Das
bayerische Landtagswahlsystem
dient der
Bestellung
der derzeit mindestens 180 Sitze des
bayerischen Parlaments
. Die
Bayerische Verfassung
(in Art. 14 Abs. 1 BV) sowie das
Bayerische Landeswahlgesetz (LWG)
sehen hierbei ein so genanntes ?verbessertes
Verhaltniswahlrecht
“ vor. Anders als bei Bundestagswahlen sind Erst- und Zweitstimmen fur die proportionale Verteilung der Sitze auf die Parteien gleichwertig.
Im Vergleich zu anderen Bundeslandern und dem Wahlrecht des Bundestages legt die bayerische Verfassung einige Details sehr konkret fest. Das Bayerische Landtagswahlsystem zu andern, ist daher mit großeren Hurden verbunden als etwa das Wahlrecht des Bundestages, namlich mit einer verfassungsandernden Mehrheit im bayerischen Landtag und einer Volksabstimmung (vgl. Art. 75 BV)
[1]
.
Wie in Artikel 28
GG
fur alle
deutschen Lander
gleichermaßen vorgeschrieben, gelten auch in
Bayern
die Grundsatze der
demokratischen
Wahl. Die bayerische Verfassung legt hierzu fest: ?Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl nach einem verbesserten Verhaltniswahlrecht von allen wahlberechtigten Staatsburgern in Wahlkreisen und Stimmkreisen gewahlt.“ (Art. 14 Abs. 1 BV)
[2]
Das Kriterium der
freien Wahl
versteht man dabei als aus den anderen vier Grundsatzen notwendig hervorgehend.
Fur weiterfuhrende Informationen zu den Wahlrechtsgrundsatzen siehe den Artikel
Bundestagswahlrecht
.
Stimmberechtigt bei den Wahlen zum Landtag, bei
Volksbegehren und Volksentscheiden
sind alle
Deutschen
, die das 18. Lebensjahr vollendet (
Volljahrigkeit
) und ihren Wohnsitz seit mindestens drei Monaten in Bayern haben. Daruber hinaus darf das Stimmrecht, zum Beispiel durch einen Richterspruch, nicht aberkannt worden sein.
[3]
Wahlbar ist jeder Stimmberechtigte, es sei denn, dass er durch Richterspruch von der Wahlbarkeit ausgeschlossen ist. Wahlvorschlage konnen gemaß Artikel 23 des Landeswahlgesetzes nur von politischen Parteien und sonstigen organisierten Wahlergruppen eingereicht werden.
Bei der bayerischen Landtagswahl sind seit 2003 mindestens 180
Mandate
in sieben Wahlkreisen zu vergeben.
Der Sprachgebrauch des bayerischen Landtagswahlrechts weicht ab vom Bundestagswahlrecht und dem Wahlrecht anderer Bundeslander:
- Wahlkreis
ist jeder der sieben
Regierungsbezirke
. Auf Ebene dieser Wahlkreise werden die Sitze nach Verhaltniswahl verteilt. Es gibt also keinen landesweiten Verhaltnisausgleich.
- Stimmkreis
ist die Einheit, innerhalb der ein Abgeordneter direkt gewahlt wird. Er entspricht dem, was im Bundestagswahlrecht als Wahlkreis bezeichnet wird.
180 Sitze werden gemaß ihrem Anteil an den Wahlberechtigten (bis Mai 2022: Anteil an der deutschen Bevolkerung) auf die Wahlkreise verteilt.
[4]
[5]
Die Wahlkreise sind in Stimmkreise unterteilt. Im Stimmkreis wird jeweils ein Bewerber direkt gewahlt, die ubrigen Sitze werden uber Wahlkreislisten besetzt. Gemaß Art. 14 der Verfassung darf die Zahl der in Stimmkreisen gewahlten Abgeordneten die Zahl der uber die Wahlkreislisten gewahlten Abgeordneten um hochstens eins ubersteigen. Stehen also z. B. einem Wahlkreis 19 Sitze zu, durfen dort hochstens 10 Stimmkreise gebildet werden. In der Praxis wird die Hochstzahl stets ausgeschopft. Seit der Verkleinerung des Landtags auf 180 Sitze bestehen landesweit immer 90 bis 92 Stimmkreise.
Die Wahlkreisliste ist von einer Mitglieder- oder Vertreterversammlung der Partei oder Wahlergruppe aufzustellen. Die Liste muss alle ihre Stimmkreisbewerber enthalten, die von Mitglieder- oder Vertreterversammlungen in den jeweiligen Stimmkreisen gewahlt worden sind. Jede Liste muss mindestens einen Stimmkreisbewerber enthalten. Fur jeden Stimmkreis kann nur ein Stimmkreisbewerber aufgestellt werden. Die Aufstellungsversammlung kann auf Wahlkreisebene weitere Bewerber wahlen. Die Liste darf hochstens so viele Bewerber enthalten, wie im Wahlkreis Sitze zu vergeben sind. Die Aufstellungsversammlung kann, muss aber nicht die Reihenfolge der Kandidaten bestimmen.
Mit der Erststimme haben die Wahlberechtigten die Wahl zwischen den Stimmkreiskandidaten der kandidierenden Parteien- und Wahlergruppen. Hat die Partei fur einzelne Stimmkreise keinen Stimmkreisbewerber aufgestellt, ist sie dort mit der Erststimme nicht wahlbar.
Mit der Zweitstimme wahlen die Wahlberechtigten einen Kandidaten einer Wahlkreisliste. Eine Stimme fur einen Bewerber ist gleichzeitig eine Stimme fur dessen Partei oder Wahlergruppe. Im Gegensatz zum Bundestagswahlrecht gibt der Wahler auch seine Zweitstimme einem bestimmten Kandidaten und hat daher mehr Einfluss. Der Stimmzettel enthalt grundsatzlich alle Bewerber aller Wahlkreislisten. Die Stimmkreisbewerber stehen aber in dem Stimmkreis, fur den sie aufgestellt sind, nicht auf dem Stimmzettel. Anders als bei Bundestagswahlen gibt es fur Erst- und Zweitstimme getrennte Stimmzettel. Soweit die Partei oder Wahlergruppe keine Reihenfolge der Bewerber festgelegt hat, werden diese in alphabetischer Reihenfolge aufgefuhrt. Bewerber, die in der Liste ganz oben stehen, werden allein schon deswegen haufiger gewahlt und sind daher bevorteilt.
Bis 1973 erhielten nur Parteien und Wahlergruppen Sitze, die in wenigstens einem Wahlkreis mindestens 10 Prozent der Stimmen errangen.
[6]
So erhielt die
GDP
bei der
Landtagswahl 1962
in keinem Wahlkreis 10 % der Stimmen und mit 5,1 % der Stimmen landesweit keine Sitze (ebenso die FDP 1966), die
Bayernpartei
mit einem Stimmenanteil von 4,8 % landesweit hingegen acht Sitze, da sie in Niederbayern 10,3 % erreichte. Seit 1973 ist in Art. 14 der Verfassung eine landesweite
Funf-Prozent-Hurde
verankert. Da es im bayerischen Wahlsystem keine der
Grundmandatsklausel
des
Bundestagswahlrechts
vergleichbare Regelung gibt, bedeutet dies auch, dass siegreiche Stimmkreisbewerber dadurch eventuell kein Mandat erhalten.
Im Stimmkreis ist der Bewerber mit den meisten Erststimmen gewahlt.
Ist die Partei oder Wahlergruppe des stimmenstarksten Bewerbers an der Funf-Prozent-Hurde gescheitert, so wird diesem Bewerber der Sitz nicht zugeteilt. Stattdessen ist der Bewerber mit der nachsthochsten Stimmenzahl gewahlt.
Fur die Sitzverteilung in den Wahlkreisen sind die Gesamtstimmen maßgeblich. Die Zahl der Gesamtstimmen der Partei oder Wahlergruppe wird ermittelt, indem ihre Erst- und Zweitstimmen addiert werden. Anders als bei Bundestagswahlen werden also fur die proportionale Sitzverteilung auch die Erststimmen berucksichtigt.
Bei der Sitzverteilung werden nur die Parteien und Wahlergruppen berucksichtigt, die mindestens 5 % der Gesamtstimmen in Bayern erringen. Auf diese werden die Sitze des Wahlkreises proportional nach dem
Sainte-Lague-Verfahren
verteilt. Bis einschließlich der Landtagswahl 1990 wurde das fur große Parteien gunstigere
d'Hondtsche Hochstzahlverfahren
verwendet, was der
Bayerische Verfassungsgerichtshof
1992 fur verfassungswidrig erklarte. Danach wurde das
Hare/Niemeyer-Verfahren
verwendet.
[7]
Nachdem schon bei der Wahl der Bezirkstage 2018 und bei den Kommunalwahlen 2020 zum Sainte-Lague-Verfahren gewechselt wurde, wurde 2022 auch das Wahlrecht des Landtags auf das Sainte-Lague-Verfahren geandert.
[8]
Hat die Partei oder Wahlergruppe im Wahlkreis weniger Stimmkreise gewonnen, als ihr Sitze zustehen, gehen die noch zu besetzenden Sitze an die Bewerber ihrer Wahlkreisliste mit den meisten Gesamtstimmen. Bereits im Stimmkreis gewahlte Bewerber bleiben dabei außer Betracht. Dadurch, dass Erst- und Zweitstimmen zusammengezahlt werden, sind Stimmkreisbewerber gegenuber den anderen Bewerbern auf der Wahlkreisliste erheblich begunstigt.
Wenn es bei der Mandatsvergabe zu
Uberhangmandaten
kommt, indem eine Partei in einem Wahlkreis mehr Stimmkreismandate erringt, als ihr nach dem Sitzzuteilungsverfahren zustehen, bleiben ihr diese zusatzlichen Sitze erhalten. Zum Ausgleich wird die Zahl der Mandate im betreffenden Wahlkreis erhoht, bis wieder eine proportionale Sitzverteilung aller Listen im Wahlkreis erreicht ist
(siehe auch
Ausgleichsmandat
)
. Der betreffende Wahlkreis ist dadurch im Landtag uberreprasentiert.
Wenn eine Partei in mehreren Wahlkreisen die am starksten uberhangende Liste stellt, hat sie einen systematischen Vorteil dadurch, dass sie in jedem dieser Wahlkreise den letzten Sitz erhalt.
[9]
Die Regelung fur Uberhangmandate wurde mehrfach geandert. Ursprunglich erhielten bei Uberhangmandaten fur eine Partei die ubrigen Parteien weniger Sitze, die Große des Landtags anderte sich nicht. Bei der
Landtagswahl 1950
erhielt die CSU in Schwaben zwei Uberhangmandate, die SPD und die Bayernpartei bekamen dadurch jeweils einen Sitz weniger. Landesweit hatte die CSU dadurch mit einem Stimmenanteil von 27,4 % einen Sitz mehr als die SPD mit 28 % der Stimmen.
[10]
Kurz vor der
Landtagswahl 1954
kam es zu einer Anderung, nach der Uberhangmandate nicht mehr zugeteilt wurden, die Stimmkreisbewerber der uberhangenden Liste mit den geringsten Gesamtstimmen schieden als uberzahlig aus. Bei der Wahl 1954 wurden der CSU deswegen zwei Direktmandate in Niederbayern gestrichen.
[10]
Eine Klage der CSU-Landtagsfraktion gegen die Anderung beim
Verfassungsgerichtshof
vor der Wahl war erfolglos.
[11]
Die nachste Anderung folgte 1966, Uberhangmandate verblieben demnach der Partei ohne Ausgleich.
[12]
1973 wurden Ausgleichsmandate eingefuhrt, die Zahl der Ausgleichsmandate war aber auf die Zahl der Uberhangmandate begrenzt.
[13]
Die Beschrankung der Ausgleichsmandate fiel 1993 fort.
[14]
Erhalt eine Partei oder Wahlergruppe mehr als die Halfte der landesweit bei der Sitzverteilung zu berucksichtigenden Stimmen, aber nicht die absolute Mehrheit im Landtag, so werden ihr so viele weitere Sitze zugeteilt, bis sie uber die absolute Mehrheit verfugt. Diese Sitze gehen an ihre noch nicht gewahlten Bewerber mit den landesweit hochsten Stimmenzahlen.
Die Parteienfinanzierung ist bundesrechtlich im
Parteiengesetz
geregelt. In den Genuss der staatlichen Parteienfinanzierung kommen alle Parteien, die landesweit mindestens 1 % der Gesamtstimmen erzielen. Die Hohe der staatlichen Zuwendungen orientiert sich am Mittelwert aus Erst- und Zweitstimmen.
[15]
Wahlergruppen, die mindestens 1 % der Gesamtstimmen erzielen, erhalten 1,28 Euro je Gesamtstimme.
- Erststimmen und Zweitstimmen sind bei der Sitzverteilung auf die Parteien in gleichem Maße relevant.
- Die Zweitstimme wird einem Kandidaten einer
offenen Liste
gegeben, entscheidet jedoch nur zusammen mit den Erststimmen des Kandidaten uber die Wahl.
- Der von der Partei vergebene Listenrang eines Bewerbers hat keinen direkten Einfluss auf die Mandatschance.
- Fuhrende Stimmkreiskandidaten, deren Partei an der Funf-Prozent-Hurde scheitert, erhalten kein Mandat.
- Es werden keine Landeslisten aufgestellt, sondern nur solche, die sich auf je einen Regierungsbezirk (hier: ?Wahlkreis“) beziehen.
- Es findet kein landesweiter Verhaltnisausgleich statt.
- Rainer A. Roth:
Politische Landeskunde: Freistaat Bayern.
3. Auflage. Bayerische Landeszentrale fur Politische Bildungsarbeit, Munchen 2000.
- Frank Hofer:
Die politische Ordnung in Bayern.
6. Auflage. Bayerische Landeszentrale fur Politische Bildungsarbeit, Munchen 2001.
- Enno Boettcher, Reinhard Hogner, Cornelius Thum, Werner Kreuzholz:
Landeswahlgesetz, Bezirkswahlgesetz und Landeswahlordnung Bayern: Kommentar.
18. Auflage. Kohlhammer/Deutscher Gemeindeverlag, Stuttgart 2013,
ISBN 978-3-555-01591-0
.
- Cornelius Thum, Michael Greiner:
Bayerisches Landeswahlrecht und Bezirkswahlrecht: Kommentare.
Gemeinde- und Schulverlag Bavaria, Munchen 2003,
ISBN 3-89382-207-0
.
- ↑
Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 75
- ↑
Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 14 Abs. 1
- ↑
Gesetz uber Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid (Landeswahlgesetz ? LWG), Art. 2
- ↑
Gesetz vom 23. Mai 2022 (GVBl. S. 218)
- ↑
Bericht der Bayerischen Staatsregierung uber die Veranderung der Einwohnerzahlen in den Wahl- und den Stimmkreisen nach Art. 5 Abs. 5 des Landeswahlgesetzes vom 12. Oktober 2021
(PDF; 245 kB), abgerufen am 10. Juni 2022
- ↑
Bayerisches Wahlrecht auf
wahlrecht.de
? Stichwort ?Sperrklausel“
- ↑
Bayerisches Wahlrecht auf
wahlrecht.de
? Stichwort ?Sitzzuteilungsverfahren“
, abgerufen am 30. September 2018.
- ↑
Gesetz zur Anderung des Landeswahlgesetzes vom 23. Mai 2022 (GVBl. S. 218) §1 Nr. 9)
- ↑
Christian Endt:
Bayern: Wahlrecht konnte CSU und Freien Wahlern nutzen.
Abgerufen am 21. Juli 2021
.
- ↑
a
b
Ritter/Niehuss: Wahlen in Deutschland, S. 132
- ↑
Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 18. November 1954 (Vf. 93-IV-54)
online
- ↑
Gesetz vom 25. Mai 1966 (GVBl. S. 183)
- ↑
Gesetz vom 27. Juli 1973 (GVBl. S. 417)
- ↑
Gesetz vom 19. Februar 1993 (GVBl. S. 58)
- ↑
https://www.bundestag.de/blob/503226/eb02070236090c98b3ca24ce9dfc57fa/finanz_16-data.pdf