Das
Consistoire central israelite
(deutsch
Konsistorium
) war die von
Napoleon
1808 geschaffene Organisation der
judischen
Religion
im damaligen
Frankreich
, das heißt einschließlich von Teilen
Deutschlands
und
Italiens
. Die Zeit der Konsistorien als halbstaatliche Institution endete 1905 mit dem
Gesetz uber die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich
. Seither bestehen das Israelitische Zentralkonsistorium und die untergeordneten regionalen Konsistorien als rein privatrechtliche Organe der freiwilligen Verwaltungszusammenarbeit der einzelnen judischen Gemeinden, organisiert nach Konsistorialbezirken, die meist mehrere Departements umfassen.
Wahrend der
Franzosischen Revolution
waren die bestehenden internen Strukturen der judischen Gemeinden abgeschafft worden. Die von Napoleon eingefuhrten Reformen wurden von einem Großteil der judischen Gemeindevorstande begrußt, in der Hoffnung, dass das
Judentum in Frankreich
auf diese Weise einen ahnlichen Status wie die
romisch-katholische Kirche
im
Konkordat von 1801
und die Protestanten in den ?
organischen Artikeln
“ von 1802 erhalten wurde. Napoleon selbst war bestrebt, ein Mittel zur Kontrolle der judischen Gemeinden zur Verfugung zu haben und gleichzeitig die Juden als Burger (
Citoyens
) in die franzosische Gesellschaft zu integrieren. Die Statuten des Konsistoriums wurden durch kaiserlichen Erlass am 17. Marz 1808 in Kraft gesetzt.
In dem Erlass wurde der Aufbau eines zentralen bzw. nationalen Konsistoriums in
Paris
festgelegt, das an der Spitze von 13 regionalen Konsistorien (
consistoires regionaux
, auch als
consistoires departementaux
bezeichnet) stand, die ihrerseits die lokalen Gemeinden (
communautes juives
) kontrollieren sollten. Fur jedes
Departement
mit einer judischen Bevolkerung von mindestens 2000 Personen wurde ein Consistoire errichtet. Falls die judische Einwohnerzahl unter 2000 lag, wurde ein Consistoire fur mehrere Departements gegrundet.
1808 gab es 13 regionale Konsistorien:
Im zentralen Konsistorium saßen drei
Grands rabbins
(
Großrabbiner
) und zwei Laien, in den regionalen Konsistorien ein
Grand rabbin
und vier Laien. Sie wurden von 25
Notabeln
gewahlt, die von den Gemeindemitgliedern ernannt und von den lokalen
Prafekten
bestatigt werden mussten. Samtliche Ernennungen waren von der Bestatigung der Regierung abhangig. Jeder judische Familienvorstand musste dem Konsistorium Steuern zahlen. Das Motto des zentralen Konsistoriums ?Religion und Vaterland“ betonte den Stellenwert der
Assimilation
.
Fuhrende Mitglieder des Consistoire im 19. Jahrhundert waren der Politiker
Adolphe Cremieux
, der 1843 zum Prasidenten der Organisation gewahlt wurde, und der Orientalist
Jules Oppert
.
Die Konsistorien, die einen halbstaatlichen Status erhielten, sollten nach
protestantischem
Vorbild die inneren Angelegenheiten der
judischen
Glaubensgemeinschaft regeln. Das Konsistorium hatte den
Kultus
zu verwalten, die Juden zur Ausubung nutzlicher Berufe anzuhalten und den Behorden die judischen Rekruten zu nennen. Das
Consistoire central
wae Trager der zentralen Rabbinerausbildungsstatte
Seminaire israelite de France
.
Die Existenz der Konsistorien war von Anfang an durch ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten bedroht. Da oftmals die Bezahlung der Steuern ausblieb, wurde 1816 deren Eintreibung durch das staatliche Finanzamt beschlossen.
1831 bewilligte
Konig Louis-Philippe
, dass die Lohne der Rabbiner und Gemeindebeamten vom Staat bezahlt wurden.
In den 1840er Jahren wurde das Wahlrecht fur die Konsistorien erweitert. Das Prinzip der
Notabilitat
wurde zwar beibehalten, die Anzahl von Notabeln jedoch bedeutend erhoht. Nach der
Revolution von 1848
wurde jeder mannliche Jude uber 25 Jahren als
notabel
und somit
stimmberechtigt
erklart. Wahrend des
Zweiten Kaiserreichs
wurde diese Demokratisierung teils wieder ruckgangig gemacht. Das zentrale Konsistorium beschrankte die Anzahl der Stimmberechtigten vor allem bei der Wahl von
Rabbinern
. Eine zentrale Aufgabe fur das Konsistorium wurde nun die Ausbildung von Rabbinern.
Das 1829 gegrundete
Rabbinerseminar
in
Metz
war zunachst eine traditionelle
Jeschiwa
. Mit dem Umzug des Seminars nach Paris im Jahre 1859 verstarkten sich die Bestrebungen zur Modernisierung.
Die Neuorganisation der judischen Glaubensgemeinschaft unter Napoleon hatte einen wesentlichen Einfluss auf das Geschehen und die Regelungen in den deutschen Staaten, ahnlich wie in anderen Bereichen (z. B.
Code civil
). Das von Napoleons Bruder regierte
Konigreich Westphalen
folgte bereits im Dezember 1808 dem franzosischen Vorbild (erklart unter
Judische Gemeinde Kassel
).
Siehe auch:
Nach dem Sturz Napoleons wurde das konsistoriale System in den Gemeinden
Westfalens
,
Belgiens
und
Luxemburgs
beibehalten.
Weitere drei Konsistorien entstanden 1810 durch die Eroberung von Mittelitalien:
Consistoire Florenz
,
Consistoire Livorno
und
Consistoire Rom
.
1845 wurde ein ubergeordnetes Konsistorium in
Algier
gegrundet sowie regionale Konsistorien in
Oran
und
Constantine
. 1867 wurden diese
algerischen
Konsistorien dem franzosischen Mutterland angeschlossen.
1846 wurde das
Consistoire Bayonne
geschaffen und 1857 das
Consistoire Lyon
.
Nach der Niederlage im
Deutsch-Franzosischen Krieg
und dem Verlust des
Elsass
und Teilen
Lothringens
wanderte ein Teil der Bevolkerung, darunter viele Juden, aus dem neu geschaffenen
Reichsland Elsass-Lothringen
nach Frankreich aus. Deshalb entstanden 1872 neue Konsistorien in
Lille
und
Vesoul
.
Das
Consistoire central
blieb die einzige staatlich anerkannte Vertretung der Juden in Frankreich bis zur Einfuhrung des
Gesetzes zur Trennung von Kirche und Staat
im Jahre 1905. Die judischen Gemeinden mussten sich ab 1905 als Vereinigungen (
associations
) konstituieren und ohne staatliche Zuwendungen auskommen. Als Dachverband der meisten
associations
wurde die
Union des associations culturelles de France et d'Algerie
gegrundet. Die Gruppierungen des
orthodoxen Judentums
, die sich schon vor 1905 nicht dem konsistorialen System unterworfen hatten, traten auch dieser Union nicht bei. Das gewahlte Leitungsgremium der Union nennt sich bis heute
Consistoire
, weshalb der falsche Eindruck einer Kontinuitat entsteht.
Durch die Aufhebung des konsistorialen Systems in Frankreich konnten zusatzliche Vereinigungen von landesweiter Bedeutung entstehen. 1950 wurde der
Fonds social juif unifie
[1]
gegrundet, aus dem 1968 der AUJF (
Appel unifie des juifs de France
) hervorgegangen ist. Daneben gibt es den CRIF (
Conseil Representatif des Institutions Juives de France
), eine Organisation zur
Interessenvertretung
aller judischen Vereinigungen in Frankreich.
Eine besondere Entwicklung gab es in Elsass-Lothringen, wo die franzosischen Institutionen auch nach der deutschen
Annexion
1871 beibehalten wurden. Da Elsass-Lothringen, dessen Gebiet heute die Departements
Bas-Rhin
,
Haut-Rhin
und
Moselle
einnehmen, 1905 nicht zu Frankreich gehorte, gelten hier die Laizismusgesetze nicht, sondern der
Droit local en Alsace et en Moselle
, der in Bezug auf den Status der Religionsgemeinschaften und viele andere Rechtsverhaltnisse franzosisches Recht bis 1871 und die deutsche Gesetzgebung der Jahre danach bis 1918 umfasst. Die dortigen judischen Gemeinden bilden nach wie vor fur jedes Departement einen Konsistorialbezirk mit je einem eigenen Konsistorium. Die drei israelitischen Konsistorien werden als
consistoires concordataires
von den privatrechtlichen im ubrigen Frankreich unterschieden und unterstehen nicht dem heute privatrechtlichen Zentralkonsistorium.
- Cilli Kasper-Holtkotte:
Judischer Kultus in napoleonischer Zeit. Aufbau und Organisation der Konsistorialbezirke Krefeld, Koblenz/Bonn, Trier und Mainz
(=
Aschkenas.
Beiheft 2). Bohlau, Koln u. a. 1997,
ISBN 3-205-98687-3
.
- Encyclopedia Judaica
.
Bd. 5. S. 907?912.
- Judisches Lexikon
.
Bd. III. Berlin 1929, S. 850.
- Jeffrey Haus:
Consistoire central israelite.
In:
Dan Diner
(Hrsg.):
Enzyklopadie judischer Geschichte und Kultur
(EJGK). Band 2:
Co?Ha.
Metzler, Stuttgart/Weimar 2012,
ISBN 978-3-476-02502-9
, S. 35?39.
- ↑
Fonds social juif unifie