Der verlorene Engel
mit dem Untertitel
Ein Tag im Leben Ernst Barlachs
ist ein deutscher Spielfilm der
DEFA
von
Ralf Kirsten
aus dem Jahr 1966 nach der Novelle
Das schlimme Jahr
von
Franz Fuhmann
.
Der Film beginnt mit Schrift- und Bildeinblendungen der Gedenk-
Skulpturen
Ernst Barlachs
fur die Opfer des
Ersten Weltkriegs
in
Magdeburg
,
Kiel
und
Hamburg
, die von den Nationalsozialisten beseitigt wurden. Im Hintergrund sieht man eine Luftaufnahme der Stadt
Gustrow
. Die Kamera umfliegt den Dom von Gustrow, in dem ebenfalls eine Skulptur Barlachs hing, die aber in der Nacht vom 24. August 1937 auch gestohlen wurde. Hier beginnt die Geschichte eines Tages im Leben dieses Kunstlers.
Ernst Barlach hat in dieser Nacht einen unruhigen Schlaf und wird durch das Klingeln des Telefons endgultig geweckt. Als er die Treppe herabsteigt, hatte seine Lebensgefahrtin
Marga Bohmer
schon den Horer abgenommen und bekommt die Nachricht, dass
Der Schwebende
, wie der Engel richtig heißt, aus dem Dom abtransportiert wurde. Schon seit langerer Zeit haben sich Barlach und seine Partnerin von der Außenwelt abgeschottet, weil er Ubergriffe der Nazis befurchtet. Er konnte noch Deutschland verlassen, doch wovon sollten sie beide leben? Er ist kein Kommunist und will auch keiner werden. Trotzdem gewahrte er von den Nazis zusammengeschlagenen Genossen, wie einem Kutscher, Obdach in seinem Atelier und verewigte sie in seiner Kunst. Auch die linken politischen Standpunkte seiner Kunstlerkollegen
Kathe Kollwitz
und
Otto Nagel
bewundert er, ohne selbst den Mut dazu aufzubringen, diese zu vertreten. Von den nationalsozialistischen Machthabern wird Ernst Barlach als undeutscher, bolschewistischer und entarteter Kunstler eingestuft. Seine Werke wurden zum Teil beschlagnahmt und man forderte von ihm den ?freiwilligen“ Austritt aus der Akademie der Kunste. Er, der 1914 sich noch fur den Krieg begeisterte und sich mit Deutschland einig sah, hat inzwischen seine Meinung geandert, was auch an seinen Arbeiten abzulesen war. Nun fuhlt er sich als Fremder im eigenen Land, ist gebrochen und hat aufgegeben. Ich werde nicht mehr gebraucht, mit diesem Blick schaut er durch sein Atelier. Er stellt sich die Frage: ?Wissen meine Figuren mehr als ich?“
Dieser Film beschaftigt sich immer wieder mit Barlachs Gedanken. Er stellt fest, dass er immer gern allein war und doch nicht einsam. Wahrend eines Spazierganges trifft er eine Holzsammlerin, der er einst mit einer Skulptur ein Denkmal gesetzt hat. Doch auch mit ihr entwickelt sich kein entspannter Dialog. Sein Drang nach Ruhe wird immer starker und er kommt immer mehr zu dem Schluss, dass nur der Tod die wahre Ruhe bringt. Sein Drang, sich das Leben zu nehmen, wird immer großer.
Als sich Barlach mit einer Taxe zum Dom fahren lassen will, um sich diesen ohne seinen Engel anzusehen, sieht der Fahrer einige Volksgenossen, die dort scheinbar nur auf den Kunstler gewartet hatten und halt ihn vom Aussteigen ab. Er fahrt zu einem Nebeneingang und hier kann Barlach das Gebaude betreten. In der Kirche findet gerade eine Hochzeit statt, keiner der Beteiligten beachtet die leeren Haken, an denen am Tag zuvor noch der Engel hing. Auch der offenbar der neuen christlichen Kirche angehorende Pfarrer nimmt vom Kunstraub keine Kenntnis und sieht Barlach wie einen Fremdkorper an. Symbolisch geht die Hochzeitsgesellschaft nahtlos in eine Trauergesellschaft uber.
Im Abspann ist zu lesen, dass der Engel nicht wieder aufgetaucht ist, dass aber eine Kopie wieder im Dom von Gustrow schwebt.
Der Film war 1966 dem
11. Plenum des ZK der SED
zum Opfer gefallen und kam erst 1971 in einer verstummelten Fassung in die Kinos der DDR. Grunde fur den Produktionsabbruch waren die ?verwaschene philosophische Konzeption“, die ?indifferente humanistische Aussage“ und die fehlende ?Rucksicht auf Publikumswirksamkeit“. Implizit wurde dem Film bzw. dessen Machern unterstellt, am Beispiel der faschistischen Diktatur das Verhaltnis des Kunstlers zur gegenwartigen Gesellschaft zu reflektieren. Anlasslich einer Barlach-Ausstellung in
Moskau
und auf Vermittlung von
Konrad Wolf
wurde Kirsten erlaubt, den Film zu bearbeiten. Dabei gingen rund 400 Meter des ursprunglichen Films verloren.
[1]
Am 18. Dezember 1970 erfolgte die Urauffuhrung von
Der verlorene Engel
in der
Moskauer
Botschaft der DDR in der
Sowjetunion
.
[2]
Die Premiere in der DDR fand am 22. April 1971 mit einer festlichen Auffuhrung im Berliner Kino
Colosseum
statt, anlasslich der Wiedereroffnung des Filmtheaters nach umfangreichen Renovierungsarbeiten. Die Erstausstrahlung im 2. Programm des
Fernsehens der DDR
erfolgte am 27. April 1975.
?Hier liegt eine filmkunstlerisch sehr interessante Arbeit vor. Dabei befasst sich der Film nicht mit umfanglichen biografischen Rekonstruktionen, auch liefert er nicht postum die (oft genug fragwurdigen. aber filmublichen) psychologischen Entstehungsbeweise fur des Meisters Schopfungen. Vorgelegt wird eine Studie zur Biografie. die die Personlichkeit Ernst Barlachs uber einen im Wesentlichen authentisch belegbaren Monolog in Wechselwirkung zu seiner Kunst und zu seiner Umwelt erschließen will. Der Film bietet sich in beeindruckender Harmonie, betont stark das Emotionale, hat kaum Uberflussiges, ist am ehesten als straff gefasste Novelle charakterisiert.“
Helmut Ulrich schrieb in der
Neuen Zeit
, dass Ralf Kirsten und sein Kameramann zu einer stilisierten, symbolhaltigen Bildsprache gefunden hatten. Die herbe, schone norddeutsche Landschaft treffe sich mit der herben, schonen Kunst Barlachs und der Film habe Tiefe.
[4]
Das
Lexikon des internationalen Films
nannte den Film eine in Spiel, expressiver Kamera und Regie bemerkenswerte Momentaufnahme einer Kunstlerbiografie, verdichtet zur gleichnishaften Reflexion uber das Verhaltnis von Kunst und Macht.
[5]
- Der verlorene Engel
In:
F.-B. Habel
:
Das große Lexikon der DEFA-Spielfilme
. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2000,
ISBN 3-89602-349-7
, S. 662?663.
- Der verlorene Engel
In: Ingrid Poss /Peter Warneke (Hrsg.):
Spur der Filme
Christoph Links Verlag, 2006,
ISBN 978-3-86153-401-3
, S. 227?229.
- Michael Wedel:
Menschenbilder, Denkfiguren. Ralf Kirstens 'Der verlorene Engel'.
In:
Ralf Schenk
& Andreas Kotzing (Hrsg.):
Verbotene Utopie. Die SED, die DEFA und das 11. Plenum
, Schriftenreihe der
DEFA-Stiftung
,
Bertz + Fischer Verlag
, Berlin: 2015,
ISBN 978-3-86505-406-7
, S. 353?374.
- ↑
F.-B. Habel:
Zerschnittene Filme. Zensur im Film
. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2003,
ISBN 3-37801069-X
, S. 102
- ↑
Magisterarbeit von 2007 zum Film
- ↑
Gunter Sobe in der
Berliner Zeitung
vom 7. Mai 1971; S. 6
- ↑
Neue Zeit
vom 30. April 1971; S. 4
- ↑
Der verlorene Engel.
In:
Lexikon des internationalen Films
.
Filmdienst
,
abgerufen am 2. Marz 2017
.
(Ernst Barlach)