Als
Damaskuserlebnis
wird umgangssprachlich die Begegnung des
Paulus von Tarsus
mit dem
auferstandenen
Jesus Christus
auf dem Weg nach
Damaskus
bezeichnet. Dabei wurde Paulus nach eigener Aussage vom Verfolger der
Urchristen
zum
Apostel
der Volker berufen. Weil Paulus selbst keine erlebnishaften Details davon berichtete, spricht die
christliche Theologie
heute vom
Damaskusgeschehen
oder von der
Berufung zum Volkerapostel
.
Im ubertragenen Sinn bezeichnet ?Damaskuserlebnis“ ein Ereignis, das einer Person eine einschneidende Selbsterkenntnis vermittelt, ihre Einstellung und ihr Verhalten fur sie zum Positiven verandert.
Paulus war nach eigener Aussage (
1 Kor
15,9
EU
) ursprunglich ein Verfolger jener
Urchristen
, welche die
Mitzwot
der
Tora
nicht vollstandig einhielten. Im Ruckblick auf seine
erste Missionsreise
schrieb er in
Gal
1,16
EU
: ?Als es aber Gott gefiel, der mich schon im Mutterleib auserwahlt und durch seine Gnade berufen hat, in mir seinen Sohn zu offenbaren, damit ich ihn unter den Volkern verkunde,…“ Er stellt seine Berufung zum ?Apostel fur die Volker“ in einen Deutungszusammenhang gottlicher Vorsehung, die den biografischen Bruch nachtraglich nicht nur erklart, sondern diesen vielmehr zur Voraussetzung hat, um an ihm die Gnade Gottes zu demonstrieren. Erst Jahre spater habe er die
Jerusalemer Urgemeinde
besucht, deren Apostel ihm seinen gottlichen Missionsauftrag bestatigt hatten. Daran erinnerte er die Adressaten seiner
Paulusbriefe
mehrfach (
1 Kor
9,1
EU
; 15,8
EU
;
2 Kor
4,6
EU
;
Gal
1,12?16
EU
;
Phil
3,4?11
EU
).
Die
Apostelgeschichte des Lukas
beschreibt die Berufung des Paulus als außere
Epiphanie
des Auferstandenen in drei als Ich-Berichte des Paulus gestalteten Texten (
Apg
9,3?19
EU
; 22,6?16
EU
; 26,12?18
EU
). Nach
Apg
7,58ff
EU
war Paulus bei der
Steinigung
des ersten christlichen
Martyrers
Stephanus
anwesend und hatte ?Wohlgefallen“ daran. Danach habe er die Gemeinde ?verwustet“, ?indem er in die Hauser eindrang, Manner und Frauen verschleppte und fur ihre Verhaftung sorgte“. Nach
Apg
9,1f
EU
erbat und erhielt er vom
Jerusalemer
Hohenpriester
einen schriftlichen Auftrag, auch in Damaskus und den dort befindlichen
Synagogen
nach Anhangern
Jesu
zu suchen, um sie zu verhaften. Nach
Apg
9,3?29
EU
begegnete ihm auf dem Weg nach Damaskus ? ?nicht weit vor der Stadt“ ? in einer
visionaren
Lichterscheinung der auferstandene Jesus selbst. Dieser habe ihn mit seinem hebraischen Namen angerufen:
Saul
, Saul! Warum verfolgst du mich?
Er habe zuruckgefragt:
Wer bist du, Herr?
Darauf habe die Stimme geantwortet:
Ich bin Jesus, den du verfolgst!
Danach sei Paulus in der Folge fur mehrere Tage erblindet und habe nichts essen konnen, bis ihn ein anderer Urchrist im Namen Jesu geheilt habe. Daraufhin habe er sich
taufen
lassen und begonnen, Jesus als
Sohn Gottes
zu verkunden.
Diese
erzahlerischen
Motive
(Licht und Stimme vom Himmel her, Blendung, Abkehr von fruherem Lebenswandel) lehnen sich an Berufungstexte der
Prophetie im Tanach
an. Sie veranschaulichen die vollstandige Umkehr des Paulus: Durch die unmittelbare Begegnung mit Jesus Christus habe er Gottes wahren Willen und das todeswurdige Unrecht seines ganzen bisherigen, der Christenverfolgung gewidmeten Lebens erkannt und nun das verkundet, was er zuvor verfolgt hatte. Durch diese erzahlerische Ausgestaltung wird das Ereignis oft als
Bekehrung
gedeutet, etwa beim kirchlichen Fest
Pauli Bekehrung
oder durch Gemalde wie
Die Bekehrung des Paulus
von
Pieter Bruegel dem Alteren
.
Im
Volksmund
wird der Ausdruck umgangssprachlich von seiner neutestamentlichen Bedeutung gelost und allgemein auf ein einschneidendes Erlebnis bezogen, das eine Richtungsanderung im weiteren Lebenswandel bewirkt. Verwandt sind die Ausdrucke ?
Aha-Erlebnis
“ und ?Schlusselerlebnis“.
Manchmal wird das Damaskuserlebnis auch mit der
Redewendung
vom Saulus zum Paulus
ausgedruckt. Dieser Namenswechsel ist jedoch im NT nicht belegt.
[1]
Dort nennt Paulus sich selbst nie Saulus und erwahnt keinen Namenswechsel. Nach Apg 13,9 trug er einen Doppelnamen, wie es im
Diasporajudentum
ublich war, und wurde je nach Adressatenkreis wahlweise mit dem hebraischen oder griechischen Namen genannt. Bis zu dieser Stelle nennt die Apostelgeschichte ihn nur Saulus, danach nur noch Paulus. Diesen Wechsel beschreibt sie also erst vier Kapitel nach dem in Apg 9 geschilderten Damaskuserlebnis. Dieses erfolgte in der Paulusbiografie etwa 15 Jahre vor den in Apg 13 geschilderten Ereignissen.
- Michael Reichardt:
Psychologische Erklarung der paulinischen Damaskusvision? Ein Beitrag zum interdisziplinaren Gesprach zwischen Exegese und Psychologie seit dem 18. Jahrhundert
(=
Stuttgarter biblische Beitrage.
Band 42). Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1999,
ISBN 3-460-00421-5
.
- Christian Dietzfelbinger:
Die Berufung des Paulus als Ursprung seiner Theologie
(=
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament.
Band 58). Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1985,
ISBN 3-7887-0771-2
- ↑
In der Apostelgeschichte trug er den Namen Saulus (
Apg
9,1-9
EU
)