Autonomie des Kunstwerks

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Autonomie des Kunstwerks ist eine Vorstellung, die sich seit dem 18. Jahrhundert bildet und die Freiheit des Kunstlers und des Kunstbetrachters fordert. Autonomie bedeutet hier ungefahr so viel wie: ?Das Kunstwerk gibt sich seine Gesetze selbst.“ ? Im Wesentlichen geht es um drei Aspekte: dass kunstlerische Ideen nicht die Natur nachahmen mussten, dass sie weder nutzlich noch moralisch gut sein mussten und dass sie nicht von gesellschaftlichen Einflussen gepragt wurden.

Die antike Auffassung, dass Kunst die Natur nachahmen solle ( Mimesis ), und die Verbindung des Schonen mit dem Guten, wie sie etwa Thomas von Aquin fur notig hielt, wurden im Zeitalter der Aufklarung in Frage gestellt.

Das Ideal einer ?Autonomie“ der Kunst wird zumeist auf die Asthetik des Philosophen Immanuel Kant zuruckgefuhrt, der in seinem Werk Kritik der Urteilskraft (1790) erklarte, ?dass dasjenige Urteil uber Schonheit, worin sich das mindeste Interesse mengt, sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil sei“ ( Analytik der asthetischen Urteilskraft , I/1, § 2). Schonheit bestehe in einer ?Zweckmaßigkeit ohne Zweck“ (§ 15), die ein ?von allem Interesse unabhangiges Wohlgefallen“ (§ 42) auslose. Ein Palast konne etwa auch dann schon gefunden werden, wenn man wie Jean-Jacques Rousseau eine Abneigung gegen hohe Herren habe. Kant ging es um ein gemeinsames und freies Urteilen. Kunstler und Burger sind aus dieser Sicht noch Verbundete, die sich eine solche Freiheit gemeinsam erarbeiten, indem sie sich von Kirche und Adel emanzipieren.

Nach Karl Philipp Moritz brauche Kunst ?keine Beziehungen auf irgend etwas außer sich zu haben“ [1] . Der politische Hintergrund dieser Gedanken zeigt sich, indem er als Beispiel eines solchen Kunstwerks den Staat anfuhrt. Ein burgerlicher Staat war in den meisten Teilen der Welt noch eine Wunschvorstellung. Die Kunstforderung wurde vom Hofstaat geleitet.

19. Jahrhundert

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Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts entstand ein Abgrenzungsbedarf der Kunstler von der burgerlichen Gesellschaft (der von ihr mit Klischeevorstellungen vom verkannten oder rebellischen Kunstler fortwahrend vereinnahmt wurde). Von den Kunstlern aus wurde Autonomie oft zur Selbstbehauptung des Individuums gegenuber gesellschaftlichen Interessen gefordert. Somit richtete sich der Autonomieanspruch zunehmend auch gegen den burgerlichen Staat. Die Autonomie der Kunst ist eine Folge dieser Lehre von den gesetzgebenden und nicht gesetzbefolgenden Fahigkeiten des Genies.

Autonomietendenzen zeigen sich in Zeiten starker, aber tabuisierter politisch-gesellschaftlicher Polarisierungen und auch als Gegenbewegung zu einer Kommerzialisierung der Kunst. Eine solche Sicht auf Literatur und bildende Kunst hatten die verschiedenen Varianten des Asthetizismus oder die antiburgerliche Boheme in Paris um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Slogan ? L’art pour l’art “. Das offentliche Museum , das im 19. Jahrhundert großen Einfluss auf Kultur und Bildung gewann, war ein neutralerer Ausstellungsraum als Palast oder Kirche und schuf der Kunst (zumindest vordergrundig) einen Freiraum gegenuber kommerziellen und weltanschaulichen Interessen.

Parallele Konzepte in der Musik sind die Absolute Musik nach den Revolutionen von 1830 und 1848 oder die Autonome Musik beim Aufkommen der Musikindustrie nach dem Ersten Weltkrieg (etwa bei Theodor W. Adorno ).

20. Jahrhundert

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Nach dem Ende der Adelsherrschaft 1918 waren burgerliche Staaten der Normalfall in Europa. Kultur- Subventionen ersetzten die Beitrage der Adelshofe. Nicht alle Kunstler waren jedoch zufrieden mit den Bedingungen, die ihnen die neuen Staaten boten. Die russischen Weggenossen in den 1920er Jahren forderten etwa eine Autonomie der Kunst gegenuber dem Sowjetstaat.

Fur Theodor Adorno ist die Autonomie des Kunstwerks ?muhsam der Gesellschaft abgezwungen“ [2] und damit ein vorubergehend Erreichtes, das von Kritikern und Wissenschaftlern bewahrt werden sollte. Mit dieser Forderung versuchte die sogenannte werkimmanente Interpretation die gesellschaftlichen Spannungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu uberbrucken oder zu umgehen. Ein Verdacht auf ideologische Pragung, bloße Funktionalitat oder Fremdbestimmung durch Modestromungen stellte die Einigkeit der Betrachter uber den Wert eines Kunstwerks in Frage.

So legte man bei der Kunstbetrachtung etwa das Hauptaugenmerk auf formale Analysen, stilistische Zuordnungen und die Beurteilung der asthetischen Qualitat. Die historische und hauptsachlich die gesellschaftliche Einbettung erfolgten hochstens als Verbindung des Werks mit der Kunstlerbiografie. Nur der ikonologische Ansatz (?Was wird dargestellt?“) zog bei der Analyse des einzelnen Kunstwerks gesellschaftliche Phanomene in Betracht.

Nach 1968 wurde auch Kunst im Umkreis der politischen Bewegung der Autonomen als Autonome Kunst bezeichnet.

Die Forderung einer Unabhangigkeit der Kunst von moralischen Zwecken, die ursprunglich von kirchlicher Bevormundung und weltlicher Zensur befreien sollte, wurde stets neu in Frage gestellt: Der junge Friedrich Schiller wollte im Theater eine ? moralische Anstalt “ sehen. Im Naturalismus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit seinem sozialpolitischen Engagement und in den Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit ihrem Protest gegen burgerliche Asthetik wurde das Konzept einer autonomen Kunst heftig kritisiert. Ebenso wurde dieser Ansatz im Zuge der 68er-Bewegung in den 1970er Jahren in vielen Interpretationen aufgegeben oder trat zumindest in den Hintergrund.

Einzelnachweise

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  1. Karl Philipp Moritz: Uber die bildende Nachahmung des Schonen , Braunschweig: Schul-Buchhandlung 1788, S. 16
  2. Theodor Adorno, Asthetische Theorie , in: Ders., Gesammelte Schriften , Bd. 7, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997, S. 353