Christopher Caudwell

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Christopher Caudwell (eigentlich: Christopher St. John Sprigg ; * 20. Oktober 1907 in Putney bei London ; † 12. Februar 1937 am Jarama , Spanien ) war ein englischer Autor und marxistischer Theoretiker.

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

1907 in Putney bei London geboren, brach er, sechzehnjahrig, seine Schullaufbahn an der Benediktiner -Schule von Ealing ab und arbeitete zunachst drei Jahre als Reporter am ?Yorkshire Observer“. [1] Nach der journalistischen Tatigkeit in einer Provinzzeitung trat Caudwell in einen Londoner Verlag fur Luftfahrtwesen ein, zunachst als Redakteur, aber bald schon wurde er dessen Direktor. [1] Neben seiner Tatigkeit als Luftfahrtingenieur und Herausgeber von Fachbuchern und der Zeitschrift ?Aircraft Engineer“ schrieb er sieben Kriminalromane, Kurzgeschichten und Gedichte. [1] Im Mai 1935 erschien unter dem Pseudonym ?Caudwell“ der Roman ?This my hand“.

Seit dem Sommer 1935 beschaftigte sich Caudwell (in Cornwall) eingehend mit den Schriften von Marx , Engels und Lenin . [2] Im gleichen Jahr begann er, in London, mit der Arbeit an seinem Werk ?Illusion and Reality - A Study of the Sources of Poetry“ und trat der Kommunistischen Partei Großbritanniens bei.

Nach einer Reise nach Paris und Beruhrungen mit der linken ?Volksfrontbewegung“ in Frankreich, kehrte er nach London zuruck, uberarbeitete ?Burgerliche Illusion und Wirklichkeit“ und begann mit den Arbeiten an ?The Crisis in the Physics“. [2] Caudwell war ein disziplinierter Schriftsteller, der sich seinen Arbeitstag minutios einteilte; daneben agitierte er fur die kommunistische Partei.

Nach dem Ausbruch des Spanischen Burgerkrieges fuhr er nach Spanien und trat am 11. Dezember 1936 in das Britische Bataillon der Internationalen Brigaden ein. [2] Am 12. Februar 1937 starb Christopher Caudwell in der Schlacht am Jarama . [3]

Rezeption [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Christopher Caudwell war zeitlebens ein Außenseiter, der sowohl im englischen Literaturbetrieb wie auch in der Parteihierarchie der kommunistischen Partei keine wesentliche Rolle eingenommen hat. So geriet er nach seinem Tod zunehmend in Vergessenheit. Erst in den funfziger Jahren begann die kommunistische Partei, seine Positionen zu diskutieren. [4]

In England und Deutschland ist die Beschaftigung mit seinen Schriften nach wie vor eher marginal; in den USA bezeichneten ihn Rene Wellek und Peter Demetz jedoch als ?einzig ernstzunehmenden Erben Mehrings und Plechanows “. [4] Sie ?betrachteten seinen Versuch, ?Marxismus und Anthropologie“ zu einer neuen Theorie von den Ursprungen der Dichtung zu vereinen, als absolut gelungen.“ [4] Die bisher grundlichste Studie uber Caudwell publizierte Samuel Hynes. [4]

Der deutsche Komponist Helmut Lachenmann schrieb 1977 sein Stuck Salut fur Caudwell , in dem zwei Gitarristen u. a. einen Text von Caudwell rezitieren.

Burgerliche Illusion und Wirklichkeit [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Das Werk ?Burgerliche Illusion und Wirklichkeit“ unternimmt den Versuch, die Entstehung der Poesie, ihren Begrundungszusammenhang aus den okonomischen Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaften und ihre geschichtliche Entwicklung aus dem Blickfeld einer materialistischen Asthetik zu interpretieren.

Thesen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Das Leben ursprunglicher Stamme bringt die Poesie als kollektive Kulthandlung hervor. Durch die Poesie wird eine Welt imaginiert; ein realer Gegenstand, ein Ziel, z. B. die Ernte, wird ein phantastisches Objekt:
?Der nicht vorhandene wirkliche Gegenstand erscheint als phantastisches Objekt in der Vorstellungswelt. Der Mensch wird durch die Heftigkeit des Tanzes, den Larm der Musik und den hypnotischen Rhythmus der Verse aus der gegenwartigen Wirklichkeit, in der es noch keine Ernte gibt, in eine Phantasiewelt versetzt, in der diese Dinge phantastisch existieren.“ [5]
Diese Imagination, so Caudwell, liefere den Mitgliedern des Stammes die Energie, fur die Gestaltung ihrer Wirklichkeit tatig zu werden.
  • Poesie (daraus entstehende Religion) und Magie (sowie daraus entstehende Wissenschaft) entstehen aus der okonomischen Notwendigkeit der Gestaltung der Umwelt und sind zugleich Ausdruck gemeinsamer, gesellschaftlichen Erfahrungen.
  • Mit zunehmender Arbeitsteilung und der Entstehung von Klassen separiert sich eine Welt der ?Arbeitenden“ und eine der ?Genießenden“; Kunst und Religion werden vom ursprunglich gesellschaftlichen Zusammenhang abgekoppelt und damit entfremdet .
  • Die Poesie wird zu einer Welt des Wunschdenkens, die ihren Bezug zur realen Veranderung gesellschaftlichen Bedingungen verliert. [6]
  • Mit der Entstehung der Bourgeoisie wird die Kunst Ausdruck dieser Klasse . Caudwell spricht der Bourgeoisie einen revolutionaren Impetus zu: ?Diese Klasse gelangte allmahlich zur Herrschaft, aber ihre Existenzbedingung besteht in der standigen Revolution der Produktionsmittel , folglich der Produktionsverhaltnisse und zugleich der gesamten gesellschaftlichen Verhaltnisse.“ [7]
  • Der Kapitalismus bewirkt die zunehmende Gegenuberstellung von Kunst und Leben; gleichzeitig entfalten sich durch den Zwang der Verhaltnisse die kunstlerischen Ausdrucksmittel der Poesie. Caudwell liefert einen groben geschichtlichen Uberblick uber die Merkmale der burgerlichen Poesie mit Bezug auf deren historische Bedingungen von 1550?1930. [8]
  • Im X. Kapitel ?Die Traumarbeit der Poesie“ [9] zieht Caudwell Bezuge zwischen Traum und Poesie. Die Poesie nimmt, wie der Traum, eine emotionale Haltung zur Welt ein, reflektiert jedoch immer die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Entstehung:
?Die Poesie farbt die Welt der Wirklichkeit mit affektiven Tonungen. Die affektiven Tonungen sind nicht ?hubsch‘, denn es handelt sich um die wirkliche Welt der Notwendigkeit und große Poesie verhullt die Bloße der außeren Notwendigkeit nicht, nur um sie mit dem Glanz des Interessanten zu umgeben.“ [10]
Poesie ist durch ihre gesellschaftliche Bedeutung, im Gegensatz zum Traum, schopferische Arbeit. [11]
?Die große Masse der Menschen liest die Poesie nicht mehr, empfindet sie nicht mehr als Notwendigkeit, versteht sie nicht mehr, weil sich die Poesie mit der Entwicklung ihrer Technik vom konkreten Leben abgewendet hat; dabei bildet diese Entwicklung nur das Gegenstuck eines ahnlichen Vorgangs in der Gesellschaft insgesamt.“ [13]
Er endet mit der Vision einer kommunistischen Poesie, die sich wieder bewusst und kollektiv der Gestaltung der Wirklichkeit zuwendet:
?Die kommunistische Poesie wird vollstandig sein, weil sich der Mensch seiner eigenen Notwendigkeit ebenso bewußt wird wie der außeren Wirklichkeit.(...) So ist die Kunst eine der Voraussetzungen fur die Selbstverwirklichung des Menschen und zugleich eine seiner Wirklichkeiten.“ [14]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Christopher Caudwell: Illusion und Wirklichkeit. Eine Studie uber die Grundlagen der Poesie. Verlag der Kunst, Dresden 1965 ( Fundus-Reihe 12/13)
  • Christopher Caudwell: Burgerliche Illusion und Wirklichkeit (orig.: Illusion an Reality ? A Study of the Sources of Poetry ), aus dem Englischen von Horst Bretschneider, hrsg. und mit einem Nachwort von Peter Hamm, Ullstein Verlag, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1975, ISBN 3-548-03144-7 (diese Ausgabe zuerst Munchen: Hanser 1971).
  • Christopher Caudwell: Studien zu einer sterbenden Kultur (orig.: Studies in a Dying Culture, The Bodly Head, London 1938 ) aus dem Englischen von Elga Abramowitz, VEB Verlag der Kunst, Dresden 1973 (DDR) ( Fundus-Reihe 32)
  • Christopher Caudwell: Das perfekte Alibi (orig.: The Perfect Alibi, Withy Grove Press Limited, London und Manchester 1934), aus dem Englischen von Gisela Petersen, Verlag Volk und Welt, Berlin 1975 (DDR)

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. a b c Vgl. Christopher Caudwell: Burgerliche Illusion und Wirklichkeit , Frankfurt a. M. u. a. 1975 (s. Literatur), Nachwort von Peter Hamm, S. 305.
  2. a b c Vgl. Christopher Caudwell, Nachwort von Peter Hamm, S. 306.
  3. Vgl. Christopher Caudwell, Nachwort von Peter Hamm, S. 307.
  4. a b c d Vgl. Christopher Caudwell, Nachwort von Peter Hamm, S. 308.
  5. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 25.
  6. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 40?42.
  7. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 57
  8. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 118?123.
  9. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 201?274.
  10. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 221.
  11. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 222.
  12. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 275?304.
  13. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 298.
  14. Burgerliche Illusion und Wirklichkeit, S. 303.

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]