Papst Benedikt XII., Unterkirche St. Peter, in Rom
Benedikt XII.
(ursprunglich
Jacobus Novelli
,
okzitanisch
Jaume Nouvel
, franzosisch
Jacques de Novelles
, genannt
Jacques Fournier
; * um 1285 in
Saverdun
,
Frankreich
; †
25. April
1342
in
Avignon
, Frankreich) residierte vom 20. Dezember 1334 bis zu seinem Tod als
Papst
der
katholischen Kirche
in
Avignon
.
Der Sohn eines Backers ? nach anderen Quellen eines Mullers ? wurde um 1285 in Saverdun in der Grafschaft
Foix
in der Region
Languedoc
geboren. Als Kind ins
Kloster Boulbonne
des
Zisterzienserordens
eingetreten, absolvierte er auf Betreiben seines Onkels, des spateren papstlichen Vizekanzlers (ab 1310) und
Kardinals
Arnaud Nouvel († 1317), ein
Theologiestudium in Paris
, das er mit dem Doktorat abschloss, und wurde 1311 als Nachfolger seines Onkels zum
Abt
des Klosters
Fontfroide
bei
Narbonne
gewahlt. Im Zuge einer Reform der sudfranzosischen Bistumsorganisation ernannte Papst
Johannes XXII.
den gelehrten Monch 1317 zum Bischof von
Pamiers
, aus dessen Bistum er geburtig stammte. Seine Ernennung erfolgte explizit mit dem Auftrag, die Ketzerbekampfung zu forcieren.
[1]
1326 wurde er
Bischof von Mirepoix
; am 18. Dezember 1327 erhob ihn der Papst zum
Kardinalpriester
der
Titelkirche
Santa Prisca
.
Als Bischof von Pamiers baute er die bischofliche
Inquisition
in Konkurrenz zu der damals von Korruption und Willkur gepragten papstlichen Inquisition der
Dominikaner
von
Carcassonne
zu einem Musterbetrieb nach den Vorgaben des
Konzils von Vienne
(1311?1312) aus und wirkte selbst als
Inquisitor
, um die in seinem Bistum noch vorhandenen und vor allem im Hochland der
Pyrenaen
verbreiteten Reste der von der katholischen Kirche und der franzosischen Krone verfolgten Glaubensrichtung der
Katharer
aufzuspuren, die im Languedoc nach wie vor Anhanger besaßen und sich nach den vorausgegangenen Verfolgungen seit ca. 1296 unter Fuhrung einzelner Wanderasketen (
Perfecti
) im Untergrund neu organisierten. Nachdem die meisten Wanderprediger und ihre Verstecke im Languedoc im Rahmen breit angelegter Fahndungsaktionen bereits in den Jahren 1309?1312 ausfindig gemacht worden waren, die unter anderem
Bernard Gui
als Inquisitor von
Toulouse
koordiniert hatte,
[2]
konnte Bischof Fournier im Fruhjahr 1321 mit der Hilfe eines Spitzels auch die Ergreifung des letzten uberlebenden katharischen Asketen
Wilhelm Belibaste
herbeifuhren, der im gleichen Jahr in Carcassonne abgeurteilt und in
Villerouge-Termenes
in Anwesenheit des Erzbischofs von
Narbonne
verbrannt wurde.
[3]
Vorausgegangen waren Ermittlungen im Umfeld der Bauern des
Sabartes
, einer abgelegenen Landschaft im Suden der Grafschaft Foix am Oberlauf der
Ariege
, bei denen Fournier ein zwischen 1301 und 1320 um das Haus der Familie Clerici (frz. Clergue) im Dorf
Montaillou
bestehendes katharisches Netzwerk aufgedeckt hatte, das jahrelang von einem insgeheim
haretischen
Pfarrer, einem Sohn der Familie, gefuhrt und geschutzt worden war. Erst durch Ausschaltung der Korruption innerhalb des Inquisitionsbetriebs gelang es dem bereits von Zeitgenossen als ?unbestechlich“, ?gerecht“ und ?sehr scharfsinnig“ charakterisierten
[4]
Bischof von Pamiers mit seiner durch akribische Aktenfuhrung, kriminalistischen Spursinn und geschickte und einfuhlsame Verhormethoden
[5]
gepragten Vorgehensweise unter weitestgehendem Verzicht auf die
Folter
,
[6]
die letzten verbliebenen Ketzergruppen in der Grafschaft Foix und im
katalanischen
Exil effektiv zu zerschlagen und die Verfolgung im Sinne der Kirche erfolgreich zu beenden. Er wollte die Angeklagten nicht nur bestrafen, sondern sie zur Reue bewegen, damit sie ihre Seelen retten konnten.
[7]
Viele der vorbildlich gefuhrten Protokolle seiner Untersuchungen sind durch einen Zufall erhalten geblieben und werden in der
Vatikanischen Bibliothek
verwahrt; sie stellen eine wichtige Quelle der Inquisitions- und Ketzerforschung dar.
[8]
Diese Akten sind wissenschaftlich intensiv aufgearbeitet und durch populare Publikationen auch der breiteren historisch interessierten Offentlichkeit zuganglich gemacht worden.
[9]
Ab September 1319 war Bischof Fournier als Richter (zusammen mit dem
Benediktiner
Raymond de Mostuejouls, 1317?1329 Bischof von
Saint-Papoul
) mit der Fuhrung des Verfahrens gegen den damals schon verhafteten Inquisitionskritiker Bernard Delicieux (Bernardus Deliciosus) betraut, einen
Franziskaner
, der seit der Jahrhundertwende als Wortfuhrer der stadtischen Opposition gegen die Dominikanerinquisition in Carcassonne und Toulouse aufgetreten war. Das Verfahren stand unter starkem Druck der koniglichen Behorden sowie der papstlichen Inquisition, die zu diesem Zeitpunkt im Rahmen des
Armutsstreits
in den Kampf Papst Johannes XXII. gegen franziskanische
Spiritualen
involviert war, denen sich auch Bernard angeschlossen haben soll. Sie war an dem Prozess durch den Dominikanerprior Jean de Beaune (Johannes von Belna) beteiligt, ? als Inquisitor von Carcassonne ein personlicher Feind des Angeklagten ? der gleichzeitig in den Ketzerverfahren von Pamiers in Zustandigkeitskonkurrenz zu Fournier stand. Delicieux wurde zweimal gefoltert und wegen Behinderung der Inquisition zu lebenslangem verscharften Kerker verurteilt (offenkundig unrealistische Anklagepunkte wie der, Bernard habe den inquisitionsfreundlichen Papst
Benedikt XI.
durch
Zauberei
zu Tode gebracht, wurden jedoch fallengelassen); er starb bereits 1320 in der Kerkerhaft in Carcassonne.
[10]
Auch nach seinem Weggang aus Pamiers durfte sich Fournier mit Inquisitionsfragen beschaftigt und auch in Mirepoix Untersuchungen gefuhrt haben.
[11]
Als Kardinal an der Kurie in Avignon verfasste er mehrere theologische Traktate, in denen er sich mit den damals gangigen Irrlehren und theologischen Fehlmeinungen auseinandersetzte (unter anderem gerichtet gegen
Fratizellen
,
Meister Eckhart
,
Petrus Johannes Olivi
,
Durandus von St. Pourcain
und die vom damaligen Papst ? seinem Vorganger Johannes XXII. ? zuletzt vertretene Lehre von der unvollkommenen Gottesschau der Seligen).
[12]
Auch als Papst befasste er sich gelegentlich noch mit Missstanden und Korruptionsfallen aus diesem Gebiet, als dessen ausgezeichneter Kenner er galt.
Grab von Benedikt XII, in der Cathedrale de Notre-Dame-des-Doms,
Avignon
Noch Papst
Johannes XXII.
hatte 64 Prozent seiner Ausgaben fur Kriegszwecke verwendet. Bei Papst Benedikt waren es nur noch sechs Prozent. Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgangern lehnte er jeden
Nepotismus
ab.
Als Papst reformierte er die kirchliche Amterbesetzung, die Verwaltung der Kirche und vor allem das Monchtum: Neben Einzelmaßnahmen (
Pastor bonus
1335: gegen das Vagieren,
Regularem vitam
1335: Bindung des Ubertritts von Bettelmonchen an papstliche Genehmigung) große Reformbullen fur die Zisterzienser (
Fulgens sicut stella
1335), Benediktiner (
Summi magistri
1336), Franziskaner (
Redemptor noster
) und Augustiner (
Ad decorem Ecclesiae
1339). Der Versuch, auch die Dominikaner zu reformieren scheiterte an deren Widerstand. Direkte Erfolge der Reformen sind nur sporadisch zu fassen, spatere Reformen, etwa der Benediktiner (Konzil von Konstanz, Petershausen) und die Kastler und Melker Klosterreform und die Bursfelder, bezogen sich auf
Summi magistri
.
Anders als vielfach in der deutschen Literatur behauptet, kann Benedikts Festhalten am Kirchenbann gegen
Ludwig den Bayern
nicht mit seiner Parteinahme fur Frankreich und dessen Konig
Philipp VI.
erklart werden. Erst nachdem Ludwigs Gesandte den Bruch an der Kurie provoziert hatten und er als Verbundeter Englands in dessen Konflikt mit Frankreich auftrat (Hundertjahriger Krieg), unterstutzte Benedikt Frankreich, nachdem er lange die Umwidmung des Kreuzzugszehnten fur die Rustung gegen England untersagt hatte. Am 16. Juli 1338 wurde in
Rense am Rhein (heute Rhens)
von den deutschen Kurfursten der
Kurverein
gegrundet. Dieser lehnte die Bestatigung der Konigswahl durch den Papst ab.
Den Ausbruch des
Hundertjahrigen Krieges
hatte Benedikt zunachst durch Verhandlungen zu verhindern und nach dem Ausbruch zu beenden versucht. Diese Bemuhungen blieben erfolglos. Kaiser Ludwig wechselte nach einem kurzen Bundnis mit England auf die Seite Frankreichs, weil er hoffte, mit Hilfe Konig Philipps die Losung vom Bann zu erreichen, doch Benedikt ruckte nicht von seinen Bedingungen ab. Die weitere Politik Ludwigs d. B. machte eine Aussohnung mit der Kurie nicht moglich und verscharfte den Widerstand im Reich, der schließlich, unter Benedikts Nachfolger, zur Konigswahl Karls IV. fuhrte.
Benedikt bekraftigte mit der Bulle
Benedictus Deus
von 1336 gegen zeitweilige Ansichten seines Vorgangers Johannes XXII., die von Kritikern als haretisch bezeichnet wurden, die kirchliche Lehre von der unmittelbaren Gottesschau der
Seelen
der Verstorbenen. Diese Definition ist im Wesentlichen bis heute fur den
Katholizismus
verbindlich. Er versuchte vergeblich, eine Vereinigung mit der Ostkirche zu erreichen sowie einen
Kreuzzug
in die Wege zu leiten.
Giovanni de Marignolli
verhandelte 1339 als
Papstlicher Legat
in
Byzanz
uber die beabsichtigte Kirchenunion.
Unter seinem Pontifikat begann der Bau des
Papstpalastes
in Avignon, wo er 1342 starb.
- Jan Ballweg:
Konziliare oder papstliche Ordensreform. Benedikt XII. und die Reformdiskussion im fruhen 14. Jahrhundert
. Spatmittelalter und Reformation N.R. 17. Mohr Siebeck, Tubingen 2001,
ISBN 3-16-147413-9
.
- Friedrich Wilhelm Bautz
:
Benedikt XII..
In:
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
(BBKL). Band 1, Bautz, Hamm 1975. 2., unveranderte Auflage. Hamm 1990,
ISBN 3-88309-013-1
, Sp. 486?487
(
Artikel/Artikelanfang im Internet-Archive
)
.
- Irene Bueno (Hrsg.):
Pope Benedict XII (1334?1342). The Guardian of Orthodoxy
. Amsterdam University Press 2018.
- Franz J. Felten
:
Munchen, Paris und Avignon im Fruhjahr 1337. Anmerkungen zur Wirkmachtigkeit von Geschichtsbildern.
In:
Bayern und Europa. Festschrift fur Peter Claus Hartmann zum 65. Geburtstag.
Hg. v. Konrad Amann [u. a.]. Frankfurt/a. M. [u. a.] 2005, S. 1?16
- Franz J. Felten:
Die Ordensreformen Benedikts XII. unter institutionengeschichtlichem Aspekt.
In:
Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde.
Hg. v. Gert Melville. Koln, Weimar, Wien 1992 (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Fruher Neuzeit 1), S. 369?435.
- Franz J. Felten:
Auseinandersetzungen um die Finanzierung eines Kreuzzuges im Pontifikat Johannes’ XXII. (1316?1334).
In:
L’Hostie et le denier. Les finances ecclesiastiques du haut Moyen Age a l’epoque moderne. Actes du colloque de la Commission internationale d’histoire ecclesiastique comparee, Geneve, aout 1989.
Edites par Marcel Pacaut et Olivier Fatio avec la collaboration de Michel Grandjean. Genf 1991 (= Publications de la Fac. Theologie de l’Universite de Geneve 14), S. 79?99.
- Hans Kuhner:
Benedikt XII.
In: Hans Kuhner:
Lexikon der Papste. Kirchengeschichte, Weltgeschichte, Zeitgeschichte. Von Petrus bis heute.
Aktualisierte Lizenzausgabe. Fourier, Wiesbaden 1991,
ISBN 3-925037-59-4
.
- Bernhard Schimmelpfennig
:
Zisterzienserideal und Kirchenreform. Benedikt XII. (1334?1342) als Reformpapst.
In: Zisterzienser-Studien 3 (= Studien zur europaischen Geschichte, 13). Colloquium Verlag, Berlin 1976,
ISBN 3-7678-0421-2
, S. 11?43.
- Bernhard Schimmelpfennig:
Benedikt XII
. In:
Lexikon des Mittelalters
(LexMA)
.
Band
1
. Artemis & Winkler, Munchen/Zurich 1980,
ISBN 3-7608-8901-8
,
Sp.
1861
f
.
- Verschiedene Autoren:
La papaute d’Avignon et le Languedoc 1316?1342
(= Cahiers du Fanjeaux ? Collection d’Histoire religieuse du Languedoc aux XIII
e
et XIV
e
siecles, 26). Editions Privat, Toulouse 1991,
ISBN 2-7089-3424-4
(Sammelband mit 17 Fachaufsatzen sowie Einfuhrung und Schlusswort in franzosischer Sprache, davon 8 Beitrage mit direktem Bezug im Titel auf Jacques Fournier/Benedikt XII., auch zur Reform der Dominikaner
Inhalt
).
- ↑
Vgl. Matthias Benad:
Domus und Religion in Montaillou.
Tubingen 1990, S. 56.
- ↑
Vgl. Benad, S. 163.
- ↑
Vgl. Gauthier Langlois:
Note sur quelques documents inedits concernant le parfait Guilhem Belibaste et sa famille
.
In:
Heresis.
Bd. 25 (1995), S. 130?134.
- ↑
Vgl. Benad, S. 73; 192.
- ↑
Zu den Untersuchungs- und Verhormethoden vgl. die 2008 in Paris verteidigte Dissertation von Danielle Laurendeau:
≪Cet eveque fait sortir la verite, meme si cela ne plait pas a ceux qui la disent≫ : faire parler et savoir taire au tribunal d’Inquisition de Pamiers (1318?1325).
Atelier national de Reproduction des Theses, Lille 2009.
- ↑
Die offenbar kritische Haltung Fourniers zur Folter als Instrument der ?Wahrheitsfindung“ und die personlichen Beweggrunde, die ihn bei seiner Tatigkeit als Inquisitor leiteten, sind differenziert besprochen bei Benad, S. 9?14.
- ↑
Vgl. Emmanuel LeRoy Ladurie:
Montaillou. Ein Dorf vor dem Inquisitor
, Ullstein Sachbuch 1983,
ISBN 3 548 34114 4
- ↑
Ediert von Jean Duvernoy:
Le registre d’inquisition de Jacques Fournier eveque de Pamiers (1318?1325).
3 Bande, Toulouse 1965.
Kommentierte
franzosische
Ubersetzung: ders.:
Le registre d’inquisition de Jacques Fournier (eveque de Pamiers) 1318?1325. Traduit et annote par Jean Duvernoy.
3 Bande, Paris 1978.
- ↑
Emmanuel Le Roy Ladurie
:
Montaillou, village occitan de 1294 a 1324.
Paris 1975 (ins Deutsche ubersetzt und bearbeitet von Peter Hahlbrock:
Ein Dorf vor dem Inquisitor.
Berlin 1980).
- ↑
Vgl.
Henry Charles Lea
:
Geschichte der Inquisition im Mittelalter.
Bd. 2, Bonn 1909, S. 108?110.
- ↑
Vgl. Benad, S. 57.
- ↑
Bernhard Schimmelpfennig:
Zisterzienserideal und Kirchenreform. Benedikt XII. (1334?1342) als Reformpapst.
In: Zisterzienser-Studien 3, Berlin 1976, S. 15 u. Anm. 22.