Edward Osborne Wilson
, bekannt als
E. O. Wilson
(*
10. Juni
1929
in
Birmingham
,
Alabama
; †
26. Dezember
2021
in
Burlington
,
Massachusetts
)
[1]
, war ein
US-amerikanischer
Insektenkundler
und
Biologe
, der durch seine Beitrage zur
Evolutionstheorie
und
Soziobiologie
bekannt wurde. Wilsons ursprungliches Spezialgebiet waren
Ameisen
, insbesondere ihre
Kommunikation
mittels
Pheromonen
.
Wilson, Sohn von Edward und Inez Wilson, wuchs nach der
Scheidung
seiner Eltern 1936 bei seinem Vater und der
Stiefmutter
auf, mit wechselnden Wohnorten zwischen
Washington, D.C.
und
Mobile
. Als siebenjahriger Junge verletzte sich Wilson bei einem Angelunfall am rechten Auge. Da er nur noch auf dem linken Auge sehen konnte und sich damit am besten auf Details im Nahbereich fokussieren konnte, spezialisierte er sein naturkundliches Interesse auf die Sammlung und Untersuchung von Insekten.
[2]
Bereits vor seinem High-School-Abschluss (1946) legte sich Wilson darauf fest, Ameisen zu untersuchen, und tatsachlich veroffentlichte er drei Jahre spater an der
University of Alabama
seine erste wissenschaftliche Studie uber
Feuerameisen
.
1955 wurde er an der
Harvard University
im Fachgebiet Biologie promoviert und wurde schließlich in Harvard Professor fur Zoologie (1964?1976). Seine Feldforschungen machten ihn auch zu einem Experten auf dem Gebiet der
Biogeographie
.
In Zusammenarbeit mit
Robert H. MacArthur
entwickelte Wilson 1963 in einem Aufsatz und 1967 in
The Theory of Island Biogeography
(vgl.
Inselbiogeographie
) die erste Theorie, die das Gleichgewicht der Arten in der Natur beschrieb. 1971 veroffentlichte er mit
The Insect Societies
einen umfassenden Uberblick zu sozialen Insekten. 1975 pragte er in
Sociobiology: The New Synthesis
den Begriff Soziobiologie. Im Jahr 1977 wurde er zum Mitglied der
Leopoldina
gewahlt.
[3]
1996 zahlte ihn das Nachrichtenmagazin
TIME
zu den 25 einflussreichsten Personen Nordamerikas.
1959 wurde er in die
American Academy of Arts and Sciences
und 1969 in die
National Academy of Sciences
gewahlt. Edward O. Wilson ist eine von nur zwei Personen, die sowohl die hochste US-amerikanische Auszeichnung fur Wissenschaftler erhielten (die
National Medal of Science
, 1976) als auch, und dies gleich zweifach, den renommiertesten Literaturpreis seines Landes, den
Pulitzer-Preis
, fur die Sachbucher
On Human Nature
(1979) und
The Ants
(1991). Die
American Philosophical Society
, in die er 1976 aufgenommen wurde,
[4]
zeichnete ihn 1998 mit ihrer
Benjamin Franklin Medal
aus. 2007 bekam er die
Addison Emery Verrill Medaille
, die hochste Auszeichnung des
Peabody-Museums fur Naturkunde
an der
Yale University
, 2010 den
BBVA Foundation Frontiers of Knowledge Award
. 2012 erhielt Wilson den International Cosmos Prize.
[5]
Die soziale Eroberung der Erde
erhielt 2013 die Auszeichnung
Wissensbuch des Jahres
. Ab 1990 war er auswartiges Mitglied der
Finnischen Akademie der Wissenschaften
. 2014 wurde er
Ehrendoktor
der
Carl von Ossietzky-Universitat Oldenburg
. Wilson starb im Dezember 2021 im Alter von 92 Jahren.
Wilsons Forschungsinteresse lag vor allem in den evolutionaren Ursachen von Sozialverhalten, insbesondere bei
sozialen Insekten
. Dabei wurde er nicht vor allem aufgrund seiner eigenen empirischen Forschungsergebnisse und seiner wissenschaftlichen Beitrage, sondern durch zahlreiche, oft hoch kontrovers diskutierte
Sachbucher
zu seinen Forschungsthemen bekannt.
Sein 1971 erschienenes Werk
The Insect Societies
war fur die Untersuchung sozialer Insekten, insbesondere der hoch organisierten
Insektenstaaten
, fur Jahrzehnte das grundlegende Standardwerk. Wilsons besonderes Interesse galt dabei den
Ameisen
. Gemeinsam mit
Bert Holldobler
veroffentlichte er dazu 1990
The Ants
, bis heute das Standardwerk uber diese Tiergruppe, das zusatzlich zu seinem wissenschaftlichen Einfluss als Sachbuch den
Pulitzer-Preis
gewann. In seinem Buch
Sociobiology: The New Synthesis
erweiterte er seine eigene Darstellung aus
The Insect Societies
, indem er sie um Ergebnisse anderer Forscher bei Wirbeltieren erganzte. Der durch das Werk popularisierte Begriff ?
Soziobiologie
“ wurde danach fur die gesamte Forschungsrichtung ubernommen.
Seine Thesen zum Wechselspiel zwischen
Evolution
und sozialen Verhaltensweisen bei Tieren und Menschen waren sowohl einflussreich als auch umstritten. Insbesondere das letzte Kapitel, in dem er seine Uberlegungen auf den Menschen und sein Verhalten anwandte, hat zu andauernder und intensiver Kritik gefuhrt. Dies galt noch mehr fur das 1978 erschienene Sachbuch
On Human Nature
, in dem Wilson seine Thesen speziell auf das menschliche Verhalten anwandte. Wilsons sehr umstrittener Deutung zufolge ist der Begriff des ?
eusozialen
“ Verhaltens, von Fachkollegen vor allem fur soziale Arthropoden und als einziges Wirbeltier beim
Nacktmull
verwendet, in ubertragener Form auch auf den Menschen anwendbar.
Bereits in
The Insect Societies
vertrat Wilson die Ansicht, dass in der Evolution Gene und nicht Individuen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sollten. Dieses Thema wurde von
Richard Dawkins
in seinem Buch
The Selfish Gene
detailliert betrachtet und popularisiert. Dawkins bezog sich dabei allerdings nicht auf Wilson und verwendete auch den von ihm gepragten Begriff Soziobiologie nicht.
Ein weiteres Arbeitsgebiet Wilsons war das
Massenaussterben
vieler
Arten
in der
Erdgeschichte
. In
Diversity of Life
argumentierte er, dass die Menschheit durch die Zerstorung der Umwelt derzeit ein sechstes Massensterben einleite. Er sprach sich entschieden gegen die Vorstellung aus, dass der Schutz einiger Gebiete ausreiche, das Netz von untereinander abhangigen Arten zu erhalten. Fur seine Ideen und Beitrage auf diesem Gebiet wurde er auch ?Vater der
Biodiversitat
“ genannt.
Mit der von ihm 1984 formulierten
Biophilie
-Hypothese ist die Grundlage fur eine anthropozentrische Umwelt- und Naturschutzethik gegeben, die aus dem Eigeninteresse des Menschen heraus die biologische Vielfalt bewahren mochte. Wilson gilt als Begrunder des Begriffes
Biodiversity.
W. G. Rosen verwandte den Begriff 1985 im Namen einer Konferenz des US-amerikanischen
National Research Council
(NRC) mit dem Titel
National Forum on Biological Diversity
(durchgefuhrt 1986). 1988 griff Wilson den Begriff auf und nutzte ihn als Titel seines Buches
Biodiversity
. In ihm wurden die theoretischen Grundlagen der heutigen Erforschung der biologischen Vielfalt gelegt.
[6]
2007 war er einer der Initiatoren der
Encyclopedia of Life
, einer Internet-Enzyklopadie, in der Informationen uber 1,8 Millionen Lebewesen gespeichert werden sollen. In diesem Jahr wurde er auch fur sein Lebenswerk mit dem
Premi Internacional Catalunya
ausgezeichnet.
[7]
Wilson erschutterte in spateren Jahren die Fachwelt, indem er sich nach einer zunehmend kontroversen sowohl wissenschaftlichen wie auch offentlichen Debatte zur Soziobiologie in einem spektakularen Schritt von der Soziobiologie distanzierte und seine fruheren Schriften dazu teilweise widerrief. Gemeinsam mit seinem Namensvetter
David Sloan Wilson
brachte er anstelle der in der Soziobiologie oft als grundlegend betrachteten
Verwandtenselektion
mit der
Multilevel-Selektion
ein Modell ins Spiel, welches das vorher oft als grundlegend diskreditiert angesehene Modell der
Gruppenselektion
rehabilitierte.
[8]
Mit den Biomathematikern Martin Nowak und Corina Tarnita etablierte er ein neues Modell der Gruppenselektion.
[9]
Obwohl ihm viele Forscher in seiner grundlegenden Kritik, die zeitgleich von anderen Wissenschaftlern vertreten wurde, gefolgt sind, wurde das neue mathematische Modell von seinen Fachkollegen, darunter auch bekannten Kritikern der Soziobiologie, uberwiegend und in seltener Einmutigkeit zuruckgewiesen.
[10]
Nach seinem Buch
Sociobiology. The New Synthesis
von 1975, in dem er mittels der Soziobiologie versuchte das Sozialverhalten von sowohl Ameisen als auch Menschen zu erklaren, wurden einigen Thesen von Wilson von Kritikern aus der akademischen Linken eine zu große Nahe zu
Rassismus
,
Sexismus
und
Sozialdarwinismus
vorgeworfen.
[11]
In einem Brief, unterschrieben etwa von
Stephen Jay Gould
und
Richard Lewontin
, wurde beurteilt, dass Wilson zwar wissenschaftlicher arbeite als seine, auch von ihm kritisierten, Vorganger mit ahnlichen Ansichten, er aber einen biologischen
Determinismus
vertrete, wonach naturliche Selektion und Gene die menschliche Gesellschaften, Verhaltensweisen und Probleme bestimmen. Zwar haben laut den Unterzeichnern des Briefes genetische Komponenten eine Rolle beim menschlichen Verhalten, aber durch sie komplexe menschliche Gesellschaften zu erklaren, sei unwissenschaftlich.
[12]
Wilson selbst war zumindest der Ansicht, dass ?moralisches Denken auf jeder Ebene naturwissenschaftlich erklarbar“ sei.
[13]
Eine positivere Besprechung des Buches in der New York Times wandte ein, dass Wilson nicht vorgebe, dass menschliches Verhalten alleine durch Gene erklarbar und somit auch nach Ansicht von Wilson die menschliche Gesellschaft veranderbar sei.
[14]
Die politische Rechte in den USA positionierte sich gegen Wilson, weil er ?hysterisch“ vor Artenschwund und Umweltzerstorung gewarnt habe.
[2]
Zu den Befurwortern von Wilsons 2016 aufgeworfener
Half-Earth
-These zur großflachigen Einrichtung globaler
Naturschutzkorridore
gehort unter anderem
Kim Stanley Robinson
,
[15]
der den Ansatz in seinem Roman
Das Ministerium fur die Zukunft
ausgestaltete.
[16]
Das Konzept wurde 2022 von Drew Pendergrass (
Harvard University
) und Troy Vettese (
European University Institute
) aufgegriffen und weiterentwickelt.
[17]
Zu Ehren von Wilson wurde 2005 die E.O. Wilson Biodiversity Foundation mit Sitz in
Durham (North Carolina)
gegrundet.
[18]
Inspiriert von Wilsons 2016 herausgegebenem Buch
Half-Earth
(deutsch:
Die Halfte der Erde
) setzt sie sich im
Half Earth Project
fur den Erhalt der Biosphare ein.
Andre Moncrieff
und seine Kollegen benannten im Jahr 2018 den
Blauband-Ameisenvogel
(
Myrmoderus eowilsoni
) nach Wilson.
[19]
Ara Monadjem
und seine Kollegen benannten im Jahr 2020 die Fledermausart
Miniopterus wilsoni
zu Ehren von Edward O. Wilson.
[20]
- mit
Robert H. MacArthur
:
The Theory of Island Biogeography.
Princeton University Press, Princeton 1967, zuletzt Princeton University Press, Princeton 2001,
ISBN 0-691-08836-5
.
- Insect Societies.
1971.
- Sociobiology. The New Synthesis.
Cambridge 1975.
- On Human Nature.
1978 (mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet); uberarbeitete Auflage. Harvard University Press, 2004,
ISBN 0-674-01638-6
.
- Biologie als Schicksal. Die soziobiologischen Grundlagen des menschlichen Verhaltens.
Ullstein, Munchen 1980,
ISBN 3-550-07684-3
.
- mit Charles J. Lumsden:
Genes, Mind and Culture.
Cambridge 1981.
- Promethean Fire.
1983.
- Das Feuer des Prometheus. Wie das menschliche Denken entstand.
Mit einem Vorwort von Wolfgang Wickler. (Aus dem Amerikanischen von Hans Jurgen Baron von Koskull. Ill. von Whitney Powell). Piper, Munchen 1984,
ISBN 3-492-02870-5
.
- Biophilia.
1984.
- mit Frances M. Peter (Hrsg.):
Biodiversity.
National Academy Press, 1988,
ISBN 0-309-03739-5
.
- mit
Bert Holldobler
:
The Ants.
1990. (mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet)
- The Diversity of Life.
Harvard University Press, 1992,
ISBN 0-674-21298-3
.
- mit Bert Holldobler:
Journey to the Ants: A Story of Scientific Exploration.
Harvard University Press, 1994,
ISBN 0-674-48525-4
.
- Uberarbeitete und erweiterte Fassung als:
Auf den Spuren der Ameisen ? die Entdeckung einer faszinierenden Welt.
Springer, Berlin u. a. 2016,
ISBN 978-3-662-48406-7
.
- In search of nature.
1996.
- Consilience: The Unity of Knowledge.
1998.
- Die Einheit des Wissens.
Siedler, Berlin 1998. (Goldmann, Munchen 2000,
ISBN 3-442-15079-5
)
- The Future of Life.
2002.
- Die Zukunft des Lebens.
Siedler, Berlin 2002; Goldmann, Munchen 2004,
ISBN 3-442-15282-8
.
- The Creation: An Appeal to Save Life on Earth.
2006.
- mit Bert Holldobler:
Der Superorganismus. Der Erfolg von Ameisen, Bienen, Wespen und Termiten
. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2010,
ISBN 978-3-540-93766-1
.
- The Social Conquest of Earth.
W. W. Norton & Company, 2012,
ISBN 978-0-87140-413-8
.
- Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen.
C. H. Beck, 2013,
ISBN 978-3-406-64530-3
.
- Letters to a Young Scientist.
W. W. Norton & Company, 2013,
ISBN 978-0-87140-377-3
.
- The Meaning of Human Existence.
Liveright, 2014,
ISBN 978-0-87140-100-7
.
- Half-Earth. Our Planet’s Fight for Life.
Liveright Publishing Cooperation, 2016,
ISBN 978-1-63149-082-8
.
- Die Halfte der Erde. Ein Planet kampft um sein Leben
. Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke. C. H. Beck, Munchen 2016,
ISBN 978-3-406-69785-2
.
- Genesis: The Deep Origin of Societies.
Liveright, 2019,
ISBN 978-1-63149-554-0
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Chicago University Press, Chicago und London 1985,
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- Naturalist.
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doi:10.3161/15081109ACC2020.22.1.001