Bronisław Malinowski

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Bronisław Malinowski, um 1930

Bronisław Kasper Malinowski (* 7. April 1884 in Krakau , Osterreich-Ungarn ; † 16. Mai 1942 in New Haven , USA ) war ein polnischer Sozialanthropologe . Aus einer polnischen Adelsfamilie stammend, spater in England lebend, gilt er heute als einer der Begrunder des britischen Funktionalismus . Zeit seines Lebens befand er sich in einem wissenschaftlichen Wettstreit mit seinem ?Rivalen“ Alfred Radcliffe-Brown . Sein Einfluss auf die nordamerikanische Kulturanthropologie und auf die soziologische Theorie der Institution ( Helmut Schelsky ) in Deutschland war bedeutend.

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Bronisław Malinowski auf den Trobriand-Inseln, 1918

Bronisław Malinowski war ein Sohn des Krakauer Linguisten Lucjan Malinowski . Als er dreizehn Jahre alt war, starb sein Vater. Er empfing in seiner Jugend starke Einflusse von Ernst Mach , einem naturwissenschaftlich orientierten Philosophen , und von der Linguistik .

1902 begann er das Studium der Philosophie an der Jagiellonen-Universitat in Krakau . Seine Doktorarbeit von 1906 beschaftigte sich mit der Okonomie des Denkens im Anschluss an Ernst Mach. Im Jahr 1908 erlangte Malinowski seinen Studienabschluss in Mathematik , Physik und Philosophie an der Jagiellonen-Universitat mit dem Pradikat Sub auspiciis Imperatoris [1] . Von 1908 bis 1910 studierte er drei Semester an der Universitat Leipzig und dann von 1910 bis 1914 Anthropologie an der London School of Economics (LSE). Er war ein Schuler von C. G. Seligman . Den Kriegsausbruch erlebte er in Melbourne , wo er gerade an einer Konferenz teilnahm. Zwar wurde er als osterreichisch-ungarischer Staatsburger dank seiner guten Beziehungen nicht interniert, er konnte aber auch nicht nach Europa zuruckkehren. Schließlich erhielt er von der australischen Regierung die Genehmigung fur seine Feldforschung, und Seligman beschaffte ihm zudem ausreichend finanzielle Mittel (Stipendien und eine Zuwendung einer Stiftung des Industriellen Robert Mond), die er fur einen langeren Aufenthalt benotigte.

So organisierte er Forschungsexpeditionen und hielt sich 1915 sechs Monate auf Mailu auf, einer kleinen Insel vor der Sudkuste im Osten Neuguineas. 1915/16 und 1917/18 besuchte er die Trobriand-Inseln , wo er intensive Feldforschungen durchfuhrte, von denen er zeitlebens zehrte. Wahrend seiner Zeit in Australien lernte Malinowski die schottische Professorentochter Elsie Rosaline Masson kennen, die er 1919 heiratete. Ab 1920 war er mit seiner Frau haufig auf Reisen und lebte ab 1923 in Sudtirol, bevor er 1929 nach London ubersiedelte.

Von 1922 bis 1938 lehrte er selbst an der LSE, ab 1927 als Inhaber eines Lehrstuhls fur Anthropologie. Seine wichtigsten Schuler waren Audrey Richards , Edward E. Evans-Pritchard , Talcott Parsons , Sir Raymond Firth , Phyllis Kaberry , Isaac Schapera , Hilda Kuper und Monica Wilson . Jomo Kenyatta schrieb bei ihm seine Magisterarbeit, die 1938 unter dem Titel Facing Mount Kenya mit einem Vorwort von Malinowski veroffentlicht wurde. Den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erlebte er in den USA, wo er sich haufig aufhielt. Er kehrte nicht nach Europa zuruck, sondern ubernahm eine Professur an der Yale University .

Seit 1933 war er auswartiges Mitglied der Koniglich Niederlandischen Akademie der Wissenschaften (KNAW). [2]

Malinowski war ein extrovertierter Mensch und liebte den Rummel, der um seine Person gemacht wurde. Sein Werk Argonauten des westlichen Pazifik wurde weit außerhalb der Grenzen der Fachkreise der Ethnologie zum Bestseller .

Werk [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Malinowski trennte klar zwischen Social Anthropology und History . Seiner Ansicht nach durfe ein kulturelles Phanomen in der Gegenwart nicht aus der Geschichte heraus erklart werden, sondern musse anhand seiner heutigen Funktion fur die betreffende Kultur erklarbar sein. Er setzte sich auch mit der damals sehr popularen Psychoanalyse um Sigmund Freud auseinander. Insbesondere uberprufte Malinowski jene Thesen, die Freud in seinem Werk Totem und Tabu vorgebracht hatte. Wie Margaret Mead nach ihm, verwies er auf die interkulturellen Unterschiede von sexuellen und anderen wichtigen sozialen Beziehungen (Eltern-Kind-Beziehungen etc.) und warnte davor, Freuds Erkenntnisse auf außereuropaische Kulturen zu projizieren.

Er gilt als ?Vater der Feldforschung “, wie sie heute zum Kernstuck der empirischen Arbeit der Anthropologie geworden ist. Malinowski propagierte Feldforschungsaufenthalte mit engem Kontakt zu den Informanten uber einen langen Zeitraum hinweg. Feldforschung hieß fur ihn teilnehmende Beobachtung : Der Forscher teilt uber einen langeren Zeitraum das Alltagsleben und die Arbeit mit den von ihm erforschten Menschen und beobachtet diese dabei. Eine wichtige Forderung der teilnehmenden Methode war es außerdem, ?dass man sich aus dem Umgang mit anderen Weißen herauslost und in moglichst engem Kontakt mit den Eingeborenen bleibt.“ [3]

Dass es tatsachlich Malinowski war, der als erster die ?teilnehmende Beobachtung“ praktizierte, was ihm den Ruf des ?Begrunders der modernen Sozioanthropologie“ einbrachte, [4] wird mit Verweis auf Franz Boas bezweifelt. Raymond Firth schreibt im Vorwort zum Tagebuch, dass Malinowski nach zwei Wochen festgestellt hatte, dass er die Leute zu wenig beobachtete und deren Sprache nicht sprach. Beide Nachteile versuchte er mit energischem Einsatz zu uberwinden.

Heftig reagierte Malinowski auf die Tatigkeit der Missionare, deren meist tendenziose Aufzeichnungen lange Zeit eine der wichtigsten Quellen fur die Ethnologie waren. Er sah die Ethnologie stattdessen dazu berufen, die Kultur der Einheimischen in ihrer Ursprunglichkeit zu bewahren, womit er zugleich seine eigenen romantischen Motive offenbarte.

Argonauten des westlichen Pazifik [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Das 1922 erschienene Buch Argonauten des westlichen Pazifik gilt als Hauptwerk Malinowskis. Es beginnt mit einer Einleitung uber die Methode der Feldforschung, dann folgen eine geographische Beschreibung der Trobriand-Inseln und eine Erzahlung uber seine Ankunft auf der Insel.

In weiteren Kapiteln beschreibt er detailliert das Phanomen des Kula-Tausches , das er bei den gartenbauenden Trobriandern entdeckt hatte. Im Schlussteil des Buches erortert er Sinn und Funktion von Kula fur die Trobriander. Besonderen Wert legt er darauf, das Phanomen aus sich selbst und aus Sicht der Trobriander heraus zu erklaren und nicht dem Eurozentrismus ?gewisser anderer Forscher“ (er bezieht sich dabei auf Alfred Radcliffe-Brown ) zu verfallen.

Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Gedenktafel am Haus Waldweg 3 in Oberbozen

In seinem zweiten wichtigen Werk uber die Trobriander, dem 1929 erschienenen Buch Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest- Melanesien , beschreibt Malinowski detailliert die soziale Organisation der Sexualitat, das heißt unter anderem soziale Riten, Partnerwahl und Sexualverhalten der Trobriander.

Er zeigt sich beeindruckt davon, dass die Sexualitat nicht ? wie in Mitteleuropa ? verdrangt werde, sondern zum Alltag der Menschen gehore. So standen beispielsweise den Jugendlichen so genannte Jugendhauser zur Verfugung, wo sie ihre Sexualitat spielend ausprobieren konnten. Dies wurde von der gesamten Gemeinschaft gefordert und als wichtiger Schritt zum Erwachsenwerden betrachtet. Er vergleicht seine Beobachtungen mit Sigmund Freuds Vorstellungen zur Entwicklung der Sexualitat.

In weiteren Kapiteln geht er auf die Eltern-Kind-Beziehungen bei den Trobriandern ein und beschreibt detailliert deren komplexe matrilineare Verwandtschaftsstruktur, in der die biologische Vaterschaft ignoriert wurde und dafur der Mutterbruder (Onkel mutterlicherseits) eine ?vaterliche“ Beziehung (einhergehend mit einer ganzen Reihe von Verpflichtungen) zu den Kindern seiner Schwester einging.

Veroffentlichungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • 1913: The Family Among the Australian Aborigines
  • 1915: Wierzenia pierwotne i formy ustroju społecznego. Pogl?d na genez? religii ze szczegolnym uwzgl?dnieniem totemizmu . (Primitive Glaubensweisen und Formen des Gesellschaftssystems. Ausblick auf die Entstehung der Religion mit besonderer Berucksichtigung des Totemismus)
  • 1922: Argonauts of the Western Pacific. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea. Dutton, New York 1922. ( Internet Archive ).
    • Deutsche Ausgabe: Argonauten des westlichen Pazifik. Ein Bericht uber Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea. Syndikat, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-8108-0087-2 . (Ubersetzer: Heinrich Ludwig Herdt. Herausgeber: Fritz Kramer ).
  • 1924: Mutterrechtliche Familie und Odipus-Komplex. Eine psychoanalytische Studie . Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig 1924. ( Internet Archive ).
  • 1926: Crime and Custom in Savage Society.
    • Deutsche Ausgabe: Sitte und Verbrechen bei den Naturvolkern . Francke, Wien 1950. (Ubersetzer: H. Schwarz.)
  • 1927: The Father in Primitive Psychology .
  • 1927: Sex and Repression in Savage Society . (dt.: Geschlecht und Verdrangung in primitiven Gesellschaften . Hamburg 1962)
  • 1930: Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien. Liebe / Ehe und Familienleben bei den Eingeborenen der Trobriand-Inseln / Britisch-Neu-Guinea; eine ethnographische Darstellung. Grethlein, Leipzig/ Zurich 1930. [5] [6]
  • 1935: Coral Gardens and Their Magic. A Study of the Methods of Tilling the Soil and of Agricultural Rites in the Trobriand Islands (Korallengarten und ihre Magie. Bodenbestellung u. bauerl. Riten auf d. Trobriand-Inseln) ISBN 3-8108-0172-0
  • 1944: A Scientific Theory of Culture . dt.: Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Aufsatze . Pan-Verlag, Zurich 1949; Neuausgabe: Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1975, ISBN 978-3-5182-7704-1 .
  • 1967: A Diary in the Strict Sense of the Term . dt.: Ein Tagebuch im strikten Sinne des Wortes: Neuguinea 1914?1918 , Frankfurt am Main: Syndikat, 1986
  • Magie, Wissenschaft und Religion und andere Schriften dt. 1973, 1983.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Timothy Raison (Hrsg.): The Founding Fathers of Social Science . Scolar Press, London 1979, ISBN 0-85967-458-4 .
  • Giulio Angioni : Tre saggi sull'antropologia dell'eta coloniale . Flaccovio, Palermo 1972.
  • Wolfgang Marschall (Hrsg.): Klassiker der Kulturanthropologie: von Montaigne bis Margaret Mead . C.H. Beck, Munchen 1990, ISBN 3-406-40740-4 .
  • Peter Marwedel: Funktionalismus und Herrschaft: die Entwicklung eines Theorie-Konzepts von Malinowski zu Luhmann . Pahl-Rugenstein, Koln 1976, ISBN 3-7609-0199-9 .
  • Daniela Salvucci, Elisabeth Tauber, Dorothy L. Zinn: Von Ozeanien nach Oberbozen. Bronislaw Malinowski, der Vater der modernen Ethnographie. In: Geschichte und Region / Storia e regione , Jg. 31 (2022), Heft 1.
  • Guido Sprenger: Erotik und Kultur in Melanesien ? Eine kritische Analyse von Malinowskis 'The Sexual Life of Savages' . LIT, Hamburg 1997 (Interethnische Beziehungen und Kulturwandel; 27), ISBN 3-8258-3326-7 .
  • Fritz Stolz: Bronislaw Kaspar Malinowski (1884?1942) . In: Axel Michaels (Hrsg.): Klassiker der Religionswissenschaft. Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade , C. H. Beck, Munchen 1997, 3. Auflage 2010, ISBN 978-3-406-61204-6 , S. 247?263.
  • Michael Young: Malinowski: Odyssey of an Anthropologist, 1884?1920 . Yale University Press, New Haven 2004, ISBN 0-300-10294-1 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Bronisław Kasper Malinowski  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Bronisław Malinowski  ? Quellen und Volltexte

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. der Text des Antrags in englischer Ubersetzung: Roy F. Ellen, Malinowski between two worlds: the Polish roots of an anthropological tradition , Cambridge University Press 1989, ISBN 0-521-34566-9 [1] .
  2. Past Members: B.K. Malinowski. Koniglich Niederlandische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 15. Juni 2023 .
  3. Bronislaw Malinowski: Ethnology and the Study of Society . In: Economica . Nr.   6 , Oktober 1922, ISSN   0013-0427 , S.   208 , doi : 10.2307/2548314 .
  4. Ruth Ayaß: Bronislaw Malinowski: Argonauts of the Western Pacific. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea, London: Routledge 1922, 527 S. (dt. Argonauten des westlichen Pazifik. Ein Bericht uber Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea, Frankfurt: Syndikat 1979, 585 S.) . In: Klassiker der Sozialwissenschaften . Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2016, ISBN 978-3-658-13212-5 , S.   96?99 , doi : 10.1007/978-3-658-13213-2_21 .
  5. Text online.
  6. PDF-Datei.