Konventionelles Zugprofil in einer 9-mm-Pistole
Vergleich von konventionellen Zug-Feld-Profil und Polygonalprofil
A: Feldkaliber, B: Zugkaliber
Schnittmodell einer
Royal Ordnance L7
Geschoss vor und nach dem Schuss, mit eingepragtem Zugprofil
Abgefeuertes
Schrapnell
mit eingepragtem Zugprofil im
Fuhrungsband
Als
Zuge
bezeichnet man die im
Lauf
von
Handfeuerwaffen
und im
Rohr
von
Geschutzen
ausgeformten spiralformigen
Nuten
, die dem
Projektil
einen
Drall
verleihen und dadurch die
Geschossflugbahn
stabilisieren
. Fehlen die Zuge hingegen, dann spricht man von einem zuglosen Rohr bzw.
Glattrohr
.
Mundung mit sechseckigem Whitworth-Profil
Zeichnung eines Whitworth-Geschosses
Lancaster-Zugprofil (oval)
Die zwischen den Zugen stehengebliebenen Bereiche werden als
Felder
bezeichnet. Dementsprechend heißt der Innendurchmesser des Laufs von Zug zu Zug Zugkaliber, von Feld zu Feld Feldkaliber. Das Zugkaliber ist stets großer als das Feldkaliber, der Durchmesser des Geschosses entspricht dem Zugkaliber (Das Geschoss wird beim Schuss leicht gequetscht und erhalt dadurch ein fur den jeweiligen Lauf charakteristisches Prage- und Kratzspurenmuster).
Die Richtung des Dralls wird als ?rechts“ oder ?links“ angegeben. Damit ist wie bei einem
Gewinde
die Bewegungsrichtung der Oberseite des von hinten in Schussrichtung gesehenen Geschosses gemeint. Der Pistolenlauf im nebenstehenden Bild hat demnach einen Drall nach rechts. Die Dralllange ist die Lange, auf der sich die Wendelnut einmal vollstandig gedreht hat.
Wann, wo und von wem gezogene Laufe erstmals hergestellt wurden, ist nicht belegt. In der Literatur werden
Buchsenmacher
aus Nurnberg, Leipzig und Wien in der Zeit zwischen 1450 und 1500 erwahnt. So ist ein Jagdgewehr des Habsburger Kaisers
Maximilian I.
mit einem Bronzelauf erhalten, in das 12 oder 14 Zuge mit leichtem
Drall
geschnitten sind. Zwei Zuge sind nicht mehr eindeutig zu erkennen. Das Gewehr ist aufgrund des eingepragten Wappens Maximilians datierbar, das er als romisch-deutscher Konig von 1493 bis 1508 fuhrte. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts konnten demnach die ersten gezogenen Laufe gefertigt worden sein.
Man geht auch davon aus, dass die ersten Zuge noch gerade waren, also in axialer Richtung verliefen, und mehr Rillen als Nuten darstellten. Diese dienten anfanglich wohl dazu,
Schwarzpulverruckstande
aufzunehmen und somit ein leichteres Nachladen der Kugel von der
Mundung
her zu ermoglichen.
Das Gewehr Maximilians I. weist bereits wendelnutformige Zuge auf. Ob die physikalischen Hintergrunde damals schon bekannt waren, darf bezweifelt werden. Wohl aber kannte man die stabilisierende Wirkung der Geschossrotation von Pfeilen, bei denen die am hinteren Ende in einem geringen Winkel zur Pfeilachse angeklebten Federn fur eine hohere Treffsicherheit sorgten. Entsprechende ballistische Erkenntnisse gewann man allerdings erst im beginnenden 19. Jahrhundert.
Im Gegensatz zu den
Handfeuerwaffen
wurden bei
Kanonen
gezogene Rohre erst in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts eingesetzt, als die Erfindung der
Patrone
bzw. der
Kartusche
Hinterladergeschutze
ermoglichte. Der Grund liegt in der eher umstandlichen Ladetechnik gezogener Vorderladerwaffen: Bleikugeln im Zugkaliber lassen sich zwar in die Laufmundung schlagen, so dass die Zuge sich in die weiche Oberflache der Kugel einpragen konnen, das Hinunterstoßen bis auf die Pulverladung ist danach kaum mehr moglich. Dazu kommen Ruckstande aus der Pulververbrennung vorangegangener Schusse, welche die Zuge bei dem damals verwendeten Schwarzpulver mehr zusetzten als heute eingesetztes,
modernes Pulver
.
Fur Vorderladerwaffen mit gezogenem Lauf wurde ein
Treibspiegel
aus einem gefetteten Pflaster notig. Dies waren meist runde Stoff- oder
Lederflecken
, mit denen eine eingelegte, unterkalibrige Kugel relativ leicht mit einem Hammerchen in den Lauf geschlagen und mit dem Ladestock auf die Pulverladung hinuntergeschoben werden konnte. Das Pflaster ubernahm dabei die Fuhrung der Kugel und zugleich die Abdichtung der Pulvergase beim Schuss. Dies war bei großkalibrigen Kanonen nicht moglich, zumal dort Eisenkugeln verwendet wurden.
Die Form und Anzahl der Zuge war von Anfang an sehr vielfaltig. Man versuchte standig, die Treffsicherheit zu verbessern und die Nachteile des aufwandigeren Ladens zu minimieren.
Ein zu geringer oder zu starker Drall fuhrt zu einer ungenugenden oder ubermaßiger Stabilisation durch die Rotation des Geschosses und damit zu einer schlechteren Treffsicherheit. Ein zu starker Drall kann dazu fuhren, dass der
Formschluss
des Geschosses zu den Zugen nicht funktioniert und es mit undefinierter Rotation den Lauf verlasst. Die Fuhrungsflache des Geschosses wird dabei beschadigt, bei Mantelgeschossen kann der Mantel vom Kern getrennt werden. Unter Umstanden konnen Ruckstande als gefahrliches Hindernis fur das nachste Geschoss im Lauf verbleiben. Zu stark rotierende Geschosse konnen durch die
Rotationsenergie
zur Selbstzerstorung neigen.
Auch die Form (des Querschnitts) der Zuge wurde in jeder erdenklichen Weise variiert: Es gab sehr viele feine
Haarzuge
(vom Waffenhersteller
Marlin
als micro-grooves beworben), tiefe Rillen, abgerundete Zuge bis zu
Polygonzugen
, bei denen die Zuge mit so großen Radien versehen wurden, dass sie mit bloßem Auge nur noch schwer zu erkennen sind. Es wurden selbst Waffen mit Zugen, die herz-, kreuz- und rosettenformige Laufquerschnitte ergeben, gebaut. Dabei handelte es sich jedoch um Prunkstucke, die die Handfertigkeit des Buchsenmachers und den Wohlstand des Auftraggebers unterstreichen sollten. Bei Laufquerschnitten, die stark von der Kreisform abwichen, mussten auch die Geschosse bereits mit Form und Drall des Laufes hergestellt werden. Ein prominentes Beispiel war das Whitworth-Gewehr mit seinem sechseckigen Laufprofil (im Bild ist ein Geschutz mit Whitworth-Profil zu sehen), die dazu ausgegebenen Geschosse hatten bereits eine sechseckige Form, inklusive des Dralls.
Brunswick rifle
etwa 1860, Laufprofil und Kugel mit Gurtel
Die Form und Tiefe der Zuge wird durch das
Zugmaß
bestimmt und steht dabei in unmittelbarem Zusammenhang mit der Form und dem Material des Geschosses. In einen weichen Werkstoff wie
Blei
konnen sich auch tiefe Zuge (eigentlich die Felder) leicht einpragen (siehe
Bleihemdgranate
), wahrend bei modernen Vollmantelgeschossen aus
Tombak
,
Stahl
oder anderen harten Legierungen nur Zuge in geringer Tiefe moglich sind.
Die Kraftubertragung erfolgt bei Handfeuerwaffen uber den gesamten Geschossmantel, bei großeren
Kalibern
uber
Fuhrungsbander
aus
Kupfer
oder einer weichen Legierung.
[1]
Die Steigung des Zugs nennt man
Drallwinkel
. Aus
fertigungstechnischen
Grunden ist dieser fast immer konstant (konstanter Drall). Wird der Winkel der Geschoss-Geschwindigkeit im Rohr angepasst, spricht man von progressivem Drall.
Die Strecke, auf der die Zuge und Felder eine Umdrehung (360°) vollenden, heißt
Dralllange
. Sie entspricht der
Steigung
von
Schraubengewinden
.
Die
forensische Ballistik
kann unter Umstanden uber das eingeschnittene Zugprofil im Geschoss auf einen Waffentyp oder sogar eine individuelle Waffe schließen.
- Thomas Enke:
Grundlagen der Waffen- und Munitionstechnik.
Walhalla Fachverlag, 4., aktualisierte Auflage, Regensburg, 2023,
ISBN 978-3-8029-6198-4
, S. 141 ff.
- Harold L. Peterson:
Alte Feuerwaffen
. Weltbild-Verlag, Augsburg 1991,
ISBN 3-89350-047-2
.
Wiktionary: Zug
? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen
- ↑
Heinz Dathan:
Waffenlehre fur die Bundeswehr.
4., neu bearbeitete Aufl.
Mittler & Sohn Verlag
, Hamburg 1980,
ISBN 3-87599-040-4
, S. 41?42.