Dichtung

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Dichtung oder Dichtkunst bezeichnet einerseits einen kunstlerischen Schaffensprozess, der je nach Definition auf die poetische Gattung der Lyrik beschrankt ist oder auch andere Kunstformen wie Musik und Malerei mit einschließt, und andererseits das Ergebnis dieses Prozesses.

Dichtung und Poesie

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Im Gegensatz zu dem auch in anderen Sprachen bekannten Begriff der Poesie ist Dichtung (danisch digtning , norwegisch diktning , schwedisch diktning ) eine spezielle Wortbildung, mit der eine leichte Verlagerung des Blickpunktes einhergeht: Poesie ist, so die poetologische Theorie, der Bereich der poetischen Gattungen. Das Wort Dichtung bezeichnet daneben auch das literarische Produkt und den Produktionsprozess, dem es sich verdankt, das Dichten (von mhd. ti[c]hten fur ?schaffen, erdenken, aussinnen, anordnen‘, aus lat. dictare ?diktieren, aufsetzen, abfassen‘; verbreitet und nicht ohne Auswirkung auf die Bedeutungsentwicklung ist dagegen die vulgaretymologische Ableitung von dicht , durch die die Vorstellung einer Verdichtung der Aussage evoziert wird). Dichtung wird dabei sowohl im weiteren Sinn auf Literatur mit kunstlerischem Anspruch uberhaupt, die sogenannte schone Literatur , bezogen, als auch im engeren Sinn auf in Verse gegliederte, in sogenannter gebundener Sprache abgefasste Texte, wozu im Gegensatz zur prosaischen Belletristik metrische , rhythmische, in freien Rhythmen oder freien Versen der Modernen Poesie abgefasste, strophige und strophenlose, ge reimte und nicht gereimte Texte gleichermaßen zahlen. Beide Verwendungen des Begriffs Dichtung heben ab auf die Kunstlichkeit, die Erfindung des Gedichteten wenn nicht Erdichteten. Man nennt auch die schwierigen Lyrik ubersetzungen oft Nachdichtung. Im ubertragenen Sinn wird auch in der Musik von symphonischer Dichtung oder Tondichtung gesprochen. Anders als Poesie bezeichnet Dichtung nicht die besondere poetische Stimmung oder den poetischen Ausdruck eines Kunstwerks oder einer Situation in der Natur .

Begriffsgeschichte

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Die Fiktionalitat ? sie hatte in der Dichtungskritik Platons eine entscheidende Rolle gespielt, war aber in der Poesiedebatte gegenuber formalen Kriterien lange Zeit in den Hintergrund getreten ? ruckte in der Debatte uber die Dichtung im 18. Jahrhundert ins Zentrum. Gleichzeitig gestattete der Begriff in der deutschen Diskussion ein gesteigertes Nachdenken uber den Dichter als den, der eine hohere Welt, die Welt seiner Dichtung gegenuber der Realitat schafft. Naheres siehe im Artikel Poesie .

Im 19. Jahrhundert wurde ? als Literatur zum Bereich der sprachlichen Uberlieferungen umdefiniert wurde ? das Wort im Deutschen zum Begriff fur die im ?engeren Sinne“ die Literaturbetrachtung beschaftigende Produktion. Im 20. Jahrhundert verlor es gegenuber einem neutraleren Sprechen von Literatur an Bedeutung. ?Dichter“ waren, so die verbreitete Wahrnehmung, Autoren, die ?wahre und große Kunst “ hervorbringen ? eine Qualitatsaussage war hiermit verbunden, die im Austausch uber Literatur nicht unbedingt langer angestrebt war. Das Wort fiel mit dem Nationalsozialismus, der an Vorstellungen des 19. Jahrhunderts anknupfte und vom Dichter die Rolle des Sehers und geistigen Fuhrers des Volkes verlangte, in einen Misskredit, dem die Literaturwissenschaft der 1950er und 1960er nur halbherzig mit einem Ruf nach einer Ruckbesinnung auf die bleibenden Werte, und damit durchaus auf einen neuen Diskurs uber Dichtung, entgegentrat. Das Sprechen von Dichtung verlor mit den Stromungen der Literaturwissenschaft, die mit den 1960ern vom Strukturalismus bis zur Literatursoziologie aufkamen, an Bedeutung.

Heutiger Gebrauch

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Als Dichtung bezeichnet man heute primar in Verse gesetzte Werke, insbesondere des Mittelalters (? Spielmannsdichtung “ und vergleichbare Gattungsbildungen tragen den Begriff fort) und der deutschen Epochen vom Sturm und Drang bis zum Vormarz . Hier scheint der Begriff von Vorteil gegenuber dem Poesiebegriff, mit dem weit eher ein Traditionsbogen [1] von der Antike und Aristoteles in das 18. Jahrhundert und die Zeit Gottscheds gespannt wird ? ein Bogen, der es kaum erlaubte, mittelalterlicher Dichtung Wert beizumessen, und ein Bogen, von dem sich die deutschen ?Dichter“ des spaten 18. und fruhen 19. Jahrhunderts distanzierten.

  • Es heiße, ?Dichtung entstehe aus der schon beruhigten Erinnerung an ein Gefuhlserlebnis.“ ( William Somerset Maugham : ?Julia, du bist zauberhaft. Roman.“ Ubersetzerin des Originals ?Theatre“: Renate Seiller (1937), Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 318 unten)
  • Irene Behrens: Die Lehre von der Einteilung der Dichtkunst, vornehmlich vom 16. bis 19. Jh. Halle an der Saale 1940.
  • Robert Hartl: Versuch einer psychologischen Grundlegung der Dichtungsgattungen. Wien 1924.
  • E. Gurlich: Die Bedeutung der Technik fur die Entwicklung der Dichtungsarten. Ein Beitrag zu einer Soziologie der Literatur. Wien 1951?1952 (= Programm Technologisches Gewerbemuseum ).
Wiktionary: Dichtung  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen
  1. Vgl. etwa Gilbert Murray : The Classical Tradition in Poetry. Oxford 1927.