Die Tat
war eine sozial-liberale
Schweizer
Zeitung, die von 1935 bis 1978 von der
Migros
herausgegeben wurde, zuerst als Wochenzeitung, dann als abends erscheinende
Tageszeitung
und schliesslich als morgens erscheinende
Boulevardzeitung
. Sie wurde vom Grunder der Migros,
Gottlieb Duttweiler
, ins Leben gerufen. Wahrend die Wochenzeitung das Parteiorgan des
Landesrings der Unabhangigen
war, emanzipierte sich die Abendzeitung rasch von diesem und gewann hohes Ansehen auch ausserhalb der Schweiz, namentlich durch ihre Wochenendbeilage
Die literarische Tat
unter der Leitung von
Max Rychner
und
Erwin Jaeckle
und durch die Mitarbeit zahlreicher namhafter Journalisten. Der Niedergang der politischen Presse in den siebziger Jahren, verbunden mit wegen der Nahe zur Migros mangelnden Inserateeinnahmen, fuhrte Ende Marz 1977 zur Einstellung der Abendzeitung. Der damalige Prasident der Migros,
Pierre Arnold
, versuchte den Titel als Boulevardzeitung weiterzufuhren. Deren wirtschaftskritischer, scharfer Stil bewog ihn jedoch nach 16 Monaten, den Chefredaktor
Roger Schawinski
zu entlassen. An dessen Stelle setzte er, ohne Anhorung der Redaktion,
Karl Vogeli
ein, der einen gemassigteren Kurs des Blattes garantieren sollte. Der darauffolgende Proteststreik der Redaktion fuhrte zur Einstellung der Boulevardzeitung Ende September 1978, nur anderthalb Jahre nach ihrer Einfuhrung.
Die
Schweizerische Nationalbibliothek
hat
Die Tat
vollstandig digitalisiert und 2016 online verfugbar gemacht.
[1]
Die Tat
|
|
Beschreibung
|
Schweizer Wochenzeitung
|
Erstausgabe
|
12. November 1935
|
Einstellung
|
29. September 1939
|
Verkaufte Auflage
|
uber 40'000 Exemplare
|
(eigene Angaben
[2]
)
|
Chefredaktoren
|
Hermann Walder (1935?1937)
Eugen Theodor Rimli
(1937?1939)
Willy Aerni (1939)
|
Herausgeber
|
Gottlieb Duttweiler
|
In den ersten vier Jahren ihres Bestehens war die
Tat
eine
Wochenzeitung
. Die erste Nummer erschien am 12. November 1935 mit dem Untertitel ≪Wochenpost der sieben Unabhangigen≫. Er bezog sich auf die sieben Mitglieder der ≪Vereinigung der Unabhangigen≫, die 1935 ein
Nationalratsmandat
errungen hatten:
Franklin Bircher
,
Gottlieb Duttweiler
,
Ulrich Eggenberger
[3]
,
Heinrich Schnyder
[4]
,
Willy Staubli
[5]
,
Fritz Wuthrich
[6]
und
Balthasar Zimmermann
.
Duttweiler schrieb, man wolle ≪ein einfaches, ernstes wochentliches ?Rechenschaftsberichts-Blattlein? der 7 Unabhangigen fur ihre Freunde≫ machen.
Inserate
nehme man nicht auf, um die Presse nicht zu konkurrenzieren und unabhangig zu bleiben (es gab nur vereinzelte Inserate des im gleichen Jahr gegrundeten, zur Migros gehorenden Reiseburos
Hotel-Plan
; damals noch so geschrieben). Die
Tat
wolle ≪sachlich referieren unter Vermeidung von Polemik≫ und auch ≪die Gegner kurz zum Wort kommen lassen≫.
[7]
Als Motiv fur die Grundung der Zeitung nannte er auch die Abwehr des
Nationalsozialismus
in der Schweiz, dem sich die
Tat
von Anfang an kompromisslos widersetzte.
≪Es war im
Fronten-Fruhling
1935. Es galt dem Geschrei der schweizerischen Nazi-Junger etwas Saftiges entgegenzustellen.≫
?
Gottlieb Duttweiler
:
Die Tat
, 2. Oktober 1959
Verantwortlicher
Redaktor
war zuerst Hermann Walder
[8]
, der Rechtsanwalt der Migros, ab 19. November 1937
Eugen Theodor Rimli
und ab 28. April 1939 Willy Aerni, der Geschaftsfuhrer des Ende 1936 gegrundeten
Landesrings der Unabhangigen
(LdU). Walder wechselte in die Redaktionskommission der
Tat
, wo er bis zur
Trennung von Duttweiler
im Oktober 1943 blieb, und Rimli schrieb nach seinem Rucktritt als verantwortlicher Redaktor weiterhin Artikel fur die Zeitung (1940/1941 war er Chefredaktor der kurzlebigen ersten
Boulevardzeitung
der Schweiz,
Actualis
,
[9]
danach grundete er den spater in Stauffacher-Verlag umbenannten Fraumunster-Verlag Zurich und gab die
Illustrierte Weltgeschichte
und die
Illustrierte Welt-Kunstgeschichte
heraus). Aerni war nach der Grundung der Abendzeitung bis Ende Mai 1948 Chef der Administration und der Inseratenabteilung.
Gedruckt wurde die
Tat
in der alten Druckerei der
Zuricher Post
in Raumen der Alten Universitat an der St.-Peter-Strasse im Zentrum Zurichs. Anfang 1937, nach der Grundung des LdU, gab sich die Zeitung ein grosseres Format und einen Umfang von statt 4 nun 6 bis 8, ausnahmsweise auch 12 und 16 Seiten, anderte den Zeitungskopf unter Verzicht auf das ≪Die≫ in den intern ≪Schlengge≫ genannten sowie den Untertitel in ≪Wochenpost des Landesrings der Unabhangigen≫. Sie erschien fortan freitags statt mittwochs (nur gerade die erste Nummer war an einem Dienstag erschienen). Von nun an nahm sie auch Inserate auf.
Nach dem Entscheid der Migros, eine Tageszeitung herauszugeben, erschien am 29. September 1939 die letzte Ausgabe der Wochenzeitung
Tat
in der bisherigen Form. Bis zum Erscheinen des
Bruckenbauers
(heute
Migros-Magazin
) am 25. September 1942 gab die Migros noch eine
Tat (Wochenpost)
mit anderem redaktionellem Auftrag heraus.
[10]
Die Tat
|
|
Beschreibung
|
Schweizer Tageszeitung
|
Erstausgabe
|
2. Oktober 1939
|
Einstellung
|
1. April 1977
|
Verkaufte Auflage
|
25'000 Exemplare
|
(eigene Angaben)
|
Chefredaktoren
|
Max Rychner
(1939?1943)
Erwin Jaeckle
(1943?1971)
Walter Biel
(1971?1977)
|
Herausgeber
|
Migros-Genossenschafts-Bund
|
Am 8. September 1939 kundigte die
Tat
auf den 1. Oktober die Umwandlung der Wochen- in eine
Tageszeitung
an. Duttweiler wollte sie erst
Der Tag
nennen, wobei die bisherige Wochenzeitung als Freitagsausgabe erscheinen sollte. Deswegen und wegen der Titelanderung, so der
Bundesrat
, handle es sich jedoch um eine Neugrundung einer Zeitung, was gemass einem Bundesratsbeschluss vom 8. September 1939 verboten sei. Duttweiler beschloss darauf, den Namen
Die Tat
beizubehalten und die Freitagsausgabe nicht als Fortsetzung des Wochenblatts erscheinen zu lassen. Darauf gab der Bundesrat grunes Licht fur die Tageszeitung.
[11]
Sie erschien erstmals am 2. Oktober 1939 (verfugbar bereits am Vorabend), nun mit dem Untertitel ≪Schweizerische unabhangige Tageszeitung≫, sechsmal wochentlich abends, jeweils mit Datum vom nachsten Tag. Bis am 7. November 1939 war der Dienstag der erscheinungsfreie Tag, danach der Sonntag.
Duttweiler begrundete die Notwendigkeit, die
Tat
zur Tageszeitung zu erweitern, damit, dass dem Landesring die ubrige schweizerische Tagespresse verschlossen sei. Den neuen, grosseren Aufgaben, die sich der Bewegung des Landesrings stellten, konne jedoch nur eine Tageszeitung genugen, eine politische Bewegung ohne Tageszeitung sei ≪in unserem Land auf die Dauer nicht lebensfahig≫.
[12]
Die
Tat
setzte auch als Tageszeitung ihren den Nationalsozialismus strikte ablehnenden Kurs fort. Sie wurde denn auch schon zwei Monate nach der Einfuhrung in Deutschland und Ungarn verboten, weitere zwei Monate spater auch in Italien.
[13]
Verantwortliche Redaktoren bzw. ab 1943
Chefredaktoren
waren 1939?1943
Max Rychner
, 1943?1971
Erwin Jaeckle
(ab 1962 und noch bis 1977 auch Leiter der
Literarischen Tat
) und 1971?1977
Walter Biel
.
Die erste Redaktion
[14]
bestand aus Max Rychner (
Feuilleton
, de facto jedoch wegen militardienstbedingter Absenzen gleichzeitig Ausland bis 1943, danach Feuilleton bis 1962), Herbert von Moos
[15]
(Ausland, zuvor
Schweizer Zeitung
und
Schweizerische Republikanische Blatter
, zugleich popularer Redaktor der ≪Volkerbundschronik≫ bei
Radio Beromunster
, ab Mai 1937 ≪Die Welt von Genf aus gesehen≫, ab 19. September 1939 ≪Weltchronik≫ genannt, auf Druck der deutschen Gesandtschaft und von Bundesrat
Marcel Pilet-Golaz
wegen seiner betont antinazistischen Haltung, formell jedoch wegen ≪Nachlassigkeit≫ bei Radio Beromunster entlassen
[16]
und bei der
Tat
im Dezember 1940 ≪aus Gesundheitsrucksichten≫ zuruckgetreten
[17]
),
Felix Moeschlin
(Prasident des Schweizerischen Schriftstellervereins, Inland, bis 1942, danach Prasident der Redaktionskommission), Karl Gnadinger (Schriftsteller, Lokales, Pseudonym ≪Nepomuk≫, bis zu seinem Unfalltod 1943) und Charles La Roche (Wirtschaftswissenschafter, Wirtschaft, bis 1940, danach ersetzt von Hans Munz). Standige Mitarbeiter waren
Jean Rudolf von Salis
(Auslandkommentare, bis zur
Spaltung des Landesrings
im Oktober 1943), Ernest Grosselin (Oberstdivisionar, Militar)
[18]
, Paul Gentizon
[19]
(zuvor Korrespondent des
Temps
und der
Gazette de Lausanne
),
Bernhard Diebold
(Schriftsteller, Theaterkritik, bis 1945, zuvor
Frankfurter Zeitung
),
Robert Oboussier
(Musikkritik, 1939 bis zu seiner Ermordung 1957, zuvor
Deutsche Allgemeine Zeitung
)
[20]
und
Peter Meyer
[21]
(Herausgeber der Architektur- und Kunstzeitschrift
Das Werk
).
Ende 1941 bezogen Redaktion, Administration und Druckerei der
Tat
neue Raumlichkeiten des im gleichen Jahr gegrundeten Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB) an der
Limmatstrasse
. 1943 fuhrte der neue Chefredaktor
Erwin Jaeckle
verschiedene Anderungen ein. Er schaffte die Berner und Basler Lokalseiten ab und integrierte sie in den allgemeinen Teil, was ihm ermoglichte, den Berner Redaktor als
Bundeshaus
- und den Basler als Auslandredaktor einzusetzen. Dies wiederum erlaubte es Max Rychner, vom Ausland- in sein angestammtes Feuilletonressort zuruckzukehren. Jaeckle fuhrte uberdies eine Frauenseite ein, publizierte als erster in einer Schweizer Zeitung regelmassig Ausschnitte aus der Weltpresse und lancierte 1944 die erste Radioseite in der Schweizer Presse.
[22]
Eine Spezialitat der
Tat
war von Beginn weg die tagliche aktuelle Bilderseite mit jeweils durchschnittlich acht Bildern als letzte Seite des Hauptblatts. Die Zeitung erschien ab 31. Juli 1943 mit einer neuen Schrift, die Titel in einer
Antiqua
statt
Grotesk
und mit schwarzen Negativbalken als Spaltenkopfe im politischen Teil.
[23]
Ab 12. Marz 1944 erschien die
Tat
auch wieder sonntags und damit fortan siebenmal wochentlich.
[24]
Im Dezember 1952 zogen Redaktion und Administration an den
Limmatplatz
um, wo sich auch der Hauptsitz der Migros befindet.
Uberragende Figur der Abendzeitung
Die Tat
war Erwin Jaeckle, der auch politisch tatig war (1942?1950 im
Gemeinderat
von Zurich, 1945 Prasident, 1947?1962 im Nationalrat fur den Landesring der Unabhangigen). Duttweiler hatte ihn zu Beginn als Chefredaktor vorgesehen, aber Jaeckle wollte an seiner
Habilitation
arbeiten und schlug statt seiner Max Rychner vor, dessen Mitarbeiter beim Feuilleton des
Bunds
er zu dieser Zeit war.
[25]
Schliesslich wahlte er dennoch statt einer akademischen die journalistische Laufbahn und trat am 1. Januar 1943 in die
Tat
ein, wobei er zwei Bedingungen stellte: Er wollte aus Respekt vor dem 12 Jahre alteren, presseerfahrenen Max Rychner als Inlandredaktor und nicht als Vorgesetzter Rychners eingestellt werden, und er verlangte, dass die Redaktion nicht direkt Duttweiler, sondern einer Betriebskommission unterstellt sei, die als vermittelnde Stelle zwischen der Redaktion und Duttweiler stehen sollte. So geschah es.
[26]
Die Betriebskommission drangte ihn jedoch kurz darauf, nachdem er verschiedene Verbesserungsvorschlage unterbreitet hatte, nun doch erster nomineller Chefredaktor zu werden, und Jaeckle stimmte nach langerem Abwagen zu. Unter seiner Leitung gewann die
Tat
als Tageszeitung grosses, uber die Grenzen der Schweiz hinausgehendes Ansehen, ganz besonders durch die von Max Rychner und spater von Erwin Jaeckle selbst betreute Wochenendbeilage
Literarische Tat
(bis Ende 1960 ≪Kunst ? Literatur ? Forschung≫).
So wie sich Jaeckle kompromisslos gegen den Nationalsozialismus gewandt hatte, so bekampfte er nach dem Krieg
Verfemungen
von aus seiner Sicht angeblichen
Sympathisanten
der Nationalsozialisten wie
Hans Konrad Sonderegger
,
Gustav Daniker
,
Eugen Bircher
und Robert F. Denzler
[27]
oder
Grock
sowie ≪
Sauberungen
≫ oder
Ausweisungen
von Deutschen wie
Bernard von Brentano
[28]
und pochte auf die strikte Einhaltung des Rechts. 1945 verbot der Zurcher
Regierungsrat
aus Furcht vor Storungen ein Konzert
Wilhelm Furtwanglers
mit dem
Tonhalle-Orchester Zurich
, nachdem die
Partei der Arbeit
im Gemeinderat den Stadtrat
interpelliert
hatte, ob er das Konzert des ≪Preussischen
Staatsrats
≫ zuzulassen gedenke. Auch dies kritisierte Jaeckle heftig.
[29]
Seine liberale Haltung zeigte sich auch darin, dass er die Verbote der
kommunistischen
und
faschistischen
Parteien wahrend des
Zweiten Weltkriegs
ablehnte. Er war der Meinung, dass die Schweizer einer solchen Schutzmassnahme nicht bedurften, weil er ihre ≪ererbten Rechtsbegriffe fur stark und unverruckbar≫ hielt.
[30]
Entsprechend opponierte er auch dem sogenannten
Jesuitenartikel
, also dem seit 1874 in der schweizerischen
Verfassung
enthaltenen Verbot des
Jesuitenordens
und generell der Errichtung oder Wiedererrichtung von
Klostern
.
[31]
(Die entsprechenden Artikel wurden 1973 durch eine
Volksabstimmung
aus der Verfassung entfernt.) Anderseits befurwortete er die 1940 im
Militarstrafgesetz
eingefuhrte Todesstrafe fur Landesverrat.
[32]
(Sie wurde 1992 wieder abgeschafft.)
Als Nationalrat setzte sich Jaeckle erfolglos fur ein unbeschranktes Waffenausfuhrverbot ein.
[33]
Erfolg hatte er dagegen mit der Forderung, den Schweizer Wehrmannern, damit sie im Kriegsfall sofort kampfbereit waren, plombierte
Taschenmunition
fur die Aufbewahrung zuhause abzugeben.
[34]
Uberhaupt war ihm eine starke Armee ein wichtiges Anliegen, wobei er sich vehement gegen die Eigenentwicklung von Flugzeugen stemmte. 1949 erreichte er eine Erhohung der Beitrage an die im gleichen Jahr wie die
Tat
-Abendzeitung gegrundete
Pro Helvetia
. 1952 leitete er mit einem ? zunachst abgelehnten ?
Postulat
die Aufhebung der weiteren
Subventionierung
der
Holzverzuckerungs AG
, der spateren Ems-Chemie, ein. Der Aufhebung der Subventionierung wurde dann am 13. Mai 1956 in einer Volksabstimmung zugestimmt.
[35]
Jaeckles Verhaltnis zum autoritaren, eruptiven Gottlieb Duttweiler war nicht ohne Konflikte. So warf ihm dieser, der als Unternehmer eher an Wirtschaftsfragen interessiert war und nie Militardienst geleistet hatte, vor, nie Vorstosse zu den grossen Landesproblemen zu machen. Jaeckle, der eher an kulturellen und als Offizier an militarischen Themen interessiert war, wies dies beleidigt zuruck.
[36]
Auch drohte Duttweiler bei den haufigen Auseinandersetzungen regelmassig mit der Einstellung der Zeitung. Jaeckle nannte er den seidenen Faden, an dem die
Tat
hange.
[37]
Nach dem Ausscheiden aus dem Nationalrat 1962 ausserte sich Erwin Jaeckle nur noch selten politisch und widmete sich nach dem im gleichen Jahr erfolgten Rucktritt von Max Rychner vermehrt der Leitung der
Literarischen Tat
, seinen schriftstellerischen Leidenschaften und
genealogischen
Studien seiner Familie. Ende Mai 1971 trat er in den Ruhestand, betreute aber noch bis zur Einstellung der Abendzeitung 1977 die
Literarische Tat
. Danach machte er kein Geheimnis aus seiner Verachtung fur die neue Boulevardzeitung unter gleichem Namen.
[38]
1972 unterzog der neue Chefredaktor Walter Biel die
Tat
einem Redesign. Der Zeitungskopf wurde rot, nur die Wochenendausgabe blieb die ≪grune Tat≫. Auf der Frontseite erschienen nun statt wie fruher ausschliesslich Auslandnachrichten die wichtigsten Ereignisse aus allen
Ressorts
und eine bebilderte ≪Tagesschau≫. Das
Layout
wurde von vier auf funf
Spalten
umgestellt.
[39]
Die
Tat
erreichte in der Zeit vor und wahrend des Zweiten Weltkriegs eine
Auflage
von uber 40'000 Exemplaren, danach noch rund 35'000 Exemplare und war damit die drittgrosste politische Tageszeitung in der deutschsprachigen Schweiz. Sie war jedoch nie rentabel, unter anderem weil sie wegen der Nahe zur Migros keine
Markenartikelinserate
bekam. Der Niedergang der politischen Presse in den siebziger Jahren fuhrte uberdies bis 1976 zu einer Reduktion der Auflage auf nur noch rund 25'000 Exemplare. Die dadurch steigenden Verluste wollten die Nachfolger des 1962 verstorbenen Gottlieb Duttweiler bei der Migros, denen die Zeitung uberdies ≪zu elitar≫ war und zu wenig Resonanz erzeugte, schliesslich nicht mehr tragen, obwohl sie 1974 noch beschlossen hatten, die
Tat
fur mindestens funf Jahre weiter herauszugeben.
Charles Linsmayer
und
Alfred A. Hasler
baten den Herausgeber in einer Petition noch, die von 153 Personlichkeiten der Kultur, der Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft, darunter
Friedrich Traugott Wahlen
,
Hans-Peter Tschudi
und
Siegfried Unseld
, unterzeichnet wurde, wenigstens die
Literarische Tat
in geeigneter Weise fortzufuhren. Sie wurden nicht erhort.
[37]
Am 1. April 1977 erschien die letzte Ausgabe der
Tat
in der bisherigen Form. Biel wurde beim Migros-Genossenschafts-Bund Direktor fur Wirtschaftspolitik.
Tat
|
|
Beschreibung
|
Schweizer Boulevardzeitung
|
Erstausgabe
|
4. April 1977
|
Einstellung
|
25. September 1978
|
Verkaufte Auflage
|
70'000 Exemplare
|
(eigene Angaben)
|
Reichweite
|
0,230 Mio. Leser
|
(eigene Angaben)
|
Chefredaktoren
|
Roger Schawinski
(1977?1978)
Gerd Klinner a. i. (1978)
Karl Vogeli
(1978 ernannt, konnte die Stelle aber wegen der Einstellung der Zeitung nicht antreten)
|
Herausgeber
|
Migros-Genossenschafts-Bund
|
Der damalige Prasident der
Verwaltungsdelegation
der Migros,
Pierre Arnold
, wollte nun anstelle der Abendzeitung eine angriffige, aber sachliche ≪
Boulevardzeitung
von gehobenem Niveau≫ (ohne ≪Sex and Crime≫).
[40]
Wenige Jahre zuvor war allerdings ein Projekt mit ahnlichem Anspruch in Gestalt der
Neuen Presse
gescheitert. Arnold konnte die 26-kopfige Verwaltung ausserst knapp, mit 12 gegen 11 Mitglieder, von seinem Vorhaben uberzeugen. Die neue Zeitung sollte den Fokus auf den
Konsumentenschutz
legen, wobei die Vorgabe war, in einem Jahr eine Auflage von 80'000 Exemplaren zu erreichen und in drei Jahren finanziell selbsttragend zu sein.
[41]
Zu diesem Zweck stellte Arnold ein weitgehend neues, wesentlich grosseres Team unter dem Chefredaktor
Roger Schawinski
ein, darunter
Kurt W. Zimmermann
,
Urs P. Gasche
,
Peter Knechtli
(Basel),
Hanspeter Thur
(Ratgeber),
Fredy Hammerli
sowie Gerd Klinner, der 1969?1972 bereits Redaktor der Abendzeitung gewesen war. Vom Impressum der Abend- in jenes der Boulevardzeitung ubernommen wurden der stellvertretende Chefredaktor und Chef Reportagen und Berichte Ulrich Doerfel, der Auslandchef Herbert Tauber und der Chef Lokales Albin Minder. Vorgesehen war auch Lokalredaktor Silvio Kippe, der aber noch vor dem Erscheinen der neuen Zeitung ausschied. Um die wesentlich hohere Auflage und den
Vierfarbdruck
zu ermoglichen, musste in sehr kurzer Zeit eine Druckerei in
Spreitenbach
aufgebaut werden, die
Limmatdruck AG
, die dann allerdings den Grossteil des
Tat
-Defizits verursachte. Ursprunglich war geplant, die neue
Tat
bereits Ende 1976 herauszugeben, und zwar ebenfalls als Abendzeitung, wogegen sich Schawinski, bereits seit Anfang 1977 in den Diensten der Migros, aber erfolgreich wehrte.
[42]
Am 4. April 1977 erschien die
Tat
zum ersten Mal in neuer Aufmachung, im Halbformat, und als erste uberregionale Zeitung der Schweiz im Vierfarbendruck. Als montags bis samstags erscheinende Morgenzeitung stand sie in Konkurrenz zum
Blick
. Die Auflage betrug nach eigenen Angaben 70'000 verkaufte Exemplare, die
Reichweite
uber 200'000 Leser.
[43]
Bekannt wurde die Zeitung in der Folge unter anderem durch die Aufdeckung des sogenannten
Chiasso-Skandals
bei der Schweizerischen Kreditanstalt SKA (heute
Credit Suisse
), von der
Tat
≪SKAndal≫ genannt.
[44]
Der aggressive Stil der Zeitung, manchmal auch gegenuber der Migros, fuhrte jedoch bald zu heftiger Kritik einer wachsenden Anzahl von Mitgliedern der Verwaltung, die sich auch auf zahlreiche Unmutsausserungen der Genossenschafter beriefen. Dazu kam, dass die Defizite von jahrlich 8 bis 12 Mio.
Schweizer Franken
die Vorgaben bei weitem uberschritten und eine ausgeglichene Rechnung, wie von Arnold fur eine mittlerweile auf funf Jahre verlangerte Zeitspanne gefordert, nicht mehr erreichbar schien.
[45]
Arnold verlangte schliesslich von Schawinski, dass er zwei, drei Aktivisten aus der Betriebsgruppe der linken
SJU
-Gewerkschaft entlasse, darunter vor allem Hanspeter Burgin,
[46]
die er als hauptverantwortlich fur den wirtschaftskritischen, scharfen Kurs der Zeitung hielt. Als sich Schawinski weigerte, entliess ihn Arnold am 26. Juli 1978
fristlos
. Der Redaktion gab er klare Richtlinien fur ihre Arbeit vor, die einen Wechsel im Stil der Zeitung, aber nach seiner Auffassung keine eigentliche Kursanderung bewirken sollten. Burgin verliess die Zeitung dann von sich aus.
Zum Chefredaktor a. i. ernannte Arnold den bisherigen stellvertretenden Chefredaktor Gerd Klinner. Dieser nahm die Aufgabe zunachst an, wies sie dann aber nach Rucksprache mit der Redaktion zuruck, die ultimativ die Wiedereinsetzung Schawinskis als Chefredaktor verlangte. Pierre Arnold lehnte dies ab und forderte die Redaktion auf, neben Klinner zwei weitere Redaktoren zu benennen, die zusammen mit diesem eine Ubergangs-Dreierchefredaktion bilden sollten. Die Redaktion wahlte dafur
Urs P. Gasche
und Karl Biffiger. Sie forderte jedoch gleichzeitig ein
Redaktionsstatut
, das die Weiterfuhrung des bisherigen Kurses garantieren sollte. Auf ein Redaktionsstatut, in das die Migros ihre ≪Richtlinien≫
[47]
integrieren wollte, konnte man sich in nun folgenden Gesprachen jedoch nicht einigen.
Am 19. September 1978 setzte Arnold, ohne die Redaktion zu konsultieren, den Bundeshausredaktor des
Blicks
Karl Vogeli
als neuen Chefredaktor ein, mit dem Auftrag, die Richtlinien der Migros in der Redaktion durchzusetzen. Diese reagierte am 22. September 1978 ≪in volliger Verkennung ihrer Machtposition≫ (Schawinski)
[48]
mit einem
Streik
, an dem alle 56 in der SJU organisierten redaktionellen Mitarbeiter teilnahmen, und protestierte gegen die ohne ihre Anhorung erfolgte Ernennung Vogelis. Eine Anhorung der Redaktion ≪vor allen wichtigen Fragen≫ stipulierte das Redaktionsstatut der
Tat
, das von der Migros allerdings nicht unterzeichnet (nach Ansicht der Redaktion aber immerhin ≪mundlich abgesegnet≫) worden war und an das sich Arnold deshalb nicht gebunden fuhlte.
[49]
Arnold habe auch mundlich und schriftlich zugesichert, den Kollektivvertrag 1972 (vorher ≪Badener Abkommen≫, heute
Gesamtarbeitsvertrag
) zwischen Journalisten- und Zeitungsverlegerverband anzuerkennen, in dem ebenfalls die Pflicht zur Anhorung der Redaktion vor wichtigen Entscheiden festgehalten ist.
[50]
Als Nichtverbandsmitglied war die Migros allerdings auch an den Kollektivvertrag nicht gebunden. Funf nicht in der SJU organisierte Redaktoren (darunter Klinner und Gasche von der Ubergangschefredaktion, die inzwischen selbst gekundigt hatten) protestierten gegen den Streik und warfen den Streikenden vor, Arbeitsplatze, auch technische, zu gefahrden.
[51]
Damit erschien am Samstag, 23. September 1978, zum ersten Mal in der Schweizer Pressegeschichte eine Zeitung wegen eines Streiks der Redaktion nicht.
[52]
Die Migros setzte der Redaktion schriftlich ein bis Freitagabend befristetes, spater bis Samstagmittag verlangertes
Ultimatum
, die Arbeit wiederaufzunehmen. Werde der Aufforderung nicht nachgekommen, gelte das Schreiben als fristlose Kundigung. Die Redaktion liess das Ultimatum ungenutzt verstreichen. Darauf bestatigte die Migros umgehend die im Schreiben festgestellte fristlose Kundigung der gut 40 nicht zu einer Wiederaufnahme der Arbeit bereiten streikenden Redaktoren und schloss sie durch Auswechseln der Turschlosser aus. Die Redaktoren publizierten in der Folge wahrend rund eines Monats in der Genossenschaftsdruckerei sieben Ausgaben einer Streikzeitung
Die Wut
in der Aufmachung der
Tat
und mit einer Auflage von 80'000 bis 100'000 Exemplaren. Am Montag, 25. September 1978, machte die Migros ihre Drohung war und stellte das Erscheinen der Zeitung ein.
[53]
Vogeli wurde Leiter der Abteilung
Neue Medien
beim Migros-Genossenschafts-Bund.
Arnold wandte sich in einem unter anderem in der
Neuen Zurcher Zeitung
vom 27. September 1978 publizierten ≪
offenen Brief
an die schweizerischen Zeitungsleser≫ und rechtfertigte das Vorgehen der Migros. Die Ernennung eines Chefredaktors falle in die alleinige Kompetenz des Herausgebers. Bei einem Mitbestimmungsrecht der Redaktion wurde sich kein ernsthafter Bewerber melden, weil er sich dem Risiko aussetzen wurde, seinen derzeitigen Arbeitsplatz zu verlieren, wenn seine Bewerbung durch Indiskretionen bekannt wurde. Solche Indiskretionen habe es bei der
Tat
in fruheren Fallen gegeben.
Die streikenden Redaktoren fuhrten die Herausgabe der
Wut
und verschiedene Aktionen zunachst weiter. Am 19. Oktober 1978 erklarte sich die Migros in einer Vereinbarung mit der Gewerkschaft
VPOD
, zu der die SJU als eine seiner Sektionen gehorte, bereit, die Lohne der fristlos gekundigten Redaktoren noch bis Ende Jahr zu bezahlen und auf
Schadenersatzforderungen
zu verzichten. Der VPOD verpflichtete sich seinerseits, die eingeleitete gerichtliche Beurteilung der Berechtigung der fristlosen Kundigungen zuruckzuziehen und die Streikzeitung
Die Wut
, in der Adresse und Telefonnummer Arnolds publiziert worden waren,
[54]
einzustellen.
[55]
- Hermann Walder: 1935?1937 (Rechtsanwalt der Migros)
- Eugen Theodor Rimli
: 1937?1939 (zuvor Deutschland-Korrespondent verschiedener Schweizer Zeitungen, darunter der
Weltwoche
)
- Willy Aerni: 1939 (Geschaftsleiter des LdU)
- Max Rychner
: 1939?1943 (bis 1962 Leiter der 1960 in
Die literarische Tat
umbenannten Beilage ≪Kunst ? Literatur ? Forschung≫, zuvor Redaktor der
Neuen Schweizer Rundschau
, der
Kolnischen Zeitung
und des
Bunds
)
- Erwin Jaeckle
: 1943?1971 (zuvor stellvertretender Verlagsleiter des
Atlantis Verlags
und Mitarbeiter von Max Rychner beim
Bund
, erster nomineller ≪Chefredaktor≫, ab 1962 und noch bis 1977 auch Leiter der
Literarischen Tat
)
- Walter Biel
: 1971?1977 (davor seit 1959 Wirtschaftsredaktor der
Tat
)
- Fritz Rene Allemann
(Ausland, 1942?1946 Londoner, 1946?1947 Pariser Korrespondent, 1947?1949 Auslandchef, 1949?1960 Bonner, 1960?1967 Berliner Korrespondent, danach freier Mitarbeiter)
- Roman Brodmann
(Filmredaktor, 1943?1949)
- Hans Fleig
(ab 1948 Londoner Korrespondent, 1951?1961 Leiter Ausland)
- Alfred Grutter
[56]
(Bundesstadtredaktor, 1942 bis zu seinem Tod 1964),
- Hans Munz
(Wirtschaft, 1941?1944)
[57]
Erich Brock
[58]
(Literaturkritiker),
Elisabeth Brock-Sulzer
(Theaterkritikerin, 1945?1977), Karl Heinrich David (Konzert- und Opernkritiker, 1944?1951)
[59]
, der spatere Zurcher Regierungsrat
Alfred Gilgen
(Medizin-Sonderseite), Henry ≪Heiri≫ Gysler
[60]
(Lokales),
Fritz Guttinger
(Literaturkritiker),
Alfred A. Hasler
(Sonderaufgaben, 1958?1977),
Gertrud Heinzelmann
(Frauenseite),
Gustav Rene Hocke
(Romer Korrespondent),
Robert Jungk
(USA-Korrespondent, bis 1957),
Charles Linsmayer
(Literaturkritiker),
Herbert Luthy
(Pariser Korrespondent, bis Ende 1950, danach freier Mitarbeiter),
Georges-Henri Martin
(Washingtoner Korrespondent),
Hans Mayer
(Literaturkritiker),
Armin Mohler
(Pariser Korrespondent 1953?1961),
Walter Muschg
(Literaturkritiker),
Hans Neuburg
(Kunstkritiker, 1967?1977),
Hermann Scherchen
(Musikkritiker), Edgar Schumacher
[61]
(Militarisches),
Adrien Turel
(Literatur),
Gosta von Uexkull
(Londoner Korrespondent) und Ernst Walter (Kolumnist, Pseudonyme Pankraz Deubelbeiss und Atahaka)
[62]
.
Quelle:
[63]
[64]
- Roger Schawinski
: 1977?1978 (zuvor Leiter der Sendung ≪
Kassensturz
≫ des
Schweizer Fernsehens
)
- Gerd Klinner (a. i.): 1978 (zuvor beim
Blick
, 1969?1972 bereits Redaktionsmitglied der Abendzeitung
Die Tat
)
- Karl Vogeli
: 1978 (konnte die Stelle wegen der Einstellung der Zeitung nicht mehr antreten, zuvor Bundeshausredaktor des
Blicks
)
- Ewald Billerbeck (Koordination) et al.:
Liquidiert. Erstmals streikte in der Schweiz eine Zeitungsredaktion
(=
Politprint.
Band 7). Lenos, Zurich 1978,
ISBN 3-85787-060-5
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- Erwin Jaeckle
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Niemandsland der Dreissigerjahre.
Verlag Hans Rohr, Zurich 1979,
ISBN 3-85865-091-9
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- Erwin Jaeckle:
Erinnerungen an ≪Die Tat≫. 1943?1971.
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ISBN 3-85865-092-7
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- Pirmin Meier
:
Lerne das Leben und lebe das Lernen. Ausblick auf den Autor, Publizisten und Privatgelehrten Erwin Jaeckle (1909?1997) zum 100. Geburtstag.
Stiftung fur Abendlandische Ethik und Kultur, Zurich 2009,
ISBN 978-3-033-02135-8
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- Roger Schawinski
:
Wer bin ich?
Kein & Aber, Zurich 2014, Kapitel
Tat
,
ISBN 978-3-0369-5693-0
(
eingeschrankte Vorschau
in der Google-Buchsuche).
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