Camp des Milles

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Karte: Frankreich
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Camp des Milles
Karte
Les Milles (A) und das Camp des Milles (B)

Das Camp des Milles war seit 1939 ein Internierungslager in Les Milles , einem Ortsteil von Aix-en-Provence ( Departement Bouches-du-Rhone ) in Sudfrankreich. Es war zugleich Zentrum einer Galaxie von Internierungsorten, die sich uber Bouches-du-Rhone und uber das Departement Alpes-de-Haute-Provence (Basses-Alpes) verteilten. [1]

Geschichte des Lagers [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Lagergebaude
Gedenkstatte: Viehtransporter zum Abtransport von Juden in die deutschen Konzentrationslager

Das Internierungslager entstand in einer alten Ziegelei. Nach Kriegsbeginn kamen bereits Anfang September 1939 die ersten Haftlinge , deutsche und osterreichische, aber auch osteuropaische Juden und Intellektuelle, die vor Hitler oder Stalin gefluchtet waren, und in Frankreich jetzt als ?etrangers indesirables“ ( unerwunschte Auslander ) galten, nach Les Milles. Anfang November 1939 befanden sich etwa 1.500 Gefangene im Lager; im Marz 1940 waren es nach Freilassungen nur noch 140.

Im Juni 1940 marschierten die Deutschen in Frankreich ein ( Westfeldzug, Fall Rot ). Deutsche und Osterreicher wurden interniert. Auch ehemalige Spanienkampfer kamen jetzt aus anderen Lagern hierher. Mitte Juni lebten 3.000 Gefangene unter katastrophalen Bedingungen im Lager. Nach dem kapitulationsahnlichen Waffenstillstand von Compiegne am 22. Juni 1940 versuchte der Kommandant des Lagers 2.010 Gefangene vor den Deutschen in Sicherheit zu bringen. Er schickte sie in einem Zug nach Bayonne , wo ein Schiff auf sie wartete. Wahrend der Fahrt verbreitete sich das Gerucht, dass 2000 deutsche Soldaten nach Bayonne unterwegs seien, woraufhin einige Fluchtlinge versuchten auf eigene Faust davonzukommen, was wenigen auch gelang.

Am 30. September 1940 meldete Ernst Kundt fur das Lager diese Zahl: ?Internierte: 152, darunter 55 Arier“ (die ubrigen waren demnach Juden gemaß Hans Globkes Definition) an das Auswartige Amt in Berlin, das in die Deportationsvorbereitungen einbezogen war. 1942 wurden dann 2.000 Menschen von hier aus nach Auschwitz deportiert.

Nach der Kapitulation Frankreichs wurde das in der ?Freien Zone“ gelegene Lager zunehmend als Deportationslager verwendet. Die ersten Gefangenen im umfunktionierten Lager waren Juden aus Baden , die Ende Oktober 1940 in der Wagner-Burckel-Aktion hierher deportiert wurden und angeblich ? entsprechend dem Madagaskarplan ? abgeschoben werden sollten. Doch daraus wurde nichts, und nach der Wannseekonferenz wurden von Les Milles aus Juden in Vernichtungslager deportiert. Das Vichy-Regime verpflichtete sich den deutschen Besatzern gegenuber, alle von diesen namentlich angeforderten Gefangenen auszuliefern. Das Vichy-Regime hatte Nazi-Deutschland zugesichert, 10.000 auslandische ? zumeist deutsche und osterreichische ? Juden auszuliefern. Das geschah im August und September 1942. Obwohl das die Besatzer gar nicht verlangt hatten, schlossen die franzosischen Behorden auch Kinder ein ? weil sie sich spater nicht um Waisen kummern wollten. Von Les Milles aus nahmen funf Zuge mit insgesamt 2.000 Juden den Weg uber das Sammellager Drancy (bei Paris) ins Vernichtungslager Auschwitz .

Von September 1943 bis August 1944 unterhielt die Kriegsmarine in Les Milles ein Marinelazarett . Nach Kriegsende nutzten US-Truppen das Gelande als Materiallager. 1946 wurde die Ziegelei den Eigentumern, einer Unternehmerfamilie aus Marseille, zuruckgegeben. Angesichts des großen Bedarfs an Baumaterial fur die Beseitigung der Kriegsschaden wurde hier die Produktion von Ziegelsteinen und Dachziegeln wieder aufgenommen.

Staatsprasident Macron besuchte am 5. Dezember 2022 das Lager. Er wurdigte die Gedenkstatte und sagte, das Lager sei ?kein Unfall der Geschichte“ gewesen, sondern die Folge der Erosion der demokratischen Werte. Das Lager sei ein Ort ?der Verbrechen des franzosischen Staates“ gewesen. [2]

Die Wandbilder [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Unter den Lagerinsassen befanden sich 40 Maler, darunter einige der großten Maler des 20. Jahrhunderts wie Max Ernst , Anton Raderscheidt und Wols . 1940/41 entstanden die inzwischen weit uber Frankreich hinaus bekannten Wandmalereien in Les Milles. Einer der Deportierten und in Auschwitz Ermordeten war Karl Robert Bodek , 1905 geboren in Czernowitz , einer der Kunstler, die die Wandbilder geschaffen haben. Die Wandbilder sind in der Gedenkstatte erhalten. [3]

Bekannte Internierte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Zu den bekanntesten Gefangenen , unter denen sich Juden , Kommunisten , Intellektuelle und Kunstler befanden, zahlen:

Gedenkstatte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Als die technisch veraltete Ziegelei 1983 abgerissen werden sollte, schlugen Historiker der Universitat Aix-en-Provence , die sich als einzige fur die Geschichte des Lagers interessierten, vor, im einzigen noch vollstandig erhaltenen Lager aus jener Zeit eine Gedenkstatte einzurichten. Der damalige sozialistische Kulturminister Jack Lang setzte das Lager daraufhin auf die Denkmalschutz-Liste. Erst 2002 fiel die Entscheidung fur eine Gedenkstatte im ehemaligen Lager, und bis zu dessen Fertigstellung vergingen noch einmal zehn Jahre. Mit Geldern des Staates und privater Stiftungen wurde das Gelande gekauft und der Stiftung Les Milles zur Verfugung gestellt. Die Eroffnung des Memorials fand am 10. September 2012 durch den franzosischen Premierminister Jean-Marc Ayrault statt, genau 70 Jahre, nachdem am 10. September 1942 von dort der letzte von funf Zugen mit insgesamt 2.000 Juden nach Auschwitz abgefahren war. [4]

Gedenkstein

Film [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ein Teil der Geschichte des Camps des Milles ist Gegenstand des 1994 in Frankreich produzierten Films Les Milles. Gefangen im Lager . Die Regie fuhrte Sebastien Grall , das Buch schrieben Jean-Claude Grumberg und Sebastien Grall. Die Darsteller sind unter anderen Jean-Pierre Marielle , Ticky Holgado , Rudiger Vogler , Bruno Raffaeli , Philippe Noiret , Kristin Scott Thomas , Francois Perrot , Eric Petitjean , Jean-Marie Winling und Rafael Walentowicz .

Der Film schildert vor allem eine spektakulare Rettungsaktion fur einen Teil der Internierten. Ein Zug sollte am 22. Juni 1940 Hunderte von ihnen ? darunter viele prominente Deutsche ? in nur zwei Tagen an die Atlantikkuste transportieren, von wo aus sie ein Schiff in die Freiheit bringen sollte.

?Bezeichnenderweise stellt der Film aber weniger die Schicksale dieser beruhmten Deutschen in den Mittelpunkt, als vielmehr die in das Geschehen in und um das Lager involvierten franzosischen Militars, insbesondere den Kommandanten und die Offiziere, die den Zug begleiten. Gerade weil in Sudfrankreich das allgemeine Hassgefuhl gegenuber Deutschen damals so gross war, wirken deren Taten und deren Zwiespalt zwischen Befehlsgehorsam und eigenem Gewissen besonders nachhaltig. Dem Film gelingt es somit bisweilen auch, die Politik und Scheinheiligkeit des mit Nazideutschland kollaborierenden Vichy-Regimes effektvoll zu kritisieren.“

? Thomas Messerli : Held mit Zug. ?Les Milles ? Gefangen im Lager“ von Sebastien Grall [5]

Die Zugfahrt, deren ursprungliches Ziel Bayonne sein sollte, wurde zu einer mehrtagigen Irrfahrt durch den Suden Frankreichs vor dem Hintergrund der Waffenstillstandsverhandlungen in Compiegne. In deren Folge gehorte Bayonne zum von den Deutschen okkupierten Teil Frankreichs, wahrend der Ausgangspunkt der Reise, Les Milles, im unbesetzten Teil Frankreichs verblieb. ? Nimes war die Endstation des so genannten Gespensterzuges. Dort wurden alle Haftlinge ausgeladen und mussten einen Fußmarsch zum etwa zwanzig Kilometer entfernten Lager Saint-Nicolas antreten, den die Kranken und Erschopften kaum mehr bewaltigen konnten.“ [6]

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Angelika Gausmann: Deutschsprachige bildende Kunstler im Internierungs- und Deportationslager Les Milles von 1939 bis 1942. Mollmann, Paderborn 1997, ISBN 3-931156-17-6 .
  • Doris Obschernitzki: Letzte Hoffnung: Ausreise. Die Ziegelei von Les Milles 1939?1942: Vom Lager fur unerwunschte Auslander zum Deportationszentrum. Hentrich & Hentrich, Berlin 1999, ISBN 3-933471-06-0 .
  • Ralf Nestmeyer : Provence und Cote d’Azur. Literarische Reisebilder aus dem Midi. Klett-Cotta , Stuttgart 2005, ISBN 3-608-93654-8 (darin ein ausfuhrliches Kapitel zu Les Milles).
  • Edwin Maria Landau und Samuel Schmitt (Hrsg.): Lager in Frankreich. Uberlebende und ihre Freunde. Zeugnisse der Emigration, Internierung und Deportation. v. Brandt, Mannheim 1991, ISBN 3-926260-15-7 ; darin insbes.: Andre Fontaine: Aus den Protokollen uber die Forschungen zu Les Milles. S. 35?53; mit bes., einzelnen Darstellungen der Wandgemalde.
  • Lion Feuchtwanger : Unholdes Frankreich. El libro libre , Mexiko 1942.
    • weitere Aufl. udT: Der Teufel in Frankreich. haufige Aufl., z. B. Aufbau, Berlin 2000, ISBN 3-7466-5018-6 (Erlebnisse in Les Milles 1940, wahrend die deutsche Front sich im Norden auf das Land zubewegt).
  • Alfred Kantorowicz: Exil in Frankreich. Merkwurdigkeiten und Denkwurdigkeiten , Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-596-25957-6 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Camp des Milles  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Fondation du Camp des Milles: LE CAMP DES MILLES ET SES "SATELLITES"
  2. Michaela Wiegel : Macron spricht von Verbrechen des franzosischen Staates (faz.net vom 5. Dezember 2022, FAZ)
  3. Kate Deimling: Das Camp des Milles als Museum: Ehemaliges Lager von Hans Bellmer und Max Ernst in Frankreich eroffnet ( Memento vom 11. Juli 2014 im Internet Archive ), blouinartinfo.com, abgerufen am 21. Oktober 2013
  4. Aliette de Broqua: Ayrault au memorial du camp des Milles , in: Le Figaro , 10. September 2012, abgerufen am 21. Oktober 2013
  5. Online auf nahaufnahmen.ch
  6. Josephine Raderscheidt: Anton Raderscheidt: Les Milles . Bei dem in dem Zitat erwahnten Lager Saint-Nicolas handelt es sich vermutlich um den gleichnamigen Teil des Camps des Garrigues . (Siehe: fr:Camp des Garrigues )
  7. AJPN ? Anonymes, Justes et Persecutes durant la periode Nazie dans les communes de France (Namenlose, Gerechte und Verfolgte wahrend der NS-Zeit in den Gemeinden Frankreichs)