Entlehnung
ist die Ubernahme sprachlicher Bestandteile aus einer
Sprache
in eine andere. Auf diesem Wege entstehende
Worter
nennt man
Lehnworter
. Die sprachliche Entlehnung ist neben
Wortbildung
und
Bedeutungswandel
eines der drei Hauptverfahren, um bei Bedarf
neue Worter
fur eine Sprache zu gewinnen. Damit ist Entlehnung ein wichtiger Faktor im
Sprachwandel
und ein Gegenstand der Bezeichnungslehre (
Onomasiologie
).
Im Zusammenhang mit
wissenschaftlicher Textarbeit
bezeichnet
Entlehnung
die sinngemaße (nicht wortliche) Ubernahme von Text aus einer Quelle, im Gegensatz zum
Zitat
, der wortlichen Ubernahme.
Sprachliche Entlehnung lasst sich unterscheiden als
lexikalische
,
semantische
und
syntaktische
Entlehnung.
Bei der lexikalischen Entlehnung wird ein Wortkorper mit seiner Bedeutung oder einem Teil dieser Bedeutung aus einer Kontaktsprache (Quellsprache) in eine Nehmersprache ubernommen und bildet dort ein
Lehnwort
im engeren Sinn (mit Anpassung an
Flexion
, Aussprache- und Schreibgewohnheiten der Nehmersprache) oder ein
Fremdwort
(ohne oder mit geringer Anpassung dieser Art). Der Ausdruck
Entlehnung
wird zumeist als Oberbegriff auch fur die Fremdwortbildung benutzt,
[1]
teilweise aber auch als Gegenbegriff.
[2]
Bei semantischer Entlehnung, auch Lehnpragung genannt, wird nur die Bedeutung auf ein vorhandenes Wort der Nehmersprache als neue oder zusatzliche Bedeutung ubertragen, oder es wird zur Wiedergabe dieser Bedeutung ein neues Wort mit den sprachlichen Mitteln der Nehmersprache gebildet.
Beispiel: Das Verb ?realisieren“ wurde in der deutschen Sprache im ursprunglichen Sinne als ?Realisieren der Buchgewinne“ gebraucht. Es bekam aber durch semantische Entlehnung des englischen Verbs
to realize
die Bedeutung, dass ein Sachverhalt ins volle Bewusstsein kommt. ?Ich kann es noch gar nicht richtig realisieren, dass ich gewonnen habe.“ Der Duden fuhrt nun beide Bedeutungen auf.
Syntaktische Entlehnung liegt vor, wenn eine Sprache unter dem Einfluss einer Kontaktsprache bestimmte bereits gegebene syntaktische Moglichkeiten haufiger nutzt oder neue syntaktische Moglichkeiten herausbildet.
[3]
Einen Sonderfall bildet die
Scheinentlehnung
, bei der ein Wort aus Bestandteilen der Gebersprache oder aus Fremdwortern, die in der Nehmersprache bereits etabliert sind, in der Nehmersprache neu gebildet wird, das in dieser Form oder Bedeutung in der Gebersprache nicht existiert.
Da lexikalische Entlehnungen (Lehnworter im engeren Sinn, Fremdworter) und semantische Entlehnungen (Lehnpragungen) sowie Scheinentlehnungen meist den Lehnwortern im weiteren Sinn zugerechnet sind, werden sie im Artikel
Lehnwort
im Zusammenhang behandelt.
Im Bereich von
Phonologie
und
Prosodie
werden vorwiegend Phoneme, aber auch Muster, Intonationen oder Aspekte der
Phonotaktik
einer Sprache nachgeahmt. Bei prosodischen Mustern kann dies bereits in einem sehr fruhen Stadium des Kontakts der Fall sein.
In der
Morphologie
werden Regeln und Analogiebildungen transferiert. Solche Entwicklungen betreffen im Extremfall sogar die
Pronomen
.
Es gibt Situationen, in denen von Transferenz als indirektem
Sprachkontakt
geredet werden kann; etwa, wenn eine Sprache L1, die mit einer anderen Sprache L2 in Kontakt steht, aufgrund dieses Kontakts weniger oft gebraucht wird als in einsprachigem Umfeld. So konnen sich u. U. Strukturen der Sprache nicht verfestigen und es kommt zu Wortkombinationen und
Kollokationen
, die es weder in L1 noch L2 gibt.
Auch die Diskursformen sind in verschiedenen Sprachen verschieden reglementiert. Die Sprachrituale einer Sprachgemeinschaft A lassen sich auch in Sprache B umsetzen. Wenn Rituale einer Sprache L2 in L1 ubernommen werden, spricht man von Sprachkontakt im Sinne eines Kulturkontakts.
Veranderungen des Sprachgebrauchs, die auf Sprach- bzw. Kulturkontakt basieren, lassen sich bei den
Anredeformen
beobachten. Lerner einer Sprache L2 ubertragen
[4]
die in ihrem Sprachgebrauch ublichen Hoflichkeitsformen auf die zu lernende Sprache. Weitere Beispiele solchen Kulturkontakts finden sich bei der Verwendung der Dankesformeln,
[5]
bei der Annahme oder Ablehnung von Einladungen oder Aufforderungen oder beim Komplimentemachen.
Bei Sprechern mehrerer Sprachen kann sich die Situation ergeben, dass man Kommunikationsmuster, die fur L1 ublich sind, in L2 ubernimmt. Solche Transferenzen konnen zu Missverstandnissen fuhren. Deshalb ist es wichtig, beim L2-Spracherwerb auch die impliziten Diskursregeln und kulturellen Gepflogenheiten der neuen Sprache zu lernen.
[6]
Solche kulturspezifischen, verhaltensdeterminierenden Parameter werden als
Behavioreme
bezeichnet und konnen verbal, nonverbal, paraverbal (also mimisch und gestisch) sowie extraverbal sein.
In der
Quantitativen Linguistik
wurden viele Daten dazu erhoben, wie sich die Entlehnungen aus einer Sprache in eine andere entwickeln. Diese Prozesse folgen dem
Piotrowski-Gesetz
.
[7]
[8]
Aus diesen Erkenntnissen kann man die Frage entwickeln, ob der Verlauf von Entlehnungen womoglich prognostizierbar ist. Computerexperimente mit englischen, franzosischen und lateinischen Daten haben gezeigt, dass zumindest bei den Prozessen, die ihren Wendepunkt uberschritten haben, solche Voraussagen mit einiger Zuverlassigkeit moglich zu sein scheinen.
[9]
- Karl-Heinz Best
,
Emmerich Kelih
(Herausgeber):
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RAM-Verlag, Ludenscheid 2014,
ISBN 978-3-942303-23-1
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- Hadumod Bußmann
(Hrsg.) unter Mitarbeit von Hartmut Lauffer:
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4., durchgesehene und bibliographisch erganzte Auflage. Kroner, Stuttgart 2008,
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- Michael Clyne:
Address in inter-cultural communication across languages. Keynote address at the International Conference on Intercultural Communicsation and Pragmatics.
Stellenbosch University, Januar 2008.
- Els Oksaar
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Zweitspracherwerb. Wege zur Mehrsprachigkeit und zur interkulturellen Verstandigung.
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- Claudia Maria Riehl:
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.
- ↑
Archivlink
(
Memento
des
Originals
vom 10. September 2011 im
Internet Archive
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@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/lexikologie.perce.de
- ↑
So Ulrich:
Linguistische Grundbegriffe.
5. Auflage. (2002)/Entlehnung
- ↑
Riehl, Claudia Maria:
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Karl-Heinz Best:
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In:
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. Herausgegeben von Tilo Weber und Gerd Antos. Peter Lang, Frankfurt am Main 2009,
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