, als dieses im Oktober 1924 (fast ein Jahr nach dem Ende der Hyperinflation und der Einfuhrung der
Rentenmark
) in Konkurs ging. Im November 1924 ubernahm er stattdessen eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent und Dozent an der
Westfalischen Wilhelms-Universitat
in
Munster
, die er bis 1930 innehatte. In der Zwischenzeit studierte Gutenberg von April 1925 bis Marz 1926 Betriebswirtschaftslehre an der
Universitat Frankfurt am Main
mit Abschluss
Diplom-Kaufmann
. Gutenberg
habilitierte
sich im Mai 1928 in Betriebswirtschaftslehre an der Universitat Munster. Das Thema der Habilitation war
Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie
. Gutachter waren
Fritz Schmidt
und
Wilhelm Kalveram
(beide Frankfurt am Main).
Im April 1929 wurde Gutenberg bei der
Deutschen Zentralgenossenschaftsbank
in
Berlin
angestellt. Im April 1932 wechselte er zur
Deutschen Wirtschaftsprufungs-AG
, wo er Leiter der Filiale
Dortmund
wurde und im Januar 1933 sein Examen als
Wirtschaftsprufer
ablegte. Danach wurde er im April 1933 in den Vorstand der Deutschen Wirtschaftsprufungs-AG berufen. Stets betrachtete Gutenberg die Tatigkeit als Wirtschaftsprufer nur als zeitlich begrenzte Aufgabe. Die Ruckkehr zur universitaren Lehre war von Anfang an geplant.
1937 erhielt Gutenberg einen Lehrauftrag an der
Universitat Rostock
.
[1]
Am 24. November 1937 beantragte er die Aufnahme in die
NSDAP
und wurde ruckwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 5.605.215),
[2]
er trat auch dem
NS-Dozentenbund
bei. Er wurde 1938 als
außerordentlicher Professor
an die
Bergakademie
in
Clausthal
berufen
[1]
1939 wurde er auch Mitglied der
SA
.
[1]
und blieb dort bis 1940.
Von 1941 bis 1947 hatte er den Lehrstuhl fur Betriebswirtschaftslehre an der
Friedrich-Schiller-Universitat Jena
inne. In diesen Jenaer Jahren nahm er an Widerstandsaktivitaten der
Neubauer-Poser-Gruppe
teil. Er wurde 1948 als Nachfolger von Fritz Schmidt an den Lehrstuhl fur Betriebswirtschaftslehre an der Johann Wolfgang Goethe-Universitat in Frankfurt am Main berufen, blieb dort bis 1951 und wurde 1951 als Nachfolger von
Eugen Schmalenbach
an der
Universitat zu Koln
auf den
Lehrstuhl fur Allgemeine BWL
und die
Spezielle BWL der
Industriebetriebslehre
berufen.
Hier schrieb er das fur die deutsche Betriebswirtschaftslehre grundlegende 3-bandige Werk
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
. 1951 erschien Band 1 (
Die Produktion
), 1955 Band 2 (
Der Absatz
) und 1969 Band 3 (
Die Finanzen
). Gutenberg nahm 1951 noch an, dass das fur die
Agrarproduktion
aufgestellte
Ertragsgesetz
auch in
Industriebetrieben
gelten wurde.
[3]
In der 1955 erschienenen 2. Auflage seines verwarf er die Gultigkeit des Ertragsgesetzes und
postulierte
limitationale
Produktionsfunktionen
,
[4]
die als
Gutenberg-Produktionsfunktion
(vom
Typ B
) bekannt wurden. Das
Opus magnum
Gutenbergs hieß im Studenten-Jargon ?Gutenberg-Bibel“.
[5]
In diesem in Deutschland einflussreichsten Gesamtwerk betrachtete er den Betrieb nicht mehr in seinen verschiedenen Teilbereichen, sondern in der Gesamtheit seiner Funktionen
Produktion
,
Absatz
und
Finanzen
. Dabei unterschied er zwischen
wirtschaftssystemunabhangigen
und
wirtschaftssystemabhangigen
Einflussgroßen der Produktion. Im Mittelpunkt stand die Produktivitatsbeziehung zwischen
Input
und
Output
? die Produktionsfunktion. Gutenberg wurde 1966 nach 15-jahriger Tatigkeit im Alter von 69 Jahren in Koln
emeritiert
.
Gutenberg war von 1954 bis 1966 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium und von 1964 bis 1978 alleiniger
Herausgeber
der
Zeitschrift fur Betriebswirtschaft
.
Gutenberg starb 1984 im Alter von 86 Jahren. Er war mit der Rechtsanwaltin Magdalene geborene Busse verheiratet. Die Grabstatte der Eheleute befindet sich auf dem
Melaten-Friedhof
in Koln.
[6]
Gutenbergs Verdienste um die BWL wurden durch sechs Ehrendoktorate gewurdigt. Folgende Universitaten verliehen ihm den Ehrendoktortitel:
Berlin
(1957),
Munster
(1962), Munchen (1967),
Saarbrucken
(1968),
Gottingen
(1977) und
Frankfurt
(1978).
[7]
Im Jahr 1973 wurde ihm zu Ehren eine Wirtschaftsschule in der Stadt
Bunde
in seinem Heimatkreis Herford auf den Namen
Erich-Gutenberg-Schule
getauft. Sie heißt mittlerweile
Erich-Gutenberg-Berufskolleg
. In Koln-Buchheim gibt es ebenfalls ein
Erich-Gutenberg-Berufskolleg
. Seine Heimatstadt Herford benannte das Gebaude der ehemaligen Mobelfabrik Kopka, in dem sich die
Stadtbibliothek
befindet, nach ihm (siehe Abbildung).
Der Ehemaligen-Verein seines Friedrichs-Gymnasiums ehrt auf Vorschlag der Schulleitung jedes Jahr einen Abiturienten fur herausragende schulische Leistungen und besonderes gesellschaftliches Engagement mit der Gutenberg-Medaille.
Gutenberg wurde 1968 mit dem
Großen Bundesverdienstkreuz
ausgezeichnet. Die Universitat Koln ehrte ihn am 11. Dezember 1985
posthum
mit einer
Akademischen Trauerfeier
.
In seinem einflussreichsten dreibandigen Werk ?Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ entwickelte Gutenberg ein neues System der Betriebswirtschaftslehre. Das auch fur Laien leicht lesbare Werk zerlegt den
Betrieb
nicht mehr in seine Teilbereiche, sondern beurteilt ihn in der Gesamtheit seiner
betrieblichen Funktionen
. Im Mittelpunkt steht die
Produktivitatsbeziehung
zwischen
Input und Output
, die
Produktionsfunktion
. Ausgangspunkt seiner Modellierung war die
mikrookonomische Theorie
.
Weiterhin entwickelte Gutenberg eine bis heute aktuelle Einteilung der
Produktionsfaktoren in der Betriebswirtschaftslehre
. Sein
Ausgleichsgesetz der Planung
besagt, dass auf einen Engpass, also einen Teilbereich, der andere Teilbereiche in ihrem Handeln einschrankt, das Augenmerk fur alle Teilplane gerichtet werden sollte. Da bei heutigen Unternehmen meist der Absatz den Engpass darstellt, sollte sich nach dieser Definition die Planung auf den Kunden konzentrieren und daher
marketingorientiert
sein. Bereits 1970 rezensierte die von ihm herausgegebene
Zeitschrift fur Betriebswirtschaft
: ?Mit den drei Banden der
Grundlagen
liegt ein in seiner Geschlossenheit und Originalitat fur die neuere Betriebswirtschaftslehre einzigartiges Werk vor. Seit Jahren gilt es nicht nur als Standardwerk in Deutschland, sondern hat durch Ubersetzungen in verschiedene Sprachen auch internationale Anerkennung und Verbreitung gefunden. Angesichts der Auffacherung und Vertiefung der einzelnen betriebswirtschaftlichen Probleme kann man sich fragen, ob es kunftig einem Gelehrten noch einmal gelingen wird, eine in vieler Hinsicht originare Darstellung der theoretischen Grundlagen der ganzen Disziplin zu geben.“
[8]
Das Werk Erich Gutenbergs wird im Rahmen der Erich-Gutenberg-Arbeitsgemeinschaft Koln e. V. sowie insbesondere durch seinen wissenschaftlichen Schuler und spateren Schwiegersohn
Horst Albach
weitergefuhrt.
Erich Gutenberg zahlt zu den meistzitierten deutschsprachigen
Betriebswirten
.
- Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie
. Berlin 1929 (unveranderter Nachdruck 1998 unter
ISBN 3-409-12218-4
)
- Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Band 1: Die Produktion
. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1951, 1983 (24. Auflage;
ISBN 3-540-05694-7
)
- Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Band 2: Der Absatz
. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1955, 1984 (17. Auflage;
ISBN 3-540-04082-X
)
- Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Band 3: Die Finanzen
. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1969, 1980 (8. Auflage;
ISBN 3-540-09904-2
)
- ↑
a
b
c
Ernst Klee
:
Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945
. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 211
- ↑
Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/12600194
- ↑
Erich Gutenberg,
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
, 1. Auflage, 1951, S. 233
- ↑
Erich Gutenberg,
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
, 2. Auflage, 1955, S. 215
- ↑
Register
. In:
Der Spiegel
.
Nr.
23
, 1984,
S.
204
(
online
).
- ↑
Grabstatte
in der Datenbank
Find a Grave
, abgerufen am 2. Mai 2022 (englisch).
- ↑
Lars Wachter:
Okonomen Auf Einen Blick Ein Personenhandbuch Zur Geschichte der Wirtschaftswissenschaft.
2nd ed Auflage. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden 2020,
OCLC
1202471334
,
S.
453
.
- ↑
Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre
.
ex libris