Barbara Castle, Baroness Castle of Blackburn
Barbara Anne Castle, Baroness Castle of Blackburn
, geb. Betts, (*
6. Oktober
1910
in
Chesterfield
; †
3. Mai
2002
in
Ibstone, Buckinghamshire
) war eine
britische
Politikerin
der
Labour Party
.
[1]
1945 ins
Unterhaus
gewahlt, stieg sie zu einer der bedeutendsten Labour-Politikerinnen des 20. Jahrhunderts auf. Sie war die Frau mit der langsten durchgangigen Parlamentszugehorigkeit, bis ihr Rekord 2007 von
Gwyneth Dunwoody
gebrochen wurde. Sie war die erste und bis heute einzige Frau im Amt des
First Secretary of State
.
Barbara Castle war die Tochter von Frank und Annie Betts und wurde 1910 als jungstes von vier Kindern in
Chesterfield
geboren. Sie wuchs in
Pontefract
und
Bradford
auf. Die Industriestadt Bradford gilt als eine Geburtsstatte der britischen Arbeiterbewegung.
Schon in jungen Jahren kam Castle in Kontakt mit sozialistischen Ideen und Politik. Sie wuchs in einer politisch aktiven Familie auf, in der ?immer jemand auf dem Sofa schlief“. Ihre altere Schwester Marjorie arbeitete spater fur die Innere Londoner Schulbehorde, wahrend ihr Bruder Jimmie sich fur
Oxfam
in
Nigeria
engagierte. Castle selbst trat schon in ihrer Jugend in die
Labour Party
ein.
Ihr Vater war Steuerinspektor, wodurch er als leitender Angestellter in besonderer Tatigkeit (
reserved occupation
) vom Militardienst im
Ersten Weltkrieg
ausgenommen wurde. Der Charakter seines Berufs als Steuerprufer und die verschiedenen Beforderungen fuhrten dazu, dass die Familie mehrmals umzog. Nach dem Umzug nach Bradford 1922 brachte sich die Familie bald in die Arbeit der lokalen
Independent Labour Party
ein. Und obwohl ihrem Vater als Beamter eine politische Betatigung formell untersagt war, wurde er 1933 Redakteur des
Bradford Pioneer
, einer lokalen, sozialistischen Zeitung.
[2]
[3]
[4]
Castles Mutter, Annie Betts, fuhrte den Haushalt und half auch beim Betrieb einer Suppenkuche fur die stadtischen Bergarbeiter. Nachdem Barbara ausgezogen war, kandidierte Annie bei den Kommunalwahlen und wurde Stadtratin der Labour Partei ? was sie selbst ihren nachsten Familienangehorigen lange verheimlichte.
Castle besuchte zunachst die
Love-Lane
-Grundschule, spater dann die weiterfuhrende Madchenschule
Pontefract and District
. Nach dem Umzug nach Bradford (Grafschaft Yorkshire) ging sie im Alter von zwolf Jahren an das ortliche Madchengymnasium. Durch ihr schulisches Engagement fur das Theater begann sie erstmals ihre Redegewandtheit zu entwickeln. Auch in anderen Bereichen zeigte sie herausragende akademische Leistungen und errang damit zahlreiche schulische Auszeichnungen.
Sie organisierte Probe-Wahlen an ihrer Schule, bei denen sie sich als Labour-Kandidatin aufstellte und deutliche Kritik an der Schule außerte ? insbesondere an dem in ihrer Wahrnehmung hohen Anteil an Madchen aus reichen Familien. Nichtsdestotrotz wurde sie in ihren letzten Schuljahren zur Schulsprecherin gewahlt.
Wahrend ihres Studiums am
St Hugh’s College
in Oxford, welches sie als
Bachelor of Arts
mit einem Abschluss in
Philosophie
,
Politik
und
Wirtschaft
verließ, begann Castle mit ernsthafter politischer Aktivitat in Oxford. Sie wurde Schatzmeisterin des
Oxford University Labour Club
? das hochste Amt, das eine Frau damals in diesem Club ausuben durfte. Die Zeit an der Universitat empfand Castle aus mehreren Grunden als schwierig; es fiel ihr schwer, die Atmosphare eines Instituts zu akzeptieren, das erst vor Kurzem begonnen hatte, seine Einstellung zur Ungleichbehandlung von Mannern und Frauen zu hinterfragen. Voller Verachtung fur die elitare Natur einiger Elemente dieses Instituts bezeichnete sie etwa den
Debattierclub
Oxford Union
als ?die Kadettenschule des Establishments“.
Nach dem Studium arbeitete Barbara Betts als Journalistin fur eine Zeitung, die schon eine Woche nach ihrem Stellenantritt ihr Erscheinen einstellte. Wahrend der Zeit der Depression verdiente sie als Werbevorfuhrerin fur einen Nahrungsmittelkonzern in Manchester ihren Unterhalt. 1936 kehrte sie wieder nach London zuruck, wo sie sich bis 1940 als Redakteurin beim
Town and County Councillor
betatigte und sich der Lokal- und Regionalpolitik zuwandte.
[2]
Castle wurde 1937 ins
St. Pancras Borough Council
gewahlt und sprach 1943 erstmals bei der jahrlichen Konferenz der Labour-Partei. Sie war eine hohere Verwaltungsbeamtin im Landwirtschaftsministerium und eine
Luftschutz
-Helferin wahrend der
Angriffe der deutschen Luftwaffe auf Großbritannien
.
Von 1940 bis 1945 arbeitete Barbara Betts im ?Metropolitan Water Board“, einem stadtischen Amt fur die Wasserversorgung in London, sowie von 1941 bis 1944 in leitender Stellung als Verwaltungsbeamtin des Ernahrungsministeriums. 1944/1945 wirkte sie ein Jahr lang als Korrespondentin der linksgerichteten Londoner Zeitung
Daily Mirror
, wo sie den Journalisten
Edward ?Ted“ Castle
kennenlernte, der spater Herausgeber der Abendausgabe dieser Zeitung wurde und den sie 1944 heiratete.
[2]
Bei den
Britischen Unterhauswahlen 1945
, welche die Labour-Partei mit einem Erdrutsch-Sieg gewann, wurde sie Abgeordnete im
House of Commons
fur
Blackburn
,
Lancashire
.
Castle erarbeitete sich bald einen Ruf als politische Linke und als mitreißende Rednerin. Wahrend der 1950er Jahre war sie ein bedeutendes Mitglied des von
Aneurin Bevan
gefuhrten linken Labour-Parteiflugels und machte sich einen Namen als Verfechterin der
Dekolonisation
und der
Anti-Apartheid-Bewegung
.
In der Regierungszeit von
Harold Wilson
von 1964 bis 1970 bekleidete Castle eine Reihe von Minister-Posten. Sie trat dem Kabinett als Entwicklungshilfe-Ministerin bei und war damit nach
Margaret Bondfield
,
Ellen Wilkinson
und
Florence Horsbrugh
die vierte Frau uberhaupt in der britischen Geschichte, welche einen Kabinettsposten innehatte.
[5]
Als Verkehrsministerin fuhrte sie 1965 bis 1968 die
Atemalkoholbestimmung
als Gegenmaßnahme zum um sich greifenden
Fahren unter Alkoholeinfluss
ein und legte außerdem ein dauerhaftes Tempolimit von 70
mph
fest. Sie verantwortete die Stilllegung von ca. 2050 Meilen des Schienennetzes von
British Railways
, indem sie ihren Teil der
Beeching-Axt
in Kraft setzte ? und damit ein Wahlversprechen der Labour-Partei brach, dieses Vorhaben zu stoppen. Auf der anderen Seite verhinderte sie die Stilllegung mehrerer Bahnstrecken wie etwa der
Looe Valley Line
in Cornwall und fuhrte 1968 mit dem
Transport Act
die ersten staatlichen Forderungen fur strukturell wichtige, aber unprofitable Verbindungen ein. Eine ihrer großten Errungenschaften als Verkehrsministerin war die Einfuhrung der allgemeinen
Gurtpflicht fur Hersteller
.
Obwohl sie Verkehrsministerin war und diese Rolle anfangs enthusiastisch wahrnahm, konnte sie nicht selbst Auto fahren und wurde zu Veranstaltungen chauffiert, zum Beispiel durch die junge Labour-Party-Aktivistin
Hazel Blears
in den 1980er Jahren.
[6]
Obwohl sie selbst keinen Fuhrerschein besaß, gab es eine Kontroverse, als sie die lokalen Regierungsfunktionare dazu aufrief, dem ungehinderten Autoverkehr in Stadtgebieten mehr Aufmerksamkeit zu schenken, da ?die meisten Fußganger von oder zu ihren Autos laufen“.
Als Staatssekretarin fur Arbeit (
Secretary of State for Employment
) wurde sie außerdem von
Harold Wilson
zur Ersten Staatssekretarin (
First Secretary of State
), was sie in das Herz der Regierung brachte. Sie bekam starken Gegenwind, als die Gewerkschaften gegen die Vorschlage aus ihrem White Paper
In Place of Strife
rebellierten, laut denen deren Macht reduziert werden sollte. Das fuhrte zu einem ernsten Zerwurfnis im Kabinett, mit Rucktrittsandrohungen, lautstarken Emotionen und dem durch ihren zukunftigen Gegenspieler
James Callaghan
offentlich ausgetragenen Versuch, den Gesetzesentwurf zu kippen. Diese Aufsplittung mag zu dem Wahlverlust von 1970 beigetragen haben.
Sie ging auch beim Streik der Sitzbezugnaherinnen im Ford-Werk
Dagenham
in die Geschichte ein, bei dem die Mitarbeiterinnen verlangten, genauso viel zu verdienen wie ihre mannlichen Kollegen. Sie half den Streik beizulegen, der zu einer Lohnerhohung fuhrte, so dass die Mitarbeiterinnen 92 % des Lohns der mannlichen Kollegen bekamen. In der Nachfolge dieses Streiks wurde durch Castle der
Equal Pay Act 1970
erstellt.
[7]
Der Streik in den Fordwerken war im Jahre 2010 Vorlage fur den britischen Film
We Want Sex
. Castle wurde hier von
Miranda Richardson
dargestellt.
Nach dem Wahlsieg Harold Wilsons uber
Edward Heath
wurde Castle Staatssekretarin fur Gesundheit und Sozialdienste (
Secretary of State for Health
und
Social Services
). Im Referendum von 1975 trug sie ihre
Euroskepsis
offen zur Schau. Bei einer Debatte mit dem Liberalen
Jeremy Thorpe
wurde sie von ihm gefragt, ob sie weiterhin als Ministerin zur Verfugung stehe, wenn es zu einem Ja beim Referendum kame. Sie antwortete ihm: ?Falls die Abstimmung Ja sein sollte, braucht mich mein Land mehr als je zuvor.“ Trotz dieser Ansichten wurde sie spater ein Mitglied des Europaischen Parlaments (1979?1989).
Castle verlor ihr Amt als Ministerin, als ihr politischer Gegner
James Callaghan
1976 Premierminister wurde und sie nahezu sofort entließ, nachdem er das Amt angetreten hatte. In einem Interview viele Jahre spater außerte sie, dass es großte Selbstbeherrschung gebraucht habe, auf sein Statement, dass er im Kabinett jemand Jungeren haben wolle, nicht zu antworten: ?Und warum fangst du dann nicht mit dir selbst an, Jim?“
Trotz ihrer
Euroskepsis
wurde sie ins
Europaische Parlament
gewahlt. 1979?1984 vertrat sie
Greater Manchester North
und 1984?1989 Greater Manchester West. Ihr großter Beitrag habe nach ihren eigenen Worten darin bestanden, im Landwirtschaftsausschuss gegen die Subventionspolitik der EG Front zu machen und die dadurch entstandenen Skandale und Milliardenverluste anzuprangern.
[8]
1974 wurde ihr Ehemann, Edward Castle, als
Life Peer
mit dem Titel
Baron Castle
, of Islington in Greater London, Mitglied des House of Lords.
[12]
Daher ware seine Frau formell Lady Castle, aber sie lehnte diesen
Hoflichkeitstitel
ab. Ted Castle starb 1979. 1990 wurde sie eine Life Peeress in eigenem Recht mit dem Titel
Baroness Castle of Blackburn
, of Ibstone in the County of Buckinghamshire. Sie blieb bis zu ihrem Tod in der Politik und griff noch auf der Labour Party-Konferenz von 2001 den damaligen
Chancellor of the Exchequer
,
Gordon Brown
, an, weil er es ablehnte, die Pensionen mit den Einkunften zu verknupfen.
Castle starb in
Ibstone, Chiltern
,
Buckinghamshire
[13]
an einer durch eine chronische Lungenkrankheit ausgelosten Lungenentzundung.
- ↑
Gestorben: Barbara Castle
. In:
Der Spiegel
.
Nr.
20
, 2002 (
online
).
- ↑
a
b
c
Ernst Probst:
Barbara Castle: Die ?feurige Rote“ der ?Labour Party“
(
Memento
vom 11. Dezember 2013 im
Internet Archive
). Leseprobe aus der CD-ROM
Superfrauen: 14 Bucher auf einer CD-ROM.
- ↑
Anne Perkins:
Obituary: Baroness Castle of Blackburn
, The Guardian, 4. Mai 2002. Abgerufen am 17. September 2007
- ↑
Barbara Castle.
Lasting Tribute,
abgerufen am 9. Marz 2013
.
- ↑
Women in the House of Commons House of Commons Information Office Factsheet M4 Appendix C
(PDF; 423 kB) Abgerufen am 30. Dezember 2010.
- ↑
Hazel Blears’ memories of Barbara Castle
(
Memento
vom 19. Marz 2008 im
Internet Archive
), The Labour History Group, 20. Juni 2007.
- ↑
TUC | History Online
- ↑
Julia Tugendhat:
Barbara Castle, Die feurige Rote: Achtzig Jahre und uberhaupt nicht mude ? die britische Labour-Politikerin ?verfuhrte“ ihre Partei zu Europa
.
In:
Die Zeit
, Nr. 4/1992, S. 67.
- ↑
The Order of the Companions of OR Tambo in Silver - Profile of Barbara Castle.
The Presidency - Republic of South Africa, archiviert vom
Original
am
19. Juli 2010
;
abgerufen am 24. Juni 2009
.
- ↑
Auskunft des Bundesprasidialamtes
- ↑
Women MPs Elected 1940s.
In:
Centre for Advancement of Women in Politics.
Queen’s University,
abgerufen am 24. Juni 2009
.
- ↑
Ted Castle.
Spartacus Educational, 16. Dezember 1979,
abgerufen am 24. Juni 2009
.
- ↑
Deaths England and Wales 1984-2006.
Findmypast.com, archiviert vom
Original
am
28. Februar 2009
;
abgerufen am 24. Juni 2009
.