Angewandte Wissenschaft

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Wissenschaftlerin an einem Prufstand fur optische Kommunikationssysteme

Unter der Bezeichnung Angewandte Wissenschaft werden wissenschaftliche Tatigkeiten und Disziplinen verstanden, die im Gegensatz zur Grundlagenforschung vor allem durch das Ziel des Nutzens und der direkten praktischen Anwendung des gewonnenen Wissens motiviert sind. [1] [2]

Zum heutigen Begriff der angewandten Wissenschaften

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Verselbstandigungsprozesse von Themengebieten und resultierende Disziplinen

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Im allgemeinen Sprachgebrauch dient der Ausdruck angewandte Wissenschaft ? bzw. angewandte wissenschaftliche Disziplin ? der Unterscheidung zu der reinen Grundlagenforschung. Unter Anwendungsforschung bzw. angewandter Forschung werden alle Tatigkeiten im Bereich der Forschung verstanden, die den Hauptzweck haben, neues Wissen zu generieren bzw. vorhandenes Wissen neu zu kombinieren und auch Probleme im Bereich Technik und Wirtschaft zu losen. Dabei wird weitgehend praktisch gearbeitet und kann dabei direkt oder indirekt der Nutzung des jenigen Themas dienen. [1]

Dabei konnen auch neue Fachrichtungen entstehen, beispielsweise durch Schnittgebiete, welche durch weitere angewandte Forschung ausgeweitet werden konnen. Ein Beispiel ware Biowissenschaften als Schnittstelle von Agrarwissenschaften und Physik . Durch Verlinkungen dieser Art expandieren unterschiedliche Praktiken der Forschung und konnen ganzlich neue Anwendungen ehemals eher theoretischer Themengebiete hervorrufen. Meist bilden solche abgespaltenen Disziplinen schnell selbst wieder angewandte und theoretische Zweige heraus und konnen wiederum zu neuen Fachbereichen verzweigt werden.

Angewandte Wissenschaft als Charakterisierungsmerkmal bestimmter Bildungseinrichtungen

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Fachhochschulen im deutschen Sprachraum beispielsweise durfen seit den 1990er Jahren ihren Namen mit einem englischen oder franzosischen Untertitel, etwa University of Applied Sciences (Universitat fur angewandte Wissenschaften), erganzen. Verbunden mit der Umstellung auf die internationalen Bachelor- und Master-Studiengange , wurden damit aus den ?Fachhochschulen (FH)“ ganz offiziell ?Hochschulen fur angewandte Wissenschaften (HAW)“. Diese Bezeichnung macht zugleich deutlich, dass sich diese Hochschulform dezidiert auf anwendungsnahe Studiengange und anwendungsbezogene Forschung fokussiert.

Beispiele fur Fachbereiche Angewandter Wissenschaft

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Vornehmlich angewandt sind Fachbereiche wie die Schul padagogik , die Jugendpsychologie , die soziale Arbeit , Betriebswirtschaftslehre , die Agrar- oder die Ingenieurwissenschaften . Das Selbstverstandnis eines Faches als angewandte Wissenschaft ist aber kultur- und wissenschaftsgeschichtlich determiniert. Indem sich die Ingenieurwissenschaften ausdrucklich mit den angewandten Wissenschaften verbunden sehen, grenzen sie sich von den meist als Grundlagenfacher verstandenen Disziplinen wie Mathematik und Physik ab. Innerhalb dieser Grundlagenfacher gibt es aber auch Arbeitsrichtungen, die sich als angewandte Mathematik beziehungsweise angewandte Physik verstehen. Auf interdisziplinare Fragestellungen sind die angewandte Linguistik und die angewandte Informatik ausgerichtet.

Wissenschaftsbereiche wie die Jurisprudenz oder Humanmedizin zahlen mit ihren meist praxisbezogenen Disziplinen auch zu den angewandten Wissenschaften, ohne sich als solche zu bezeichnen.

Der Begriff geht schon auf Aristoteles zuruck. In seiner Metaphysik erortert er den Wissenschaftscharakter der Naturwissenschaft und gibt dort an:

≪[…] π?σα δι?νοια ? πρακτικ? ? ποιητικ? ? θεωρητικ? […]≫

?alle denkende Reflexion betrifft entweder das handelnde Leben oder die hervorbringende Tatigkeit oder bewegt sich in reiner Theorie“

? Metaphysik , 1. Hauptstuck, III.  Einteilung und Objekt der Wissenschaft [3]

Darauf beruht die klassische Einteilung der Wissenschaften in:

  • πρακτικ? praktike ? Wissenschaft vom handelnden Leben, praktische Wissenschaften (bei Aristoteles etwa Ethik und Politik)
  • ποιητικ? poietike ? Wissenschaft von der hervorbringenden Tatigkeit, (heute meist:) poietische Wissenschaft , produzierende Wissenschaft
  • θεωρητικ? theoretike ? Wissenschaft, die sich in reiner Theorie bewegt, theoretische Wissenschaften (bei Aristoteles Physik, Mathematik, Metaphysik)

Bis in die fruhere Neuzeit fasste man die Grundwissenschaften einschließlich der Technik als Kunst zusammen, als Gesamtkonzept an Wissen und Fertigkeiten, den Kulturtechniken (vgl. etwa die Musen Urania fur Astronomie, Kalliope fur Dichtung, Philosophie und Wissenschaft; und Kunst fur Anlagenbau im Bergbau oder Wasserkunst ). Erst in der Aufklarung differenziert sich das wissenschaftliche Selbstbild.

Heute versteht man unter ?Praxis“ meist die Anwendung selbst, also das aristotelische Konzept der poietike (so das Rechnen an sich oder den Berufsalltag des Arztes ), und spricht von ?angewandter“ und ?theoretischer“ Wissenschaft. Dabei ist der etablierte Begriff insofern problematisch, als dass er nur einen Teilbereich des Aufgabenfeldes, namlich die Anwendung der theoretischen Erkenntnisse ( Grundlagenforschung und die innere Fachkunde ), wiedergibt. Meist gibt es in jeder Wissenschaft einen theoretischen und einen angewandten Zweig, mehr oder minder scharf getrennt. In manchen Fachern hat die Befremdlichkeit zwischen zweckorientiertem Forschen und der ?reinen“ Wissenschaft Tradition.

Den Unterschied von Wissenserwerb um der Anwendung willen und um seiner selbst willen erortert Aristoteles schon in der Einleitung des Werks (1.  Ausgangspunkt und Ziel der Wissenschaft ) [4] insbesondere in Bezug auf Mathematik, Physik und Metaphysik ? als Erkenntnissuche des uber das rein Korperliche Hinausgehenden ? als theoretischste aller Wissenschaften. Im Kontext der Finanzierbarkeit von Wissenschaft ist aber das ? L’art pour l’art “ und der ? Elfenbeinturm “ der Theorie ohne Blick auf Anwendung ein Kritikpunkt geworden.

Allgemein :

  • Fritz Peus: Ist der Begriff "Angewandte Wissenschaft" haltbar? In: Mitteilungen der Deutschen Entomologischen Gesellschaft. ( ISSN   0340-2363 ) Bd. 30, H. 5?6 (1971), S. 52?54.

Angewandte Wissenschaft als Charakterisierungsmerkmal bestimmter Bildungseinrichtungen :

  • Die neue Rolle der Hochschule fur angewandte Wissenschaften: die Fachhochschulen in Wirtschaft und Gesellschaft; Hochschulen zwischen Tradition und Zukunft. [Tagung] am 16. September 2010 in Berlin; Tagungsband [der Konferenz der Fachbereichstage, KFBT]. Konferenz der Fachbereichstage Bauingenieurwesen, Elektronik und Informationstechnik, Informatik, Maschinenbau, Mathematik, Mechatronik, Pflegewissenschaft, Soziale Arbeit, Verfahrenstechnik, Wirtschaftsingenieurwesen. / Ralph Hansen (Hrsg.). Beuth Hochschule fur Technik, Berlin 2010, ISBN 978-3-938576-29-8 .
  • Helmut Wienert: Zur Entwicklung der Hochschulen fur Angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen) in Deutschland. (= Beitrage der Hochschule Pforzheim; Bd. 146) Hochschule Pforzheim, Pforzheim 2014.
  • Constanze Engelfried, Pierre L. Ibisch: Promovieren an und mit Hochschulen fur Angewandte Wissenschaften: am Wendepunkt? Verlag Barbara Budrich, Opladen usw. 2016, ISBN 978-3-8474-0771-3 .

Einzelnachweise

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  1. a b Laura McKinney: Angewandte Forschung: Eigenschaften, Definition, Beispiele - Wissenschaft - 2022. Abgerufen am 20. Mai 2022 : ?Das herausragendste Merkmal der angewandten Forschung ist jedoch das Interesse an der Anwendung und den praktischen Konsequenzen des gewonnenen Wissens (David Nordfors)“
  2. Amy Brown: Angewandte Wissenschaft. In: Evolution. skf.com, 15. September 2002, abgerufen am 13. Januar 2023 : ?Grundsatzlich jedoch besteht das Ziel angewandter Forschung darin, Bedingungen zu schaffen, die uber kurz oder lang zur Entwicklung eines Produkts oder einer Dienstleistung fuhren.“
  3. Ubersetzung nach Aristoteles: Metaphysik , S. 167. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie , S. 4243;
    zitiert (Originaltext und Ubersetzung) nach Theorie, theoretisch, Theorem, betrachte ? θεωρ?α, θεωρ?ω , Textstelle Aristot.Met.1025b18-1026a19 in Egon und Gisela Gottwein: Griechischworterbuch , letzte Aktualisierung: 6. Marz 2013;
    vgl. Kapitel in der Ubers. Adolf Lasson, 1907 , auf zeno.org, dort (S.)[85], 1. Absatz.
  4. Ubers. Adolf Lasson, 1907 , auf zeno.org.