Bela Balazs

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Bela Balazs ca. 1910

Bela Balazs [ ?beːl? ?b?laː? ] (geboren als Herbert Bauer am 4. August 1884 in Szeged , Osterreich-Ungarn ; gestorben 17. Mai 1949 in Budapest ) war ein ungarischer Filmkritiker , Asthetiker , Schriftsteller , Drehbuchautor , Librettist , Regisseur und Dichter .

Herbert Bauer war der Sohn des Gymnasiallehrers Simon Bauer , der Vater war ungarisch-judischer, die Mutter deutsch-judischer Herkunft. Seine Geschwister waren die Schriftstellerin Hilda Bauer (1887?1965) und der Biologe Ervin Bauer (1890?1938). In der Familie wurde Deutsch gesprochen, er selbst wollte dagegen ungarischer Schriftsteller werden und magyarisierte seinen Namen. Er besuchte die deutsche Elementarschule in L?cse und die Mittelschule in Szeged . Er studierte in Budapest, Berlin (unter anderem bei Georg Simmel und Wilhelm Dilthey ) und Paris (bei Henri Bergson ) und begann eine Laufbahn als ungarischer Schriftsteller (Dramen, Lyrik, Marchen und Novellen).

Bela Balazs schrieb unter anderem die Libretti fur das Ballett Der holzgeschnitzte Prinz und fur die Oper Herzog Blaubarts Burg , die von Bela Bartok vertont wurden, sowie den Marchenzyklus Der Mantel der Traume . Ab 1915 fanden in seiner Budapester Wohnung Treffen des informellen ?Sonntagskreises“ (Vasarnap-Tarsasag) statt, die von seinem Freund Gyorgy Lukacs dominiert wurden, unter den Teilnehmern waren Karl Mannheim , Bela Fogarasi , Frederick Antal und seine damalige Freundin Anna Lesznai .

1918 wurde er Mitglied der Ungarischen Kommunistischen Partei, 1931 Mitglied der KPD . 1919 floh er nach der Niederschlagung der kurzlebigen Raterepublik , in der er Mitglied des Direktoriums der Schriftsteller und Volkskommissar fur das Schulwesen und Volkskultur gewesen war, nach Wien, wo er zunachst als Dramatiker und Marchenautor Fuß zu fassen versuchte. Es folgte ein drei Jahrzehnte wahrendes Exil, in dem er gezwungen war, in seinen Veroffentlichungen zur deutschen Sprache zuruckzukehren, derweil er weiterhin belletristische Literatur auf Ungarisch verfasste.

Der Zufall fuhrte ihn mit dem neuen Medium des Films zusammen. Fur die Zeitung Der Tag begann er regelmaßig Filmkritiken zu schreiben und machte sich zugleich als Drehbuchautor einen Namen. Sein erstes in Wien erschienenes filmtheoretisches Werk Der sichtbare Mensch (1924) begrundete die moderne Filmtheorie, in der sich romantische Motive einer Sehnsucht nach Uberwindung der Entfremdung in einer visuellen Kultur mit politischen Hoffnungen auf ein populares Medium der Aufklarung mischten.

1926 wechselte Balazs nach Berlin, wo sein zweites filmtheoretische Buch Der Geist des Films (1930) entstand. Auch in Berlin arbeitete Balazs zugleich als Drehbuchautor, z. B. fur die Verfilmung der Dreigroschenoper (durch G. W. Pabst ), die zu einer heftigen Kontroverse mit Bertolt Brecht fuhrte. 1931 schrieb er fur Leni Riefenstahl das Drehbuch zu ihrem Regiedebut Das blaue Licht (1932). Wahrend der Fertigstellung des Films, an dessen Regie [1] er ebenfalls beteiligt war, wurde er nach Moskau eingeladen, um einen Film uber die ?Rate-Revolution“ in Ungarn zu drehen. 1933 war fur ihn als Jude und Kommunist eine Ruckkehr nach Deutschland unmoglich und er blieb in Moskau.

1945 nach Budapest zuruckgekehrt, konnte er noch einen seiner bekanntesten Filme realisieren: Irgendwo in Europa , 1947. Im selben Jahr erschien sein autobiografischer Roman Die Jugend eines Traumers . 1949 erhielt er die hochste Auszeichnung Ungarns, den Kossuth-Preis , und nach ihm wurde 1958 der Bela-Balazs-Preis fur Verdienste in der Filmkunst benannt. Das Studio fur kunstlerischen Film in Budapest tragt ebenfalls seinen Namen.

Bronzeportrat Balazs’ von Sandor Toth in Szegedin

Balazs’ filmtheoretisches Hauptwerk Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (1924) richtet sein Augenmerk stark auf den Aspekt der Physiognomie . Seine Argumente betreffen dabei einerseits den Schauspieler im Spannungsfeld von ?Typus“ und Ausdruck. [2] Helmut H. Diederichs sieht ?[d]ie Physiognomik (Lavater, der junge Goethe)“ als Grundlage von Balazs’ Physiognomik . [3]

Sabine Hake identifiziert Quellen seines Gedankenguts in Lebensphilosophie und Gestaltpsychologie. [4] Eine allgegenwartige Lebensbewegung und die abstrahierte und abstrahierbare Gestalt des Lebendigen sind weitere physiognomische Aspekte, die diese Filmtheorie mitbegrunden. Andererseits also ? und dies ist Balazs’ genuiner Beitrag zur fruhen Theoriebildung des bewegten Bildes ? betont er die Anthropomorphisierung alles Sichtbaren in der filmischen Inszenierung. Er nennt dies die ?latente Physiognomie“ und das ?Gesicht der Dinge“. [5] Hanno Loewy bemerkt hierzu, dass auf Seiten des Zuschauers ?sich die psychische Besetzung ununterschieden auf die gesamte wahrgenommene Szene und damit auch unterschiedslos auf Dinge und Wesen, die in ihr auftreten“, [6] beziehe. Daniel Hermsdorf resumiert Balazs’ Konzeption dahingehend, dass Balazs Begriffe, ?? wenn uberhaupt gekennzeichnet in ihrer diskursiven Herkunft, dann gar nicht oder eher sorglos reflektiert ? in ein prekares ideologisches Feld der physiognomischen Theorien zuruckverweisen“. [7] Filmasthetik bewegt sich in dieser Hinsicht zudem zwischen einer spielerischen Vermenschlichung und einem psychopathologischen Wahrnehmungsmodus, wie ihn in der Fachliteratur erstmals Karl Jaspers in ?Allgemeine Psychopathologie“ (1913) differenziert analysiert ? als ?Affektillusion“ und ? Pareidolie “. [8]

Balazs selbst nennt die anthropomorphe Bildwirkung ?transzendent und gespenstisch“. [9] Bei Balazs’ Freund Lukacs heißt es ? ein Jahr vor Balazs’ Veroffentlichung Der sichtbare Mensch ? in marxistischer Perspektive auf die kapitalistische Wirtschaft, sie verursache die ?Verwandlung der Warenbeziehung in ein Ding von ?gespenstiger Gegenstandlichkeit‘“, die ?dem ganzen Bewußtsein des Menschen ihre Struktur“ aufdrucke. [10] Hermsdorf kommt deshalb zu dem Schluss, Balazs Filmtheorie sei ?ein aus den Begriffen seiner Zeit geschnitzter Fetisch, der unter literarischer Politur einer inversen logischen Strategie marxistischer Kritik des Tauschwerts und anschlussfahiger Kulturtheorien folgt.“ [11]

Bei tendenziell gegensatzlichen Lesarten und Bewertungen wird Balazs bis heute Respekt gezollt. Thomas Koebner sieht in Der sichtbare Mensch mit seinem ?Ineinander von Enthusiasmus und Scharfblick die erste anspruchsvolle und ausfuhrliche Wurdigung des Films als neuer Kunst […]. Die Thesen von Balazs finden sich in fast allen spater publizierten Studien (zu deren Vorteil) wieder.“ [12]

  • Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Deutsch-Osterreichischer Verlag, Wien u. a. 1924 (mehrere Neuausgaben). ( Digitalisat der Deutschen Nationalbibliothek .)
  • Der Geist des Films. Knapp, Halle (Saale) 1930 (mehrere Neuausgaben) doi : 10.25969/mediarep/15446
  • Die Jugend eines Traumers. Globus-Verlag, Wien 1947 (Neuausgabe: Die Jugend eines Traumers. Autobiographischer Roman (= Bela Balazs: Ausgewahlte literarische Werke in Einzelausgaben. Bd. 1). Herausgegeben von Hanno Loewy . Verlag Das Arsenal, Berlin 2001, ISBN 3-931109-19-4 ).
  • Ein Baedeker der Seele. Und andere Feuilletons aus den Jahren 1920?1926 (= Bela Balazs: Ausgewahlte literarische Werke in Einzelausgaben. Bd. 2). Herausgegeben von Hanno Loewy. Verlag Das Arsenal, Berlin 2002, ISBN 3-931109-30-5 ).
  • Die Geschichte von der Logodygasse, vom Fruhling, vom Tod und von der Ferne. Novellen (= Bela Balazs: Ausgewahlte literarische Werke in Einzelausgaben. Bd. 3). Herausgegeben von Hanno Loewy. Verlag Das Arsenal, Berlin 2003, ISBN 3-931109-31-3 ).
  • Der heilige Rauber und andere Marchen (= Bela Balazs: Ausgewahlte literarische Werke in Einzelausgaben. Bd. 4). Herausgegeben von Hanno Loewy. Verlag Das Arsenal, Berlin 2005, ISBN 3-931109-37-2 ).
  • Der Sieger. Das Marchen vom Baren, vom Wolf und vom schlauen Fuchs. In: Bernd Dolle, Dieter Richter , Jack Zipes (Hrsg.): ?Es wird einmal …“ Soziale Marchen der Zwanziger Jahre (= Sammlung alter Kinderbucher. Bd. 8). Weismann, Munchen 1983, ISBN 3-921040-29-9 , S. 7?16.
  • Die Furcht der Intellektuellen vor dem Sozialismus. In: Die Weltbuhne. 28. Jahrgang, 1932, (4 Teile) S. 93?96; 131?134; S. 166?168; S. 207?210. Verlag der Weltbuhne, Charlottenburg (Reprint: Athenaum Verlag, Konigstein/Ts 1978, ISBN 3-7610-9301-2 bzw. 3-7610-9300-4).
  • Balazs, Bela. In: Lexikon sozialistischer deutscher Literatur. Von den Anfangen bis 1945. Monographisch-biographische Darstellungen. 2 Auflage. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1964, S. 78?80.
  • Helmut H. Diederichs: Bela Balazs und sein Beitrag zur formasthetischen Filmtheorie. Vortrag am 20. November 1997 in Berlin ( fh-dortmund.de ).
  • Gustav Frank: Zwischen ?stummen Kunsten“ (Hofmannsthal) und ?sichtbarem Menschen“ (Balazs): Zur Triangulation des ?Neuen Tanzes‘ durch Literatur und Film. In: Tanz-Zeichen. Semiotik des Tanzes in Literatur und Medien . Hg. Ernest W. B. Hess-Luttich. Special Issue of Kodikas/Code. Ars Semeiotica 26.3-4 (2003), S. 217?234.
  • Gustav Frank: Musil contra Balazs. Ansichten einer ?visuellen Kultur‘ um 1925. In: Musil-Forum 28: Studien zur Literatur der klassischen Moderne (2003/2004) 2005, S. 105?152.
  • Daniel Hermsdorf: Filmbild und Korperwelt. Anthropomorphismus in Naturphilosophie, Asthetik und Medientheorie der Moderne (= Film ? Medium ? Diskurs. Bd. 34). Konigshausen & Neumann, Wurzburg 2011, ISBN 978-3-8260-4462-5 (Zugleich: Paderborn, Universitat, Dissertation, 2010).
  • Klaus Kandler u. a. (Hrsg.): Berliner Begegnungen. Auslandische Kunstler in Berlin 1918 bis 1933. Dietz Verlag Berlin, 1987, div. Seiten
  • Thomas Koebner : Der Film als neue Kunst ? Reaktionen der literarischen Intelligenz. Zur Theorie des Stummfilms (1911?24). In: Helmut Kreuzer (Hrsg.): Literaturwissenschaft ? Medienwissenschaft (= Medium Literatur. Bd. 6). Quelle & Meyer, Heidelberg 1977, ISBN 3-494-00889-2 , S. 1?31.
  • Attila Endre Lang : Bela Balazs als Filmkritiker und Filmasthetiker eingereicht von Attila E. Lang . Wien, Univ., Diss., 1974.
  • Hanno Loewy: Bela Balazs ? Marchen, Ritual und Film. Vorwerk 8, Berlin 2003, ISBN 3-930916-53-3 (Zugleich: Konstanz, Universitat, Dissertation, 1999: Medium und Initiation ? Bela Balazs: Marchen, Asthetik, Kino. d-nb.info ).
  • Balazs, Bela. In: Lexikon deutsch-judischer Autoren . Band 1: A?Benc. Hrsg. vom Archiv Bibliographia Judaica. Saur, Munchen 1992, ISBN 3-598-22681-0 , S. 316?324.
  • Jorg Marquardt: Balasz, Bela. In: Andreas B. Kilcher (Hrsg.): Metzler Lexikon der deutsch-judischen Literatur. Judische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklarung bis zur Gegenwart. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02457-2 , S. 23?25.
Wikisource: Bela Balazs  ? Quellen und Volltexte
Commons : Bela Balazs  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Nachlass Walter Riml: 1931 ?Das blaue Licht“. In: walter-riml.at. Archiviert vom Original am 22. Februar 2014 ; abgerufen am 8. April 2023 (historischer Abriss, Standfotos und Werkaufnahmen).
  2. Bela Balazs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1536). Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenossischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kastner. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-29136-X , S. 38.
  3. Helmut H. Diederichs: Einleitung. In: Bela Balazs: Schriften zum Film. Band 1: ?Der sichtbare Mensch“. Kritiken und Aufsatze 1922?1926. Hanser, Munchen 1982, ISBN 3-446-12870-0 , S. 36.
  4. Sabine Hake: The Cinema’s Third Machine. Writing on Film in Germany 1907?1933. University of Nebraska Press, Lincoln NE u. a. 1993, ISBN 0-8032-2365-X , S. 230 f.
  5. Bela Balazs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1536). Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenossischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kastner. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-29136-X , S. 59.
  6. Hanno Loewy: Bela Balazs ? Marchen, Ritual und Film. 2003, S. 295.
  7. Daniel Hermsdorf: Filmbild und Korperwelt. 2011, S. 336.
  8. Karl Jaspers : Allgemeine Psychopathologie. Fur Studierende, Arzte und Psychologen. 2., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin 1920, S. 41. Vgl. dazu auch Daniel Hermsdorf: Filmbild und Korperwelt. 2011, S. 562 f.
  9. Bela Balazs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1536). Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenossischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kastner. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-29136-X , S. 73.
  10. Georg Lukacs: Geschichte und Klassenbewußtsein . Studien uber marxistische Dialektik (= Sammlung Luchterhand. Bd. 11). Sonderausgabe, 3. Auflage. Luchterhand, Darmstadt u. a. 1975, ISBN 3-472-61011-5 , S. 194.
  11. Daniel Hermsdorf: Filmbild und Korperwelt. 2011, S. 337.
  12. Thomas Koebner: Der Film als neue Kunst ? Reaktionen der literarischen Intelligenz. Zur Theorie des Stummfilms (1911?24). In: Helmut Kreuzer (Hrsg.): Literaturwissenschaft ? Medienwissenschaft (= Medium Literatur. Bd. 6). Quelle & Meyer, Heidelberg 1977, ISBN 3-494-00889-2 , S. 1?31, hier S. 6.