Edda

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Deckblatt einer islandischen Abschrift der Snorra-Edda aus dem Jahr 1666

Als Edda werden zwei verschiedene, in altislandischer Sprache verfasste literarische Werke bezeichnet. Beide wurden im 13. Jahrhundert im christianisierten Island niedergeschrieben und behandeln skandinavische Gotter- und Heldensagen. Trotz dieser Gemeinsamkeiten unterscheiden sie sich ihrem Ursprung nach und im literarischen Charakter. [1]

Ursprunglich kam dieser Name nur einem Werk zu ? der Snorra-Edda des Snorri Sturluson († 1241) ?, das dieser um 1220 fur den norwegischen Konig Hakon Hakonarson und den Jarl Skuli verfasste. Es ist ein Lehrbuch fur Skalden (die altnordische Bezeichnung fur ?Dichter“) und gliedert sich in drei Teile, deren ersten beiden die mythologischen und sagenmaßigen stofflichen Grundlagen der Skaldendichtung unter Benutzung alter mythologischer Lieder und Heldenlieder in Prosa nacherzahlen. Der dritte Teil, das ?Strophenverzeichnis“, bringt fur jede Strophenform eine Beispielstrophe. In dieses Werk schiebt er oftmals als Beispiele einzelne Strophen oder kurze Strophenfolgen aus alten Liedern ein. So werden hier ganz nebenbei Lieder von ungewissem Alter uberliefert.

Das zweite Werk, das als Lieder-Edda bezeichnet wird, wurde erst im spaten Mittelalter so benannt, doch der Name hat sich eingeburgert [2] und gilt als die bekanntere Edda: Um 1270 wurde auf Island eine Sammlung von Liedern unterschiedlichen Alters niedergeschrieben. Einige der von Snorri zitierten Strophen stimmen fast wortlich damit uberein. Diese Sammlung uberliefert aber ganze Lieder, nicht nur Ausschnitte, und verbindet nur ganz wenige Texte durch Inhaltsangaben in Prosa.

Als Abgrenzung der beiden Werke voneinander werden die Werke in der Literatur als Snorra-Edda und Lieder-Edda bezeichnet. Auf Grund der Annahme, dass die Texte der Lieder-Edda zum Großteil Snorri schon bekannt waren, wird die Lieder-Edda oft auch als ?Altere Edda“ und die Snorra-Edda als ?Jungere Edda“ bezeichnet. Da aber die Liedersammlung wahrscheinlich erst nach dem Erscheinen der Snorra-Edda zusammengestellt wurde, sind diese Namen verwirrend und werden heute vermieden. [3] Es wird auch bezweifelt, dass die Sammlung der Lieder-Edda so alt ist, dass sie schon auf Saemund den Weisen zuruckgehen konnte; der Name Sæmundar-Edda, mit dem sie bis zum 19. Jahrhundert oft bezeichnet wurde, ist daher wohl falsch. Da die Snorra-Edda, obwohl ihr fortlaufender Text in Prosa geschrieben ist, sehr viele Strophen als Beispiele enthalt, und die Lieder-Edda zwar wenige, aber doch einige Prosatexte zwischen den Strophen enthalt, ist es auch ungunstig, die Snorra-Edda als ?Prosa-Edda“ und die Lieder-Edda als ?Poetische Edda“ zu bezeichnen.

Der Schriftsteller W. Hansen hat in jahrelanger Arbeit den Versuch unternommen, aus Hinweisen der Texte die Orte der Handlung auf Island zu ermitteln, die jeweils durch geologische Besonderheiten ausgezeichnet sind. [4]

Bedeutung des Namens

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Die Etymologie des Wortes Edda ist unsicher. Wahrscheinlich handelt es sich einfach um die nordische Ubersetzung des lateinischen Worts editio, zu deutsch Herausgabe, Edition . In der Orkneyinga saga finden wir das islandische Wort Kredda fur das lateinische Wort Credo fur Glaube, auch christliches Glaubensbekenntnis .

Die Lieder-Edda, fruher auch Samund-Edda genannt, ist eine Sammlung von Dichtungen unbekannter Autoren. Stofflich werden mythische Motive, sogenannte Gotterlieder aus der Nordischen Mythologie , behandelt, und die sogenannten Heldenlieder . In den Heldenliedern werden Stoffe aus der germanischen Heldensage , beziehungsweise der Heldendichtung wiedergegeben. Die Spanne reicht von dem historischen Kontext enthobenen Personen der Volkerwanderungszeit , dem sogenannten Heldenalter , bis hin zu nordischen Bearbeitungen der Nibelungensage .

Der alteste und wichtigste Textzeuge der Lieder-Edda ist der vermutlich um 1270 niedergeschriebene Codex Regius der Lieder-Edda. Der Name Codex Regius (lat.: konigliche Handschrift) bedeutet, dass der Codex in der koniglichen Sammlung in Kopenhagen lag; viele andere Handschriften fuhren ihn daher ebenfalls, und auch von der Snorra-Edda gibt es einen Codex Regius, dem mit jenem der Lieder-Edda nur der Aufenthaltsort gemein ist. Aufgrund legendarischer Angaben wurde lange angenommen, dass die im Codex Regius der Lieder-Edda gesammelten Texte bereits von Saemundur Sigfusson (1056?1133) erstmals aufgezeichnet wurden, wofur es jedoch keine Anhaltspunkte gibt. Unregelmaßigkeiten der Orthografie zeigen, dass der Codex auf einer Vorlage in der Schreibweise der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts basiert (um 1250 wechselten die Schreibergewohnheiten stark; wer um 1270 einen Text der Zeit vor 1250 abschrieb, mischte unwillkurlich die ihm gewohnte moderne Schreibweise mit der Schreibung der Vorlage). Altere Spuren schriftlicher Tradition finden sich nicht. Die altesten darin enthaltenen Lieder gehen vielleicht schon auf Vorstufen aus dem 10. Jahrhundert zuruck. Ein noch hoheres Alter ist aus sprachgeschichtlichen Grunden ( Synkope ) nicht anzunehmen. Belege wie Schnitzereien in norwegischen Stabkirchen oder eine Darstellung auf dem schwedischen Ramsundstein (ca. 1030) zeigen, dass der schriftlichen Aufzeichnung zum Teil Jahrhunderte mundlicher Uberlieferung vorangingen. Welche Veranderung die alteren Lieder in dieser Zeit erfahren haben, ist unbekannt; die Ansichten uber die Datierung der alten Passagen gehen stark auseinander. Die jungsten Lieder stammen aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. Außerhalb des Codex Regius sind noch weitere Lieder und Gedichte uberliefert, die aufgrund ihrer Ahnlichkeiten in Stil, Versmaß und Inhalt auch zu den eddischen Liedern gezahlt werden.

Die Lieder und Gedichte sind uberwiegend in gebundener Form gehalten. Dazwischen finden sich jedoch auch kurzere Prosa-Abschnitte, etwa als Einleitung. Fur diesen Wechsel gibt es mehrere Erklarungen. So konnten die Prosastucke verlorengegangene oder bruchstuckhafte Verse ersetzt oder vorhandene gekurzt, prazisiert oder modifiziert haben. Sie konnten aber auch von Anfang an vorhanden gewesen sein.

Die Datierung der Lieder-Edda steht im Zusammenhang mit der religionshistorischen Frage, inwieweit die Lieder-Edda als Dokument und Uberlieferung vorchristlicher Zustande herangezogen werden kann. Um eine Datierung vorzunehmen, muss man zwischen literarischer Form und Inhalt unterscheiden. Der spateste Zeitpunkt fur beides ist die Zeit der Verschriftlichung im 13. Jahrhundert in Island. Man dachte fruher, dass die literarische Form aus dieser Zeit stamme. Bei Ausgrabungen in Bergen wurde dann ein Runenversfragment gefunden, das auf die Zeit um 1200 datiert wird. Seither herrscht die Meinung vor, dass auch die Form bereits zu dieser Zeit vorlag. Der Vers lautet (in Umschrift):

Heil ser þu
ok i hugum goðum.
Þorr þik þiggi.
Oðinn þik eigi. [5]

Gesund seist du
und guten Sinnes.
Moge Thor/Donar dich annehmen.
Moge Odin/Wodan dich zu eigen machen.

Liestøl halt diesen Vers fur ein eddisches Zitat. Bei der Frage nach dem Alter kann man anhand der Voluspa die Schwierigkeit zeigen: Wenn die Forschung sich auch daruber einig ist, dass dieses Gedicht auf die Zeit um 1000 zuruckgeht, so kann daraus doch nicht geschlossen werden, dass um diese Zeit ein Gedicht, das in Form und Inhalt der Voluspa entspricht, bereits vorlag. Wenn man also bestimmte Mytheninhalte archaologisch in wesentlich fruherer Zeit nachweisen kann, bedeutet das nicht, dass die uberlieferte Dichtung bereits als Element mundlicher Uberlieferung bestanden hat.

Nach Sørensen haben die Edda-Gedichte in der uberlieferten Form kein wesentlich hoheres Alter als ihre Verschriftlichung. Mit Hinweis auf den Fund in Bergen meint er, eine gewisse Variabilitat der Dichtung feststellen zu konnen. Außerdem spreche die Anonymitat im Gegensatz zu der Skaldendichtung dagegen. Es sei nie als das Werk eines einzelnen Verfassers betrachtet worden, sondern als ein Material zur freien Verfugung eines jeglichen Dichters, der sich mit dem Stoff befasst habe. Bei Skirnismal kommt man heute dazu, dass es sich um einen vorchristlichen Inhalt handelt, der literarisch neu verarbeitet wurde. [6] Der Dichtung Lokasenna mussen die Mythen, auf die dort Bezug genommen wird und die als bekannt vorausgesetzt werden, bereits vorher in irgendeiner Form in Umlauf gewesen sein. Die Strophen 104 bis 110 der Havamal handeln davon, wie Odin bei den Riesen durch Gunnlod den heiligen Met gewann. Die Verse sind aus sich heraus unverstandlich und finden ihren mythologischen Zusammenhang erst in Snorris Skaldsskapamal . Auch hier wird die Kenntnis des Zusammenhangs als bekannt vorausgesetzt.

Das Gleiche gilt in besonderem Maße fur die Kenningar der Skalden-Gedichte, die den mythologischen Hintergrund ihrer Beschreibungen als bekannt voraussetzen. [7] Sørensen meint, dass die Lieder-Edda genuin (ursprunglich) heidnische Tradition wiedergibt: Zum einen enthalte die Darstellung der Gotter keinen Bezug zum Christentum, auch nicht zu christlicher Moral. Zum anderen betont Snorri selbst den scharfen Unterschied zwischen dem, was er niederschreibt, und dem Christentum:

En ekki er at gleyma eða osanna sva þessar frasagnir at taka or skaldskapinum fornar kenningar, þær er hofuðskald hafa ser lika latit. En eigi skulu kristnir menn trua a heiðin goð ok eigi a sannyndi þessa sagna annan veg en sva sem her finnst i upphafi bokar.

?Die hier erzahlten Sagen durfen nicht vergessen oder Lugen gestraft werden, indem man aus der Dichtkunst die alten Umschreibungen verbannt, an welchen die Klassiker Gefallen gefunden haben. Doch sollen Christenmenschen nicht an die heidnischen Gotter und nicht an die Wahrheit dieser Sagen auf andere Weise glauben, als so, wie es im Anfang dieses Buches zu lesen ist.“

? Skaldskaparmal. [8]

Snorri verstand also seine Uberlieferung als echt heidnisch und fur Christen nicht ungefahrlich. Allerdings hat eine einigermaßen geschlossene Kosmologie eines mythischen Universums mit zeitlicher Abfolge der Ereignisse, wie sie in der Voluspa und in Gylfaginning vorliegt, eine Schriftkultur zur Voraussetzung, und es ist durchaus naheliegend, dass diese zusammenhangende Darstellung erst mit dem Codex Regius vollendet wurde. Fur die schriftliche Vorlaufertradition gibt es zwei Theorien: [9] Andreas Heusler vertrat die Liederheft-Theorie: Es habe ein Odin-Heft mit drei Liedern, ein Spruchheft mit sechs Einzelliedern, die spater zur Havamal zusammengefasst worden seien, ein Helgi-Heft mit drei Liedern und ein Sigurd-Heft gegeben, die jeweils getrennt ausgebaut worden seien, bevor sie zur uberlieferten Form zusammengefasst worden seien. [10] Gustav Lindblad meint, dass es zwei getrennte Sammlungen gegeben habe, namlich den Gotterliederzyklus und den Heldenliederzyklus. [11]

Laut dem Mediavisten Jurgen Wolf sind die beiden Eddas unter christlichem Einfluss entstanden. Als Quelle fur die germanische Religion seien sie ?nicht ohne weiteres verwendbar“. Ebenso problematisch sei die Berufung neugermanischer Kreise auf sie. [12]

Inhaltsubersicht

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Die Lieder-Edda enthalt 16 Gotter- und 24 Heldenlieder. Nachfolgend eine Liste aller im Codex Regius enthaltenen Lieder und Gedichte:

  1. Gotterlieder
    1. Voluspa (Der Seherin Weissagung)
    2. Havamal (Des Hohen Lied)
      1. Teil Das alte Sittengedicht
      2. Teil Billings mey (Billungs Maid)
      3. Teil Suttungs mey (Suttungs Maid)
      4. Teil Loddfafnismal (Loddfafnirs Lied)
      5. Teil Runatal þattr Oðinn (Odins Runenlied)
      6. Teil Ljoðatal (Die Aufzahlung Runenlieder)
    3. Vafþruðnismal (Das Lied von Wafthrudnir)
    4. Grimnismal (Das Lied von Grimnir )
    5. Skirnismal (Skirnirs Ritt)
    6. Harbarðslioð (Das Harbard-Lied)
    7. Hymiskviða (Das Lied von Hymir)
    8. Lokasenna (Lokis Zankreden) oder Oegisdrecka (Oegirs Trinkgelage)
    9. Þrymskviða oder Hamarsheimt (Das Thrym-Lied oder Des Hammers Heimholung)
    10. Volundarkviða (Das Wolund-Lied)
    11. Alvissmal (Das Alvislied)
  2. Nicht in der Konungsbok (Codex Regius) enthaltene Gotterlieder
    1. Hrafnagaldr Oðins (Odins Rabenzauber/wortl. Rabengalster)
    2. Vegtamskviða oder Baldrs draumar (Das Wegtamslied oder Balders Traume)
    3. Svipdagsmal
      1. Grogaldr (Groas Erweckung)
      2. Fjolsvinnsmal (Das Lied von Fjolsviðr)
    4. Rigsþula (Rigs Merkreihe)
    5. Hyndlulioð (Das Hyndlalied)
      1. Voluspa in skamma ? Die kurze Weissagung der Volva
    6. Grottasongr (Grottis Gesang)
  3. Heldenlieder
    1. Die Helge-Lieder
      1. Helgakviða Hjorvarðssonar (Das Lied von Helgi dem Sohn Hjorwards)
      2. Helgakviða Hundingsbana fyrri (Das erste Lied von Helgi dem Hundingstoter)
      3. Helgakviða Hundingsbana onnur (Das zweite Lied von Helgi dem Hundingstoter)
    2. Die Nibelungen-Lieder
      1. Sinfiotlalok (Sinfiotlis Ende)
      2. Sigurdarkviða Fafnisbana fyrsta edha Gripisspa (Das erste Lied von Sigurd dem Fafnirstoter oder Gripirs Weissagung)
      3. Sigurðarkviða Fafnisbana onnur (Das zweite Lied von Sigurd dem Fafnirstoter)
      4. Fafnismal (Das Lied von Fafnir )
      5. Sigrdrifomal (Das Lied von Sigrdrifa)
      6. Brot af Brynhildarkviða (Bruchstuck eines Brynhildenliedes)
      7. Sigurdarkviða Fafnisbana thridja (Das dritte Lied von Sigurd dem Fafnirstoter bzw. dessen Sigurðarkviða in skamma )
      8. Helreið Brynhildar (Brynhilds Helfahrt)
      9. Guðrunarkviða in fyrsta (Das erste Gudrun-Lied)
      10. Drap Niflunga (Mord der Niflunge)
      11. Guðrunarkviða in onnur (Das zweite Gudrun-Lied)
      12. Guðrunarkviða in þriðja (Das dritte Gudrun-Lied)
      13. Oddrunargratr (Oddruns Klage)
      14. Atlakviða (Das alte Atli-Lied)
      15. Atlamal (Das jungere ?gronlandische“ Atli-Lied)
    3. Die Ermenrich-Lieder
      1. Guðrunarhvot (Gudruns Aufreizung)
      2. Hamðismal (Das Lied von Hamdir)
  4. Nicht in der Konungsbok (im Codex Regius) enthaltene Heldenlieder
    1. Hloðskviða ? Das Hunnenschlachtlied
    2. Hervararljoð ? Das Herworlied
  5. Weitere, nicht in der Konungsbok (im Codex Regius) uberlieferte Texte:
    1. Solarlioð Das Sonnenlied

Die literarische Gattung

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Die Edda ist kein durchgangig erzahltes Epos, sondern eine Sammlung von Liedern uber verschiedene Themen. Der erste Teil enthalt Gotterlieder, der zweite Heldenlieder. Im Bereich der Heldenlieder gibt es inhaltliche Uberschneidungen; auch deckt sich die Reihenfolge der Liedzusammenstellung nicht immer mit der Chronologie der Ereignisse. Das gilt vor allem fur die Heldenlieder der Nibelungensage , die vielfach aufeinander Bezug nehmen und in ihrer Anordnung einer chronologischen und biographischen Logik folgen. Die Verbindung verschiedener Sagenkreise wurde dadurch erzielt, dass man verschiedene Helden miteinander verwandt machte ( Ansippung ). So wird Brynhild in manchen der Lieder als Schwester Atlis (Attilas/Etzels) dargestellt. Sigurds Witwe Gudrun heiratet Atli (wie auch in der deutschen Uberlieferung) und nach dessen Tod noch Jonakr, um auch die Sage von Hamdir und Sorli, als Kinder aus Gudruns dritter Ehe, an die Nibelungensage anbinden zu konnen. Vor die Nibelungensage wird die Helgisage gestellt, indem man Helgi Hundingsbani (Hundingstoter) zum Halbbruder Sigurds macht.

Die Gotterlieder

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Einige Gotterlieder sind als ?Wissensdichtung“ angelegt. Das heißt, in ihnen wurde gezielt moglichst viel Wissen in konzentrierter Form dargestellt, um dann von den Dichtern auswendig gelernt und in dieser Form weitergegeben zu werden. Die meisten Wissensgedichte haben dabei die Form eines Dialoges. In einem Wechsel aus Fragen und Antworten, oder einem Wissenswettstreit zwischen zwei Protagonisten, wird das zu vermittelnde Wissen systematisch dargelegt. Ein wichtiges Element der Gotterlieder bildet die Spruchdichtung. Hier werden keine mythologischen Begebenheiten, sondern Lebensweisheiten und Verhaltensregeln vermittelt. In der Anordnung der einzelnen Lieder zeigt sich eine deutliche Reihenfolge: Das erste Lied, die Voluspa, behandelt die Vorzeit und die Endzeit der Welt (unter Ausklammerung der ?historischen“ Zeit), wahrend nachfolgende Lieder immer spezifischere, abgegrenzte Inhalte haben.

Die Heldenlieder

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Die Heldenlieder der Edda befassen sich mit verschiedenen germanischen Helden, die großteils so erscheinen, als hatten sie auf dem europaischen Festland zur Zeit der Volkerwanderung gelebt. Die Existenz mancher von ihnen ist geschichtlich nachweisbar; so entspricht zum Beispiel Atli dem Hunnenkonig Attila oder Gunnar Gundahar, dem Konig der Burgunden . Dies hat großere inhaltliche Uberschneidungen mit kontinentalen Heldendichtungen zur Folge, etwa mit dem Nibelungenlied . Obwohl der Codex Regius etwa 70 Jahre junger ist als die alteste bekannte Handschrift des Nibelungenlieds, werden die Versionen einiger Eddalieder allgemein als ursprunglicher angesehen. Allerdings gehoren auch einige der Eddalieder des Nibelungen-Sagenkreises zur jungsten Schicht (13. Jahrhundert). Im Bereich der Vorgeschichte des Nibelungenhortes und in der Jugendgeschichte Sigurds finden sich Bezuge auf die germanische Mythologie, die sich im Nibelungenlied nicht finden. Auch die Charaktere werden in einigen Eddaliedern archaischer dargestellt, wahrend im Nibelungenlied ein hofischer Gestus vorherrscht.

Die Namen der Charaktere in der Edda sind anders als die vertrauten Namen des Nibelungenlieds: Brunhild heißt Brynhildr, Etzel Atli, Gunther Gunnar, Hagen Hogni, Krimhild Guðrun, Siegfried Sigurðr . Davon sind Atli, Brynhildr, Gunnar und Hogni die lautlichen Entsprechungen der deutschen Namen (fur Laien nicht sofort nachvollziehbar: in Attila wird im Deutschen durch Umlaut a vor i der Folgesilbe zu e ; tt wird in der Zweiten Lautverschiebung zu tz . Etzel entspricht also der normalen Lautentwicklung von Attila im Deutschen). Sigurd und Gudrun sind dagegen andere Namen fur diese Figuren.

Bezeichnend fur alle Lieder des Heldenzyklus sind die immer wiederkehrenden Motive von Tapferkeit, Tod, Mord und Rache. Oft werden die Helden von Visionen heimgesucht, entweder in Form von Traumen oder durch die Einwirkung von Sehern oder ahnlichem. Der Heldenliedteil berichtet uber den Tod von nicht weniger als 36 Protagonisten. Im letzten Lied des Codex Regius, den Hamðismal, sterben die letzten Vertreter der großen Sippe um Sigurðr und Helgi. Hierin offenbart sich das pessimistische Weltbild der eddischen Heldenlieder.

Die literarische Form

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Vor allem die alteren Lieder, etwa die Hamðismal, zeichnen sich durch außerste Knappheit sowie schonungslose und primitive Kraft aus. Die Lieder jungeren Datums dagegen bedienen sich eines realistischeren und ausfuhrlicheren Stils. Sie erreichen allerdings nie die epische Breite, wie es im altfranzosischen und mittelhochdeutschen Versepos ublich ist. Diese Funktion ubernehmen in der mittelalterlichen islandischen Literatur die Sagas .

Die eddischen Lieder und Gedichte weisen zwei Hauptversmaße ( Fornyrðislag und Ljoðahattr ) und zwei leichte Variationen davon ( Malahattr und Galdralag ) auf:

Das Fornyrðislag (Altmarenton) findet v. a. in erzahlenden Gedichten Anwendung. Es handelt sich um eine Verbindung von zwei Kurzzeilen mit je zwei Hebungen via Alliteration zu einer Langzeile . Vier Langzeilen bilden eine Strophe.

Der Malahattr (Spruchton) ist eine etwas schwerere Variante des Fornyrðislag mit funf statt vier Silben je Vers.

Der Ljoðahattr (Liedton) findet sich v. a. im Gotterliederteil. Fur dieses Versmaß findet sich im ubrigen germanischsprachigen Raum keine Entsprechung. Im Ljoðahattr schließen sich nach obigem Muster wieder zwei Kurzzeilen zu einer Langzeile zusammen, gefolgt von einer in sich stabenden Vollzeile mit meist drei Hebungen. Dieses Schema wiederholt sich einmal, woraus sich eine Strophe bildet.

Das Galdralag (Zauberton) ist eine Variante des Ljoðahattr, bei der eine Vollzeile mit leichter Veranderung wiederholt wird.

Snorra-Edda (?Prosa-Edda“)

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Die Snorra-Edda oder ?Prosa-Edda“ wurde um 1220 von Snorri Sturluson unter Verwendung alter Uberlieferungen zusammengestellt. Sie besteht aus drei Teilen:

  • die Gylfaginning (?Tauschung des Gylfi“), in der die nordische Gotterwelt ausfuhrlich dargestellt wird;
  • die Skaldskaparmal (?Lehre von der Dichtung“, wortlich ?Skaldschaft“; Skalden nannte man die Berufsdichter), einen Lehraufsatz fur Skalden. Er bezieht sich dabei auch auf Lieder, die Teil der Lieder-Edda sind, und zitiert aus ihnen Verse und Strophen. In den Skaldskaparmal werden unter anderem die Kenningar erlautert, dichterische Wortumschreibungen, die meist auf Geschehnisse der Gottersagen anspielen;
  • das Hattatal (?Strophenverzeichnis“), das fur jede Strophenform eine Beispielstrophe bringt. Diese Strophen, die Snorri selbst dichtete, ergeben zusammen ein Preislied auf Konig Hakon und Jarl (Herzog) Skuli.

Lieder-Edda-Ausgaben

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Textausgaben
  • Gustav Neckel (Hrsg.): Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmalern. Band 1: Text (= Germanische Bibliothek. Reihe 4, Band 9: Texte ). 5., verbesserte Auflage von Hans Kuhn. Carl Winter, Heidelberg 1983, ISBN 3-533-03080-6 (Erstauflage 1936; 4., umgearbeitete Auflage 1962, DNB 456507515 ).
  • Hans Kuhn (Hrsg.): Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmalern. Band 2: Kommentierendes Glossar ? Kurzes Worterbuch. Heidelberg 1936; 3., umgearbeitete Auflage 1968, DNB 456507523 .
  • Klaus von See u. a. (Hrsg.): Kommentar zu den Liedern der Edda. Winter, Heidelberg.
    • Band 1, Teil 1: Gotterlieder (V?luspa (R), Havamal). 2019, ISBN 978-3-8253-6963-7 .
    • Band 1, Teil 2: Gotterlieder (Vafþruðnismal, Grimnismal, V?luspa (H), Zwergenverzeichnis aus der Gylfaginning). 2019, ISBN 978-3-8253-6963-7 .
    • Band 2. Gotterlieder (Skirnismal, Harbarðslioð, Hymiskviða, Lokasenna, þrymskviða). Heidelberg 1997, ISBN 3-8253-0534-1 .
    • Band 3. Gotterlieder (V?lundarkviða, Alvissmal, Baldrs draumar, Rigsþula, Hyndlolioð, Grottas?ngr). 2000, ISBN 3-8253-1136-8 .
    • Band 4. Heldenlieder (Helgakviða Hundingsbana I, Helgakviða Hi?rvarðssonar, Helgakviða Hundingsbana II). 2004, ISBN 3-8253-5007-X .
    • Band 5. Heldenlieder ? Fra dauða Sinfi?tla, Gripisspa, Reginsmal, Fafnismal, Sigrdrifumal. 2006, ISBN 3-8253-5180-7 .
    • Band 6. Heldenlieder ? Brot af Sigurðarkviðo, Guðrunarkviða I, Sigurðarkviða in skamma, Helreið Brynhildar, Drap Niflunga, Guðrunarkviða II, Guðrunarkviða III, Oddrunargratr, Strophenbruchstucke aus der V?lsunga saga. 2009, ISBN 978-3-8253-5564-7 .
    • Band 7. Heldenlieder ? Atlakviða in groenlenzka, Atlamal in groenlenzko, Fra Guðruno, Guðrunarhvot, Hamðismal. 2012, ISBN 978-3-8253-5997-3 .
Ubersetzungen

Snorra-Edda-Ausgaben

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Textausgaben:

  • Finnur Jonsson: Edda. Gad, København 1900, OCLC 46269466 (anderer Titel: Snorri-Edda ).

Kommentare:

  • Gottfried Lorenz : Snorri Sturluson, Gylfaginning. Texte, Kommentar (= Texte zur Forschung. Band 48). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, ISBN 3-534-09324-0 (Text altislandisch und deutsch; Standardwerk zur Gylfaginning).
  • Anthony Faulkes: Edda Prologue and Gylfaginning. Clarendon Press, Oxford; Oxford University Press New York 1982 ff., OCLC 0-19-811175-4 (ungenauer als Lorenz, der fur die Gylfaginning vorzuziehen ist, enthalt aber dafur auch Skaldskaparmal und Hattatal).

Ubersetzungen:

  • Die Edda des Snorri Sturluson. Ausgewahlt, ubersetzt und kommentiert von Arnulf Krause . Bibliographisch aktualisierte Ausgabe. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2017, ISBN 978-3-15-000782-2 .
  • Arthur Hany : Prosa-Edda. Altislandische Gottergeschichten. Manesse, Zurich 2011, ISBN 3-7175-1796-1 .
  • Altnordische Dichtung und Prosa. Die jungere Edda mit dem sogenannten ersten grammatischen Traktat / Snorri Sturluson. Ubertragen von Gustav Neckel und Felix Niedner (= Sammlung Thule . Band 20). Jena 1925, OCLC 922293743 (vollstandige [bis auf den Prolog und einige sicher jungere Zusatze], aber freie Ubersetzung).

Sekundarliteratur

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  • Heinz Klingenberg: Havamal. In: Festschrift fur Siegfried Gutenbrunner. Claus Winter, Heidelberg 1972, ISBN 3-533-02170-X , S. 117?144.
  • Rudolf Simek : Die Edda. C.H. Beck, Munchen 2007, ISBN 978-3-406-56084-2 .
  • Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen. Konrad Theiss, Stuttgart 2003, ISBN 3-8062-1821-8 .
  • Kommentar zu den Liedern der Edda. Hrsg. von Klaus von See u. a., Heidelberg (Siehe Textausgaben. Enthalt den maßgeblichen kritischen Text der Lieder sowie eine genaue, zuverlassige Ubersetzung, einen ausfuhrlichen wissenschaftlichen Kommentar und eine fast vollstandige Bibliographie der Forschungsliteratur zu jedem Lied. Standardwerk; mehrere Bande noch fehlend.).
  • Gro Steinsland : Det hellige bryllup og norrøn kongeideologie. En undersogelse af hierogami-myten i Skirnismal, Ynglingatal, Haleygjatal og Hyndluljoð. Solum, Oslo 1991, ISBN 82-560-0764-8 .
  • Preben Meulengracht Sørensen: Om eddadigtenes alder (Uber das Alter der Edda-Dichtung). In: Nordisk hedendom. Et symposium. Hrsg. von Gro Steinsland, Nordiska samarbetsnamnden for humanistisk forskning. Odense Universitetsforlag, Odense 1991, ISBN 87-7492-773-6 .

Einspielungen auf Tontrager (Auswahl)

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  • Edda: Myths from Medieval Iceland. Sequentia . Ensemble fur Musik des Mittelalters, Deutsche Harmonia Mundi/BMG Classics 1999, Nr. 05471-77381, OCLC 56845574 .
Wiktionary: Edda  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen
Wikisource: Edda  ? Quellen und Volltexte
  • Eddukvæði. In: heimskringla.no (altnordisch)
  • Edda Snorra Sturlusonar. In: heimskringla.no (altnordisch)
  • CyberSamurai Encyclopedia of Norse Mythology: Lieder-Edda ( Memento vom 5. Oktober 2012 im Internet Archive ). In: cybersamurai.net, abgerufen am 15. Januar 2017 (altnordisch)
  • CyberSamurai Encyclopedia of Norse Mythology: Lieder-Edda ( Memento vom 5. Oktober 2012 im Internet Archive ). In: cybersamurai.net, abgerufen am 15. Januar 2017 (englisch)
  • Die altere Edda bei Zeno.org .
  • Die Edda als Horbuch bei youtube.com
  • Reinhard Hennig: Welt der Wikinger. Edda. In: wikinger.org. Archiviert vom Original am 13. Januar 2019 ; .
  • Steffi Orbach: Nordische Mythologie ? Die ?Edda“ als Ursprung germanischer Gottersagen. (mp3-Audio; 36 MB; 39 Minuten) In: Deutschlandfunk-Nova -Sendung ?Eine Stunde History“. 5. Januar 2024 ; (mit Interviews mit Matthias von Hellfeld , Rudolf Simek , Kathrin Chlench-Priber und Matthias Toplak ).
  1. Rudolf Simek: Die Edda. C. H. Beck, 2007, ISBN 978-3-406-56084-2 , S. 7.
  2. Rudolf Simek: Die Edda. C. H. Beck, 2007, S. 8.
  3. Rudolf Simek: Die Edda. C. H. Beck, 2007, S. 45.
  4. Walter Hansen: Asgard ? Entdeckungsfahrt in die germanische Gotterwelt Islands , 1994, Weltbild Verlag Augsburg.
  5. Zitiert aus Preben Meulengracht Sørensen: Om eddadigtenes alder (Uber das Alter der Edda-Dichtung). In: Nordisk hedendom. Et symposium. Hrsg. von Gro Steinsland, Nordiska samarbetsnamnden for humanistisk forskning. Odense Universitetsforlag, Odense 1991, ISBN 87-7492-773-6 , S. 219.
  6. Gro Steinsland: Det hellige bryllup og norrøn kongeideologie. En undersogelse af hierogami-myten i Skirnismal, Ynglingatal, Haleygjatal og Hyndluljoð. Solum, Oslo 1991, ISBN 82-560-0764-8 .
  7. Sørensen, 1991, S. 224.
  8. Ubersetzung in Altnordische Dichtung und Prosa. Die jungere Edda mit dem sogenannten ersten grammatischen Traktat / Snorri Sturluson (= Sammlung Thule . Band 20). Ubertragen von Gustav Neckel und Felix Niedner. Jena 1925, OCLC 922293743 .
  9. Zitiert nach Gustav Stange im Nachwort zu Die Edda. Gotterlieder, Heldenlieder und Spruchweisheiten der Germanen. Nach der Handschrift des Brynjolfur Sveinsson. Vollst. Textausgabe in der Ubers. von Karl Simrock. Uberarb. Neuausgabe mit Nachw. und Register von Manfred Stange. Bechtermunz, Augsburg 1995, ISBN 3-86047-107-4 .
  10. Andreas Heusler: Die altgermanische Dichtung (= Handbuch der Literaturwissenschaft ). Akad. Verl.-Ges. Athenaion, Berlin-Neubabelsberg 1923, DNB 451999894 .
  11. Gustav Lindblad: Studier i Codex Regius av aldre eddan (= Lundastudier i nordisk sprakvetenskap / Utg. av Ivar Lindquist och Karl Gustav Ljunggren. Band 10). I.-III. Lund 1954, OCLC 465560469 (schwedisch; mit einer englischen Zusammenfassung).
  12. Jurgen Wolf: Germanen . In: In: Christoph Auffarth , Jutta Bernard, Hubert Mohr (Hrsg.): Metzler-Lexikon Religion. Gegenwart ? Alltag ? Medien. Bd. 1, J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 978-3-476-02070-3 , S. 475.