Am Strand (Ian McEwan)

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Am Strand (Original: On Chesil Beach ) ist ein novellenhafter Roman des englischen Bestseller-Autors Ian McEwan , der 2007 zunachst auf Englisch und im selben Jahr in der Ubersetzung von Bernhard Robben auf Deutsch erschien.

Im Juli 1962 befinden sich Edward Mayhew und Florence Ponting in einem Hotel an einem Strand ( Chesil Beach ) in Dorset . Dort wollen sie ihre Hochzeitsnacht und die Flitterwochen verbringen. Die beiden, nur wenige Jahre uber 20, kommen aus sehr unterschiedlichen Familien. Edwards Mutter ist infolge eines Unfalls mit einer schweren Kopfverletzung gehirngeschadigt. Er hat zwei jungere Geschwister, Zwillinge. Sein Vater ist Lehrer und kummert sich neben seiner Arbeit aufopfernd um die ganze Familie, insbesondere um die Mutter, die trotz ihrer Behinderung mit ihnen zusammenlebt.
Die Familie Ponting dagegen ist konservativ und wohlhabend, der Vater Unternehmer, die Mutter Dozentin in Oxford. Florence hat eine jungere Schwester. Die meisten Hausarbeiten werden von der taglich erscheinenden Zugehfrau besorgt.

Edward hat Geschichte studiert, Florence die Musikhochschule besucht und wird sich im Laufe der Zeit zu einer angesehenen Violinistin entwickeln. Sie lernen sich anlasslich einer politischen Versammlung kennen, was auf die sich anbahnenden gesellschaftlichen Veranderungen Ende der 1960er Jahre hindeutet.

Edward und Florence sind heftig ineinander verliebt, aber beide warten mit ganz unterschiedlichen Gefuhlen auf das, was sich in der Hochzeitsnacht nun endlich vollziehen soll. Edward hat bisher vergeblich versucht, Florence in der kurzen Zeit vor ihrer Eheschließung auch sexuell naher zu kommen. In der Hochzeitsnacht ist er sexuell stark erregt, wahrend Florence geangstigt und geradezu abgestoßen ist von dem, was sie auf sich zukommen sieht. Doch sie mochte Edward unter keinen Umstanden verletzen. Beide finden keine Worte fur ihre Befindlichkeit, ja Florence ist sogar davon uberzeugt, dass es fur ihr Dilemma uberhaupt keine Worte gibt.

In intensiven psychologischen Ruck- und Einblicken in das Innenleben der beiden Protagonisten wird dargestellt, was die zwei uber sich selber und uber ihre sexuellen Erwartungen dem jeweils anderen gegenuber denken und wie sie die Ereignisse infolge dieser Erwartungen zwar subjektiv logisch, aber objektiv doch vollig falsch interpretieren. Dabei wird dem Leser allmahlich immer klarer, dass die Reserviertheit von Florence nicht nur auf ihre mangelnde Aufklarung zuruckzufuhren ist, sondern vor allem darauf, dass sie moglicherweise in ihrer Kindheit von ihrem Vater missbraucht wurde ? eine Tatsache, die in den Ruckblenden nicht explizit dargestellt, aber angedeutet wird.

Nach einem verungluckten Petting in der Hochzeitsnacht entflieht Florence dem Hotelbett und lauft an den Strand. Edward folgt ihr zogernd. In ihrer nachtlichen Aussprache am Strand werden die Missverstandnisse, die der Leser bereits aus den Gedanken der Personen kennt, nun offen verbalisiert und fortgefuhrt. Die Szene endet in gegenseitigen Vorwurfen und mit einem von Florence in ihrer Ausweglosigkeit zwar liebevoll gemeinten, aber von Edward vollkommen unverstandenen Vorschlag. Florence lauft zuruck und verlasst das Hotel fluchtartig. Edward versucht nicht mehr, sie aufzuhalten. Die Ehe wird kurzerhand geschieden und die beiden sehen einander nie wieder.

Der Roman endet mit einer kurzen Zusammenfassung von Edwards weiterem Leben, seinen spateren Gedanken uber die Geschehnisse damals am Strand, seinem Gestandnis, dass er niemals wieder eine Frau so geliebt habe wie Florence, und seiner Reue daruber, damals zu wenig getan und nicht um sie gekampft zu haben.

In der Buchkritik im Tagesspiegel heißt es: ??Am Strand‘ weitet den Novellenstoff einer ?sich ereigneten unerhorten Begebenheit‘, wie Goethe das Genre ein fur allemal charakterisiert hat, zu einem kleinen Roman mit funf Kapiteln. In zwei Seitenstrangen erzahlt McEwan von der familiaren Herkunft der Eheleute ? und in einer Art Epilog auf den letzten Seiten, wie sich Edward an die Nacht erinnert, die ihr gemeinsames Leben vernichtete. […] Ian McEwan, geboren 1948, ist der Virtuose einer solch mikroskopischen Prazision, bei der die Erzahlzeit die erzahlte Zeit uberwuchert. […] Kaum zu uberschatzen ist aber, wie Ian McEwan der Hilf- und Sprachlosigkeit seines Paars Worte verleiht ? weit daruber hinaus, dass er sie als ?Gefangene ihrer Zeit‘ beschreibt. Wenn Florence bedauert, dass fur das, was ihr zugestoßen sei, erst noch eine Sprache erfunden werden musse, so hat er sie mit diesem kleinen Buch gepragt.“ [1]

Die Welt schreibt 2007 in ihrer Rezension des Romans: ?McEwans Meisterschaft liegt nicht im [...] Inhalt, sondern in der Form. Seine Studie zu einer britischen Hochzeitsnacht liest sich wie ein Lehrbuchbeispiel fur eine Literatur des hingehaltenen Vorspiels. [...] Der Anbruch eines neuen Umgangs mit Sex hat ab Mitte der 60er-Jahre dafur gesorgt, dass diese Disziplin als literarisches Unterfangen in den Hintergrund geschoben wurde. McEwans Leistung in ?Am Strand‘ besteht in ihrer Ruckeroberung. Die Zeitkapsel 1962, fur das Liebespaar mit so vielen Unwagbarkeiten beladen, ist fur dieses Vorhaben ihres Erzahlers perfekt.“ [2]

Die Zeit urteilt dagegen in ihrer Buchbesprechung: ?Ian McEwan ist gar kein Schriftsteller im eigentlichen Sinn. Er ist eher ein Soziologe, der Romane schreibt; ein Dozent, der etwas beweisen will; ein außerst geschickter Textingenieur, und wenn ihn sein Geschick verlasst, dann klappern die Rohre und Streben seiner Geschichte recht traurig im Wind. […] In seinem neuen Roman Am Strand nun uberkreuzen sich diese sonst so genau kalkulierten Plane, es geraten Literatur und Zeitdiagnose ordentlich durcheinander ? was vielleicht der Grund ist fur das seltsam leblose und, schlimmer noch bei dem Thema, lustlose Scheitern dieses Sexromans vor dem Zeitalter des Sex. […] McEwan interessiert sich bei alldem so sehr fur die Korper wie fur die Psychologie der beiden Liebesversager, die sich genauso verhakt wie der Reißverschluss. Am Strand kommt es zu einer Verkettung von Anschuldigungen und Missverstandnissen ? ein Wort schließlich, eine Geste, ein Schritt hatten wohl gereicht, das gemeinsame Leben zu retten. Vielleicht nun hatte McEwan selbst aus dieser etwas merkwurdig didaktischen Geschichte einen traurigen, schonen Roman machen konnen, wenn er sich darauf verlassen hatte, die ganze Tragodie aus diesem einen Abend, aus einem einzigen Augenblick heraus zu erzahlen. Aber er musste ja, obwohl er nur 200 Seiten hatte, auch noch ein Zeitpanorama reinpacken; er musste die lahmende Vorgeschichte der Liebe erzahlen, wie sich die beiden kennengelernt haben auf einer Anti-Atom-Veranstaltung; er musste einen Missbrauch von Florence andeuten; er musste Florence klassische Musik lieben lassen und Edward den Rock’n’Roll. Er hat sie mit all dem soziologischen Ballast beschwert, der ihnen die Chance und die Poesie dieses einen Moments gerade genommen hat.“ [3]

Das Buch stand 2007 auf der Shortlist des Booker Prize [4] und wurde im selben Jahr mit dem Kulturnews -Award ausgezeichnet.

2017 wurde die Erzahlung von Dominic Cooke verfilmt , Saoirse Ronan und Billy Howle spielen das Ehepaar, Emily Watson eine Nebenrolle. Das Drehbuch schrieb Ian McEwan. [5]

Einzelnachweise

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  1. Die Lucke im Zahnfleisch . In: Der Tagesspiegel , 23. Juli 2007. Abgerufen am 5. Oktober 2013
  2. Misslungener Sex in der Hochzeitsnacht . In: Die Welt , 19. August 2007. Abgerufen am 5. Oktober 2013.
  3. Sex ist auch nur Gemuse . In: Die Zeit , 8. August 2007. Abgerufen am 5. Oktober 2013
  4. www.themanbookerprize.com ( Memento vom 3. Januar 2010 im Internet Archive ), gesehen am 26. Marz 2010
  5. IMDb