Ein fursorglicher Sohn
(
My Son, My Son, What Have Ye Done
) ist ein Film des Regisseurs
Werner Herzog
. Es war die erste Zusammenarbeit zwischen Herzog und dem Filmemacher
David Lynch
, der den Film produzierte. Die Idee zu
My Son, My Son, What Have Ye Done?
stammt von Herbert Golder, der zusammen mit Herzog das Drehbuch schrieb. Das Drama beruht auf einer wahren Begebenheit: Mark Yavorsky, ein hochbegabter und sportlich und kunstlerisch erfolgreicher Student, erstach in einem Moment geistiger Umnachtung seine eigene Mutter mit einem antiken Schwert.
[2]
Der Routinier Detective Havenhurst und der Anfanger Detective Vargas werden beim Anekdotenaustausch unterbrochen: Ein Mord ist gemeldet worden. Wahrend die Polizisten den Tatort akribisch inspizieren und katalogisieren, scheint aus dem Mordfall zusatzlich eine Geiselnahme geworden zu sein. Der schnell ermittelte Tater, der Student Brad Macallam, verschanzt sich in seinem Zuhause, nachdem er zuvor in einem Nachbarhaus seine Mutter mit einem
Sabel
getotet hat. Macallam behauptet, er habe zwei
Geiseln
bei sich. Das Polizeiaufgebot wird verstarkt, und Macallams Verlobte Ingrid Gudmundson benachrichtigt. Havenhurst versucht uber Ingrid, mehr uber den Tater zu erfahren und daruber, was ihn dazu veranlasst haben konnte, seine Mutter zu toten. Sie erzahlt, Brad sei von einer
Raftingtour
in
Peru
vollig verandert zuruckgekommen. Macallams Freunde seien seinerzeit im Fluss ertrunken, Brad sei als einziger verschont geblieben, weil ihm eine innere Stimme den Befehl erteilt hatte, sich mit seinem
Kajak
nicht in den reißenden Fluss zu begeben. Dieses Erlebnis habe den Anfang seiner
Visionen
und seines peu a peu erfolgten Realitatsverlustes markiert. Ab da sei er seiner inneren Stimme gefolgt. Bald darauf habe Brad sich Farouk genannt und behauptet, die Stimme Gottes zu horen oder Gottes Antlitz zu sehen. Sein Verhalten habe sich vor allem in einer Art
mystischem
Narzissmus
gezeigt, wenn Brad immer haufiger geglaubt habe, der absolute Ankerpunkt von Raum und Zeit zu sein. Zu seiner Mutter habe er ein zwiespaltiges Verhaltnis gehabt, weil sie sehr geklammert und uber sein Leben habe bestimmen wollen. Aber er habe seine Mutter trotz allem geliebt. Dann trifft Lee Meyers ein, der Brads Schauspieltruppe leitet. Er sagt aus, Macallam habe ihn noch am Morgen angerufen und verzweifelt um Hilfe gebeten, ohne klar zu sagen, worum es gehe. Ingrid und Meyers erzahlen Havenhurst von der Auffuhrung des antiken Stucks
Orestie
, dessen Regisseur Meyers ist. Macallam habe in dem Drama den Muttermorder
Orestes
gespielt. Auch Ingrid sei in dem griechischen Stuck aufgetreten. Brad habe sich als in einer ultimativen Ausnahmestellung befindlich gesehen. Er habe sich so sehr in die Rolle hineingesteigert und sich mit der tragischen Figur des Orestes identifiziert, dass er geglaubt habe, die eigene Mutter toten zu mussen, um das Schicksal der Menschheit in gute Bahnen zu lenken. Bei den Proben habe er dann ein echtes Schwert benutzt, was bei den anderen Darstellern großes Unbehagen hervorgerufen habe, sodass Meyers ihm letztendlich seine Rolle weggenommen habe.
Ingrid sagt aus, er habe sich kurz vor der Tat noch einmal hilfesuchend an sie und auch den Spielleiter Meyers gewandt, ohne dass sie verstanden hatten, was er wollte. Auch die Nachbarin Mrs. Roberts, die Augenzeugin der Tat wurde, hatte er gebeten, ihn aufzuhalten, indem sie
ihn
tote, damit er nicht tun musste, was er eigentlich nicht tun wollte. Hilflos und wie gelahmt hatten die Gaste der Kaffeerunde dann ansehen mussen, wie Macallam seine Mutter mit jenem Sabel erstach, den er wahrend der Theaterproben benutzte. Er verstand sich in diesem Moment als Werkzeug des Schicksals. Der Zugriff des
SWAT
-Teams und Macallams Verhaftung bringt zutage, dass ein Dutzend Polizisten und eine schwerbewaffnete Spezialeinheit von Macallam zum Narren gehalten worden waren. Seine sogenannten Geiseln sind zwei
Flamingos
. Menschen waren nicht in Gefahr.
Der Film beruht auf der wahren Geschichte des Muttermorders Mark Yavorsky. Yavorsky war ein graduierter Student, spielte erfolgreich Basketball und galt als passionierter Amateurschauspieler an der Universitat von
San Diego
. Der Student totete am 10. Juni 1979 seine Mutter mit einem antiken Sabel. Er verfolgte sie zu einer Nachbarin, zu der sie sich gefluchtet hatte. Der Tater wurde vom Richter fur geisteskrank und daher als nicht verantwortlich fur seine Tat befunden und ins Patton State Hospital eingewiesen. Yavorsky hatte ausgefuhrt, dass er seiner Mutter einen bald stattfindenden atomaren Holocaust nicht habe zumuten wollen. Der junge Mann hatte sich seit seinem Peruaufenthalt, ahnlich wie im Film gezeigt, immer mehr verandert, wobei ein weiterer Ausloser dieser Tat dann die Studentenauffuhrung der
Orestie
war. Herbert Golder, Professor fur antike Literatur an der
Boston University
, interessierte sich fur diesen Fall antik anmutender Tragik in der Gegenwart. Zusammen mit Werner Herzog begann er 1995 an dem Drehbuch zu schreiben. Erst durch die Mitwirkung von David Lynch konnte der Film finanziert werden.
[3]
Als Co-Produzent hat er direkt, als auch indirekt seine Handschrift hinterlassen. So ist die Besetzung der Mutter von Brad mit Grace Zabriskie auf Lynchs Einfluss zuruckzufuhren. Aber vor allem stilistisch sind einige Elemente des Filmes an Lynchs Arbeit angelehnt.
[4]
[5]
Weitere Ruckblenden fuhren den Zuschauer auf die Huhner- und Straußenfarm von Macallams Onkel sowie nach
Kanada
,
Tijuana
und ins Navy-Krankenhaus, in dem sein Vater gestorben ist. Immer wieder mischt Herzog diesem Film Versatzstucke und Zitate aus seinen zuvor geschaffenen Werken bei.
[5]
Die Filmaufnahmen in
Point Loma
fanden ganz in der Nahe von Yavorskys echtem Zuhause statt. Weitere Aufnahmen entstanden am
Urubamba
in Peru, wo Herzog bereits seine Filme
Aguirre, der Zorn Gottes
und
Fitzcarraldo
gedreht hatte. Herzog verzichtete aus Sicherheitsgrunden darauf am
Braldu
in
Pakistan
zu drehen, wo Yavorskys Sinnesanderung wirklich begonnen hatte. Weiter wurde eine Sequenz in
Kaschgar
in
Xinjiang
in
China
gedreht.
In dem Audiokommentar zum Film spricht Herzog davon, dass seine Filme und jene von Lynch ?nicht miteinander reden, sondern miteinander tanzen.“
[6]
Explizit stellt er zwischen einer Szene, in der ein Jogger mit einer Atemmaske zu sehen ist, die Verbindung zur Rolle des Frank Booth (
Dennis Hopper
) in
Blue Velvet
her. Bei genauem Hinsehen sind noch weitere Anlehnungen erkennbar. In die Augen springend ist sicher die Szene, in der sich Brad und sein Onkel Ted (
Brad Dourif
) uber einen fiktiven Werbeclip fur dessen Riesenhuhner unterhalten. Der fehlende inhaltliche Bezug wird noch stilistisch durch die Aufnahme in einer vollig verschneiten Landschaft unterstutzt. Bedenkt man zudem, dass in der Szene ein Kleinwuchsiger im Anzug vorkommt, sind Parallelen zum Red Room aus
Twin Peaks
nicht von der Hand zu weisen.
[7]
Bezuge zur
Orestie
des antiken griechischen Tragodiendichters
Aischylos
sind ebenfalls erkennbar: In diesem Werk opfert
Agamemnon
seine Tochter
Iphigenie
, weshalb
Klytaimnestra
, Iphigenies Mutter, ihren Mann Agamemnon nach dessen Ruckkehr aus dem Trojanischen Krieg totet; ebenso ergeht es dessen Geliebter
Kassandra
. Der Sohn
Orestes
totet daraufhin unter Mithilfe seiner Schwester
Elektra (Mykene)
die Mutter Klytaimnestra und deren Geliebten
Aigisthos
. Orestes wird dafur jedoch nicht mit dem Tod bestraft, wie es eigentlich ublich ware; die Rachegeister (
Erinnyen
) konnen vielmehr in einem Gerichtsverfahren besanftigt werden. Die Gottin
Athene
spricht bei Stimmengleichheit das Urteil (Freispruch) und der Fluch, welcher auf der Familie der
Atriden
liegt, wird durchbrochen.
Die deutsche
Synchronbearbeitung
oblag der Synchronfirma Christa Kistner, Synchronproduktion GmbH, Potsdam, Dialogbuch und Dialogregie: Joachim Kunzendorf.
[8]
Die Bewertungen fur
My Son, My Son, What Have Ye Done
sind gemischt. Der Film erzielte, basierend auf 40 Bewertungen, ein 50 % oder 5,8/10-Rating auf
Rotten Tomatoes
.
[9]
Jeff Shannon von der Seattle Times nannte den Film ?eine schrullige Fehlzundung Herzogs“, wahrend
Roger Ebert
von der
Chicago Sun-Times
sagte, der Film ?bringe alle Konventionen durcheinander und bediene keinen der erwarteten Genusse, sondern biete stattdessen die Freude zu beobachten, wie Herzog mit dem ‘Polizei-und-Geiselnehmer-Schema’ das Mischpult seiner Phantasie futtert.“
Robert Zimmermann von critic.de war der Ansicht, dass
My Son My Son, What Have Ye Done
keine Erklarungen liefere und das eigentlich poetische Gesamtbild nur emotional begreiflich bleibe, wodurch sich auch eine gewisse Verwandtschaft zum Paranoia-Kino des David Lynch einstelle, was nicht von ungefahr sei, da Lynch bei diesem sehenswerten Film als ausfuhrender Produzent fungiere.
[2]
Filmgazette.de meinte, dass Herzogs Ensemble eine seltene Spielfreude an den Tag gelegt habe. […] Die irritierten Blicke der Menschen auf den Schauspieler und direkt in die Kamera seien echt und machten Brads Paranoia gut nachvollziehbar.
[6]
Das Erste
.de, das den Film unter dem deutschen Titel
Ein fursorglicher Sohn
, sendete, befand, dass Werner Herzog in einem meditativen Tonfall und mit inszenatorischer Meisterschaft Szenen eines aus dem Ruder laufenden Lebens schildere. Inspiriert von einem realen Fall, entwickle er die atmospharische Charakterstudie eines Amoklaufers, herausragend verkorpert von Michael Shannon.
[10]
Der Film wurde auf den
internationalen Filmfestspielen von Venedig
am 5. September 2009 uraufgefuhrt.
[11]
Nach nur einigen wenigen Festival- und Kinoauffuhrungen erschien der Film am 18. November 2010 auf DVD und Blu-ray Disc.
[6]
- ↑
Freigabebescheinigung
fur
Ein fursorglicher Sohn
.
Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft
, Juni 2010 (PDF; Prufnummer: 123 317 V).
- ↑
a
b
My Son, My Son, What Have Ye Done
bei critic.de. Abgerufen am 7. Marz 2013.
- ↑
My Son, My Son, What Have Ye Done
bei filmstarts.de. Abgerufen am 7. Marz 2013.
- ↑
Behind the Madness: The Making of My Son, My Son, Bonusmaterial auf der
DVD-Ausgabe von My Son, My Son, What Have Ye Done
- ↑
a
b
My Son, My Son, What Have Ye Done
bei negativ-film.de. Abgerufen am 7. Marz 2013.
- ↑
a
b
c
My Son, My Son, What Have Ye Done
?Brad und wie er die Welt sieht“ bei filmgazette.de. Abgerufen am 7. Marz 2013.
- ↑
Eric Basset, Herbert Golder, Werner Herzog, Audiokommentar auf der DVD-Ausgabe von
My Son, My Son, What Have Ye Done
- ↑
Ein fursorglicher Sohn.
In:
synchronkartei.de.
Deutsche Synchronkartei
,
abgerufen am 7. Marz 2013
.
- ↑
My Son, My Son, What Have Ye Done.
In:
Rotten Tomatoes
.
Fandango,
abgerufen am 10. September 2012
(englisch).
- ↑
Ein fursorglicher Sohn
?
My Son, My Son, What Have Ye Done
(
Memento
vom 26. August 2012 im
Internet Archive
) bei daserste.de.
- ↑
‘La Biennale 66th International Film Festival, 2?12 September 2009 Screenings’
, La Biennale, aufgerufen am 10. September 2012