Berufskrankheit

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Eine Berufskrankheit (fruher auch Gewerbekrankheit ) ist eine Gesundheitsschadigung, die durch berufliche Arbeit bedingt ist und zudem formal als Berufskrankheit anerkannt wurde. Typische Berufskrankheiten sind Larmschwerhorigkeit , Hautkrankheiten , Erkrankungen des Stutz- und Bewegungsapparats sowie Erkrankungen durch anorganische Staube ( Asbestose und Silikose ). Psychische Erschopfungszustande, wie das Burnout-Syndrom zahlen bislang nicht zu den Berufskrankheiten.

Verteilung der anerkannten Berufskrankheiten auf einzelne Krankheitsbilder und -ursachen, Deutschland 2005.
Verteilung der anerkannten Berufskrankheiten auf einzelne Krankheitsbilder und -ursachen, Osterreich 2005.

Beruflich bedingte Erkrankungen sind seit dem Altertum bekannt. Seeleute litten unter der Vitaminmangelkrankheit Skorbut , Arbeiter im Bergbau starben an der Staublungenkrankheit (z. B. der Silikose ). [1] Bereits Paracelsus hatte im 16. Jahrhundert zur Kenntnis der Gewerbekrankheiten beigetragen. Die erste Monographie uber Gewerbekrankheiten verfasste jedoch der italienische Arzt Bernardino Ramazzini 1700. [2]

Haufig war allerdings der Zusammenhang zwischen Arbeit und Krankheit nicht offensichtlich. Viele Berufskrankheiten entstehen allmahlich in lang andauernden, chronischen Prozessen und beruhen auf vielfaltigen, teilweise unbekannten Ursachen. [3] Neben beruflichen Einwirkungen spielen auch die individuelle Lebensfuhrung, die personliche Konstitution und Disposition und das Zusammenwirken von beruflichen und nichtberuflichen Faktoren eine Rolle. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen kommt es entscheidend darauf an, welche Ursache aus juristischer Sicht wesentlich zur Erkrankung beigetragen hat (so genannte Theorie von der wesentlichen Bedingung ). [4] Grund hierfur ist die Ausgestaltung der gesetzlichen Unfallversicherung als sog. kausales Sicherungssystem, bei dem ? im Gegensatz zu den ?finalen“ Sicherungssystemen ? nur solche Gesundheitsschaden entschadigt werden sollen, die auf eine bestimmte Ursache ? hier: eine Berufskrankheit ? zuruckgehen. [5] Die Unterscheidung von Arbeitsunfall und Berufskrankheit ergab sich in der fruhen Sozialrechtsprechung aus Entscheidungen des Reichsversicherungsamts, das bereits im Jahr 1887 entschied, dass nur zeitlich abgrenzbare Vorfalle als entschadigungsfahig im Sinn des Unfallversicherungsgesetzes von 1884 anzusehen seien, nicht dagegen die allmahlich entstehenden Berufskrankheiten. [6]

Bei einigen Krankheiten liegen zwischen schadigenden Einwirkungen und dem Krankheitsausbruch Latenzzeiten von Jahrzehnten. So betragt die mittlere Latenzzeit bei asbestbedingten Erkrankungen 38 Jahre. [7] Menschen, die in den 1950er Jahren mit Asbest gearbeitet haben, erkrankten in den 1990er Jahren. Nach einer derart langen Zeit ist es meist schwierig, den Zusammenhang zwischen der beruflichen Tatigkeit und der Erkrankung nachzuweisen. Zwar ermittelt der Unfallversicherungstrager ebenso wie das Sozialgericht den Sachverhalt von Amts wegen ( § 20 SGB X , § 103 SGG ). Dabei muss aber der Betroffene mitwirken, so dass man sagen kann, die Beweislast liege zumindest faktisch beim Erkrankten. [8] Je nach Rechtsordnung werden ihm jedoch Beweiserleichterungen eingeraumt oder bestimmte Kausalzusammenhange von Rechts wegen vermutet ( § 9 Abs. 3 SGB VII ). Gerade bei Erkrankungen, die mehrere (mogliche) Ursachen haben, konnen die Betroffenen aber leicht in Beweisnot geraten. [9] Das Bundessozialgericht hat 2023 festgestellt, dass eine PTBS bei Rettungssanitatern als Wie-Berufskrankheit anzusehen ist. Diese Entscheidung durfte gerade auch fur weitere Berufsbilder im Gesundheitswesen, der sozialen Arbeit und der rechtlichen Betreuung wegweisend sein. [10]

Die medizinisch-naturwissenschaftliche Komplexitat dieser beruflich bedingten Erkrankungen ist die Hauptursache dafur, dass viele dieser Erkrankungen lange Zeit im Schatten der Arbeitsunfalle standen. Erst im 20. Jahrhundert setzte sich allgemein die Erkenntnis durch, dass beruflich bedingte Krankheiten keine personliche Schicksalsschlage sind, sondern ebenso wie die Arbeitsunfalle Ergebnis einer besonderen, von der Arbeit ausgehenden Gefahrdung. Die beruflich bedingten Erkrankungen stellen heute ein Forschungsgebiet der Arbeitsmedizin dar.

Berufskrankheit ist ein Rechtsbegriff, und von Ausnahmen abgesehen, kein medizinischer Terminus [11] . Eine Erkrankung, die nach medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruflich bedingt ist, ist nicht zwangslaufig zugleich eine Berufskrankheit. Vielmehr muss das Krankheitsbild auch von der jeweiligen Rechtsordnung als Berufskrankheit anerkannt sein. Die Unterscheidung ist bedeutsam, da anerkannte Berufskrankheiten in Deutschland, Osterreich, der Schweiz und anderen Staaten durch die Sozialversicherung finanziell entschadigt werden. In den deutschsprachigen Landern ist die Berufskrankheit einer der Versicherungsfalle in der gesetzlichen Unfallversicherung .

In Deutschland, Osterreich und der Schweiz gilt das so genannte Listenprinzip: Anerkannte Berufskrankheiten sind in einer amtlichen Liste aufgezahlt, in Deutschland der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Nicht in der Liste gefuhrte Krankheiten gelten ? von Ausnahmen abgesehen ? nicht als Berufskrankheit. Die meisten EU-Mitgliedstaaten arbeiten vergleichbar. Das Bundesverfassungsgericht befand es als verfassungsmaßig, dass dieses Enumerationsprinzip Lucken im Schutz vor Berufskrankheiten bestehen lasst. [12]

Arbeitgeber sind im Rahmen ihrer Fursorgepflicht und durch Unfallverhutungsvorschriften verpflichtet, eine Gefahrdungsbeurteilung nach der Betriebssicherheitsverordnung vorzunehmen.

Eine Krankheit gilt juristisch als Berufskrankheit, wenn sie ihre Ursachen in der beruflichen Tatigkeit des Erkrankten liegen. Daher systematisiert man Berufskrankheiten meist nicht nach Auswirkungen, sondern nach Ursachen. Unterschieden werden

  • durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten, zum Beispiel Hauterkrankungen und Erkrankungen durch Metalle und Halbmetalle , Losungsmittel und Pestizide .
  • durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten, beispielsweise Wirbelsaulenerkrankungen durch Heben oder Tragen schwerer Lasten, Larmschwerhorigkeit, Erkrankungen durch Vibrationen , Druckluft oder durch Strahlung ( Schneeberger Krankheit )
  • durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten
  • Tropenkrankheiten , beispielsweise Malaria
  • Erkrankungen durch anorganische Staube, dazu gehoren durch Asbestfasern verursachte Krankheiten und die Silikose
  • Erkrankungen durch organische Staube

Seit 1990 existiert eine Europaische Liste [13] der Berufskrankheiten, die zuletzt 2003 aktualisiert wurde. Die Liste wurde von der Europaischen Kommission erstellt und richtet sich als Empfehlung an die Mitgliedstaaten der Europaischen Gemeinschaft. Sie gliedert sich in zwei Teile. Teil I zahlt die Krankheiten auf, die nach den Empfehlungen der EG-Kommission in den Nationalstaaten als Berufskrankheiten anerkannt werden sollen. Dazu gehoren unter anderem die Silikose, die Asbestose, Hautkrankheiten durch bestimmte Stoffe, Larmschwerhorigkeit und das Karpaltunnelsyndrom. In Teil II sind Erkrankungen aufgefuhrt, bei denen eine berufliche Verursachung vermutet wird und die deshalb moglicherweise zu einem spateren Zeitpunkt in Teil I aufgenommen werden sollen. Genannt werden unter anderem Krankheiten durch Ozon, Erkrankungen durch Hormonstoffe, Tropenkrankheiten sowie Bandscheibenschaden der Lendenwirbelsaule durch wiederholte vertikal wirkende Ganzkorper-Schwingbelastung.

Eine Untersuchung des Statistischen Amts der Europaischen Gemeinschaften (Eurostat) ergab, dass innerhalb der EG-Mitgliedstaaten Sehnenscheidenentzundungen der Hand und des Handgelenks sowie die Epicondylitis (?Tennisarm“) zahlenmaßig zu den haufigsten Berufskrankheiten gehoren. Ebenfalls von großer Bedeutung sind Hauterkrankungen und Larmschwerhorigkeit. Neben diesen haufigen, jedoch weniger schwer verlaufenden Berufskrankheiten verzeichnet Eurostat mehr als 2.500 Todesfalle durch chronisch obstruktive Lungenerkrankungen und Lungenemphyseme bei Bergleuten sowie mehr als 2400 Todesfalle im Zusammenhang mit Asbest. [14]

Der Pravention von Berufskrankheiten dient die seit 1989 gultige, zuletzt im Jahr 2003 geanderte Europaische Arbeitsschutz-Richtlinie, die Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit regelt. Sie bildet die Basis fur die nationale Arbeitsschutzgesetzgebung der EU-Mitgliedstaaten . [15]

Berufskrankheit als Versicherungsfall

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In Deutschland sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung in der Berufskrankheiten-Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung begrundenden Tatigkeit erleiden. [16]

In die Verordnung werden nur Krankheiten aufgenommen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen entstehen, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tatigkeit in erheblich hoherem Grade als die ubrige Bevolkerung ausgesetzt sind. [17] Diese Beschrankung grenzt Berufskrankheiten von Volkskrankheiten ab, welche jeden unabhangig von der jeweiligen Tatigkeit treffen konnen. Das Bundesministerium fur Arbeit und Soziales gibt Merkblatter fur die arztliche Untersuchung bei Berufskrankheiten heraus, die Gefahrenquellen , Krankheitsbilder und Diagnosen beschreiben.

Formular zur Anzeige einer Berufskrankheit.

In Deutschland sind Arzte und Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, mogliche Berufskrankheiten der Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse zu melden. Dazu dienen standardisierte Formulare. Betroffene konnen sich auch direkt an die Unfallversicherungstrager wenden, wenn sie meinen, an einer Berufskrankheit zu leiden.

Anerkennung als Berufskrankheit

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Die Entscheidung uber die Anerkennung einer Berufserkrankung ist Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung ( Berufsgenossenschaften , Gemeindeunfallversicherungsverbande, Ausfuhrungsbehorden des Bundes und der Lander u. a.). Anerkannte Berufskrankheiten sind Versicherungsfalle im Sinne des Unfallversicherungsrechts ( § 7 Abs. 1 SGB VII). Sie werden also grundsatzlich ebenso wie Arbeitsunfalle entschadigt. Rechtsgrundlagen sind das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) und die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31. Oktober 1997.

Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurde in etwa 5700 Fallen von COVID-19 -Infektionen im Gesundheitswesen als Berufskrankheit anerkannt. (Stand: Juli 2020) [18]

Einige Krankheiten gelten rechtlich nur als Berufskrankheit, wenn sie durch Tatigkeiten in bestimmten Gefahrdungsbereichen entstanden. [17] Dazu gehoren Infektionskrankheiten. Diese werden grundsatzlich nur als Berufskrankheiten anerkannt, wenn erkrankte Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Labor arbeiteten. [19]

Bis zum 31. Dezember 2020 mussten Betroffene fur die Anerkennung bestimmter Berufskrankheiten (schwere oder wiederholt ruckfallige Hautkrankheiten, [20] obstruktive Atemwegserkrankungen. [21] vibrationsbedingte Durchblutungsstorungen an den Handen [22] und Erkrankungen der Sehnenscheiden [23] sowie bandscheibenbedingte Erkrankungen der Hals- oder Lendenwirbelsaule [24] ) alle Tatigkeiten unterlassen, die fur die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursachlich waren oder sein konnen. Dies nannte man ?Unterlassungszwang“.

Das siebte Gesetz zur Anderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch [25] sieht nun den Wegfall des Unterlassungszwangs als Kriterium fur die Anerkennung von Berufskrankheiten vor. Ab 2021 konnen diese Erkrankungen auch als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn Betroffene ihre Tatigkeit nicht aufgaben. Die Unfallversicherungstrager haben Betroffenen, die weiter unter gefahrdenden Bedingungen arbeiten, individualpraventive Maßnahmen anzubieten.

?Wie-Berufskrankheiten“

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Nach deutschem Recht kann eine nicht in der Berufskrankheiten-Verordnung genannte Krankheit oder bei der die in der Verordnung genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, vom Unfallversicherungstrager ?wie eine Berufskrankheit“ anerkannt werden. Dies setzt voraus, dass die Krankheit nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen entsteht, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tatigkeit in erheblich hoherem Grade als die ubrige Bevolkerung ausgesetzt sind ( § 9 Abs. 2 SGB VII). Eine Krankheit, die wie eine Berufskrankheit anerkannt wird, obwohl sie formalrechtlich keine ist, wird als Wie-Berufskrankheit oder Quasi-Berufskrankheit bezeichnet.

Die Regelung zu Wie-Berufskrankheiten soll Nachteilen des sonst geltenden Listenprinzips entgegenwirken. Damit sollen Krankheiten wie Berufskrankheiten entschadigt werden, die nur deshalb nicht als Berufskrankheit gelten, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft uber die besondere Gefahrdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorlagen oder trotz Nachprufung noch nicht ausreichten. [26] Die Entscheidung, ob eine Erkrankung im Einzelfall einer Berufskrankheit gleichzustellen ist, trifft der jeweils zustandige Unfallversicherungstrager. Sie ist gerichtlich voll nachprufbar.

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 106.491 potenzielle Berufskrankheitenfalle angezeigt.

In 37.181 dieser Falle wurde das Vorliegen einer Berufskrankheit anerkannt und in 5.056 Fallen eine Rente gewahrt. Die Zahlen im Jahr 2020 stehen unter dem maßgeblichen Einfluss der COVID-19-Pandemie. Hier werden die Auswirkungen dieser Sondersituation deutlich erkennbar. Den deutlichen Ruckgangen im Unfallgeschehen stehen im Bereich der Berufskrankheiten starke Fallzahlanstiege gegenuber. [27]

In weiteren 15.775 Fallen wurde zwar die berufliche Verursachung der Erkrankung festgestellt, die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fur die Anerkennung als Berufskrankheit im juristischen Sinne waren jedoch nicht erfullt. Hierbei kann es sich z. B. bei Hauterkrankungen um die Aufgabe der gefahrdenden Tatigkeit handeln (Wegfall des Unterlassungszwangs ab 2021). Dennoch werden in diesen Fallen ggf. im Rahmen von § 3 BKV Leistungen zur Individualpravention bzw. zur medizinischen Rehabilitation erbracht. In 52.956 Fallen der im Jahr 2020 abgeschlossenen Feststellungsverfahren wurde die berufliche Verursachung der Erkrankung bestatigt. In den ubrigen 48.250 Fallen hat sich der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nicht bestatigt, weil entweder keine entsprechende Gefahrdung am Arbeitsplatz nachgewiesen oder kein Zusammenhang zwischen einer solchen Schadigung und der Erkrankung festgestellt werden konnte.

Im § 1 SGB VII nennt der Gesetzgeber bei den Aufgaben der Unfallversicherung an erster Stelle die Pravention , d. h. die Verhutung von Arbeitsunfallen und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln. Maßnahmen der Arbeitsgestaltung mussen bereits im Hinblick auf arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren getroffen werden ? nicht erst, wenn eine Berufskrankheit droht.

Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet jeden Arbeitgeber, Maßnahmen zur Verhutung von Unfallen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich der menschengerechten Gestaltung der Arbeit zu treffen.

Entwicklung des Berufskrankheitengeschehens in Osterreich 1975?2005.

Die Rechtslage in der Republik Osterreich weist Parallelen zum deutschen Recht auf: Als Berufskrankheiten gelten die in einer Anlage zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) vom 9. September 1955 bezeichneten Krankheiten. [28] Sie mussen durch Ausubung der die ?Versicherung begrundenden Beschaftigung“ in einem in der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sein ( § 177 Abs. 1 Satz 1 ASVG). Hautkrankheiten gelten nur dann als Berufskrankheit, wenn und solange sie zur Aufgabe schadigender Tatigkeiten zwingen (§ 177 Abs. 1 Satz 2 ASVG). Berufskrankheiten sind beispielsweise Erkrankungen infolge von Zeckenbissen bei Waldarbeitern.

Wie in Deutschland konnen in Osterreich nicht in der Liste enthaltene Krankheiten als Quasi-Berufskrankheit anerkannt werden. Belegen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, dass eine Krankheit nur oder uberwiegend durch die Verwendung schadigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Erkrankten ausgeubten Beschaftigung entstand, gilt sie als Berufskrankheit. Die Entscheidung trifft der zustandige Unfallversicherungstrager mit Zustimmung des Bundesministers fur Arbeit, Gesundheit und Soziales (§ 177 Abs. 2 ASVG).

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt erkannte im Jahr 2014 1229 Erkrankungen als Berufskrankheiten an, darunter 597 Falle von Larmschwerhorigkeit und 191 Hauterkrankungen. [29]

Das osterreichische Arbeitnehmerschutzgesetz (AschG) sieht eine Gefahrenevaluation mit dem Ziel der Pravention von Berufskrankheiten vor. Berufskrankheiten entstehen auf Grund von gesundheitsschadigenden Arbeitsbedingungen und Arbeitsstoffen im Betrieb. Wenn diese und die gefahrdeten Dienstnehmer erfasst und periodisch kontrolliert werden, konnen die Verantwortlichen das Risiko von gefahrlichen Krankheiten abschatzen und dagegen vorbeugen. Dazu gehoren die Untersuchung der Arbeitsbedingungen, die Untersuchung der gefahrdeten Arbeitnehmer sowie organisatorische, technische und personliche Schutzmaßnahmen im Betrieb.

In der Schweiz gelten solche Erkrankungen als Berufskrankheit, die bei der beruflichen Tatigkeit ausschließlich oder vorwiegend durch schadigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden sind. [30] Die schadigenden Stoffe und Arbeiten sowie die arbeitsbedingten Erkrankungen sind in einer Liste erfasst. Die Liste wird der Schweizer Regierung, dem Bundesrat , erstellt und als Anhang zur Verordnung uber die Unfallversicherung gefuhrt.

Neben den Listenkrankheiten gelten auch nicht in die Liste aufgenommene Erkrankungen als Berufskrankheiten, von denen nachgewiesen wird, dass sie nur oder stark uberwiegend durch die berufliche Tatigkeit bedingt sind. [31] Zu diesen Nicht-Listenkrankheiten gehoren insbesondere Erkrankungen des Bewegungsapparates, von denen im Jahr 2004 insgesamt 206 Falle als Berufskrankheiten anerkannt wurden. [32]

An die Annahme einer Berufskrankheit werden verhaltnismaßig strenge Anforderungen gestellt: Der Erkrankte muss fur gewisse Dauer einem typischen Berufsrisiko ausgesetzt gewesen sein. Eine einmalige gesundheitliche Schadigung, die wahrend jener Berufsausubung eintritt, genugt nicht. Bei den Listenkrankheiten muss der berufsbedingte Anteil an der Schadigung mindestens 50 Prozent betragen. Bei Nicht-Listenkrankheiten muss die Erkrankung mindestens zu 75 Prozent durch die berufliche Tatigkeit bedingt sein. [33]

Anerkannte Berufskrankheiten sind Berufsunfallen rechtlich gleichgestellt. [34] Einzelheiten sind im Bundesgesetz uber die Unfallversicherung (UVG) vom 20. Marz 1981 geregelt.

Die Statistik der Unfallversicherung der Schweiz weist fur das Jahr 2004 insgesamt 3597 neu anerkannte Berufskrankheitenfalle aus. Davon entfielen 1387 Falle auf Erkrankungen durch schadigende Stoffe und 1279 Falle auf Erkrankungen durch physikalische Einwirkungen. Zu den Berufskrankheitenfallen auf Grund physikalischer Einwirkung zahlten allein 696 Falle von ?Erheblichen Schadigungen des Gehors“ durch Arbeit im Larm. 931 Falle entfielen auf andere Erkrankungen, insbesondere auf Infektionskrankheiten. [32] Die Kosten der Berufskrankheitenfalle beliefen sich 2004 auf etwa 95 Mio. Schweizer Franken; [32] dies entsprach etwa 59 Mio. Euro.

Seit dem 1. Februar 2007 gilt die revidierte ASA-Richtlinie . Ziel ist, durch ein systematisches Vorgehen Unfalle und Berufskrankheiten zu verhindern und damit menschliches Leid, Ausfallstunden und Kosten zu vermeiden.

Das Krampfaderleiden (Varikosis) wird seit der Antike als gehauft bei bestimmten Berufen auftretend genannt. Abulkasim nannte diesbezuglich Ackerbauer und Eselstreiber, Avicenna auch Laufer, Wanderer, Lasttrager und Menschen, die zur Rechten des Herrschers stehen mussen. [35] In neuerer Zeit erkannte Paracelsus die Folgen der Quecksilbervergiftung als Gewerbekrankheit von Bergleuten. Das Berufskrankheitenwesen ist wie die Arbeitswelt selbst im standigen Wandel begriffen. In den 1950er Jahren dominierte beispielsweise die Silikose als typische Erkrankung der Bergleute das Berufskrankheitengeschehen. Mit dem Niedergang des Bergbaus gingen klassische Berufskrankheiten der Bergleute zuruck. Auch Erweiterungen der Berufskrankheitenliste, die bessere Vorbeugung, neue medizinische Erkenntnisse und Anderungen der Rechtsprechung nahmen Einfluss auf die Berufskrankheitenentwicklung. So stieg in den 1970er Jahren in Deutschland durch Rechtsanderungen die Zahl anerkannter Berufskrankheiten bei ?Larmschwerhorigkeit“ an. 1993 wurden bestimmte Wirbelsaulenerkrankungen in die deutsche Berufskrankheitenliste aufgenommen, was zu vielen Berufskrankheitenanzeigen durch Ruckenbeschwerden fuhrte. 1993 ging daher als das Jahr mit den meisten Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit in die bundesdeutsche Statistik ein. In den 1990er Jahren stiegen asbestbedingte Berufskrankheiten deutlich an ? durch den sorglosen Umgang mit Asbest in den 1960er und 1970er Jahren. Angesichts derartiger Unwagbarkeiten sind Vorhersagen zur kunftigen Berufskrankheitenentwicklung spekulativ.

2012 wurde in Frankreich die Parkinson-Krankheit als Berufskrankheit von Landwirten anerkannt, wenn sie mindestens zehn Jahre lang mit Pestiziden in Beruhrung gekommen sind. [36]

  • Georg Adelmann: Uber die Krankheiten der Kunstler und Handwerker nach den Tabellen des Instituts fur kranke Gesellen in Wurzburg von den Jahren 1786 bis 1802, nebst einigen allgemeinen Bemerkungen. Stahel, Wurzburg 1803.
  • Conrad Heinrich Fuchs : Ueber den Einfluß der verschiedenen Gewerbe auf den Gesundheitszustand und die Mortalitat der Kunstler und Handwerker in den Bluthejahren nach den Tabellen des Instituts fur kranke Gesellen zu Wurzburg 1786?1834. Ein Beitrag zur medicinischen Statistik. In: Wissenschaftliche Annalen der gesammten Heilkunde. Band 32, 1825, S. 385?419 (= Neue wissenschaftliche Annalen. 2).
  • Alfred Schonberger, Gerhard Mehrtens, Helmut Valentin: Arbeitsunfall und Berufskrankheit. 7. Auflage. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-503-07011-7 .
  • Detlev Jung, Klaus-Dieter Thomas: Berufskrankheitenrecht. Verlag Gentner, 2002, ISBN 3-87247-606-8 .
  • Franz H. Musch: Berufskrankheiten. 1. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2006, ISBN 3-8047-2187-7 .
  • Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.): Geschafts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften 2005. Sankt Augustin 2006, Geschafts- und Rechnungsergebnisse 2005 ( Memento vom 8. August 2007 im Internet Archive )
  • Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.): BK DOK 2008. Dokumentation des Berufskrankheiten-Geschehens in Deutschland. (PDF; 6,3 MB) 2010, ISBN 978-3-88383-857-1 .
  • Bundesministerium fur Arbeit und Soziales (Hrsg.): Bericht der Bundesregierung uber den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und uber das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2005. Berlin 2006, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2005
  • Ulf Steinberg, H.-J. Windberg: Heben und Tragen ohne Schaden . Hrsg.: BAuA . 6. unveranderte Auflage. Dortmund 2011, ISBN 978-3-88261-594-4 ( baua.de [PDF; 577   kB ; abgerufen am 26. Mai 2013] PDF; 577 kB ).
  • Ulf Steinberg, Gustav Caffier, Falk Liebers, Sylvia Behrendt: Ziehen und Schieben ohne Schaden . Hrsg.: BAuA . 4. unveranderte Auflage. Dortmund 2008, ISBN 978-3-88261-595-1 ( baua.de [PDF; 638   kB ; abgerufen am 26. Mai 2013] PDF; 638 kB ).
  • U. Steinberg, F. Liebers, A. Klußmann, Hj. Gebhardt, M. A. Rieger, S. Behrendt, U. Latza: Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse 2011 . Bericht uber die Erprobung, Validierung und Revision. Hrsg.: BAuA . 1. Auflage. Dortmund / Berlin / Dresden 2012, ISBN 978-3-88261-722-1 ( baua.de [PDF; 6,6   MB ; abgerufen am 26. Mai 2013] PDF; 6,6 MB ).
  • Christian Wolf, Gustav Schneider, Gabriele Gerstl-Fladerer (Hrsg.): Berufskrankheiten, Handbuch fur die rechtliche und medizinische Praxis. Verlag Jan Sramek, Wien 2012, ISBN 978-3-902638-68-7 .
  • Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (Hrsg.): Jahresbericht 2005. Wien 2006. Jahresbericht 2005 ( Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive )
Wiktionary: Berufskrankheit  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Sigrid Schmidt: Die Berufskrankheit Silikose im Wandel der Jahrtausende ? Krankheitsbild und Prophylaxe. ( Memento des Originals vom 7. Oktober 2013 im Internet Archive )   Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. @1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/www.steine-und-erden.net
  2. Paul Diepgen , Heinz Goerke : Aschoff /Diepgen/Goerke: Kurze Ubersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Gottingen/Heidelberg 1960, S. 22 und 25.
  3. Herbert Lauterbach (Hrsg.): Unfallversicherung. SGB VII. Kommentierung zu § 9 SGB VII, Randnummer 30. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2006.
  4. Peter Becker : Die wesentliche Bedingung ? aus juristischer Sicht. In: Med Sach. 103 3/2007, S. 92.
  5. Gerhard Igl , Felix Welti : Sozialrecht. 8. Auflage. 2007, § 2 Rn. 4.
  6. Zur Ablehnung der Entschadigung von Phosphornekrose in der Unfallversicherung durch das Reichsversicherungsamt vgl. Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914 , II. Abteilung: Von der Kaiserlichen Sozialbotschaft bis zu den Februarerlassen Wilhelms II. (1881-1890), 2. Band, Teil 2: Die Ausdehnungsgesetzgebung und die Praxis der Unfallversicherung, bearbeitet von Wolfgang Ayaß , Darmstadt 2001, Nr. 306.
  7. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.): Asbestverursachte Berufskrankheiten in Deutschland ? Entstehung und Prognose. Sankt Augustin 2003, ISBN 3-88383-646-X . Asbestverursachte Berufskrankheiten in Deutschland ? Entstehung und Prognose ( Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive )
  8. Alfred Schonberger, Gerhard Mehrtens, Helmut Valentin: Arbeitsunfall und Berufskrankheit. S. 122.
  9. Igl/Welti, § 41 Rn. 14.
  10. https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/2023_19.html BSG Beschluss B 2 U 11/20 R mit Entscheidung vom 22. Juni 2023
  11. Erna Lesky : Van Swietens Hypochondrie. Zur Berufskrankheit der Gelehrten und zur Musiktherapie. In: Clio Medica. Band 8, 1973, S. 171?190. Vgl. auch Blasius Bugyi: Uber die Gesundheitsschadigungen der Gelehrten, deren Vorbeugung und Behandlung im Spiegel der Medizingeschichte. In: Prophylaxe. (Heidelberg) Band 10, 1971, S. 132?135.
  12. BVerfG SozR 3-2200 Nr. 5 zu § 551 RVO ; zitiert nach: Igl/Welti, § 41 Rn. 14.
  13. Empfehlung der Kommission vom 19. September 2003 uber die Europaische Liste der Berufskrankheiten.
  14. Eurostat: Berufskrankheiten in Europa 2001. ( Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive ) In: Statistik kurzgefasst. Bevolkerung und soziale Bedingungen. 15/2004. ISSN   1024-4379 . (PDF; 345 kB)
  15. Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 uber die Durchfuhrung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit
  16. Abgedruckt in: Aichberger, Sozialgesetzbuch, Nr. 7/11.
  17. a b § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII.
  18. Bisher 5700 COVID-19-Falle als Berufskrankheit anerkannt ; Arztezeitung vom 8. Juli 2020; abgerufen am gleichen Tage
  19. Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung.
  20. Nr. 5101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung.
  21. Nr. 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung
  22. Nr. 2104 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung.
  23. 2101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung.
  24. Nr. 2108?2110 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung.
  25. [1]
  26. Urteil des Bundessozialgerichts vom 4. August 1981, Az. 5a/5 RKnU 1/80, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 1982, S. 399?403.
  27. [2]
  28. Liste der Berufskrankheiten (Anlage 1 zu § 177 ASVG)
  29. AUVA Zahlen und Fakten ( Memento vom 1. April 2015 im Internet Archive ), Schwerpunktauswertung "Berufskrankheitenstatistik"
  30. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 UVG.
  31. Art. 9 Abs. 2 UVG.
  32. a b c Kommission fur die Statistik der Unfallversicherung (Hrsg.): Unfallstatistik UVG 2006. Luzern 2006. ISSN   1424-5132 . Unfallstatistik (PDF; 225 kB).
  33. BGE Urteil vom 3. April 2007 @1 @2 Vorlage:Toter Link/jumpcgi.bger.ch ( Seite nicht mehr abrufbar , festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven ) , Az. U 410/05.
  34. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 UVG.
  35. Hans Schadewaldt : Pathogenese, Diagnose und Therapie der Thrombophlebitis historisch gesehen. In: Christa Habrich , Frank Marguth, Jorn Henning Wolf (Hrsg.) unter Mitarbeit von Renate Wittern : Medizinische Diagnostik in Geschichte und Gegenwart. Festschrift fur Heinz Goerke zum sechzigsten Geburtstag. Munchen 1978 (= Neue Munchner Beitrage zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften: Medizinhistorische Reihe. Band 7/8), ISBN 3-87239-046-5 , S. 241?254, hier: S. 244.
  36. Pestizide in der Landwirtschaft: Parkinson gilt in Frankreich als Berufskrankheit. In: Focus Online (web.archive.org). 11. Mai 2012, abgerufen am 8. Mai 2024 .