Carl Gustav Jacob Jacobi
, eigentlich
Jacques Simon Jacobi
(*
10. Dezember
1804
in
Potsdam
; †
18. Februar
1851
in
Berlin
), war ein preußischer
Mathematiker
.
Carl Gustav Jacob Jacobi entstammte einer wohlhabenden judischen Bankiersfamilie aus Berlin und war ein drei Jahre jungerer Bruder von
Moritz Hermann von Jacobi
. Er hatte einen jungeren Bruder Eduard, der das vaterliche Bankgeschaft ubernahm, und eine Schwester Therese. Sein Vater Simon (1772?1832) stammte aus
Beelitz
und war Bankier (Geldwechsler) und Vorstandsmitglied der judischen Gemeinde in Potsdam, seine Mutter Rachel (1774?1848) war eine geborene Lehmann. Er hieß zunachst Jacques Simon Jacobi und nannte sich Carl Gustav Jacob nach dem Ubertritt zum evangelisch christlichen Glauben, den er im ersten Studiensemester 1821 in Berlin vollzog.
[1]
[2]
In den ersten Jahren wurde er von einem Onkel mutterlicherseits unterrichtet.
[3]
Seine Begabung fur die
Mathematik
, aber auch fur Sprachen, zeigte sich schon fruh. Zwischen 1816 und 1821 besuchte er das
Gymnasium zu Potsdam
. In dieser Zeit lernte er die Mathematik hauptsachlich durch das Selbststudium der Literatur, zum Beispiel der
Introductio in analysin infinitorum
von
Leonhard Euler
. Aufgrund seiner uberragenden Leistungen wurde er sofort in die oberste Klasse aufgenommen und erlangte schon mit 13 Jahren die Hochschulreife. Da die Berliner Universitat jedoch keine Studenten unter 16 Jahren aufnahm, blieb Jacobi fur vier Jahre in derselben Schulklasse und nutzte die Zeit, sich mit fortgeschrittener mathematischer Literatur zu beschaftigten.
[3]
1821 nahm er das Studium an der
Berliner Universitat
auf. Er schwankte lange zwischen klassischer Philologie, in der er die Vorlesungen von
August Boeckh
besuchte, und Mathematik und besuchte auch die Philosophie-Vorlesungen von
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
und horte Geschichtsvorlesungen. Mathematik lernte er in erster Linie im Selbststudium (z. B. Euler,
Lagrange
,
Laplace
), da die damaligen Professoren der Berliner Universitat nach Jacobis Worten nur mittelmaßige Mathematiker waren.
[4]
1824 legte er das Oberlehrerexamen in Latein, Griechisch und Mathematik ab. 1825 folgte seine Promotion bei
Enno Dirksen
(
Disquisitiones Analyticae de Fractionibus Simplicibus
)
[5]
, wobei Hegel in der Prufungskommission saß. Die Habilitation (mit einer Antrittsvorlesung uber Differentialgeometrie) erfolgte im Wintersemester 1825/26.
[6]
1826 bis 1843 wirkte er an der
Universitat Konigsberg
, wohin er auf eigenen Wunsch versetzt wurde, da er dort bessere Karrierechancen sah. Er reformierte dort mit der Grundung eines mathematisch-physikalischen Seminars den universitaren Unterricht. Neben Jacobi wirkten der Astronom
Friedrich Wilhelm Bessel
(mit dem er spater in Briefwechsel stand) und der Physiker
Franz Ernst Neumann
, mit dem er sich befreundete, in Konigsberg und sie machten die Universitat zu einem Anziehungspunkt fur Mathematiker und Physiker. Die Einrichtung von Forschungsseminaren in der Mathematik war damals neu (aber in der klassischen Philologie vorher gebrauchlich) und wirkte beispielhaft in Deutschland. Auch in seinen Vorlesungen beschritt er meist neue Wege und stellte eigene Forschungen dar. Ab 1827 war er dort außerordentlicher und ab 1829 ordentlicher Professor. Das war nicht zuletzt seinen erfolgreichen Forschungen uber elliptische Funktionen zu verdanken, die in Wettbewerb zu
Niels Henrik Abels
Arbeit entstanden, der 1829 fruhzeitig verstarb und ebenfalls enge Verbindungen zum Verleger
August Crelle
hatte, dem Herausgeber des
Journals fur die reine und angewandte Mathematik
(
Crelles Journal
), in dem die meisten Arbeiten von Jacobi (und Abel) erschienen. 1829 besuchte er
Carl Friedrich Gauß
in Gottingen (den er schon 1827 brieflich kontaktiert hatte
[7]
) und
Adrien-Marie Legendre
, mit dem er schon vorher ab 1827 in Briefwechsel vor allem zu elliptischen Funktionen gestanden hatte,
Joseph Fourier
und
Simeon Denis Poisson
sowie andere Mathematiker in Paris. 1842 vertrat er Preußen mit Bessel auf dem Treffen der
British Association for the Advancement of Science
in
Manchester
und besuchte erneut Paris, wo er einen Vortrag vor der
Academie des sciences
hielt.
1843 gab er seine Vorlesungen aus gesundheitlichen Grunden auf (er litt an
Diabetes
) und erhielt durch Vermittlung von seinem Freund
Peter Gustav Lejeune Dirichlet
und
Alexander von Humboldt
eine Zuwendung des preußischen Staates (
Friedrich Wilhelm IV.
), um in Italien zu kurieren. Mit seinem Schuler Borchardt und Dirichlet besuchte er
Lucca
und war 1843/44 in
Rom
, wo damals auch die Mathematiker
Ludwig Schlafli
und
Jakob Steiner
waren.
Er ubersiedelte danach nach Berlin als ordentliches Mitglied der
Preußischen Akademie der Wissenschaften
,
[8]
erhielt eine Aufstockung seines Gehalts wegen der hoheren Lebenshaltungskosten in der Hauptstadt und seiner Arzte-Kosten und hielt, wenn auch nicht in dem Umfang wie in Konigsberg, Vorlesungen an der Universitat, wozu er als Akademiemitglied berechtigt war.
1849 kam er in finanzielle Note, als er wegen seiner liberalen politischen Einstellung in der
Revolution 1848
(an der er auf republikanischer Seite beteiligt war) beim preußischen Staat in Ungnade fiel (eine von Jacobi angestrebte Anstellung an der Universitat wurde abgelehnt, die Aufstockung seines Gehalts 1849 annulliert), was wie bei
Gotthold Eisenstein
durch
Alexander von Humboldt
gemildert wurde. Hinzu kam, dass die vaterliche Bank einige Jahre zuvor bankrottgegangen war. Er musste seine Familie 1848 in das billigere
Gotha
schicken. Ein Ruf an die Universitat Wien verbesserte 1850 seine Lage gegenuber dem preußischen Staat (man furchtete den Prestigeverlust durch seinen Weggang), seine Familie blieb aber zunachst in Gotha, da der alteste Sohn
Leonard Jacobi
kurz vor dem Abitur stand.
Jacobi war auch auswartiges Mitglied der
Royal Society
,
[9]
Ehrenmitglied (
Honorary Fellow
) der
Royal Society of Edinburgh
[10]
und der
Akademie in St. Petersburg
[11]
sowie seit 1830 korrespondierendes Mitglied der Academie des sciences in Paris (seit 1846
associe etranger
).
[12]
1840 wurde Jacobi zum auswartigen Mitglied der
Gottinger Akademie der Wissenschaften
[13]
und 1850 in die
American Academy of Arts and Sciences
gewahlt.
Carl Gustav Jacob Jacobi starb 1851 im Alter von 46 Jahren in Berlin an den Folgen einer
Pockeninfektion
, nachdem er kurz zuvor eine Grippe uberstanden hatte. Sein Grab befindet sich auf dem
Dreifaltigkeitsfriedhof I
in
Berlin-Kreuzberg
. Als Grabmarkierung dient ein gesockeltes Eisenkreuz.
[14]
Auf Beschluss des
Berliner Senats
ist die letzte Ruhestatte von Carl Gustav Jacob Jacobi (Grablage DV2-SA-1T) seit 1980 als
Ehrengrab des Landes Berlin
gewidmet. Die Widmung wurde im Jahr 2001 um die inzwischen ubliche Frist von zwanzig Jahren verlangert.
[15]
Jacobi heiratete am 11. September 1831 in
Konigsberg
(Ostpreußen) Marie (eigentlich: Maria) Schwinck (11.11.1807 Konigsberg ? 15.07.1902
Cannstatt
)
[16]
. Marie Schwincks Vater war ein ehemals wohlhabender Kommerzienrat, hatte aber zum Zeitpunkt der Heirat sein Vermogen durch Spekulation verloren.
[17]
Aus dieser Ehe gingen folgende Kinder
[18]
hervor:
- Simon
Leonhard
(auch: Leonard)
Jacobi (1832?1900), Jurist ? Margarete
Lucy
Smith (* 1837)
- George
Nicolas
Jacobi (1834?1846)
- Jacob
Adrian
Jacobi (1837?1865), Ingenieur
- August
Anton
Carl Jacobi (1838?1866), studierte ?Bergfach“ und war als Huttenverwalter
[19]
in
Ohrdruf
tatig. Er starb als Unteroffizier
[20]
bei der Schlacht von Podol in Bohmen im
Deutschen Krieg
- Clara
Margarethe
Jacobi
(1840?1910), war als Erzieherin und Ubersetzerin tatig und ubersetzte als Erste die
Sherlock-Holmes
-Romane ins Deutsche
- Charlotte Auguste
Susanne
Jacobi (1842?1892), arbeitete als Zeichenlehrerin an der
Hoheren Tochterschule Cannstatt
[21]
und gab der spateren Malerin
Johanna Koch
Privatunterricht
[22]
- Marie Elisabeth
Gertrud
Jacobi (1845?1909), widmete sich ebenfalls wie ihre Schwestern dem Erziehungsfach
- Stephan
Lejeune
Jacobi (1847?1872), Techniker
Derzeit sind keine Enkelkinder bekannt.
Man zahlt Jacobi zu den produktivsten und vielseitigsten Mathematikern der Geschichte. Die originellste seiner Schopfungen ist wohl seine Theorie der
elliptischen Funktionen
, die er 1829 in seiner Schrift
Fundamenta nova theoriae functionum ellipticarum
veroffentlichte.
[6]
Gleichzeitig und unabhangig von Abel fuhrte er die Umkehrfunktionen zu den schon von Euler und anderen untersuchten elliptischen Integralen ein, die er elliptische Funktionen nannte. Sie waren zweifach periodische komplexe Funktionen. Genial waren auch seine Arbeiten zu den vierfach periodischen Funktionen (sogenannte hyperelliptische Integrale oder
Abelsche Integrale
). Er gab auch spater eine Formulierung der Theorie elliptischer Funktionen mit
Thetafunktionen
. Seine Untersuchungen zur
Kreisteilung
und deren Anwendung auf die
Zahlentheorie
(Theorie der quadratischen, kubischen und bikubischen Reste inklusive Reziprozitatsgesetz fur kubische Reste) entstanden in Anschluss an
Carl Friedrich Gauß
und dessen
Disquisitiones arithmeticae
und dessen Abhandlung uber biquadratische Reste. Ein geplantes Buch uber Zahlentheorie wurde nicht vollendet. In der Algebra befasste er sich systematisch mit Determinanten. Jacobi war nicht nur ein Meister in der Manipulation komplizierter Formeln, sondern auch ein hervorragender Kopfrechner und veroffentlichte zahlentheoretische Tafeln. Er arbeitete auch mit dem Kopfrechner
Johann Martin Dase
zusammen.
Jacobis Untersuchungen zur
Differentialgeometrie
(Flachen zweiten Grades, unter anderem
Geodaten
auf einem
Ellipsoid
), zu den
partiellen Differentialgleichungen
und zur
Variationsrechnung
(u. a. seine Theorie konjugierter Punkte) machen ihn zu einem Wegbereiter der
mathematischen Physik
, zum Beispiel in der
Hamilton-Jacobi-Theorie
der klassischen Mechanik. Jacobi befasst sich in Anschluss an
William Rowan Hamilton
, dessen
On a general method in dynamics
er 1834 oder Anfang 1835 las, mit Analytischer Mechanik, was gleichzeitig der Beginn seiner Beschaftigung mit angewandter Mathematik war. Grundsatzlich war er ein Vertreter der reinen Mathematik, wie er in seiner Antrittsrede zum Eintritt in die philosophische Fakultat in Konigsberg 1832 darlegte (und schon in einer seiner Thesenschriften zur Doktorprufung 1825). Sie war fur ihn Modell fur andere Wissenschaften und bedurfte keinerlei Legitimation durch Philosophie oder Naturwissenschaften.
Er untersuchte Gleichgewichtsfiguren rotierender Flussigkeiten, die schon
Colin MacLaurin
und andere untersucht hatten, und fand neue Losungen (ein Ellipsoid mit drei ungleichen Achsen).
Auch als Lehrer war Jacobi eine uberragende Personlichkeit. Er wurde von seinen Schulern als ?
Euler
des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet, obwohl er lediglich 25 Jahre forschend tatig war. Zu seinen Schulern gehoren
Karl Wilhelm Borchardt
,
Friedrich Julius Richelot
,
Otto Hesse
,
Johann Georg Rosenhain
,
Wilhelm Scheibner
(1826?1908),
Philipp Ludwig von Seidel
,
Eduard Heine
.
Nach ihm benannt sind die
Jacobi-Matrix
, der
Satz von Jacobi
, die
Jacobi-Polynome
, das
Jacobi-Verfahren
, das
Jacobi-Verfahren fur Eigenwerte
, die
Jacobi-Identitat
, das
Jacobi-Symbol
, das
Jacobifeld
, und der
Jacobi-Perron-Algorithmus
als mehrdimensionale Verallgemeinerung des
euklidischen Algorithmus
.
Er entwarf einen Plan der Gesamtausgabe der Werke von Leonhard Euler, die aber erst spater realisiert wurde. Er korrespondierte daruber mit Paul-Heinrich Fuß, einem Nachkommen von Euler und Sekretar der Akademie in Sankt Petersburg. Weitere Beitrage zur Mathematikgeschichte waren u. a. ein Vortrag uber
Rene Descartes
1846 in der
Sing-Akademie zu Berlin
und Beitrage uber antike griechische Mathematiker zu Alexander von Humboldts Kosmos. Bei seinem Aufenthalt in Rom studierte er Manuskripte von
Diophantos von Alexandria
in der Vatikanbibliothek.
Er stand mit
Adrien-Marie Legendre
in Briefwechsel.
[23]
Der nach ihm benannte Jacob-Jacobi-Preis
[24]
des Leibniz-Kolleg der
Universitat Potsdam
wird bis heute verliehen.
Nach ihm sind der
Mondkrater
Jacobi
sowie der
Asteroid
(12040) Jacobi
benannt.
- Fundamenta nova theoriae functionum ellipticarum.
Konigsberg, Borntrager 1829.
- Gesammelte Werke.
7 Bande (Hrsg.
Karl Wilhelm Borchardt
,
Alfred Clebsch
,
Karl Weierstraß
), auf Veranlassung der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin, Reimer 1881 bis 1891, Nachdruck 1969.
- Band 1, 1881 (mit der Gedachtnisrede von Dirichlet und der Fundamenta Nova und anderen Arbeiten zu elliptischen Funktionen, Hrsg. Borchardt).
- Band 2, 1882 (Hrsg. Weierstraß, ebenfalls elliptische und Abelsche Funktionen).
- Band 3, 1884 (Hrsg. Weierstraß, Algebra, Funktionaldeterminante).
- Band 4, 1886 (Hrsg. Weierstraß, Partielle Differentialgleichungen, Mechanik).
- Band 5, 1890 (Hrsg. Weierstraß, Partielle Differentialgleichungen, Mechanik aus dem Nachlass).
- Band 6, 1891 (Hrsg. Weierstraß, Bestimmte Integrale, Reihen, Zahlentheorie).
- Band 7, 1891 (Hrsg. Weierstraß, Geometrie, Astronomie, Mathematikgeschichte).
- Canon arithmeticus sive tabulae quibus exhibentur pro singulis numeris primis vel primorum potestatibus infra 1000 numeri ad datos indices et indices ad datos numeros pertinentes.
Berlin, Akad. Wiss., 1839. Neuausgabe hrsg. von
Heinrich Brandt
. Berlin, Akademie Verlag 1956 (nicht in den Gesammelten Werken).
- Vorlesungen uber Dynamik von C.G.J. Jacobi, nebst funf hinterlassenen Abhandlungen desselben, herausgegeben von A. Clebsch.
Berlin, Reimer 1866, 2. Auflage 1884 als Supplementband der Gesammelten Werke.
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