Bei der
Blindleistungskompensation
(
BLK
), auch
Blindstromkompensation
genannt, wird in
Wechselspannungsnetzen
die unerwunschte
Verschiebungsblindleistung
und der damit verbundene
Blindstrom
von
elektrischen Verbrauchern
reduziert. Fast immer sind die Verbraucher (z. B. Elektromotoren) mehrheitlich induktiv, weshalb mit Kondensatoren kompensiert wird.
Blindleistung
und der dazu notige
Blindstrom
werden zur Erzeugung elektrostatischer oder
elektromagnetischer Felder
benotigt. Da sich diese Felder im Takt der Wechselspannung kontinuierlich auf- und wieder abbauen, pendelt die Energie kontinuierlich zwischen Erzeuger und elektrischem Verbraucher. Diese kann nicht genutzt, bzw. nicht in eine andere
Energieform
umgewandelt werden. Diese Leistung belastet elektrische Leitungen, auf denen der Blindstrom zusatzlich zum Wirkstrom transportiert werden muss, und die
Generatoren
, in denen die Blindleistung erzeugt wird. Nicht nahe dem Verursacher kompensierte Blindleistung bedingt damit zentrale Blindleistungskompensationsanlagen.
Auch Stromleitungen verursachen Blindleistung, wobei dieser Effekt bei Freileitungen gering ist, bei
Erdkabeln
und
Seekabeln
fallen sie aufgrund der hoheren
Kapazitat
jedoch schnell ins Gewicht.
[1]
Stromzahler
fur Kleinkunden berechnen nur die Wirkenergie. Ab einem bestimmten Verbrauch, wie beispielsweise bei großeren Gewerbekunden und Industriekunden, wird im Rahmen der
registrierenden Leistungsmessung
auch die Blindleistung verrechnet. Um diese Kosten zu minimieren werden
Blindleistungskompensationsanlagen
moglichst in der Nahe der Blindleistungserzeuger installiert, welche den Blindleistungsbedarf laufend messen und bedarfsmaßig zur
Kompensation
induktive oder kapazitive
Blindwiderstande
hinzuschalten. In der Praxis werden in kompakten Blindleistungskompensationsanlagen nur die induktiven Blindanteile, welche beispielsweise durch induktive Verbraucher wie elektrische Motoren verursacht werden, durch kapazitive Blindwiderstande in Form einer
Kondensatorbatterie
kompensiert. Dabei wird die induktive Blindleistung von der Kompensationsanlage zu ca. 95 % kompensiert. Wurde man die induktive Blindleistung vollstandig kompensieren, kann es durch Lastschwankungen zu einer Uberkompensation in den kapazitiven Bereich kommen. Kapazitive Blindleistung ist im großeren Rahmen mit Uberspannungen und regeltechnischen Schwierigkeiten im Stromnetz verbunden, weshalb sie vermieden wird.
Elektrische Verbraucher im Niederspannungsnetz sind meist
ohmsch-induktiv
, d. h., die Verbraucher benotigen ein magnetisches Feld und beziehen dafur Blindleistung. Eine Blindleistungskompensation erfordert das Parallelschalten von
Kapazitaten
, die Blindleistung liefern. Eine Reihenschaltung mit dem Verbrauchsmittel ist nicht ratsam, da so ein
Reihenschwingkreis
entstehen wurde, der nahe seiner
Resonanzfrequenz
einen Blindstrom-Kurzschluss ergibt.
Das gilt jedoch nicht fur Gerate mit bekannten Daten, wo eine exakte Kompensation moglich ist (Beispiel:
Duoschaltung
bei Leuchtstoffrohren).
Die folgende Betrachtung bezieht sich auf sinusformige Spannung und auf Verbrauchsmittel mit sinusformiger und daher
oberschwingungsfreier
Stromaufnahme. Durch die Kompensationsanlage pendelt der Blindstrom zum großen Teil nur zwischen Verbrauchsmittel und Kompensationsanlage. Das Versorgungsnetz wird entlastet; in nebenstehendem Diagramm ist der Zeiger fur
kurzer als fur
.
Die fur die Belastung des Versorgungsnetzes maßgebliche Große der
Scheinleistung
ist die
pythagoreische Summe
aus
Wirkleistung
und
Blindleistung
. Diese sind gemaß DIN 40 110-1 folgendermaßen miteinander verknupft:
Die Blindleistung des kompensierten Verbrauchers setzt sich aus der Blindleistung
der Induktivitaten und jener der Kapazitaten
zusammen.
Der induktive Blindstrom und der kapazitive Blindstrom sind um 180° in der Phase verschoben und haben somit entgegengesetzte Vorzeichen der Augenblickswerte. Entsprechend der Festlegung, dass fur induktive Verbraucher der
Phasenverschiebungswinkel
positiv ist, ist auch
positiv; umgekehrt sind bei kapazitiven Verbrauchern
und
negativ. Durch im Vorzeichen richtige Addition ist die Gesamtblindleistung stets geringer als jeder der Betrage der einzelnen Blindleistungen.
Zur vollstandigen Kompensation des abgebildeten Netzwerks muss der Kondensator die Blindleistung fur das induktive Netzwerk liefern. Die Kompensationsbedingung dafur ist
. Mit der fur jeden passiven linearen Zweipol gultigen Blindleistungsformel
lautet die Bedingung
. Darin bezeichnen
und
den (positiven)
Scheinwiderstand
und den Phasenverschiebungswinkel des unkompensierten Zweipols. Die passende Kapazitat erhalt man durch Auflosen der Gleichung zu
- .
Mit diesem Kapazitatswert wirkt das Netzwerk rein ohmsch mit dem Eingangswiderstand
.
Der Blindleistungsanteil wird in der Regel auf einen
Leistungsfaktor
, der in diesem Fall gleich
ist, von etwa
- (induktiv)
kompensiert. Bei Motorenanlagen mit
Asynchronmaschinen
besteht ansonsten die Gefahr der Selbsterregung, wenn die Blindleistung vollstandig kompensiert wird. Bei Selbsterregung wird der Motor mit dem Abklemmen der Stromversorgung zum
Generator
, und es konnen gefahrliche Uberspannungen entstehen. Dieser Fall wird auch als Resonanzfall bezeichnet.
Bei gleicher Wirkleistung
belastet ein Verbraucher die Versorgungsleitung mit einer im Verhaltnis
verringerten Stromstarke, wenn seine Blindleistung gemaß dem Leistungsfaktor
kompensiert wird. Die Jouleschen Leitungsverluste gehen mit dem Quadrat dieses Verhaltnisses zuruck. Beispiel: Bei Erhohung des Leistungsfaktors von
auf
nehmen die genannten Verluste um 40 % ab.
Ein anderer Ansatz geht uber den Weg, die komplexe Verbraucherimpedanz
durch Hinzufugen einer
Reaktanz
rein reell zu machen, so dass
wird. Uber diese Bedingung lasst sich dann auch die Dimensionierung des entsprechenden Kompensationsbauteils in Form einer homogenen Gleichung errechnen.
Eine vollstandige Kompensation ist ferner aufgrund der schwankenden Belastung eines Verbrauchsmittels haufig nicht mit einfachen
Kondensatoren
oder
Spulen
durchfuhrbar. Fur diesen Zweck werden aktive Leistungsfaktorkorrekturglieder oder sog. ?Netzmanagementsysteme“ verwendet, die jederzeit die benotigte Menge Blindleistung zur Verfugung stellen.
In großeren Energienetzen, insbesondere in
vermaschten Verbundnetzen
, dient die Blindleistung auch dazu Leistungsflusse gezielt zu beeinflussen, um beispielsweise bestimmte Hochspannungsleitungen nicht zu uberlasten. Dazu werden unter anderem
Phasenschieber
, eine spezielle Bauform von
Synchronmaschine
, und
Phasenschiebertransformatoren
eingesetzt.
Kompensationsanlagen in einem Umspannwerk
Kondensatoranlage (MSCDN)
Eine weitere Moglichkeit ist der Einsatz von
statischen Blindleistungskompensatoren
nahe am induktiven Verbraucher oder Leitungsabschnitt. Dies sind Kombinationen aus Kapazitaten und Induktivitaten, die parallel zur zu kompensierenden Last bzw. zum zu kompensierenden Netzabschnitt angeordnet sind. Dabei wird durch
Thyristoren
der Stromfluss in den einzelnen Komponenten geregelt und somit der Grad der Blindleistungskompensation. Gegenuber dem rotierenden Phasenschieber hat dies den Vorteil, dass kein Verschleiß der Anlage stattfindet, außerdem ist durch einen statischen Kompensator ein dynamisches Regeln auf Lastschwankungen moglich.
Eine Erweiterung der statischen Blindleistungskompensatoren fur den Anwendungsbereich der Ubertragungsnetze stellt
Flexible-AC-Transmission-Systems
(FACTS) dar. Neben einer statischen Blindleistungskompensation bzw. Blindleistungserzeugung in Quer- und Langskompensation konnen damit auch gezielt Wirkleistungsflusse in Leitungen von elektrischen Energienetzen gesteuert werden. Dies sind unter anderem die
Unified-Power-Flow-Controller
(UPFC) und
Static Synchronous Compensator
(STATCOM), welche die Anlagen zur statischen Blindleistungskompensation komplett ersetzen konnen.
Obige Beziehungen gelten nur bei sinusformigem Verlauf der Spannungen und Strome, was im Allgemeinen nur bei linearen Netzwerken der Fall ist. Sind in einer Schaltung nichtlineare Bauteile wie beispielsweise
magnetisch sattigende
Induktivitaten oder
Netzteile
mit
Gleichrichtern
vorhanden, so wird der Strom verzerrt, d. h., er enthalt
Oberschwingungen
. Zusatzlich zur Blindleistung
der Grundschwingung tritt eine
Verzerrungsblindleistung
auf, welche die Blindleistungsanteile der Oberschwingungen zusammenfasst.
Die Blindleistungskompensation mittels parallel geschalteter Kompensationsfilter wie Kondensatoren ist nur bei
einer
Frequenz moglich, in der Regel bei der Frequenz der Grundschwingung wie der
Netzfrequenz
. Die Blindleistung der ubrigen Schwingungen wird dabei uber- oder unterkompensiert. Abhilfe bieten hierbei
Leistungsfaktorkorrekturfilter
, welche in Reihe mit dem nichtlinearen Verbraucher geschaltet werden und entweder die Oberschwingungen durch geeignete Filterstrukturen dampfen oder durch elektronische Schaltungen kunstlich einen sinusformigen, der Grundschwingung der Spannung entsprechenden Stromverlauf auf
Netzseite
nachbilden. Dadurch kann der Leistungsfaktor auf einen Wert nahe 1 gebracht werden.
- Strom- und Spannungsverlaufe bei Oberschwingungen
-
Deutlich nichtlinear verzerrter Stromverlauf (blau) bei einem Leistungsfaktor 0,75
-
Durch Leistungsfaktorkorrekturfilter auf einen Leistungsfaktor von 1 kompensiert
Die nebenstehende Parallelschaltung aus einem Widerstand und einem Kondensator ist am 230-V-
Stromnetz
angeschlossen, bei 50 Hz fließen die angegebenen Strome. Durch den Widerstand fließt 2,3 A Wirkstrom, durch den Blindstrom von 1,45 A muss die Anschlussleitung fur den Gesamtstrom von 2,72 A bemessen sein. Zur Wirkleistung von 529
W
kommt eine Blindleistung von 334
VAr
hinzu, die aussagt, wie viel Energie pro Zeit zwischen Generator und Kondensator pendelt und Leitungen und Trafos unnotig belastet.
Zur Kompensation dieser Blindleistung wird eine passend gewahlte
Induktivitat
von 0,5 H parallel zum Gerat geschaltet, deren Blindstrom ebenfalls 1,45 A betragt. Die Blindstrome von Kondensator und Spule kompensieren sich auf Grund ihrer entgegengesetzten Phasenlagen, und die gesamte Stromaufnahme sinkt auf 2,3 A. Die Parallelschaltung aus Spule und Kondensator stellt im Idealfall einen
Parallelschwingkreis
dar, der bei 50 Hz keinen Blindstrom vom Generator aufnimmt.
Wegen
sinkt die Verlustleistung in den Zuleitungen auf
des ursprunglichen Wertes.
Blindstrom verursacht ohmsche Verluste in Leitungen und Trafo. Die Verluste werden indirekt uber die Netznutzungsentgelte an die staatlich regulierten Netzbetreiber bezahlt (
§ 10
Stromnetzentgeltverordnung
).
Die Große des Trafos bestimmt die maximal entnehmbare Scheinleistung. Ist der Anteil der Blindleistung hoch, kann entsprechend weniger Wirkleistung entnommen werden. Eine Kompensationsanlage erspart so eine Erweiterung von Trafo und eventuell Leitungen.
Bei Großabnehmern (Sondervertragskunden) wird die Blindenergie zusatzlich gemessen und in der Stromrechnung berechnet. Es besteht deshalb ein monetarer Anreiz, den Leistungsfaktor innerhalb gewisser Grenzen (z. B.
) zu halten. Mit einer Blindstromkompensationsanlage entfallen im Idealfall diese Mehrkosten.
Bei Anwendung der Blindstromkompensation in einem Netz mit
Rundsteueranlage
kann der Einsatz von Tonfrequenzsperren notwendig werden, um ein
Abblocken
der Rundsteuersignale aus dem Netz durch die
Kompensationskondensatoren
zu verhindern. Hierzu werden die Kondensatoren mit kleinen Drosseln versehen, die bei Netzfrequenz nahezu unwirksam sind.
Der Generator moderner
Windkraftanlagen
(?Windrader“) oder typische Wechselrichter von Photovoltaikanlagen sind vom Stromnetz uber einen Gleichstromzwischenkreis vom Netz entkoppelt. So ist auch eine Regelung der
Phasenverschiebung
zwischen Spannung und Strom im eingespeisten Dreiphasenwechselstrom (Drehstrom) moglich. Diese Anlagen belasten das Netz nicht mehr mit
Blindleistung
, sie werden im Gegenteil sogar zur Blindleistungskompensation eingesetzt.
Bisher haben vor allem konventionelle Großkraftwerke Blindleistung mit einer kapazitiven Phasenverschiebung wahrend ihres Betriebs bereitgestellt.
Erneuerbare-Anlagen mussen nach derzeit geltenden Regelungen in Deutschland in Zeiten mit weniger als 10 % ihrer Wirkleistung keine Blindleistung liefern. Zur Spannungshaltung muss die notige Blindleistung also durch andere technische Anlagen kompensiert werden. Dabei konnten Photovoltaik-Freiflachenanlagen, wenn zum Beispiel nachts keine Sonne scheint, uber ihre Wechselrichter (meist kapazitive) Blindleistung bereitstellen. Moderne Windenergieanlagen seien technisch in der Lage, Blindleistung zur Verfugung zu stellen, auch wenn nur wenig oder kein Wind weht.
[2]
[3]
- Gunter Springer:
Fachkunde Elektrotechnik.
18. Auflage, Verlag - Europa - Lehrmittel, 1989,
ISBN 3-8085-3018-9
.
- Rene Flosdorff, Gunther Hilgarth:
Elektrische Energieverteilung.
9. Auflage, Verlag B. G. Teubner, 2005,
ISBN 3-519-36424-7
.
- Wolfgang Just, Wolfgang Hofmann:
Blindstrom-Kompensation in der Betriebspraxis.
4. Auflage, VDE-Verlag, 2003,
ISBN 3-8007-2651-3
.
- ↑
RP-Energie-Lexikon - Blindstrom, Blindleistung, Wirkstrom, Leistung, Scheinleistung, Energieverluste, Hochspannungsleitung, Erdkabel, Seekabel.
In:
energie-lexikon.info.
Abgerufen am 7. Marz 2021
.
- ↑
Warum Blindleistung wichtig und richtig ist - und mit SMA Technik kein Problem | SMA Solar.
Abgerufen am 18. April 2024
.
- ↑
Carsten Erbguth sagt:
50Hertz und Enertrag erproben Bereitstellung von Blindleistung durch erneuerbare Energien.
16. Juni 2023,
abgerufen am 18. April 2024
(deutsch).