Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Zu anderen Bedeutungen siehe
Rasender Roland
.
Der rasende Roland
ist der Titel der deutschen Ubersetzung des
Versepos
Orlando furioso
von
Ludovico Ariosto
, das erstmals 1516 in
Ferrara
im Druck erschienen ist.
Ariost arbeitete ab 1505 an seinem Hauptwerk und gab es in einer ersten Fassung 1516 heraus; zwei weitere, jeweils uberarbeitete Fassungen folgten 1521 und 1532. Das Epos bestand zunachst aus 40, in der letzten Fassung dann aus 46 Gesangen mit insgesamt 4822
Stanzen
bzw. 38 576 Versen.
Beim
Rasenden Roland
handelt es sich eigentlich um eine Fortsetzung des unvollendet gebliebenen
Verliebten Roland
(italienisch
Orlando innamorato
) von
Matteo Maria Boiardo
aus dem Jahr 1494. Die Handlung der beiden Epen ist ziemlich komplex: Hintergrund sind die Kriege
Karls des Großen
gegen die
Sarazenen
, wie sie ihren Niederschlag im altfranzosischen
Rolandslied
und verwandten Sagen gefunden haben. Es treten verschiedene christliche und heidnische Konige und Ritter auf, schone, teilweise auch kampfende Damen, Zauberer und Zauberinnen und Fabeltiere. Zahlreiche Handlungsstrange durchziehen den
Verliebten
und den
Rasenden Roland
.
Die Hauptfigur Roland ? Vorbild ist der frankische Markgraf
Hruotland
? wird als Neffe
Karls des Großen
ausgegeben. Als die ebenso schone wie zauberkraftige Angelika, eine chinesische Prinzessin, an den Hof Kaiser Karls kommt, verlieben sich die meisten Ritter auf der Stelle in sie. Roland verliert wegen seiner Liebe sogar den Verstand. Der britische Prinz Astolfo unternimmt auf seinem
Hippogryphen
eine Reise zum Mond, wo sich alle Gegenstande befinden, die auf der Erde verlorengegangen sind. Dort findet er Rolands Verstand in einer Flasche und bringt ihn zu seinem Besitzer zuruck.
Dies ist nur einer von drei Haupt-Handlungsstrangen. Daneben und zwischendurch geht es immer wieder um den Krieg zwischen Karl dem Großen und dem Sarazenen Agramante sowie um die
Genealogie
der Adelsfamilie
Este
. Ariost, der in Diensten der Este stand (er widmete das Werk dem
Kardinal
Ippolito I. d’Este
), dichtete ihnen einen Stammbaum an, der auf wichtigen Figuren des Epos basiert und bis auf den mythischen
Hektor
von
Troja
zuruckgeht.
Ariosts Dichtung hatte großen Einfluss auf die
italienische Literatur
, auf das franzosische Theater und auf
William Shakespeare
, etwa in
Der Widerspenstigen Zahmung
. Das in Mexico abgefasste und in Madrid 1624 gedruckte Epos
El Bernardo
des
Bernardo de Balbuena
, das als das Meisterwerk der hispanischen Barockepik gilt, ist von Ariosto beeinflusst.
Das Versepos lieferte auch die Vorlage fur mehrere musikdramatische Werke, darunter
Roland
(1685) von
Jean-Baptiste Lully
,
Orlando generoso
(1691) von
Agostino Steffani
,
Orlando finto pazzo
(1714),
Orlando furioso
(1714) und
Orlando
(1727) von
Antonio Vivaldi
,
Il Ruggiero
von
Johann Adolph Hasse
,
Orlando
(1732),
Ariodante
und
Alcina
(beide 1735) von
Georg Friedrich Handel
sowie
Orlando paladino
(1782) von
Joseph Haydn
. Eine neuere Adaption des Stoffes ist die Familienoper
Der Gesang der Zauberinsel oder Wie der Rasende Roland wieder zu Verstand kam
des Berliner Komponisten
Marius Felix Lange
, die bei den
Salzburger Festspielen
2019 uraufgefuhrt wurde.
1762 erschien das von
Giambattista Marchitelli
verfasste Poem
La coronazione di Medoro
und 1828 die den Zyklus abschließende Fortsetzung
Medoro Coronato
von
Gaetano Palombi
.
Im deutschen Sprachraum wurde das Werk weniger rezipiert. Zwar außerten viele Personen ihre Bewunderung fur den
Orlando furioso
, darunter
Wieland
,
Goethe
,
Friedrich Schlegel
,
Schelling
,
Hegel
,
Jacob Burckhardt
,
Gottfried Keller
,
Ernst Junger
und
Karl May
, Ubersetzungen blieben aber zunachst Mangelware. Eine erste (Teil-)Ubersetzung ins Deutsche von
Diederich von dem Werder
erschien genau ein Jahrhundert nach dem Original (1632?36); die letzte stammt von
Alfons Kissner
aus dem Jahr 1908 (revidiert 1922). Als beste gilt die gereimte Nachdichtung von
Johann Diederich Gries
von 1808 (revidierte Fassung 1827/28).
Als Reverenz an den italienischen Meister veroffentlichte
Josef Viktor Widmann
die Erstausgabe seines Ritter-Versepos in zwolf Gesangen bzw. 573 Stanzen
Kalospinthechromokrene oder der Wunderbrunnen von
Is
(1871) unter dem Pseudonym ?Messer Lodovico Ariosto Helvetico“.
2002 erschien eine romanformige freie Nacherzahlung des Rasenden Rolands von
Thomas R. P. Mielke
und 2004 die deutsche Ubersetzung einer von
Italo Calvino
1970 ursprunglich fur den italienischen Rundfunk verfassten knappen Nacherzahlung nebst einer Auswahl langerer Passagen des Originals (in der deutschen Fassung in der Nachdichtung von Gries).
(chronologisch, mit externen Links zu Digitalisaten im
Internet Archive
bzw. bei
Google Books
)
- Ludwig Heinrich von Nicolay
:
Alcinens Insel
, 1778; erschienen in:
Vermischte Gedichte und prosaische Schriften von Herrn Ludwig Heinrich von Nicolay
, Bd. 4. Friedrich Nicolai, Berlin und Stettin 1792, S. 45?110 (
Digitalisat
bei Google Books).
- Karl Timlich
:
Roland. Ein Gedicht nach Ariost, aus den alten Ritterzeiten, von Kaiser Karl’s Tafelrunde, in vier Gesængen.
Tendlersche Buchhandlung, Wien 1819 (
Digitalisat
bei Google Books).
- Italo Calvino
:
Ludovico Ariosts rasender Roland, nacherzahlt von Italo Calvino.
Mit ausgewahlten Passagen des Originals in der Verdeutschung von Johann Diederich Gries. Ubersetzt, eingerichtet und kommentiert von
Burkhart Kroeber
. Mit 63 Zeichnungen von
Johannes Grutzke
,
Die Andere Bibliothek
, Band 232, Eichborn, Frankfurt am Main 2004,
ISBN 3-8218-4545-7
.
- Thomas R. P. Mielke
:
Orlando furioso als Roman nacherzahlt
, Rutten & Loening, Berlin 2002,
ISBN 3-352-00588-5
; Aufbau Taschenbuch, Berlin 2004,
ISBN 978-3-7466-2062-6
; Emons Verlag, Koln 2016,
ISBN 978-3-95451-774-9
- Albert Gier:
Auf dem Rucken des Hippogryphen.
In:
Neue Zurcher Zeitung
vom 21. August 2016.
- Gabriele Kroes:
Zur Geschichte der deutschen Ubersetzungen von Ariosts ?Orlando furioso“.
In:
Reinhard Klesczewski
,
Bernhard Konig
(Hrsg.):
Italienische Literatur in deutscher Sprache. Bilanz und Perspektiven.
Gunter Narr, Tubingen 1990,
ISBN 3-8233-4081-6
, S. 11?26 (
Voransicht des Buches
bei
Google Books
).
- Emil Ruth
:
Geschichte der italienischen Poesie.
Brockhaus, Leipzig 1847, Bd. 2, 3. Abschnitt, 1. Kapitel, § 3 (Bojardo) u. 4 (Ariosto), S. 213?304; Inhalt der einzelnen Gesange S. 254?283 (
Digitalisat
bei Google Books).
- August Wilhelm Schlegel:
Ludovico Ariosto's Rasender Roland, ubersetzt von J. D. Gries. Jena 1804?1808. IV Theile.
Rezension in:
Sammtliche Werke
, Bd. 12 (
Vermischte und kritische Schriften. Recensionen aus den Heidelbergischen Jahrbuchern der Litteratur 1810?1816
), S. 243?288 (
Digitalisat
bei Google Books).
- Rolf Schonlau
:
Die Mutter aller Fantasy-Romane. Ludovico Ariostos ?Orlando furioso“ ? Ein Stuck Weltliteratur.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universitat Marburg (11. August 2016) auf literaturkritik.de, abgerufen am 4. April 2020.
- Christine Wolter:
Frauen, Ritter, Liebeswahn.
In: Neue Zurcher Zeitung vom 21. August 2016.
- Achim Aurnhammer und Mario Zanucchi (Hg.):
Ariost in Deutschland. Seine Wirkung in Literatur, Kunst und Musik
. De Gruyter, Berlin 2020.
- ↑
Info-Seite zum Horspiel
auf wdr.de, abgerufen am 7. April 2020.