Anton Radziwill
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Anton von Radziwill
.
Antoni Henryk Radziwiłł
oder deutsch
Furst
Anton Heinrich Radziwill
[1]
(*
13. Juni
1775
in
Wilna
; †
7. April
1833
in
Berlin
), seit 1814
Majoratsherr
in
Njaswisch
und
Olyka
, war ein
polnisch-litauischer
und
preußischer
Politiker
(Furst und Statthalter), Großgrundbesitzer, Musiker und
Komponist
. Er gilt als Verfechter einer deutsch-polnischen Annaherung.
[2]
Seine Eltern waren der letzte
Woiwode
von
Wilno
, der Furst
Michał Hieronim Radziwiłł
(1744?1831), und dessen Gattin
Helena geborene Grafin Prze?dziecka
(1753?1821). Die Radziwiłłs gehorten zu den reichsten und machtigsten
Magnaten
Polen-Litauens
sowie zu den neun Familien, die schon seit 1515
Reichsfursten
im
Heiligen Romischen Reich
waren und seit 1569 diesen Titel in der sonst titellosen Adelsrepublik fuhren durften.
Antoni Henryk studierte ab 1792 mit seinen Brudern in
Gottingen
. 1794 erhielt er eine Einladung an den Hof
Friedrich Wilhelms II.
von
Preußen
. Als nach dem
Untergang Polens
Warschau
vorubergehend preußisch war, besuchte die preußische Konigsfamilie 1795 Radziwiłłs Eltern auf deren
Schloss Nieborow
bei
Łowicz
. Dabei verliebten sich Antoni Henryk und die funf Jahre altere Prinzessin
Luise von Preußen
, eine Nichte
Friedrichs II.
und Schwester des Prinzen
Louis Ferdinand von Preußen
. Nach zahen Verhandlungen durften die beiden am 17. Marz 1796 heiraten. Ihre Ehe dauerte 37 Jahre und galt als glucklich.
Sein Leben lang pendelte Antoni Henry Radziwiłł zwischen Berlin,
Posen
,
Warschau
,
Nieborow
und
Sankt Petersburg
, immer bemuht, die Wiederaufrichtung Polens in Personalunion mit dem Konigreich Preußen zu fordern, was jedoch in Polen auf wenig Gegenliebe stieß. Solange das sogenannte
Sudpreußen
mit Warschau preußisch blieb, trug er sich mit Planen, daraus ein neues Konigreich Polen unter dem Konig von Preußen zu schaffen. In den Jahren 1802 bis 1805 stand er dem Prinzen
Jozef Antoni Poniatowski
nahe, gewann aber keine Unterstutzung fur seine polnisch-preußischen Plane.
1806 schien
Friedrich Wilhelm III.
entschlossen, Radziwiłłs Konzeption durchzufuhren und gab ihm den Auftrag, eine Verfassung fur Preußisch-Polen auszuarbeiten: Es sollte zu einem Konigreich Polen ausgerufen werden, mit eigener Verwaltung und eigenem Heer, wobei Radziwiłł selbst als
Vizekonig
und
Tadeusz Ko?ciuszko
als Oberkommandierender des Heeres fungieren sollten. Die preußische Niederlage in der
Schlacht bei Jena und Auerstedt
im selben Jahre machte alle diese Plane zunichte.
Ab 1815 anderte sich die Situation des Fursten: Er residierte zwar in Berlin (in seinem
Rokoko
-Palais an der Wilhelmstraße 77, der spateren
Reichskanzlei
), besaß aber in Preußen nur wenige Guter: Das Majorat
Przygodzice
bei
Ostrow Wielkopolski
in der
Provinz Posen
mit dem von
Karl Friedrich Schinkel
1822?1824 erbauten Jagdschloss
Antonin
, spater auch das 1825 angekaufte Waldgut Ruhberg bei
Kowary
im
Riesengebirge
. Ein paar zerstreute Guter waren seit 1772 Teil des osterreichischen
Galiziens
. Nieborow gehorte nun zu
Kongresspolen
.
Der Hauptbesitz des Hauses Radziwiłł aber, die
Majorate
Njaswisch
,
Olyka
und
Mir
, lagen in Belarus und der Ukraine, also auf russisch kontrolliertem Gebiet. Sie hatten seinem Vetter Dominik Hieronim gehort, der als Offizier der
Polnischen Legion
auf Seiten
Napoleons
gekampft und 1813 bei
Hanau
gefallen war. Darauf hatte
Alexander I.
sie
konfisziert
. Um sie fur die Familie zu retten, betatigte sich Antoni Henryk auf dem
Wiener Kongress
als Berater des Kaisers. Vor allem aber war ihm die verwandtschaftliche Beziehung zum preußischen Konig hilfreich. So erhielt er das gebundene Vermogen Dominik Hieronims zuruck, und dessen Erbtochter Stefania (1809?1832), nachdem sie 1828 den Russen
Ludwig zu Sayn-Wittgenstein-Sayn
geheiratet hatte, das nicht gebundene.
[3]
Im Besitz des
Familienfideikommisses
seines Vetters war Radziwiłł nun Oberhaupt seines Hauses und einer der großten Grundbesitzer Russisch-Polens.
[4]
Weil Auslander dort kein Land besitzen durften, erwog er zeitweise, sich
naturalisieren
zulassen. Seine Verwandtschaft mit dem preußischen Konigshaus half ihm jedoch, die Guter unbeanstandet behalten zu konnen, obwohl er nach Berlin zuruckkehrte. Das prunkvolle
Radziwiłł-Palais
im Zentrum von Warschau aber verkaufte er 1818 dem Staat ? es wurde Amtssitz des
Gouverneurs
und schließlich
Residenz
des polnischen Staatsprasidenten. Das heruntergekommene
Schloss Njaswisch
mit seinen 350 Raumen machte erst Radziwiłłs Enkel Antoni Fryderyk Wilhelm (1833?1904) wieder bewohnbar. Die Majorate Njaswisch und Olyka verblieben bis 1939 im Familienbesitz.
Mit dem mehrheitlich von Polen bewohnten
Großherzogtum Posen
schuf der Wiener Kongress einen mehrheitlich von Polen bewohnten
Satellitenstaat
Preußens. Radziwiłł wurde 1815 zu dessen
Statthalter
ernannt, auch erhielt er den Rang eines
Generalleutnants
und spater eines
Staatsrats
. Seinen Amtssitz hatte er im ehemaligen
Posener Jesuitenkollegium
. Im Namen des Konigs nahm er die Huldigung von 700 Vertretern von Adel, Geistlichkeit, Beamten und Bauern entgegen. Als seine Aufgabe sah er an, die Polen mit Preußen zu versohnen und an die Hohenzollern-Dynastie zu binden, wogegen die Polen vor allem Selbstverwaltung anstrebten.
Der Statthalter hatte nur reprasentative und beratende Funktion: Er prasidierte die Zusammenkunfte der Regierungen von Posen und
Bromberg
und konnte gegen Beschlusse, welche die polnische Bevolkerungsmehrheit betrafen, sein Veto einlegen, wobei der endgultige Beschluss beim Konig lag. Seine Beziehungen zum ersten
Oberprasidenten
der Provinz,
Joseph von Zerboni di Sposetti
, gestalteten sich gut, verfeindet war er dagegen mit General
Friedrich Erhardt von Roder
, dem die preußischen Truppen im Großherzogtum unterstanden. Fur die Polen tat er viel: Er intervenierte stets bei der Ernennung hoherer Beamten und Geistlichen, unterstutzte die
Petitionen
des
Posener Landtags
und half aufstrebenden Talenten. Er wurde fur seine Kultur, Hoflichkeit und Menschenbehandlung geschatzt. Seine Frau war den Polen wohlgeneigt und in der Wohltatigkeit engagiert. Sie half oft durch ihre Kontakte zum Berliner Hof und zu Kanzler
Hardenberg
, mit dem sie jahrelang korrespondierte, antipolnische Maßnahmen der preußischen Beamtenschaft ruckgangig zu machen. Alles in allem wird Radziwiłł in Polen aber als schwacher und unselbstandiger Politiker gesehen.
Seine politische Karriere wurde durch erfolglose Verhandlungen in den Jahren 1822 bis 1824 uber eine Heirat seiner Tochter
Eliza
mit dem Prinzen Wilhelm (Kaiser
Wilhelm I.
) beeintrachtigt, der
Novemberaufstand
von 1830 in Kongresspolen beendete sie. Den Ausschlag gab die Rolle seines jungeren Bruders
Michał Gedeon Radziwiłł
(1778?1850) als Oberbefehlshaber der Aufstandischen. 1831 hob Friedrich Wilhelm III. die Posener Statthalterschaft auf.
Radziwiłł war auch Musiker und
Komponist
. Wie
Friedrich Wilhelm II.
von Preußen spielte er
Cello
. Zu seinen Werken zahlen
Compositionen zu
Goethes
Faust
,
[5]
Complainte de
Maria Stuart
sowie Lieder, darunter Lieder mit Begleitung der Gitarre und des Violoncellos (erschienen in Leipzig bei Breitkopf & Hartel).
Ludwig van Beethoven
widmete ihm die Große Ouverture C-Dur, op. 115,
Maria Szymanowska
die Serenade fur Klavier mit Cellobegleitung,
Fryderyk Chopin
das Trio fur Klavier, Violine und Cello g-Moll, op. 8.
Er starb 1833 in Berlin und wurde im
Posener Dom
beigesetzt. Seine Gemahlin folgte ihm drei Jahre spater. Nach seinem Tod wurden die Majorate unter den Sohnen aufgeteilt, so dass nun zwei Hauptlinien des Geschlechts existierten, die Herzoge von Njaswisch und Olyka. Erst als die
Latifundien
langst enteignet waren, gelangten die beiden Titel wieder in den Besitz einer einzigen Person, des Warschauer Arztes Ferdynand Radziwiłł (1935?1992).
Luise von Preußen gebar ihm sieben Kinder, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten:
- Almanach de Gotha.
127. Jahrgang, Justus Perthes, Gotha 1890 (
Digitalisat
http://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3D2zUoAAAAYAAJ%26pg%3DPP349~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D
), S. 347?349.
- Robert Eitner:
Radziwill, Anton Heinrich Furst von
.
In:
Allgemeine Deutsche Biographie
(ADB). Band 27, Duncker & Humblot, Leipzig 1888, S. 154 f.
- Otto Tschirch
:
Furst Anton Heinrich v. Radziwil und seine Hausmusik
. In:
Mitteilungen des Vereins fur die Geschichte Berlins
.
Nr.
24
, 1907,
S.
229?234
(
zlb.de
).
- Bogdan Graf von Hutten-Czapski
:
Sechzig Jahre Politik und Gesellschaft.
2 Bande. Mittler, Berlin 1936.
- Szymon Konarski:
Armorial de la noblesse polonaise titree.
Selbstverlag, Paris 1957.
- Tadeusz Nowakowski
:
Die Radziwills: Die Geschichte einer großen europaischen Familie.
Nach dem polnischen Manuskript ubersetzt von Janusz von Pilecki und Josef Hahn, vom Autor durchgesehene und erganzte Fassung. dtv, Munchen 1975 (Erstausgabe 1966), S. 268 ff.
- Andrzej Tomaszewski
:
Polnische Aristokraten und die Berliner Kultur des 19. Jahrhunderts
. In:
Wissenschaftskolleg zu Berlin, Jahrbuch 1981/82
. Quadriga, Berlin 1983,
ISBN 3-88679-300-1
,
S.
290?302
.
- Adam Galos
, Alina Nowak-Romanowicz:
Radziwiłł Antoni Henryk (1775?1833).
In:
Polski Słownik Biograficzny
. Band 30, Krakau 1987, S. 156?160.
- Lech Kolago:
Zur Problematik der polnisch-deutschen Beziehungen in Literatur und Musik im 19. Jahrhundert.
In: Jan Papior (Hrsg.):
Polnisch-deutsche Wechselbeziehungen im zweiten Millenium
. Teil 1, Wydawnictwo Akademii Bydgoskiej im. Kazimierza Wielkiego, Bydgoszcz 2001,
ISBN 83-7096-416-8
, S. 362?378.
- Beate Agnes Schmidt: Radziwill, Anton Heinrich von,
Antoni Henryk.
In:
Musik in Geschichte und Gegenwart
. 2. uberarbeitete Auflage. Personenteil Band 13. Kassel 2005,
ISBN 3-7618-1133-0
;
mgg-online.com
- Beate Agnes Schmidt:
Musik in Goethes Faust. Dramaturgie, Rezeption und Auffuhrungspraxis
. Sinzig 2006,
ISBN 3-89564-122-7
, S. 203?288.
- Lech Trzeciakowski:
Furst Anton Heinrich Radziwiłł. Ein Verfechter polnisch-deutscher Annaherung.
In:
Krzysztof Ruchniewicz
,
Marek Zybura
(Hrsg.):
?Der du mein ferner Bruder bist …“ Polnische Deutschlandfreunde in Portrats.
Fibre, Osnabruck 2015,
ISBN 978-3-938400-84-5
, S. 11?30.
- Josef Zuth
:
Handbuch der Laute und Gitarre.
Verlag der Zeitschrift fur die Gitarre (Anton Goll), Wien 1926 (1928), S. 227.
- ↑
Litauisch
: Antanas Henrikas Radvila; deutsch: Anton Heinrich Radziwill.
- ↑
Lech Trzeciakowski:
Furst Anton Heinrich Radziwiłł. Ein Verfechter polnisch-deutscher Annaherung.
In: K. Ruchniewicz, M. Zybura (Hrsg.):
?Der du mein ferner Bruder bist…“ Polnische Deutschlandfreunde in Portrats.
Osnabruck 2017, S. 11?30.
- ↑
Als letztes Familienmitglied besaß diese Guter, die großer waren als ein deutscher Kleinstaat, Stefanias Tochter Maria (1829?1897), Gattin von
Reichskanzler
Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfurst
.
- ↑
Alfons
Clary-Aldringen
:
Geschichten eines alten Osterreichers.
Ullstein, Frankfurt 1977,
ISBN 3-550-07474-3
, Seite 28.
- ↑
Compositionen zu
Goethes
Faust
vom Fursten Anton Radziwill.
Partitur. Trautwein, Berlin 1835.