Der blinde Spiegel

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Der blinde Spiegel ist ein Kurzroman von Joseph Roth , erschienen 1925 in Berlin bei Johann Heinrich Wilhelm Dietz Nachf.

Die Handlung fuhrt in die Mitte des Ersten Weltkriegs nach Wien und endet dort im Marz 1920. Fini, im April 1900 geboren, arbeitet in der Kanzlei von Doktor Finkelstein als Stenotypistin. Zusammen mit der Mutter, der alteren Schwester und dem jungeren Bruder bringt sich das Madchen recht und schlecht durch. Nachdem sie entlassen wurde findet sie zum Gluck eine neue Stelle in einer großen Warenzentrale. Finis Vater kehrt aus dem Felde heim. Durch eine Granate ist er taub geworden, er humpelt und geht am Stock. Der erste Mann, mit dem Fini schlaft, ist der Geiger Ludwig, der bereits mit ihrer alteren Schwester eine Affare hatte und sie sitzengelassen hat. Ludwig gibt Fini ein Heiratsversprechen, halt es jedoch nicht. Nach dem Krieg verliebt sich Fini in Rabold, den Redner. Doch der Mann verlasst sie, und sie sieht ihn nie wieder. Zwar schickt er ihr Geld, aber Fini legt die Scheine achtlos beiseite. Sie isst nicht mehr und trauert ihm nach. Schließlich verlasst sie die Stadt, fallt in einen Fluss und ertrinkt.

  • ?Wer aber, wie wir, aus den engen Hausern kommt und in den Zimmern mit den blinden Spiegeln heranwachst, bleibt zage und gering sein ganzes Leben lang.“ [1]

Der blinde Spiegel umfasst 19 Kapitel. Das Leitmotiv Musik (Schwerhorigkeit des Vaters, Maler Ernstens Schopenhauersche Musikasthetik, Finis Liebschaft zum Komponisten Ludwig, des Vaters wiedererlangte Gehor, Rabolds Stimme) wird von Roth bis zum Ableben der Protagonistin variiert. Gleichfalls werden die Naturmotive (Regen, Wolken, Himmel) und die Postkommunikation aufgegriffen. Die Sprache ist bildlich und enthalt Vergleiche, Metaphern und Adjektiven. Zugleich sind die Satze meist kurz und beinhalten knappe Beschreibungen sowie Aufzahlungen.

Interpretationen

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Roths Biograph Wilhelm von Sternburg sieht in der Erzahlung ein ?Nebenwerk [...] im Stile der Wiener Schule“ und erkennt in der Hauptfigur nur ein Wiener Madl, die tragisch gescheitert sei. Nach Lothar Kohn konne Fini aufgrund ihrer Anstellung lediglich als ein Auslaufer des sußen Madel gelten, besonders ihrer Arbeitslosigkeit lasst sie vielmehr als ?aktuelle Figur“ erscheinen. [2] David Bronsen ordnet die Erzahlung werksgeschichtlich als Komplementargeschichte zu April und in der Hauptfigur eine Weiterentwicklung der fur das Lebensgluck ihres Sohnes sich opfernden Mutter Barbara. Im Gegensatz zu von Sternburg will er die mystische Verklarung des Selbstmordes nicht gelten lassen und rekurriert auf die abschließende Nachgeschichte, wonach die Leiche ins Anatomische Institut uberfuhrt werde. Vielmehr sei das Ende eine ?bereitliegende Chiffre fur trostloses Alleinsein und existentielle Haltlosigkeit.“ Sebastian Kiefer deutet die Hauptfigur religionsphilosophisch. Fini sei im ?grublerischem Narzißmus“ gefangen, die im Angesicht der transzendentalen Obdachlosigkeit sich der Gewalt ausliefere und uber der Simulation der Transzendenzanstrengungen nicht hinauskomme. Laut zeitgenossischer Literaturkritik schrieb Joseph Roth den Blinden Spiegel in Paris mit viel Virtuositat . [3] Steierwald [4] belegt die ?subjektzentrierte Sicht“ in der Erzahlung mit Beispielen.

Textausgaben
  • Fritz Hackert (Hrsg.): Joseph Roth Werke 4. Romane und Erzahlungen 1916 ? 1929 . S. 352 bis 388: Der blinde Spiegel. 1925. Mit einem Nachwort des Herausgebers. Frankfurt am Main 1994. ISBN 3-7632-2988-4
  • Joseph Roth: Der blinde Spiegel. Erzahlungen. Aufbau-Verl., Berlin, 1966.
Sekundarliteratur

Einzelnachweise

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  1. Hackert S. 364
  2. Kohn, Lothar: Beitrage zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts .
  3. Nurnberger S. 70
  4. Steierwald S. 81?82