Der Begriff
Casaropapismus
(von
caesar
, ?
Kaiser
“, und
papa
, ?
Papst
“) bezeichnet eine Gesellschaftsform, in welcher der weltliche Herrscher zugleich Oberhaupt der
Kirche
bzw. oberster
Richter
in
theologischen
und
dogmatischen
Fragen ist oder in der das
Staatsoberhaupt
zwar nicht direkt die weltliche und geistliche Macht in sich vereint, aber die Kirche den staatlichen Instanzen untergeordnet ist. Am haufigsten wird der Ausdruck fur die Zeit des
byzantinischen Reiches
verwendet (allerdings fast ausschließlich in der alteren Forschung). Besser vertretbar ist seine Verwendung zum Beispiel fur
England
unter
Heinrich VIII.
oder fur das
Russland
in der Zeit von
Peter dem Großen
bis zur
Februarrevolution 1917
. De facto bestand auch im
Heiligen Romischen Reich
unter den
Ottonen
eine Art Casaropapismus, da der Papst von den Kaisern willkurlich eingesetzt wurde.
Casaropapismus ist eine Form des
Staatskirchentums
, das es aber auch in vielen anderen Auspragungen gibt. Als dem Casaropapismus entgegengesetzte Ordnungsprinzipien sind einerseits die Unterordnung der Staatsgewalt unter die Kirche (
Papocasarismus
, z. B. im
Kirchenstaat
) und andererseits der Gedanke der
Trennung von Religion und Staat
(
Zwei-Schwerter-Theorie
im Mittelalter,
Laizismus
in der Neuzeit) zu begreifen.
Die Identitat von weltlicher und religioser Herrschaft hat es historisch in verschiedenen Kulturen und Religionen gegeben. Nicht immer allerdings ist unter Gelehrten unstrittig, wie weit diese Vermengung jeweils ging und ob der Begriff Casaropapismus wirklich anwendbar ist: Eine vollstandige oder teilweise Kontrolle der Priesterschaft durch die weltliche Obrigkeit hat es insgesamt seltener gegeben, als es die altere Forschung annahm.
Die Pharaonen im
Alten Agypten
waren nicht nur Konige, sondern zugleich auch die irdische Manifestation einer Gottheit. Das Ausmaß, in dem die Pharaonen die Priester kontrollieren konnten, schwankte aber im Verlaufe der langen agyptischen Geschichte sehr stark. Und ob bereits die Existenz einer gottlichen Verehrung des Herrschers, wie es sie auch im
Hellenismus
und unter den romischen Kaisern gab (
Herrscherkult
), mit Casaropapismus gleichgesetzt werden kann, ist sehr fraglich.
Die persischen
Großkonige
nahmen zwar gottliche Vorfahren fur sich in Anspruch, galten aber als Menschen und standen formal nicht an der Spitze der Priesterschaft. Dies galt sowohl fur die
Achaimeniden
wie auch fur die
Parther
und
Sassaniden
; zumindest unter Letzteren kam es zudem wiederholt zu Konflikten zwischen dem Herrscher und den
zoroastrischen
Priestern. Konigtum und Priesterschaft galten als Zwillinge, die ohneeinander nicht existieren konnten. Vor allem die altere Forschung ging daher von der Existenz einer zoroastrischen ?Staatskirche“ zumindest unter den Sassaniden aus; inzwischen halt man die gegenseitige Beeinflussung und Abhangigkeit aber zumeist fur geringer: Normalerweise mussten die Großkonige, die viele Religionen im Reich duldeten, kaum Rucksicht auf die zoroastrischen Priester nehmen, wahrend umgekehrt der
mobadan mobad
, der zoroastrische Hohepriester, in religiosen Fragen weitgehend souveran entscheiden konnte. Trotz der engen Beziehungen zwischen Konigtum und Religion gab es im alten Iran demnach keinen Casaropapismus.
Die
aztekischen
Hochkonige fuhrten wie die agyptischen Pharaonen ihre Abstammung auf die Gotter zuruck. Ob diese religiose Legitimation ihrer Herrschaft auch zu einer faktischen Kontrolle der Priester fuhrte, ist unklar.
Seit
Augustus
war der romische Kaiser als
pontifex maximus
auch der oberste Priester. Damit oblag ihm die Oberaufsicht uber den Staatskult, und er durfte im Namen der
res publica
mit den Gottern kommunizieren.
Das
Romische Reich
erhob, bei sonstiger relativer Liberalitat in Religionsfragen, zunehmend einen Anspruch auf die gottgleiche Verehrung des Kaisers (wobei man bedenken muss, dass dieser ?Gott“ nicht als allwissend, allmachtig und
transzendent
verstanden wurde, sondern eher als ?Ubermensch“). Eine Verweigerung dieses
Kaiserkults
(z. B. durch Christen) wurde hart geahndet
(siehe
Christenverfolgungen im Romischen Reich
)
.
Durch das
Toleranzedikt von Mailand
313 wurde das Christentum von der verfolgten zur tolerierten ? und im Laufe der Zeit schließlich zur privilegierten ? Religion. Kaiser
Konstantin der Große
favorisierte Christen unter seinen Hofbeamten, was unter den ubrigen Beamten zu zahlreichen Bekehrungen fuhrte. Obwohl die Kaiser seit
Gratian
nicht mehr den Titel
pontifex maximus
fuhrten, beanspruchten sie auch als Christen oft eine Verfugungsgewalt auch uber die Kirche, da diese ihnen ihre Privilegien verdankte.
392 verbot
Theodosius I.
jeden heidnischen Kult bei Todesstrafe und machte damit das
orthodoxe Christentum
faktisch zur Staatsreligion. Damit wurde der Kaiser jedoch nicht zum Oberhaupt der Kirche, sein Einfluss auf die Kirche war vorerst begrenzt: Schon 390 zwang der Bischof
Ambrosius von Mailand
Theodosius I. unter Drohung der
Exkommunikation
zur offentlichen Reue und Buße fur das
Massaker von Thessaloniki
: ?Der Kaiser ist in der Kirche, nicht uber der Kirche.“ Es wurden allerdings auch andere Positionen vertreten ? die
Donatisten
gingen davon aus, der Kaiser habe mit der Kirche nichts zu schaffen,
Optatus von Mileve
hingegen stellte fest, die Kirche sei dem Reich und daher dem Kaiser untergeordnet. Dieser Konflikt blieb im Abendland uber Jahrhunderte ungelost.
Das Arrangement mit der Macht fuhrte bei zahlreichen Kirchenoberen zu einer Erhohung von Wohlstand und weltlichem Einfluss, man entfernte sich vom urchristlichen Liebes- und Armutsgebot. Viele Glaubige und auch einige Theologen (z. B.
Gregor von Nazianz
in seinen Predigten in Konstantinopel) sahen das als Korrumpierbarkeit und moralischen Niedergang an. Aus Protest dagegen wuchsen asketische Bewegungen wie
Einsiedlertum
und
Monchtum
. Diese Bewegungen erschwerten es den Kaisern, die ihre Herrschaft nun immer starker durch Bezug auf das Christentum legitimierten, zusatzlich, die Kirche in ihrem Sinne zu kontrollieren.
Da die Kaiser des Westens seit dem
4. Jahrhundert
zumeist nicht mehr in Rom residierten, konnten sich die dortigen Bischofe immer weiter emanzipieren. Im politisch immer schwacher werdenden
Westromischen Reich
wurde 476 der letzte Kaiser vom germanischen Heerfuhrer
Odoaker
abgesetzt, und in der Folgezeit entwickelte sich das Papsttum: Spatestens seit Gregor dem Großen hatte der romische Bischof eine so stark uber die anderen Bischofe hinausgehobene Stellung erreicht, dass man ihn als Papst bezeichnen kann. Derweil wurde der ostromisch-byzantinische Kaiser in Konstantinopel immer mehr zur kirchlichen Autoritat; zunachst weniger in theologischer Hinsicht als in organisatorischer. So wurden etwa die ersten
Okumenischen Konzile
und eine ganze Reihe lokaler Synoden jeweils vom Kaiser einberufen.
Kaiser
Theodosius II.
stand dem
Konzil
von Konstantinopel (448) als
archiereus basileus
(?hohepriesterlicher Konig“) vor, Kaiser
Markian
(451) als
sacerdos imperator
(?Priesterkaiser“). Das Amt des
Patriarchen
blieb allerdings immer bestehen und wurde nie von den Kaisern selbst bekleidet. Da die Herrscher aber seit Theodosius I. in Konstantinopel residierten, konnte sich der dortige Patriarch nicht so sehr emanzipieren wie der romische Bischof.
Zunehmend beanspruchten die
spatantiken
Kaiser fur sich eine Art ?
Gottesgnadentum
“. Unter dem theologisch interessierten
Justinian I.
(527?565), der auch selbst einige bis heute gebrauchliche
liturgische
Gesange verfasst haben soll, schloss die Herrschaft des Kaisers uber die Kirche dann nicht mehr nur organisatorische Fragen, sondern auch Dogmen ein. Man sprach von der
symphonia
von Staat und Kirche. In mittelbyzantinischer Zeit wurden die Verbindungen zwischen Kaiser und Kirche noch enger. Seit 602 wurde der Herrscher in einer Kirche gekront, nicht mehr im
Hippodrom
oder im Palast.
Dennoch ist es problematisch, fur Ostrom/Byzanz von Casaropapismus zu sprechen: Wie der
byzantinische Bilderstreit
oder die unpopulare Unterwerfung des Kaisers unter den Papst auf dem
Konzil von Basel
zeigen, konnten kaiserliche Dogmenentscheide in der Kirche auch so massiven Widerstand hervorrufen, dass sie nicht durchsetzbar waren und schließlich aufgehoben wurden. Immer wieder haben machtige Patriarchen ? oder christliche Volksmassen ? in kirchlichen Dingen unabhangig vom Kaiser und teilweise auch gegen ihn agiert. Aus diesem Grund hat die neuere Forschung ganz uberwiegend davon Abstand genommen, fur Byzanz von Casaropapismus zu sprechen (auch wenn diese Ansicht in alteren Arbeiten sehr weit verbreitet gewesen war): Der ostromisch-byzantinische Kaiser stand nicht an der Spitze der Kirche und hatte diese auch nie vollstandig unter Kontrolle.
Im
16. Jahrhundert
wurde faktisch eine Art Casaropapismus von Zar
Iwan IV.
in Russland eingefuhrt, wo er als Prinzip bis zur Revolution in Kraft blieb.
Peter I.
steigerte die Abhangigkeit weit uber das byzantinische Maß (s. o.) hinaus, indem er das Patriarchat von Moskau abschaffte und stattdessen einen ihm vollstandig horigen
Heiligen Synod
einsetzte, der nach dem Vorbild der
protestantischen
Staatskirchen Westeuropas in der Art eines staatlichen Ministeriums arbeitete. Das Patriarchat wurde erst 1917 wiederhergestellt. Auch als Folge des russischen Casaropapismus besteht bis heute in vielen
orthodoxen Kirchen
eine enge Beziehung zwischen Kirche und Staat (siehe hierzu auch
Klerikalismus
).
In der
katholischen Kirche
konnte es nicht zum Casaropapismus kommen, da dem weltlichen Herrscher der Papst gegenuberstand. Es gab zwar Streitigkeiten mit verschiedenen Landern bezuglich des Rechts der
Investitur
und bezuglich der Steuerhoheit und daruber, ob der geistliche uber dem weltlichen Herrscher steht oder nicht ? aber es kam nie zu einer Situation, in der ein weltlicher Herrscher in theologischen Fragen uber dem Papst stand. Die umgekehrte Situation, dass der Papst uber dem weltlichen Herrscher stand, trat
de facto
ebenfalls nicht ein ? obwohl
de jure
ebendies von vielen Papsten behauptet wurde. Im Kirchenstaat war allerdings der geistliche und der weltliche Herrscher identisch, und die
Furstbischofe
ubten in ihrem Herrschaftsbereich weltliche wie auch geistliche Macht aus; als
Kurfursten
wirkten einige von ihnen auch direkt auf die Kaiserwahl ein.
Nachdem
Martin Luther
in der hoheren kirchlichen Hierarchie auf heftige Ablehnung seiner Lehre stieß, wandte er sich stattdessen an die weltliche Hierarchie in Gestalt der deutschen Landesfursten und anderem Adel; viele von ihnen waren seinen Ideen gegenuber aufgeschlossener. Im Ergebnis entstand das so genannte
landesherrliche Kirchenregiment
, in dem ein evangelischer Landesfurst zugleich Bischof seiner Kirche war. Dieser Zustand dauerte in Deutschland im Wesentlichen bis 1918 an (vgl.
Staatskirchenrecht
).
Eine andere Auspragung von Casaropapismus entstand in England, als sich
Heinrich VIII.
anstelle des Papstes zum Oberhaupt der Kirche ernannte und auch bestimmend eingriff. Dies hatte jedoch schon mit seiner Tochter
Elisabeth I.
ein Ende, die sich strikt weigerte, in theologischen Fragen mitzureden. Der englische Konig ist allerdings bis heute offiziell das Oberhaupt der
Church of England
.
- Gilbert Dagron:
Emperor and Priest. The Imperial Office in Byzantium.
Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2003,
ISBN 0-521-80123-0
(
Past and Present Publications
).