Antifaschistischer Schutzwall

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Dieses Foto der am 14. August 1961 am Brandenburger Tor entstandenen Serie war eine Medienikone der DDR

Antifaschistischer Schutzwall hieß im offentlichen Sprachgebrauch der DDR die Berliner Mauer . Eingefuhrt von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), war der zusammengesetzte Name fur das Bauwerk sinngebend und uberhohend gemeint.

Briefmarke zum 20. Jahrestag der Kampfgruppen vom 11. September 1973
Kampfappell der Berliner Kampfgruppen in der Karl-Marx-Allee zum 25. Jahrestag der Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls am 13. August 1986
Ost-Berliner Festumzug 750 Jahre Berlin am 4. Juli 1987 mit Teilnehmern der Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls

Zur ideologischen Auseinandersetzung im geteilten Deutschland hatte schon in den 1950er Jahren der Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus gehort. In der westlichen Offentlichkeit erschien die DDR mit Einparteienherrschaft, Beseitigung burgerlicher Freiheiten, Justizterror und Geheimpolizei als Fortsetzung der totalitaren Nazi-Diktatur mit gewechseltem Vorzeichen. Dagegen sah die DDR im nach wie vor kapitalistischen Westdeutschland den ? Faschismus “ sich wegen seiner zahlreich in Wirtschaft, Politik, Justiz, Militar und Verbanden tatigen ehemaligen Trager und Unterstutzer wieder erheben. So prasentierte die DDR im Juli 1960 als Zeugen fur die ?Faschisierung der Bundeswehr und des gesamten Bonner Staatsapparates“ der Weltoffentlichkeit die angeblich in die DDR aus Gewissensgrunden gefluchteten ehemaligen Bundeswehroffiziere Bruno Winzer und Adam von Gliga . [1]

Als die Mauer errichtet war, forderte ihr bloßer Anblick mit Wachturmen, Stacheldraht , Todesstreifen , nachtlicher Dauerbeleuchtung und die bald registrierten Todesschusse auf Fluchtende zum Vergleich mit Konzentrationslagern auf, die sich in der westlichen Offentlichkeit mit Ausdrucken wie ?rotes KZ“ und ?Ulbricht-KZ“ fur die DDR und ?Ulbricht- SS “ fur die Grenzsoldaten niederschlugen. Der vom Regierenden Burgermeister Willy Brandt noch im August 1961 gepragte Begriff ? Schandmauer [2] wurde schnell allgemein bekannt. Auf DDR-Seite erteilte im Herbst 1961 das Politburo der SED dem Leiter der Abteilung Agitation beim Zentralkomitee der SED Horst Sindermann den Auftrag, eine ideologische Begrundung fur den Mauerbau zu erarbeiten. Dabei ersann Sindermann die Bezeichnung ?antifaschistischer Schutzwall“. Sein Motiv fur die Wortwahl erklarte er im Mai 1990 dem Spiegel : ?Wir wollten nicht ausbluten, wir wollten die antifaschistisch-demokratische Ordnung, die es in der DDR gab, erhalten. Insofern halte ich meinen Begriff auch heute noch fur richtig.“ [3]

Im Herbst des Jahres 1961 fand die Bezeichnung Eingang in die politische Sprache der SED. In seiner Grußansprache an den XXII. Parteitag der KPdSU am 20. Oktober 1961 in Moskau ruhmte Walter Ulbricht den Beitrag der DDR zum ?Friedenskampf“ durch Errichtung eines ?antifaschistischen Schutzwalls“ um West-Berlin, [4] und wenig spater benutzte das SED-Zentralorgan Neues Deutschland die Bezeichnung. [5] Eine fur Westdeutsche bestimmte Propagandabroschure aus dem Dezember 1961 teilte mit, am 13. August habe ein antifaschistischer Schutzwall den ?Kriegsbrandherd Westberlin unter Kontrolle gebracht“. [6]

Die Bezeichnung ? antifaschistisch “ verwies auf die Legitimationslegende der DDR als ?antifaschistischer“ Staat. [7] Hinzu kam, dass die deutschen Kommunisten traditionell ?beinahe jegliche [ihnen] entgegenstehende Kraft pauschal als eine Variante von Faschismus “ brandmarkten. [8] Der Begriff ?Schutzwall“ entsprach dem Kernargument der SED zur Errichtung der Berliner Mauer, wonach der DDR die Absperrung West-Berlins Schutz vor ?Menschenhandel“, ?Sabotage“, Faschisten und Kriegstreibern biete, erinnerte aber unwillkurlich an Befestigungslinien aus nationalsozialistischer Zeit wie den Westwall und den Atlantikwall . [9]

In seiner Sitzung vom 31. Juli 1962 legte das Politburo der SED bei der Planung einer Propagandakampagne zum ersten Jahrestag des Mauerbaus Sindermanns Worte als verbindliche Bezeichnung der Berliner Mauer in der Offentlichkeit der DDR fest. Dabei blieb es. [10] Bis um die Mitte der 1960er Jahre verdrangte ?antifaschistischer Schutzwall“ andere Bezeichnungen, zu denen auch ?die Mauer“ gehort hatte. Fortan galt gesellschaftlich die Bezeichnung ?antifaschistischer Schutzwall“ als Zeichen politischen Wohlverhaltens. [11] Sie verbreitete sich uber die Propaganda hinaus in Schul- und Lehrbucher und in akademische Darstellungen. [12]

In der Offentlichkeit der DDR ubernahm die SED die vollstandige Kontrolle uber bildliche Darstellungen der Grenzbefestigungen in Berlin. Zugleich mussten die erlaubten Abbildungen der Grenzanlagen in Berlin in Zusammenhang mit dem Brandenburger Tor stehen. Einzig die Fotos aus einer am 14. August 1961 dort entstandenen Serie der Nachrichtenagentur ADN waren zur Dokumentation der Absperrmaßnahmen zugelassen. Ein Foto, das vier bewaffnete Angehorige der Kampfgruppen der Arbeiterklasse mit dem Tor im Rucken und kampfentschlossenem Blick nach Westen zeigte, wurde zu einer Medienikone der DDR. Das Tor wurde bei Paraden und auf Briefmarken zum Logo der Mauer. [13]

Als Willy Brandt und Egon Bahr gegen Ende der 1960er Jahre gegenuber der DDR eine ? Politik der kleinen Schritte “ einleiten, verzichteten sie auf Vokabeln wie ?Schandmauer“ und ?Ulbricht-KZ“. Ein weiterer Grund fur das zunehmende Verstummen der Nazi-Vergleiche zum Thema Mauer war die Mitte der 1960er Jahre mit dem Auschwitz-Prozess beginnende Aufarbeitung der NS-Diktatur . [14]

Obwohl sie sich auf die Politik der kleinen Schritte eingelassen hatte, blieb es in der DDR bis in ihre letzten Jahre bei der Bezeichnung ?antifaschistischer Schutzwall“, aber im Jahr 1988 fehlte der ?antifaschistische Schutzwall“ in den Lehrplanen fur die Schulen. [15] In dieser Zeit ruckten sowjetische Stimmen durch offentliche Erklarungen von der Mauer ab. Ein Berater Michail Gorbatschows , Wjatscheslaw Daschitschew , erklarte im Juni 1988, die Mauer sei ?ein Relikt des Kalten Krieges“, Außenminister Eduard Schewardnadse bezeichnete im Februar 1989 die ?Berliner Mauer“ als ?eine innere Angelegenheit der DDR“, ebenso außerte sich im Bonner Presseclub Alexander Jakowlew : ?Nicht wir haben diese Mauer gebaut. Das ist eine Sache der DDR.“ [16]

Im Jahr 1971 kam es zu einem Postkrieg zwischen der Bundesrepublik und der DDR, nachdem die Deutsche Post am 12. August 1971 zwei Briefmarken 13. August 1961?1971 zum ehrenden Gedenken an die Errichtung der Mauer herausgegeben hatte. Die Deutsche Bundespost schickte derart frankierte Briefe an die Absender in der DDR zuruck, zumal die Ersttagsbriefe den Aufdruck 10 Jahre antifaschistischer Schutzwall. 10 Jahre sicherer Schutz des Friedens und des Sozialismus trugen. [17]

Als die Deutsche Post am 5. August 1986 eine Briefmarke 25 Jahre antifaschistischer Schutzwall herausgab, verkundete der Bundesminister fur Post und Fernmeldewesen , Christian Schwarz-Schilling , das ?Ende der philatelistischen Grabenkampfe“. Er entschied, dass lediglich die Ersttagsbriefe zuruckgeschickt werden, um nicht dazu beizutragen, dass die Mauer in der Philatelie zu einer ?Raritat“ werde. [18]

Einzelnachweise

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  1. ?Operation Straußenei“; siehe dazu Bernd Stover : ?Das ist die Wahrheit, die volle Wahrheit.“ Befreiungspolitik im DDR-Spielfilm der 1950er und 1960er Jahre. In: Thomas Lindenberger (Hrsg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen. Bohlau, Koln, Weimar, Wien 2006, ISBN 978-3-412-23105-7 , S. 63
  2. Der Begriff ?Schandmauer“ im Bulletin der Bundesregierung vom 8. September 1961, chronik-der-mauer
  3. Siegfried Prokop : Die Berliner Mauer (1961?1989). Fakten, Hintergrunde, Probleme. Homilius, Berlin 2009, ISBN 978-3-89706-404-1 , S. 56.
  4. Ulbricht-Zitat bei Manfred Wilke : Der Weg zur Mauer, Stationen der Teilungsgeschichte. Ch. Links, Berlin 2011, ISBN 978-3-86153-623-9 , S. 372 f.
  5. Leitartikel ?Erst Sicherheit“ vom 5. Dezember 1961.
  6. Michael Kubina: Die SED und ihre Mauer. In: Klaus-Dietmar Henke : Die Mauer. Errichtung, Uberwindung, Erinnerung. Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen 2011, ISBN 978-3-423-24877-8 , S. 83.
  7. Herfried Munkler : Antifaschismus als Grundungsmythos der DDR. In: Manfred Agethen, Eckhard Jesse , Ehrhart Neubert (Hrsg.): Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebensluge der deutschen Linken. Herder, Freiburg im Breisgau / Basel / Wien 2002, ISBN 3-451-28017-5 , S. 79?99, zur Mauer S. 87.
  8. Elena Demke: ?Antifaschistischer Schutzwall“ ? ?Ulbrichts KZ“. Kalter Krieg der Mauer-Bilder. In: Klaus-Dietmar Henke : Die Mauer. Errichtung, Uberwindung, Erinnerung. Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen 2011, ISBN 978-3-423-24877-8 , S. 103.
  9. Elena Demke: ?Antifaschistischer Schutzwall“ ? ?Ulbrichts KZ“. Kalter Krieg der Mauer-Bilder. In: Klaus-Dietmar Henke : Die Mauer. Errichtung, Uberwindung, Erinnerung. Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen 2011, ISBN 978-3-423-24877-8 , S. 97, mit Hervorhebung der in SED-Propagandaschriften zitierten Begriffe.
  10. Michael Kubina: Die SED und ihre Mauer. In: Klaus-Dietmar Henke : Die Mauer. Errichtung, Uberwindung, Erinnerung. Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen 2011, ISBN 978-3-423-24877-8 , S. 87.
  11. Elena Demke: ?Antifaschistischer Schutzwall“ ? ?Ulbrichts KZ“. Kalter Krieg der Mauer-Bilder. In: Klaus-Dietmar Henke : Die Mauer. Errichtung, Uberwindung, Erinnerung. Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen 2011, ISBN 978-3-423-24877-8 , S. 97, dort auch zum Gebrauch von Mauer im Jahr 1964 Anm. 2 (S. 481).
  12. Gerald Diesner: 17. Juni 1953 und 13. August 1961 ? Bemerkungen zur politischen Propaganda an zwei Knotenpunkten der DDR-Geschichte. In Torsten Diedrich , Ilko-Sascha Kowalczuk (Hrsg.): Staatsgrundung auf Raten? Zu den Auswirkungen des Volksaufstandes 1953 und des Mauerbaus 1961 auf Staat, Militar und Gesellschaft in der DDR. Links, Berlin 2005, ISBN 978-3-86153-380-1 , S. 275?285, hier S. 283.
  13. Leo Schmidt: Die universelle Ikonisierung der Mauer. In: Klaus-Dietmar Henke : Die Mauer. Errichtung, Uberwindung, Erinnerung. Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen 2011, ISBN 978-3-423-24877-8 , 456?468, hier S. 458 f.
  14. Elena Demke: ?Antifaschistischer Schutzwall“ ? ?Ulbrichts KZ“. Kalter Krieg der Mauer-Bilder. In: Klaus-Dietmar Henke : Die Mauer. Errichtung, Uberwindung, Erinnerung. Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen 2011, ISBN 978-3-423-24877-8 , S. 107 f.
  15. Siegfried Prokop : Die Berliner Mauer (1961?1989). Fakten, Hintergrunde, Probleme. Homilius, Berlin 2009, ISBN 978-3-89706-404-1 , S. 56
  16. Christina Bollin, Peter Fischer-Bollin: ?Mauer“. In: Werner Weidenfeld , Karl-Rudolf Korte (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Einheit. 1949?1989?1999. Campus, Frankfurt/Main / New York 1999, ISBN 978-3-593-36240-3 , S. 547?558, hier S. 553.
  17. Jan Rosenkranz: Salto postale. Der kalte Philateliekrieg nach dem Mauerbau. In: der Freitag , 10. August 2001.
  18. Constantin Graf von Hoensbroech: Postalische und philatelistische Grabenkampfe. Bei: tabularasamagazin.de, 24. Januar 2010.