Carla Bley
(*
11. Mai
1936
[1]
als
Lovella May Borg
[2]
in
Oakland
,
Kalifornien
; †
17. Oktober
2023
in
Willow
,
New York
) war eine
US-amerikanische
Jazz
-Musikerin, die sich als
Komponistin
,
Arrangeurin
,
Bandleaderin
und
Pianistin
bzw.
Organistin
betatigte. Ihre Kompositionen zeichnen sich durch komplexe Strukturen, unkonventionelle Harmonien und eine originelle Herangehensweise an die Instrumentierung aus. Sie hat auch eine Vorliebe fur humorvolle und ironische Elemente in ihrer Musik gezeigt, was zu ihrer einzigartigen Klangasthetik beitragt. Sie gilt als eine der bedeutendsten Autorinnen von vertrackten und zugleich eingangigen Jazztiteln.
[3]
[4]
Carla Borgs Eltern waren beide Musiker, ihr Vater
Klavierlehrer
und Organist. Sie selbst begann bereits im Alter von vier Jahren in der Kirche zu singen und Klavier und Orgel zu spielen.
1957 heiratete sie den Jazzpianisten
Paul Bley
(1932?2016), den sie als ?cigarette girl“ im
Birdland
kennenlernte; die Beziehung hielt knapp zehn Jahre. Er regte sie dazu an, fur ihn zu komponieren. Bald spielte sie in
New York
mit
Charles Moffett senior
und
Pharoah Sanders
. Ab 1964 leitete sie mit
Michael Mantler
das
Jazz Composer’s Orchestra
. 1965 hatte sie ein Quintett mit Mantler und
Steve Lacy
. 1966 ging sie mit
Peter Brotzmann
und
Peter Kowald
auf Tournee. Nach dem Studio-Projekt
Escalator over the Hill
(1967?1971) und der Arbeit mit
Charlie Haden
im
Liberation Music Orchestra
(ab 1969) leitete sie ab 1976 uberwiegend eigene Bands.
Bley heiratete 1967 ihr Bandmitglied Michael Mantler; ihre Tochter
Karen Mantler
wurde Jazz-Organistin. Nach ihrer Trennung von Mantler und dessen Ruckkehr nach Europa 1991 lebte Carla Bley mit ihrem langjahrigen Bandmitglied
Steve Swallow
zusammen. Er war fur sie auch musikalisch wichtiger Ratgeber und Partner am
E-Bass
.
[5]
Weiterhin typisch fur ihre Bands waren Musiker wie der markant erdig spielende Posaunist
Gary Valente
, der Jazz-Hornist
Vincent Chancey
oder ihre Tochter Karen Mantler.
2006/2007 war Bley
Artist in Residence
der Philharmonie Essen. 2008 trat sie mit ihrem Trio aus Steve Swallow und
Andy Sheppard
live im New Yorker
Birdland
auf
(Songs with Legs)
. 2009 wurde sie mit der
German Jazz Trophy
, 2012 mit der Ehrendoktorwurde der
Universite de Toulouse II?Le Mirail
ausgezeichnet. 2015 erhielt sie mit der
NEA Jazz Masters Fellowship
die hochste Auszeichnung fur Jazzmusiker in den USA; 2018 wurde sie in die
American Academy of Arts and Sciences
gewahlt.
Sie starb am 17. Oktober 2023 im Alter von 87 Jahren
[6]
an den Folgen eines Hirntumors.
[7]
Carla Bley machte sich etwa ab Mitte der 1960er Jahre als innovative Jazz-Komponistin bemerkbar; zuerst schrieb sie fur Paul Bleys Trio, dann auch fur
George Russell
,
Jimmy Giuffre
und
Art Farmer
. 1964 grundete sie mit Mike Mantler das
Jazz Composer’s Orchestra
(JCO). 1967 komponierte sie fur
Gary Burton
das vielbeachtete
A Genuine Tong Funeral
. Nach drei Jahre dauernden Aufnahmen veroffentlichte sie 1971 eine der wenigen Jazz-Opern: das von ihr komponierte
Escalator over the Hill
(1973 mit dem franzosischen
Grand Prix du Disque
ausgezeichnet).
Sie veroffentlichte etliche eigene Jazz-Alben auf ihrem mit Michael Mantler gegrundeten eigenen Label WATT, dessen Platten via
ECM
vertrieben werden. Ihre besonders in den 1970/80er Jahren aktive
Carla Bley Band
spielte konzertanten
Big-Band
-
Jazz
, durchaus in der zeitgenossisch reflektierten Nachfolge von
Duke Ellington
und
Gil Evans
. Mit einem Teil dieser Band spielte sie auch das Album
Nick Mason’s Fictitious Sports
mit eigenen Kompositionen ein. 2016 fuhrte sie mit der
NDR-Bigband
und einem Knabenchor ihre Jazzoper
La Lecon Francaise
auf.
[8]
Als Arrangeurin wirkte sie ab 1969 maßgeblich an
Charlie Hadens
Liberation Music Orchestra
mit, das 2005 mit
Not In Our Name
wieder ein als Protest gegen die US-amerikanische Politik konzipiertes Album herausbrachte. (Nach Hadens Tod leitete sie auch dieses Ensemble.)
Eine interessante Charakterisierung ihrer Musik erschien anlasslich ihres 70. Geburtstages in der FAZ:
?Carla Bley ist das monstroseste Chamaleon, das der Jazz kennt. Und eine gigantische Irritation. Fur bare Munze kann man nichts nehmen, was sie sagt, tut, spielt oder kompositorisch zusammenfugt. […] Man muss schon mitdenken mit der unorthodoxen Tochter eines Kirchenmusikers aus Oakland, muss ihrer Ironie standhalten und wie sie Konventionen bricht, indem sie scheinbar adaptiert, darf schließlich die Musik nicht als reines
Glasperlenspiel
begreifen, um ihr das Wasser zu reichen und moglicherweise von ihr erleuchtet zu werden.“
Gavin Bryars
, der in den 1980er Jahren als Bassist Stucke von Bley auffuhrte, meinte dazu 1997 in einem Magazinbeitrag, in dem er auch ?ihre Verwandtschaft zu gewissen Aspekten bei
Kurt Weill
“ betonte:
?Sie fuhlt sich wohl mit Spielern, die begabte freie Improvisatoren sind. Es gibt viele Stucke, bei denen die scheinbare Schlampigkeit ? in Wirklichkeit kalkuliertes Chaos ? eine direkte Folge ihres kompositorischen Witzes und ihrer scharfen Beobachtung der Moglichkeiten fur Exzess und Parodie ist.
[3]
“
- 1971
Escalator over the Hill
(Carla Bley und
Paul Haines
)
- 1974
Tropic Appetites
(Carla Bley)
- 1977
Dinner Music
(Carla Bley)
- 1978
European Tour 1977
(Carla Bley Band)
- 1979
Musique Mecanique
(Carla Bley Band)
- 1981
Fictitious Sports
(
Nick Mason
, aufgenommen 1979)
- 1981
Social Studies
(Carla Bley Band)
- 1982
Live!
(Carla Bley Band)
- 1984
I Hate to Sing
(Carla Bley Band)
- 1984
Heavy Heart
(Carla Bley)
- 1985
Night-Glo
(Carla Bley)
- 1987
Sextet
(Carla Bley)
- 1988
Duets
(Carla Bley und Steve Swallow)
- 1989
Fleur Carnivore
(Carla Bley)
- 1990
Orchestra Jazz Siciliana Plays the Music of Carla Bley
(aufgenommen 1989, geleitet von Carla Bley)
- 1991
The Very Big Carla Bley Band
(Carla Bley Band)
- 1992
Go Together
(Carla Bley und Steve Swallow)
- 1993
Big Band Theory
(Carla Bley)
- 1994
Songs With Legs
(Carla Bley)
- 1996
…Goes To Church
(Carla Bley Big Band)
- 1998
Fancy Chamber Music
(Carla Bley)
- 1999
Are We There Yet?
(Carla Bley and Steve Swallow)
- 2000
4x4
(Carla Bley)
- 2003
Looking for America
(Carla Bley Big Band), Bestenliste beim
Preis der deutschen Schallplattenkritik
2003\3
- 2004
The Lost Chords
(Carla Bley), ausgezeichnet mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik 2004\3
- 2007
The Lost Chords Find Paolo Fresu
(mit
Paolo Fresu
,
Andy Sheppard
, Steve Swallow,
Billy Drummond
)
- 2008
Appearing Nightly
(Carla Bley & her Remarkable Big Band)
- 2009
Carla’s Christmas Carols
(Carla Bley, Steve Swallow,
The Partyka Brass Quintett
)
- 2013
Trios
(Carla Bley, Steve Swallow, Andy Sheppard, ECM)
- 2016
Andando el Tiempo
(mit Steve Swallow, Andy Sheppard, ECM)
- 2020
Life Goes On
(mit Andy Sheppard, Steve Swallow, ECM), ausgezeichnet mit dem Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik fur 2020 und einem
Deutschen Jazzpreis
2021.
[9]
- 1983/2003
Live in Montreal
- 1988/2001
Famous Jazz Duets: Chick Corea & Gary Burton, Carla Bley & Steve Swallow ? Live in Concert
- Amy C. Beal:
Carla Bley.
University of Illinois Press 2011
- Gunter Buhles
:
Die Jazzkomponistin Carla Bley. Kurzbiographie, Werkanalyse, Wurdigung.
In: Jazzforschung, Bd. 8. (1976)
- Lena Haselmann:
Artikel ?Carla Bley“
. In:
MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Prasentationen
, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule fur Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 14. April 2011.
- Konrad Heidkamp
:
Sophisticated Ladies
, Rowohlt 2003 (mit Kapitel
Carla Bley ? Femme musicale
)
- Nachrufe
- ↑
1938 nach Reclams Jazzfuhrer 1989 und Kunzlers Jazzlexikon 2002; im
JazzThing-Podcast
gibt Carla Bley selbst ? anders als in den Jazz-Lexika ? 1936 als Geburtsjahr an und begrundet die Verwirrung (1936 oder 1938)
- ↑
Bley, Carla (Lovella May Borg)
(
Memento
vom 2. Marz 2015 im
Internet Archive
) in der Encyclopedia of Jazz Musicians.
- ↑
a
b
Michael Rusenberg
:
Carla Bley, 1936 - 2023.
In:
jazzcity.de.
17. Oktober 2023,
abgerufen am 21. Oktober 2023
.
- ↑
Maxi Broecking
:
RIP: Carla Bley.
In:
Jazz thing
.
20. Oktober 2023,
abgerufen am 21. Oktober 2023
.
- ↑
Karsten Mutzelfeldt
:
Der Avantgarde das Lachen beigebracht: Die Pianistin Carla Bley.
In:
WDR 3
.
18. Oktober 2023,
abgerufen am 23. Oktober 2023
.
- ↑
Leopold Tobisch:
La compositrice et jazzwoman Carla Bley est decedee.
In:
radiofrance.fr.
17. Oktober 2023,
abgerufen am 17. Oktober 2023
(franzosisch).
- ↑
Allison Hussey:
Carla Bley, Giant of Free Jazz, Dies at 87
, pitchfork.com, 17. Oktober 2023, abgerufen am 18. Oktober 2023.
- ↑
NDR:
Carla Bley & NDR Bigband: ?La Lecon Francaise“.
9. Dezember 2020,
abgerufen am 19. September 2023
.
- ↑
Deutscher Jazzpreis.
Initiative Musik,
abgerufen am 4. Juni 2021
.