Das
Jungste Gericht
(auch
Endgericht
,
Apokalypse
,
Jungster Tag
,
Letztes Gericht
;
hebraisch
: ??? ????;
arabisch
: ??? ???????, ’
Yawm al-Qiy?mah
’ oder der ??? ?????, ’
Yawm ad-D?n
’) ist die antike bzw. alttestamentliche
endzeitliche
Vorstellung der
abrahamitischen Religionen
von einem das Weltgeschehen abschließenden gottlichen Gericht. Es ist als Gericht aller Lebenden und Toten eng mit der Idee der
Auferstehung
verknupft und muss vom individuellen
Partikulargericht
uber die einzelne
Seele
unterschieden werden.
Die Idee des Gottesgerichts durfte ihren Ursprung im
Zoroastrismus
, im babylonischen
Gottkonigtum
und
altagyptischen
Jenseitsvorstellungen
haben. Als Vorlaufer monotheistischer
Eschatologien
behauptet schon der Zoroastrismus ein
Totengericht
und den endgeschichtlichen Entscheidungskampf zwischen Gut und Bose als Weltgericht. Der Gottkonig Babylons bewahrt als oberster Richter diesseitig die kosmische Ordnung; das Alte Agypten kennt die Vorstellung von den jenseitigen, individuellen
Totengerichten
in den
Pyramidentexten
, Jenseitsbuchern und im
Totenbuch
.
[1]
Das
Judentum
vereinigt die kosmologische mit der zeitlichen Vorstellung im Gedanken eines endzeitlichen Weltgerichtes und anschließender
messianischer
Herrschaft (
Jes
2,4
EU
,
Ez
7
EU
,
Dan
7,10
EU
). Der
Tanach
kennt einen ?
Tag des Herrn
“ bzw. einen ?Tag des Gerichts“ als prophetischen
Topos
, welchen das
Neue Testament
ubernimmt. Nach
Jurgen Moltmann
?theologisiert“ die judische Vorstellung die
Gerechtigkeitsidee
: Der gottliche Richter ist jenseits des Kosmos und nicht dessen integraler Bestandteil wie in Babylon.
Das
Neue Testament
uberhoht diese Vorstellung als Anmahnung des nahenden Gerichtes uber alle Lebenden und Toten. Es entscheidet uber
Himmel
und
ewige Verdammnis
und ist notwendiges Moment der endgultigen und vollstandigen Errichtung des
Reiches Gottes
. Die Glaubigen durfen sich nach dieser Vorstellung auf den Tag des Gerichts freuen im Wissen, dass ihre Erlosung naht (
Lk
21,28
EU
), da der
wiederkommende Christus
die Strafe am
Kreuz
bereits getragen hat (
Mt
8,17
EU
). Dieser Gedanke scheint auch in den
Gerichtszeichen
auf, die wahrend der
Passion
Christi gesehen worden sein sollen. Die bildreiche Darstellung des Gerichts in der
Apokalypse des Johannes
beschließt das Neue Testament.
Der Glaube an das Jungste Gericht
[2]
als Ende der Geschichte und Heimkehr zu Allah ist im Anschluss an die biblischen Vorstellungen ein zentrales Thema des im 7. Jahrhundert n. Chr. entstandenen
Korans
[3]
und Kernbestandteil des islamischen Bekenntnisses; wer das Gottesgericht in diesem Leben leugnet, verfallt als Unglaubiger in ewiger Verdammnis der Strafe des ?Herrscher(s) am Tag des Gerichts“.
[4]
Die Vorstellung vom Jungsten Gericht spielte im
mittelalterlichen
Europa
eine große Rolle. Da zu dieser Zeit die
Menschen
standig in dem
Glauben
waren, es stehe als konkretes,
historisches Ereignis
kurz bevor, bemuhten sie sich ihr Bestes zu tun, um
Gott
ihren Glauben zu zeigen und so in den
Himmel
zu gelangen.
[5]
In zeitgenossischer Umgebung bzw. Nachfolge
Johannes des Taufers
[6]
sind alle uberlieferten Reden Jesu in den historischen Kontext der
endzeitlichen Erwartung
und des anstehenden Gerichts eingebettet.
Matthaus
berichtet in seinem
Evangelium
uber das Jungste Gericht (Weltgericht). Jesus trennt hier als
Richter
die Gerechten von den Ungerechten: ?Was ihr fur einen meiner geringsten Bruder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Zu den Ungerechten sagt er jedoch: ?Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das fur den
Teufel
und seine Engel bestimmt ist!“ und schließt: ?Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.“ (vgl.
Mt
25,31?46
EU
)
Die
Offenbarung des Johannes
entwirft in Bezug auf die alttestamentliche Uberlieferung, insbesondere des Buchs
Daniel
, in visionaren Bildern eine christliche Eschatologie. Das Jungste Gericht steht am Ende der tausendjahrigen Herrschaft des
Messias
, die mit seiner ersten Wiederkunft, der ersten
Parusie
, beginnt. In einer ?ersten Auferstehung“ (
Offb
20,5
EU
) gelangen zuerst die
Martyrer
zur Herrschaft. In diesem tausendjahrigen Reich (vgl.
Millenarismus
,
Chiliasmus
) ist der
Satan
gefangengesetzt. Es endet mit der zweiten Wiederkunft, der Freilassung Satans und seiner ewigen
Verdammnis
nach dem endgultigen Sieg uber ihn und seine Heerscharen in einem letzten Kampf. (
Offb
20,7?10
EU
)
Der Kampf zwischen den Streitern des Guten (Engel) und dem
Teufel
oder Satan ist hierbei bereits Teil des Jungsten Gerichts, das durch die zweite Wiederkunft Christi als des Richters uber alle Toten und die Uberwindung und
Vernichtung des Todes
selbst abgeschlossen wird: ?Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken.“ (
Offb
20,13
EU
) Auf das Jungste Gericht folgt der ?neue Himmel“ und die ?neue Erde“, das ?
Neue Jerusalem
“ (
Offb
21,1
EU
) als abschließende Erfullung aller Verheißung vom
Reich Gottes
.
Entsprechend der Bedeutung des Jungsten Gerichts im Mittelalter findet man in der christlichen
Ikonographie
zahlreiche Darstellungen von der
Romanik
bis in die
Renaissance
, vor allem aber in der
Gotik
.
Das Bildprogramm folgt dabei einem typischen Muster: Meist befindet sich oben mittig der thronende Christus als
Pantokrator
(Allherrscher) und
Salvator Mundi
(Erloser der Welt, Heiland), flankiert von den
Aposteln
als Beisitzern des Gerichtes oder auch weiteren
Heiligen
. Christus segnet mit seiner Rechten, mit seiner Linken halt er entweder das Buch des Lebens oder er weist die Verdammten zuruck. Seit dem Hochmittelalter ist Christus durch die Wundmale als der Gekreuzigte gekennzeichnet, manchmal hebt er beide Hande, um seine Wundmale zu zeigen. Vom Gesicht Christi kann das Schwert des Gerichtes ausgehen (gemaß Offenbarung 1,16
EU
und 2,16
EU
), welches in spatmittelalterlichen Darstellungen durch die Lilie der Gnade auf der anderen Seite erganzt wird.
Links neben Christus kniet
Maria
als Furbitterin fur die Menschheit, rechts
Johannes der Taufer
(in byzantinischen Darstellungen, seltener in Werken der katholischen Kirche) oder
Johannes der Evangelist
. Maria und Johannes bilden mit Christus die sogenannte
Deesis
. Weiterhin sind Engel zu sehen, meist neben oder oberhalb von Christus. Einige halten die
Leidenswerkzeuge
, also Kreuz, Geißel,
Geißelsaule
etc. Weitere Engel blasen die Posaunen des Gerichtes (
Mt
24,31
EU
), die die Toten aus den Grabern rufen.
Stets werden (vom Betrachter gesehen) links die Seligen dargestellt, die in den
Himmel
auffahren, und rechts die Verdammten, die zur Holle hinabsturzen. Diese Darstellung entspricht der Ankundigung des Weltgerichts im
Matthausevangelium
: ?Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Bocke aber zur Linken“ (
Mt
25,33
EU
). Dieselbe Anordnung findet man auch bei
Kreuzigungsbildern
, wo der gute
Schacher
zur Rechten Christi, der unbußfertige zu seiner Linken dargestellt ist. Oft ist auch der
Erzengel Michael
mit
Seelenwaage
und Schwert dargestellt.
Ein anderer Bildtypus des Jungsten Gerichts zeigt den thronenden Christus als
Maiestas Domini
umgeben von den vier
Evangelistensymbolen
(Tetramorph) und den
24 Altesten der Apokalypse
(4,1?4
EU
); er ist in romanischen
Portaltympana
und
Apsisfresken
weit verbreitet.
Das
Weltgericht von Mustair
im
Benediktinerinnenkloster St. Johann
in Mustair im
Kanton Graubunden
ist die alteste bekannte Darstellung des Jungsten Gerichts.
[7]
[8]
Die Bilder stammen aus dem
Fruhmittelalter
und entstanden um das Jahr 800.
Die Anfange des Weltgerichtsbildes liegen in der ottonischen Buchmalerei der Zeit um das Jahr 1000. In der Romanik wird das Weltgericht zum Hauptthema in den Portaltympana. Zu den bekannten Darstellungen zahlen die Tympana von
Moissac
,
Conques
und
Autun
. In der Gotik sind die Portale der Kathedralen von
Chartres
(Sudquerhaus),
Amiens
und
Paris
zu nennen. In Deutschland ist das Hauptportal des
Freiburger Munsters
ein Beispiel. In Italien ist das Weltgericht oft an der inneren Westwand der Kirche angebracht, so in
Torcello
als Mosaik oder in der
Arenakapelle
in Padua, gemalt von
Giotto
. Die spatgotische Tafelmalerei nimmt das Thema ebenfalls auf. Das Hauptwerk aus dieser Zeit ist das
Jungste Gericht
, das der flamische Maler
Rogier van der Weyden
fur die Hospices de
Beaune
in
Burgund
gestaltete. Zu der Nachfolge zahlen Schongauers
Jungstes Gericht
(1489) im Breisacher Stephansmunster und der
Danziger Altar von Hans Memling
, der eigentlich fur die
Medici
bestimmt war.
Das wohl beruhmteste
Bild des Jungsten Gerichts
stammt von
Michelangelo
(1536?1541) und befindet sich an der Westwand
[9]
der
Sixtinischen Kapelle
im
Vatikan
. Mit diesem Bild endet die Blutezeit der Weltgerichtsdarstellungen, wenngleich es auch barocke Weltgerichtsbilder gibt wie
Das Große Jungste Gericht
, ein Olgemalde aus der Werkstatt von Peter Paul Rubens, und einige wenige Beispiele aus der Moderne, wie
Max Beckmanns
Auferstehung
von 1916/18 in der Staatsgalerie Stuttgart.
Das Jungste Gericht
/
Komposition
V
[10]
ist der Titel eines
abstrakten
Gemaldes,
[11]
das
Wassily Kandinsky
1911 malte.
[12]
Die von 1952 bis 1960 von
Herbert Boeckl
geschaffene ?Seckauer Apokalypse“ in der Engelkapelle der
Basilika Seckau
zahlt mit ihren Darstellungen aus der
Offenbarung des Johannes
zu den bedeutendsten Werken sakraler Kunst in Osterreich nach 1945. Der Freskenzyklus gilt als der umfangreichste innerhalb der Monumentalmalerei der Moderne.
[13]
In der Musik ist das Jungste Gericht Thema und Titel einer
Dietrich Buxtehude
zugeschriebenen
Abendmusik
(siehe:
Buxtehude-Werke-Verzeichnis
) sowie eines
Oratoriums
von
Georg Philipp Telemann
(
Tag des Gerichts
)
und von
Louis Spohr
. Eine abendfullende, großangelegte Vertonung der Offenbarung des Johannes ist das Oratorium
Das Buch mit sieben Siegeln
von
Franz Schmidt
(1874?1939, Urauffuhrung des Werkes 1938 in Wien). Der franzosische Organist und Komponist
Jean Langlais
schrieb 1973 einen Orgelzyklus mit funf Meditationen uber die Apokalypse (
Cinq Meditations sur l’Apocalypse
).
Dies irae
(?Tag des Zorns“) ist der Anfang eines mittelalterlichen
Hymnus
uber das Jungste Gericht, der als
Sequenz
Teil des
gregorianischen
Requiems
ist. In der abendlandischen Musikgeschichte gibt es eine Vielzahl von Vertonungen des
Dies irae
sowie
Musikzitate
der gregorianischen Melodie uber die
Klassik
bis zur
Popmusik
.
In der Gospelmusik wird das Motiv u. a. in dem bekannten Lied
When the Saints Go Marching In
aufgegriffen.
In unterschiedlichen literarischen Formen wird das Jungste Gericht dargestellt. Zu den Weltgerichtsdichtungen des Mittelalters ist zum Beispiel das vom Stil der Bußpredigt gepragte Gedicht
Hamburger Jungstes Gericht
zu zahlen.
[14]
- Klaus Seybold, Roger David Aus, Egon Brandenburger, Helmut Merkel, Eberhard Amelung:
Gericht Gottes I. Altes Testament II. Judentum III. Neues Testament IV. Alte Kirche bis Reformationszeit V. Neuzeit und ethisch.
In:
Theologische Realenzyklopadie
12 (1984), S. 460?497 (umfassender Uberblick).
- Meinolf Schumacher
:
Gemalte Himmelsfreuden im Weltgericht. Zur Intermedialitat der Letzten Dinge bei Heinrich von Neustadt.
In:
Asthetische Transgressionen.
Festschrift fur
Ulrich Ernst
, hrsg. von
Michael Scheffel
u. a. (Schriftenreihe Literaturwissenschaft 69), Trier 2006, S. 55?80,
ISBN 3-88476-792-5
(
Digitalisat
).
Zu Darstellungen in der Kunst
- Herbert Boeckl:
Die Apokalypse. Die Fresken in der Engelkapelle der Abtei Seckau. Einfuhrung von Werner Hofmann. Textauswahl von Gernot Eder.
Edition Christian Brandstatter, Wien 1983.
- Yves Christe:
Das Jungste Gericht.
Schnell & Steiner, Regensburg 2001,
ISBN 3-7954-1422-9
.
- Himmel, Holle, Fegefeuer: das Jenseits im Mittelalter
(Ausstellungskatalog Schweizerisches Landesmuseum Zurich, Schnutgen-Museum Koln). Katalog von Peter Jezler. 2. Auflage. Fink Verlag, Munchen 1994,
ISBN 3-7705-2964-2
.
- Iris Grotecke:
Das Bild des Jungsten Gerichts. Die ikonographischen Konventionen in Italien und ihre politische Aktualisierung in Florenz
(=
Manuskripte fur Kunstwissenschaft in der Wernerschen Verlagsgesellschaft
52). Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 1997,
ISBN 978-3-88462-951-2
.
- Reinhart Strecke: Romanische Kunst und epische Lebensform. Das Weltgericht von Sainte-Foy in Conques-en-Rouergue. Berlin 2002,
ISBN 3-931836-84-3
.
- ↑
Der Verstorbene legt vor 43 Richtern ein ?
negatives Schuldbekenntnis
“ ab.
- ↑
Die Wendung, die aus dem
Endgericht
das im Deutschen gelaufigere
Jungste Gericht
macht (eine nicht unerhebliche Verschiebung zum zeitlichen Aspekt), findet sich in der Bibelubersetzung Luthers von 1545. Die zugrunde liegende Vorstellung durfte die des ?zuletzt entstandenen“, also ?jungsten Tages“ sein.
- ↑
Friedrich Ruckert
:
Der Koran (deutsche Ubersetzung)
im
Projekt Gutenberg-DE
Vgl. insbesondere
Sure 50
:20; 69:18?37; 81; 84; 99; 101.
- ↑
Friedrich Ruckert: Der Koran (deutsche Ubersetzung) im Projekt Gutenberg-DE Vgl. insbesondere Sure 1:4
- ↑
Diese Vorstellungen tauchen bei
Religionsgemeinschaften
wieder auf, die den baldigen
Weltuntergang vorhersagen
und ihren Mitgliedern entsprechende Uberlebenskonzepte versprechen.
- ↑
Vgl. ?In jenen Tagen trat Johannes der Taufer auf und verkundete in der Wuste von Judaa: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ (
Mt
3,1
EU
)
- ↑
Erwin Poeschel
:
Kunstdenkmaler des Kantons Graubunden
, Band V, Birkhauser Verlag, Basel 1943. S. 502.
- ↑
Ourheritage.ch
- ↑
Sixtinische Kapelle
- ↑
Hans Konrad Roethel und Jean K. Benjamin:
Kandinsky, Werkverzeichnis der Olgemalde 1900?1915
, Bd. I, London 1982, Nr. 400, S. 385.
- ↑
Magdalena M. Moeller:
Der Blaue Reiter
, Koln 1987, S. 81.
- ↑
Bernd Fathke:
Werefkin und Jawlensky mit Sohn Andreas in der ?Murnauer Zeit“
, im Ausstellungskatalog:
1908?2008. Vor 100 Jahren. Kandinsky, Munter, Jawlensky, Werefkin in Murnau.
Murnau 2008, S. 60 f.,
Das jungste Gericht (Kandinsky) Poster bei AllPosters.de.
In:
allposters.de.
Abgerufen am 19. Februar 2015
.
- ↑
Othmar Stary/Wim van der Kallen:
Die Seckauer Apokalypse von Herbert Boeckl
, Graz 1989, S. 5.
- ↑
‘Hamburger Jungstes Gericht’.
In:
Burghart Wachinger
u. a. (Hrsg.):
Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon
.
2., vollig neu bearbeitete Auflage, Band 3. De Gruyter, Berlin/ New York 1981,
ISBN 3-11-007264-5
, Sp. 426 f.