Die
Erdmessung
(auch:
Erdvermessung
) ist eine Teil
disziplin
der
Geodasie
, im Speziellen der
hoheren Geodasie
, und eine Form der
Vermessung
. Sie umfasst jene
Messungen
,
Modelle
und Berechnungen, die zur genauen Bestimmung der
Erdfigur
und des
Erdschwerefeldes
notwendig sind.
Ins
Englische
lasst sich der Begriff ?Erdmessung“ gut mit
geodesy
ubersetzen ? im Gegensatz zur
Landes-
und
Ingenieurvermessung
, die dort unter
surveying
zusammengefasst wird.
Bis etwa 1960 beruhte die Erdmessung fast ausschließlich auf
terrestrischen
Messungen auf und zwischen Punkten der Erdoberflache (
Vermessungspunkte
,
Pegel
,
Nivellement
-,
Gravimetrie
- und
Lotabweichungs
-Punkte); die wichtigsten dieser Methoden sind unten angefuhrt.
Mit dem Start der ersten
kunstlichen Erdsatelliten
anderte sich die geodatische Arbeitsweise. Schon die
Bahnstorungen
, die wahrend der wenigen Betriebstage des
Explorer 1
(1958) festgestellt wurden, steigerten die Genauigkeit zweier Großen des Schwerefeldes um das 10fache. Der Nachfolger
Vanguard I
bot dank seines erstmals verwendeten
Solarzellen
-Betriebs eine mehrjahrige Betriebszeit, wahrend der die Messungen noch deutlich verfeinert werden konnten.
Bis in die 1960er-Jahre konnte die globale
Erdfigur
nur auf einige Zehnermeter genau bestimmt werden, weil die Ozeane 71 % der Erdoberflache ausmachen. Danach ließen sich durch
geometrische
Verfahren der
Satellitengeodasie
einige Meter erreichen, ab den 1990ern sogar einige Zentimeter. Gleichzeitig entwickelte sich die
Dynamische Satellitengeodasie
, mit der heute das
Erdschwerefeld
genauer als 1 : 10 Millionen zu bestimmen ist.
- Triangulation
(genaue Winkelmessung)
- Basismessung,
elektronische Distanzmessung
und
- Azimut
- und Zeitmessung
- Astronomische ?Ortsbestimmung“:
Breiten-
und Langenbestimmung, und
- Gradmessung
(obiges genau in Nord-Sud oder Ost-West-Richtung)
- Nivellement
, insbesondere als
Prazisionsnivellement
- trigonometrische
Hohenmessung
- Altimetrie
und Niveaumessung mit
Schlauchwaagen
- Sonnenfinsternisse
und
Parallaxen
zum Mond
- Gravimetrie
(Messung der Schwerkraft) und
- Satelliten
-Triangulation mit
Satellitenkameras
und anderen
Sensoren
- Trilateration
zu Satelliten ? insbesondere zu
Laserreflektoren
auf Satelliten wie
GEOS
,
LAGEOS
,
Starlette
, sowie zum
Mond
- Doppler
-Messungen von Radiosignalen (NNSS, Transit usw.)
- Radio-
Interferometrie
zu Satelliten und
VLBI
zu
Quasaren
- Pseudoranging zu
GPS
und
GLONASS
-Satelliten
- Satellite-to-Satellite Tracking
(SST, z. B.
GRACE
-Sonden)
- Gradiometrie
in Satellitenbahnen (in Entwicklung)
- Moderne Rechenverfahren wie
Kollokation
,
FFT
usw.
Eine wichtige Erkenntnis fur die Erdmessung ist, dass die Erde eine runde Form hat. Schon
Pythagoras von Samos
erklarte um 600 vor Christi Geburt, dass die Erde eine Kugelform hatte. Zweihundert Jahre spater diskutierte
Aristoteles
in seinem Werk
Περ? ο?ρανο?
(
Uber den Himmel
, Band 2, Kapitel 13 und 14) die Oberflachenform der Erde und kam zu dem Schluss, dass diese aus drei verschiedenen Grunden kugelformig sein musse.
[1]
Als Argumente nannte er, dass Schiffe am
Horizont
zuerst mit der Mastspitze zu sehen sind, dass in sudlichen Landern die
Sternbilder
hoher uber dem Horizont stehen als im Norden und dass er den
Erdschatten
bei einer
Mondfinsternis
als rund beobachtet hat.
Gemeinhin wird der
alexandrinische
Gelehrte
Eratosthenes
als ?Ahnherr“ der Erdmessung angesehen, doch hatte er vermutlich einige Vorfahren aus
Ionien
oder gar
Babylonien
. Er maß die unterschiedliche
Zenitdistanz
der Sonne in
Alexandria
und
Syene
und bestimmte den Erdumfang auf 252.000
Stadien
, was vermutlich einer Genauigkeit von 7,7 % entspricht
(Details siehe
Eratosthenes#Bestimmung des Erdumfangs
)
.
Posidonius
verwendete um 100 v. Chr. eine ahnliche Methode, bei der er nicht die Vertikalwinkel der Sonne, sondern die des Sterns
Canopus
uber der Insel
Rhodos
und in Alexandria bestimmte, wobei er mit 240.000 Stadien auf ein ahnliches Ergebnis wie Eratosthenes kam.
Aus der
Antike
stammen auch einige ?
Weltkarten
“, die naturlich nur die ?
Alte Welt
“ umfassen konnten. Ihre Darstellungen sind ? aus heutiger Sicht ? stark verzerrt (etwa 20 bis 40 %), was auf das weitgehende Fehlen
astrogeodatischer
Messungen zuruckzufuhren ist. Der Großteil der zugrundeliegenden Daten durfte aus der kustennahen
Seefahrt
stammen.
Technisch hoherstehende
Vermessungen
wurden einige Jahrhunderte spater von den
Arabern
entwickelt, durch die auch die wichtigsten schriftlichen Zeugnisse aus der griechischen
Naturphilosophie
uberliefert wurden. Die
Seekarten
dieser Zeit (sogenannte
Portolane
) und Seehandbucher sind entlang vielbefahrener
Kusten
außerst genau, sie haben kaum Fehler, die uber 10 % liegen. Dies scheint zu bedeuten, dass die Große der Erde schon auf etwa 20 Prozent genau bekannt war.
[2]
Zu Beginn des
Zeitalters der Entdeckungen
waren sich die Gelehrten uber die Große der Erde und die Ausdehnung von Asien und Afrika noch keineswegs einig. So konnte
Kolumbus
nach zahlreichen Diskussionen seine geplante Westroute nach ?Indien“ nur deshalb plausibel machen, weil er den
Erdradius
unter- und Asiens Große uberschatzte.
Die bis dahin von arabischen Astronomen auf besser als 10 % abgeleitete Große der Erde wurde erst genauer bestimmbar, als
Snellius
1615 die Methode der
Triangulation
entwickelte. Aus seinem in Holland gemessenen Gradbogen erhielt er den Erdradius noch um 3 % zu klein, wahrend die von
Jean Picard
1669/70 durchgefuhrte
Gradmessung
im wesentlich langeren
Pariser Meridian
bereits auf 0,1 % genau war. Nachmessungen von
Jacques Cassini
zur Klarung der Frage, ob das
Erdellipsoid
abgeplattet oder an den Polen
verlangert
sei, fuhrten allerdings zu Widerspruchen, die
Isaac Newton
durch eine theoretische Uberlegung zugunsten der Abplattung entschied.
Die erste wirklich genaue Erdmessung geht auf die 1666 gegrundete
Pariser Akademie
zuruck, die um 1730 entschied, zwei geodatische
Expeditionen
nach Peru (heutiges
Ecuador
, 1735?1744) und nach
Lappland
(1736?1737) zu entsenden. Die beiden Meridianbogen von 3,1° und 1,0° Lange ergaben eine deutliche Krummungsabnahme nach Norden, was eine
Erdabplattung
von 1:215 ergab. Ihr zu großer Wert (teilweise wegen
Rostansatz
an den Klaftermaßstaben in Lappland) wurde spater durch Kombination mit dem franzosischen Meridian auf 1:304 korrigiert. Der wahre Wert (siehe GRS80-Ellipsoid) ist 1:298,25 oder 21,385 km Unterschied zwischen aquatorialem und polarem Erdradius.
Die gemessenen Streckenlangen dieser 3 Meridiane dienten nicht zuletzt zur
Meterdefinition
, indem der Abstand Aquator?Pol genau 10 Millionen Meter sein sollte (tatsachlich sind es 10.002.248,9 m).
Weitere bedeutende Arbeiten zur Erdmessung sind u. a. das
Clairaut’sche Theorem
von 1743, welches eine Beziehung zwischen der Ellipsoidform und der
Schwereabplattung
des Erdschwerefeldes herstellt, und
Delambres
Verlangerung des Pariser Medidians von
Barcelona
bis
Dunkirchen
(1792?1798). Die Ergebnisse dieses uber 1000 km langen Gradbogens gingen in die endgultige Meterdefinition ein.
Von den zahlreichen im 19. und 20. Jahrhundert ausgefuhrten
Gradmessungen
sei noch der von
Gauß
(Gottingen?Altona, 1821?1825) und der fast 3000 km lange skandinavisch-russische
Struve-Bogen
(1816?1852) genannt, sowie der schief zum Meridian verlaufende
Ostpreußen
-Bogen von
Bessel
und
Baeyer
1831?1838. Wesentlich ist auch ? bis heute ? die Einbeziehung der von Gauß entwickelten
Ausgleichungsrechnung
, welche die unvermeidlichen kleinen
Messfehler
in ihrer Wirkung minimiert.
Als ?mathematische
Erdfigur
“ wird in der
Mathematik
und
Geodasie
seit
Carl Friedrich Gauß
jene bezeichnet, die im Mittel der Jahreszeiten und Jahre dem
Meeresspiegel
entspricht. Fur diese
Niveauflache
mit konstantem
Potential
? gemeint ist die potentielle Energie im
Erdschwerefeld
? wurde um 1870 der Name
Geoid
gepragt.
Bereits vor den franzosischen
Gradmessungen
Ende des 18. Jahrhunderts zur Definition des
Meters
war nicht nur der
Erdradius
auf besser als 1 % bekannt, sondern auch die Tatsache der
Erdabplattung
. Um 1900 wurden den meisten
Landesvermessungen
die von
Friedrich Wilhelm Bessel
bestimmten Erddimensionen zugrunde gelegt, das oft bis heute verwendete ?
Bessel-Ellipsoid
“:
- Aquatorradius a = 6.377.397,155 m
- Abplattung f = 1:299,1528
Die Lange der zweiten Halbachse
b
ergibt sich aus
b = a·(1?f)
zu 6.356.078,962 m.
Es ist zwar gegenuber den
heute
weltweit angenommenen Werten (s. u.) um fast 800 Meter ?zu klein“, was aber auf keine
Fehler
bei Messung oder Berechnung zuruckzufuhren ist, sondern auf die starkere
Erdkrummung
des Kontinentblocks
Eurasien
(das Besselellipsoid ist deshalb fur terrestrische Vermessungssysteme besser als ein Weltellipsoid). Der bekannte deutsche Geodat
Friedrich Robert Helmert
wies um 1900 darauf hin, dass das globale Erdellipsoid um 700?800 Meter großer sein musse und eine Abplattung von etwa 1:298 bis 298,5 habe.
Um 1910 versuchten amerikanische
Geodaten
, die Einflusse der
Schwerkraft
und insbesondere der
Isostasie
genauer zu modellieren. Aus den Arbeiten von
Hayford
resultierten jene Werte, die 1924 von der ?
internationalen
Erdmessung“ als Standardellipsoid empfohlen wurden:
- a = 6.378.388 m, f = 1:297,0
Nach ersten verlasslichen Ergebnissen der
Satellitengeodasie
wurde 1967 von der
IUGG
-Generalversammlung in
Luzern
das ?internationale Ellipsoid 1967“ beschlossen, welches vor allem auf
geometrischen
Messungen beruhte. Die Abplattung war durch die Analyse von
Satellitenbahnen
jedoch schon auf 5 Stellen (20 cm) abgesichert:
- a = 6.378.160 m, f = 1:298,25
Doch traten mit den ersten genauen
dynamischen
Methoden der
Dopplersatelliten
Diskrepanzen von 20 bis 40 Metern zutage (6.378.120 ? 140 m), teilweise auch mit der gleichzeitig beschlossenen
Schwereformel
. Obwohl bald darauf die erste
Welttriangulation
mit dem 4000 km hohen Ballonsatellit
PAGEOS
die Werte von
- a = 6.378.130 m, f = 1:298,37 (
Hellmut Schmid
, ETH Zurich)
ergab, entschloss man sich, mit weiteren Festlegungen des
Bezugssystems
noch etwa 10 Jahre zu warten.
Im Jahr 1981 definierte die
IAG
General Assembly (in Abstimmung mit der
IAU
) das ?Geodatische Bezugssystem 1980“ (
GRS 80
), mit etwa 10 die Erde charakterisierenden Parametern, von denen jene des
Erdellipsoids
sind:
- a = 6.378.137,0 m, f = 1:298,2572, b = 6.356.752,314 m (Genauigkeit ±1 m bzw. 0,001).
Dieses derzeit (noch) verbindliche Erdellipsoid wurde samt seinen geophysikalischen Parametern als
WGS84
in die GPS-Datenbasis ubernommen. Der ?genaue“ Wert der
Aquatorachse
a
ware nur noch um wenige Dezimeter zu andern ? was freilich angesichts der
Geoidundulationen
von ±50 Meter entlang des Aquators keine praktischen Auswirkungen mehr hat.
Instituten fur Erdmessung
Sonstiges
- ↑
Franz Ossing:
Welches sind die vier stichhaltigsten Beweise dafur, dass die Erde eine Kugel ist?
In:
Naturwissenschaften und Mathematik.
Wissenschaft-im-Dialog.de, 29. April 2008,
abgerufen am 13. Oktober 2021
.
- ↑
Volker Bialas
:
Erdgestalt, Kosmologie und Weltanschauung. Die Geschichte der Geodasie als Teil der Kulturgeschichte der Menschheit.
Konrad Wittwer, Stuttgart 1982,
ISBN 978-3-8791-9135-2
. (
Rezension
des Buches von
Karl-Eugen Kurrer
in:
Das Argument
; Nr. 154; 1985, S. 885?887.)