Die nach dem ungarischen Physiker
Lorand (Roland) Eotvos
(1848?1919) benannte
Eotvossche Regel
erlaubt es, die
Oberflachenspannung
eines beliebigen
flussigen
Reinstoffes
bei allen
Temperaturen
vorherzusagen. Dazu muss lediglich die
Dichte
, die
Molmasse
und die
kritische Temperatur
der Flussigkeit bekannt sein. Am kritischen Punkt ist die Oberflachenspannung Null.
Die erste Aussage der Regel ist:
1. Die Oberflachenspannung hangt
linear
von der Temperatur ab.
- Diese Regel wird fur die meisten bekannten Falle zumindest ungefahr erfullt. Bei Auftragung der Oberflachenspannung gegen die Temperatur ergibt sich also zumindest naherungsweise eine Gerade, die bei der kritischen Temperatur eine Oberflachenspannung von Null ergibt.
Die Eotvos-Gleichung beschreibt aber nicht nur die Abhangigkeit der Oberflachenspannung
einer
Flussigkeit von der Temperatur, sondern trifft daruber hinaus auch eine weitere wesentliche und umfassendere Aussage:
2. Die Temperaturabhangigkeit der Oberflachenspannung kann fur
alle
Flussigkeiten so aufgetragen werden, dass sich dabei naherungsweise immer
dieselbe
Gerade ergibt. Dazu muss entweder die Molmasse und die Dichte der Flussigkeit oder ihr
Molvolumen
bekannt sein.
- Die Eotvossche Regel folgt also dem
Theorem der ubereinstimmenden Zustande
, nach dem bei geeigneter Wahl von
reduzierten Großen
? hier der sogenannten molaren Grenzflachenspannung ? alle Stoffe denselben Gleichungen gehorchen.
[1]
Mit Hilfe dieser beiden Regeln kann man die Oberflachenspannung einer beliebigen Flussigkeit bei beliebiger Temperatur vorhersagen.
Ist
das molare Volumen und
die kritische Temperatur der Flussigkeit, so ist ihre Oberflachenspannung γ nach der einfachen Eotvos-Gleichung
Die nach Eotvos fur alle Flussigkeiten gultige
Eotvos-Konstante
hat einen Wert von
mit den Einheiten
Etwas genauere Werte erhalt man, wenn man berucksichtigt, dass die Gerade in der Regel schon 6 K
vor
dem kritischen Punkt die Temperaturachse schneidet:
Das molare Volumen
ist gegeben durch die Molmasse
M
und die Dichte ρ:
Der Term
wird auch als
molare
Grenzflachenspannung
bezeichnet:
Damit lasst sich die Eotvos-Gleichung schreiben als:
Eine sinnvolle Darstellung, die das ungunstige Auftreten der Einheit mol
?2/3
vermeidet, wird mit Hilfe der
Avogadro-Konstanten
N
A
erhalten:
Wie
John Lennard-Jones
und Corner 1940 mit der
statistischen Mechanik
gezeigt haben,
[2]
ist die Konstante
ungefahr gleich der
Boltzmannkonstante
:
Fur das Beispiel Wasser ergibt sich nach Einsetzen aller Großen folgende Zahlenwertgleichung:
- mit den Einheiten
- T in
Kelvin
- in
- Dies stimmt mit den experimentell gemessenen Oberflachenspannungen in guter Naherung uberein.
Eotvos begann schon als Student, sich mit der Oberflachenspannung zu befassen. Er entwickelte eine neue Art und Weise, die Oberflachenspannung zu bestimmen, die Reflexionsmethode. Die Eotvos-Gleichung wurde zunachst rein
phanomenologisch
gefunden und 1886 veroffentlicht.
[3]
1893 zeigten
William Ramsay
und John Shields (1850?1909) die verbesserte Version, die berucksichtigt, dass die Gerade in der Regel schon vor dem kritischen Punkt die Temperaturachse schneidet. Auch
Albert Einstein
befasste sich mit der Temperaturabhangigkeit der Oberflachenspannung.
[4]
John Lennard-Jones
und Corner publizierten 1940 eine Herleitung der Gleichung mit der
statistischen Mechanik
.
[2]
Masao Katayama (1877?1961) zeigte 1916 eine empirisch gefundene Variante der Eotvos-Gleichung fur den Fall, dass die Dichte des Dampfes nicht vernachlassigbar ist im Vergleich zur Dichte der Flussigkeit.
[2]
Darauf aufbauend gab
E. A. Guggenheim
1945 eine weitere Variante der Gleichung bekannt,
[1]
die heute Katayama-Guggenheim-Gleichung genannt wird:
- ↑
a
b
Edward A. Guggenheim:
The Principle of Corresponding States
. In:
The Journal of Chemical Physics
.
Band
13
,
Nr.
7
, 1945,
ISSN
0021-9606
,
S.
253?261
,
doi
:
10.1063/1.1724033
.
- ↑
a
b
c
John Edward Lennard-Jones und James Corner:
The calculation of surface tension from intermolecular forces
. In:
Transactions of the Faraday Society (1905?1971)
.
Band
36
, 1940,
S.
1156?1162
,
doi
:
10.1039/TF9403601156
.
- ↑
Roland Eotvos:
Ueber den Zusammenhang der Oberflachenspannung der Flussigkeiten mit ihrem Molecularvolumen
. In: G. Wiedemann (Hrsg.):
Annalen der Physik
.
Band
263
,
Nr.
3
. Johann Ambrosius Barth, 1886,
S.
448?459
,
doi
:
10.1002/andp.18862630309
.
- ↑
Albert Einstein:
Bemerkung zu dem Gesetz von Eotvos
. In:
Annalen der Physik
.
Band
339
,
Nr.
1
. Johann Ambrosius Barth, 1911,
S.
165?169
,
doi
:
10.1002/andp.19113390109
.