Arno Lustiger

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Arno Lustiger (2007)

Arno Lustiger (geb. 7. Mai 1924 in B?dzin ; gest. 15. Mai 2012 in Frankfurt am Main [1] ) war ein deutscher Historiker polnischer Herkunft. Lustiger ? selbst Uberlebender des Holocaust ? hat wesentliche Beitrage zur Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte des judischen Widerstands gegen die Diktatur des Nationalsozialismus geleistet.

Lebensweg bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs

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Arno Lustiger wurde 1924 als Kind polnischer Juden in B?dzin geboren, wo er auch seine Kindheit verbrachte. Sein Vater David Lustiger war Stadtrat und Besitzer eines Betriebs fur Backereimaschinen. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde die Stadt von den Deutschen besetzt und das vaterliche Unternehmen ? arisiert “. David Lustiger blieb zunachst als Angestellter weiter beschaftigt.

Anfang 1943 wurde die judische Bevolkerung B?dzins im Ghetto B?dzin interniert, die Familie Lustiger verbarg sich in einem Kellerversteck. Im August 1943 wurde das Ghetto geraumt, und seine Bewohner wurden ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Einige Tage spater ging die Familie ins Zwangsarbeiterlager Annaberg in Schlesien, um wenigstens zusammenzubleiben. Dort wurde die Familie jedoch auseinandergerissen. Arno Lustiger kam in das Konzentrationslager Ottmuth und dann in das KZ Blechhammer , ein Außenlager von Auschwitz . Ab dem 21. Januar 1945 wurde Lustiger wegen der anruckenden sowjetischen Truppen im eiskalten Winter von der SS zu einem Todesmarsch zum KZ Groß-Rosen in Niederschlesien gezwungen, den nur 2000 von 4000 Haftlingen uberlebten. Dann wurde er zum KZ Buchenwald transportiert und von dort ins KZ Langenstein-Zwieberge bei Halberstadt . Die Lebenserwartung der Haftlinge betrug dort laut Lustiger in der Regel drei bis vier Wochen. Im April 1945 floh Lustiger bei einem weiteren Todesmarsch, als auch dieses Konzentrationslager angesichts der anruckenden amerikanischen Truppen geraumt wurde. Dabei fiel Lustiger Angehorigen des Volkssturms in die Hande, konnte abermals entkommen und wurde von amerikanischen Soldaten gefunden und zu einem uniformierten und bewaffneten Dolmetscher der US Army gemacht.

Sein Vater David Lustiger war fur kurze Zeit ins KZ Blechhammer verbracht und dann im KZ Auschwitz-Birkenau getotet worden. Arno Lustiger blieb nach dem Krieg in Deutschland. Die Einwanderung ( Alija ) nach Palastina bzw. Israel war ihm wegen des dortigen heißen Klimas und seiner angegriffenen Gesundheit nicht moglich. [2] Seine Schwester hatte das KZ Bergen-Belsen uberlebt. Sie durfte nicht in die USA einreisen, weil sie an Tuberkulose erkrankt war.

Nach 1945: Unternehmensaufbau und Forschung zur Aufarbeitung des NS-Regimes

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebte Arno Lustiger in Frankfurt am Main. Als Textilfabrikant baute er dort ein erfolgreiches Unternehmen fur Damenmoden auf. Er war Mitbegrunder der Judischen Gemeinde Frankfurt am Main und Vorstandsmitglied der Budge-Stiftung . Ab dem Ende der 1980er Jahre ? nach ?40 Jahren des Schweigens“, wie er es selbst formulierte, [3] begann Lustiger, zur judischen Geschichte vor allem im 20. Jahrhundert zu publizieren. Er widmete sich besonders der deutsch-judischen Geschichte , dem Spanischen Burgerkrieg , dem judischen Widerstand sowie der Verfolgung der Juden in der Sowjetunion unter Stalin , vor allem in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Er war vom Sommersemester 2004 bis zum Sommersemester 2006 Gastprofessor am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main. [4]

Arno Lustiger (2005)

In einer viel beachteten Kontroverse widersprach Lustiger dem amerikanischen Historiker Raul Hilberg , der die Position vertrat, der judische Widerstand gegen das NS-Regime sei belanglos gewesen. [3]

Am 27. Januar 2005 sprach Arno Lustiger anlasslich der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus zusammen mit Wolf Biermann vor dem Deutschen Bundestag . Unter anderem wies er auf die fehlende historische Aufarbeitung der Todesmarsche von KZ-Haftlingen hin, denen mehrere hunderttausend Haftlinge auf den Straßen des Deutschen Reichs zum Opfer gefallen waren. [5]

Arno Lustiger appellierte am 17. Januar 2006 durch einen von ihm verfassten Aufruf an Freunde und Bekannte, die fur den 20. Januar 2006 in der Frankfurter Heiliggeistkirche geplante Vorstellung des Buches Ich will nicht mehr schweigen. Uber Recht und Gerechtigkeit in Palastina von Rupert Neudeck zu verhindern. [6] Dieser Aufruf hatte Erfolg, weil die evangelische Kirche den dafur vorgesehenen Saal nicht mehr zur Verfugung stellen wollte. Lustiger bezeichnete die fur die Veranstaltung vorgesehenen Redner als ?eigentumliche Gestalten“ und hielt sie offensichtlich fur Feinde Israels.

Am 10. September 2006 erschien ein Essay von ihm, leicht gekurzt, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung . Es tragt den Titel Dichtung und Wahrheit? Nein, Schummelei! Es handelt sich um Anmerkungen zum jungsten Buch von Gunter Grass . Lustiger ubt darin Kritik an Gunter Grass, ohne ihn jedoch zu verdammen. [7]

Lustiger wurde Vater zweier Tochter, der Malerin Rina Lustiger und der Schriftstellerin Gila Lustiger . Jean-Marie Kardinal Lustiger , der am 5. August 2007 verstorbene Erzbischof von Paris, war sein Cousin. [8]

Eine tiefe Freundschaft verband Lustiger mit dem Schriftsteller Valentin Senger , den er auch geistig und in seiner inhaltlichen Arbeit unterstutzte. In Interviews und auf Veranstaltungen nannte er Senger seinen ?Bruder“, wahrend beide nicht verwandt waren. [9]

Als Autor

  • ?Schalom Libertad!“ Juden im Spanischen Burgerkrieg. Athenaum, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-610-08529-0 .
  • ?Sog nit kejnmol“ ? Lieder des judischen Widerstandes. Stadt Frankfurt am Main, Dezernat fur Kultur und Freizeit u. a., Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-88270-855-7 .
  • Zum Kampf auf Leben und Tod! Das Buch vom Widerstand der Juden 1933?1945. Kiepenheuer & Witsch, Koln 1994, ISBN 3-462-02292-X .
  • Rotbuch: Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Judischen Antifaschistischen Komitees und der sowjetischen Juden. Aufbau-Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-351-02478-9 . [10]
  • Wir werden nicht untergehen. Zur judischen Geschichte. Ullstein, Munchen 2002, ISBN 3-550-07546-4 .
  • Sing mit Schmerz und Zorn. Aufbau, Berlin 2004, ISBN 3-351-02579-3 .
  • Renate Kingma: Spuren der Menschlichkeit, Hilfe fur judische Frankfurter im Dritten Reich. Geleitwort von Arno Lustiger. CoCon, Hanau 2006, ISBN 3-937774-33-5 .
  • Rettungswiderstand. Uber die Judenretter in Europa wahrend der NS-Zeit. Wallstein, Gottingen 2011, ISBN 978-3-8353-0990-6 .

Als Gesprachspartner

  • B. Kerski, J. Skibinska (Hrsg.): Ein judisches Leben im Zeitalter der Extreme. Gesprache mit Arno Lustiger. Fibre, Osnabruck 2004, ISBN 3-929759-93-4 .
  • Das wird dir niemand glauben. In: Martin Doerry (Hrsg.): Nirgendwo und uberall zu Haus. Gesprache mit Uberlebenden des Holocaust. Deutsche Verlags-Anstalt, Munchen 2006, ISBN 3-421-04207-1 , S. 142?151 (auch als CD).
  • Arno Lustiger erzahlt aus seinem Leben: ?Ich habe mein ganzes Leben Gluck gehabt.“ In der Edition Zeugen einer Zeit . Aktives Museum Spiegelgasse fur Deutsch-Judische Geschichte e. V., Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-941289-01-7 (1 Audio-CD).

Als Herausgeber

  • Das wird dir niemand glauben. In: Der Spiegel . 23. Januar 2006, S. 138?142.
  • Sing mit Schmerz und Zorn. Ein Leben fur den Widerstand. Aufbau-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-351-02579-3 .
  • David Dambitsch: Im Schatten der Shoah. Gesprache mit Uberlebenden und deren Nachkommen. Philo Verlagsges., Berlin 2002, ISBN 3-8257-0246-4 .
  • David Dambitsch: Stimmen der Geretteten. Berichte von Uberlebenden der Shoah. Der Audio Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89813-213-7 (Audio-CD).
  • Sigismund von Dobschutz: Von der Kurstadt ganz begeistert. Professor Dr. Arno Lustiger will nach Bad Kissingen ziehen. In: Saale-Zeitung. 7. Dezember 2007.
  • Julius H. Schoeps : Begegnungen. Menschen, die meinen Lebensweg kreuzten. Berlin 2016, ISBN 978-3-633-54278-9 , S. 149?164.
Commons : Arno Lustiger  ? Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Meldung in der Judische Allgemeine vom 16. Mai 2012
  2. Ein Mann, der nie aufgeben wollte. In: Berliner Morgenpost , 18. Mai 2012, S. 19.
  3. a b Joachim Kappner: Arno Lustiger uber Rettung. In: Suddeutsche Zeitung , 12./13. November 2011, S. V2/8.
  4. Gastprofessur am Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main ( Memento vom 5. Juni 2004 im Internet Archive )
  5. Video der Gedenkstunde fur die Opfer des Nationalsozialismus mit Arno Lustiger und Wolf Biermann vom 27. Januar 2005 , abgerufen am 24. August 2022.
  6. Aufruf vom 17. Januar 2006 (PDF-Datei; 67 kB)
  7. Der ungekurzte Text ist auf den Seiten des Fritz-Bauer-Institutes zu finden. Anmerkungen zu Gunter Grass’ Buch ?Das Hauten der Zwiebel“. ( Memento vom 1. November 2006 im Internet Archive ) (PDF-Datei)
  8. Arno Lustiger: Mein Cousin, der Kardinal. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 182 vom 8. August 2007.
  9. Ein außergewohnlicher Mensch FR-Gastbeitrag: Arno Lustiger erzahlt von seiner Zeit und tiefen Freundschaft mit Valentin Senger
  10. Rezensionen: A. Kuchenbecker, in: Die Zeit , 3. Dezember 1998; Leonid Luks in FAZ , 26. November 1998.