Alfred Polgar
(*
17. Oktober
1873
in
Wien
; †
24. April
1955
in
Zurich
; bis 1914 amtlich
Alfred Polak
; Pseudonyme
Archibald Douglas
,
L. A. Terne
) war ein
osterreichischer
Schriftsteller
,
Aphoristiker
, Kritiker und Ubersetzer. Er ist einer der bekanntesten Autoren der
Wiener Moderne
.
Alfred Polgar wurde im 2. Wiener Bezirk,
Leopoldstadt
, als jungstes von drei Kindern assimilierter Juden geboren. Die Eltern, Josef und Henriette Polak, geb. Steiner, betrieben eine Klavierschule. Nach Gymnasium und Handelsschule wurde Polgar 1895
Redakteur
bei der
Wiener Allgemeinen Zeitung
, wo er anfangs als
Gerichtsreporter
und Parlamentsreporter arbeitete. Spater war er dort Redakteur im Ressort
Feuilleton
. Zusatzlich schrieb Polgar fur weitere Blatter, wie fur die 1892 bis 1896 erschienene Zeitschrift
Die Zukunft
, ein sozialistisches Blatt mit anarchistischen Tendenzen.
Ab 1905 schrieb Polgar regelmaßig fur
Siegfried Jacobsohns
Zeitschrift
Die Schaubuhne
bzw. bis 1933 fur die
Weltbuhne
. Daneben war er auch als Autor fur das
Kabarett
tatig. Fur das
Cabaret Fledermaus
schrieb er zusammen mit
Egon Friedell
das erfolgreiche humoristische Stuck
Goethe. Eine Groteske in zwei Bildern
(1908), in dem der Literaturunterricht an den Schulen dadurch parodiert wird, dass
Johann Wolfgang von Goethe
zu einem Literaturexamen uber Goethes Leben und Werk erscheint ? und durchfallt. 1908 erschien Polgars erstes Buch
Der Quell des Ubels
. Der Ort, an dem Polgar zu dieser Zeit am haufigsten verkehrte, war das
Cafe Central
, in dem er in Gesellschaft von
Peter Altenberg
,
Anton Kuh
,
Adolf Loos
und Egon Friedell anzutreffen war und viel Material fur seine scharfsinnigen Beobachtungen und Analysen fand. Auch von spater sehr bekannten Schriftstellern wie
Karl Kraus
erntete er Zuspruch.
Polgar betatigte sich auch als Bearbeiter und
Ubersetzer
von
Theaterstucken
, etwa von
Nestroy
, und ubersetzte 1913
Ferenc Molnars
Stuck
Liliom
aus dem Ungarischen ins Deutsche. Er verlegte die Handlung in den
Wiener Prater
und fugte einen
Prolog
hinzu, was dem bis dahin erfolglosen Stuck mit einer triumphalen Premiere am 28. Februar 1913 im
Theater in der Josefstadt
in Wien den Weg zum Welterfolg ebnete.
Am 23. September 1914 ließ er seinen Namen offiziell von Polak auf Polgar andern
[1]
(
ungar.
polgar = dt.
Burger
).
Wahrend des
Ersten Weltkriegs
arbeitete Polgar im Kriegsarchiv,
[2]
schrieb jedoch auch weiterhin fur Zeitungen, unter anderem auch fur die
deutschsprachige
ungarische
Zeitung
Pester Lloyd
.
Nach Kriegsende wurde er bei der Zeitung
Der Neue Tag
Chef des Feuilletons. Er arbeitete auch an
Stefan Großmanns
Das Tage-Buch
mit. Gemeinsam mit Egon Friedell schrieb er ab 1921 das
Bose Buben Journal
. In den 1920er Jahren lebte Polgar uberwiegend in Berlin. Viele Artikel von ihm erschienen in dieser Zeit im
Berliner Tageblatt
und im
Prager Tagblatt
. Im Oktober 1929 heiratete er die Wienerin Elise Loewy, geb. Muller.
Nach der
Machtergreifung
des NS-Regimes war fur den ?osterreichischen Juden und linksliberalen Antifaschisten Polgar im nationalsozialistischen Deutschland kein Platz“.
[3]
Anfang Marz 1933 fluchtete er nach Prag. Am 10. Mai 1933 wurden seine Bucher
verbrannt
. Spater ging er nach Wien. 1937/38 schrieb er uber
Marlene Dietrich
; Ulrich Weinzierl fand den Text 1984 in New York, gedruckt ist er 2015 erschienen.
Beim ?
Anschluss Osterreichs
“ im Marz 1938 waren Polgar und seine Frau gerade in Zurich. Weil er dort keine Arbeitserlaubnis erhielt, fluchteten sie nach Paris.
[4]
Dort schloss er sich der
Liga fur das geistige Osterreich
(
Ligue de l’Autriche Vivante
) an, der auch
Fritz Brugel
,
Gina Kaus
,
E. A. Rheinhardt
,
Joseph Roth
und
Franz Werfel
angehorten.
Nach dem
Einmarsch der Deutschen in Frankreich
im Juni 1940 fluchtete er nach
Marseille
, von wo aus ihm im Oktober 1940 mit Hilfe des
Emergency Rescue Committee
die Flucht uber die Pyrenaen nach Spanien und via Lissabon die Emigration in die USA gelang (andere bemerkenswerte Passagiere dieser Schiffsreise: siehe
Erna Sailer
).
In
Hollywood
arbeitete Polgar Anfang der 1940er-Jahre fur 100 Dollar in der Woche als
Drehbuchautor
fur
Metro-Goldwyn-Mayer
. Er saß neben
Alfred Doblin
in einem Autorenteam unter Leitung von
George Froeschel
und arbeitete ungenannt am Kriegsfilm
Mrs. Miniver
mit.
[5]
Ab 1943 lebte er in New York, wo er und seine Frau die
amerikanische Staatsburgerschaft
erhielten. Er schrieb fur Exilzeitungen, wie den
Aufbau
, und amerikanische Magazine, wie
Time
, sowie
Panorama
in
Buenos Aires
.
1949 kehrten sie nach Europa zuruck und ließen sich in Zurich nieder, und Polgar publizierte auch wieder fur deutschsprachige Zeitungen. Er wurde auf dem
Friedhof Sihlfeld
in Zurich begraben.
- 1951:
Preis der Stadt Wien fur Publizistik
- 1965 wurde die
Polgarstraße
im 22. Wiener Gemeindebezirk,
Donaustadt
, nach ihm benannt.
[3]
- Die in dieser Straße gelegene Schule (Bundesgymnasium, Bundesrealgymnasium, Bundesoberstufenrealgymnasium) erhielt den Namen
Polgargymnasium
.
?Er begnugte sich damit, 'das Spiel des Lebens zu betrachten, den Spielern in die gezinkten Karten zu schauen und das Geschaute in Worte kurzzufassen'. Selten ist das Nebensachliche, Schwebende, Unscheinbare so prazise und muhelos artikuliert worden wie hier. Polgar hat die Kunst der Nuance zu hoher Meisterschaft gebracht.“
- Der Quell des Ubels und andere Geschichten
. Verlag fur Literatur und Kunst, Munchen 1908.
- Bewegung ist alles. Novellen und Skizzen
. Literarische Anstalt Rutten & Loening, Frankfurt am Main 1909.
- Hiob. Ein Novellenband
. Albert Langen, Munchen 1912.
- Franz Molnar
:
Liliom. Vorstadtlegende in 7 Bildern und einem szenischen Prolog
. Ubersetzung aus dem Ungarischen und Bearbeitung des Stucks. Deutsch-Osterreichischer Vlg., Wien/Leipzig 1912.
- Kleine Zeit
. Fritz Gurlitt, Berlin 1919.
- Max Pallenberg
. Erich Reiß Verlag, Berlin 1921.
- Gestern und heute
. R. Kaemmerer, Dresden 1922.
- Orchester von oben
. E. Rowohlt, Berlin 1926: Dieser Band neuer Skizzen ist um einige Stucke vermehrt, die alteren Buchern des Autors entnommen sind.
- An den Rand geschrieben
. E. Rowohlt, Berlin 1926.
- Ja und Nein
(Vier Bande). E. Rowohlt, Berlin 1926/27.
- Ich bin Zeuge
. E. Rowohlt, Berlin 1927.
- Schwarz auf Weiß
. E. Rowohlt, Berlin 1929.
- Hinterland
. E. Rowohlt; Berlin 1929.
- Bei dieser Gelegenheit
. E. Rowohlt, Berlin 1930.
- Ansichten
. Rowohlt, Berlin 1933.
- In der Zwischenzeit
. Allert de Lange, Amsterdam 1935.
- Sekundenzeiger
. Humanitas-Verlag, Zurich 1937.
- Handbuch des Kritikers
. Oprecht, Zurich 1938.
- Geschichten ohne Moral
. Oprecht, Zurich 1943.
- Anderseits
. Querido, Amsterdam 1948.
- Begegnung im Zwielicht
. Blanvalet, Berlin 1951.
- Standpunkte
. Rowohlt, Hamburg 1953.
- Fensterplatz
. Rowohlt, Berlin 1959.
- Im Lauf der Zeit
. Taschenbuch, 1959.
- Im Voruberfahren
. Buchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1960.
- Bei Lichte betrachtet
. Rowohlt, Reinbek 1970; zusammengestellt von Bernt Richter.
- Die Mission des Luftballons. Skizzen und Erwagungen
. Volk und Welt, Berlin 1975.
- Taschenspiegel
. Mit einem Nachwort von
Ulrich Weinzierl
unter dem Titel
Alfred Polgar im Exil.
Locker, Wien 1979,
ISBN 978-3-85409-006-9
.
- Sperrsitz
. Locker, Wien 1980.
- Lieber Freund! Lebenszeichen aus der Fremde
. Zsolnay, Wien, Hamburg 1981.
- Kleine Schriften
. Hrsg. von Marcel Reich-Ranicki und Ulrich Weinzierl, Rowohlt, Reinbek 1982?1986.
- Lizenzausgabe, Buchergilde Gutenberg, Frankfurt a. M., 1983 bis 1988. Aufzahlung der sechs einzeln erschienenen Bande:
Musterung
,
Kreislauf
,
Irrlicht
,
Literatur
,
Theater I
,
Theater II
.
- Harry Rowohlt
(Hrsg.):
Alfred Polgar. Das große Lesebuch
. Kein & Aber, Zurich 2003,
ISBN 3-0369-5116-4
.
- Marlene
? Bild einer beruhmten Zeitgenossin
. Zsolnay, Wien 2015,
ISBN 978-3-552-05721-0
(1937/1938 geschriebener Essay, 1984 im Nachlass entdeckt, 2015 postum veroffentlicht).
[7]
- Andreas Nentwich
:
Alfred Polgar. Leben in Bildern
. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2012,
ISBN 978-3-422-07154-4
.
- Eva Philippoff:
Alfred Polgar. Ein moralischer Chronist seiner Zeit
. Minerva, Munchen 1980,
ISBN 3-597-10250-6
.
- Ursula Madrasch-Groschopp
:
Die Weltbuhne. Portrat einer Zeitschrift.
Buchverlag Der Morgen, Berlin 1983
- Ulrich Weinzierl
:
Alfred Polgar. Eine Biographie
. Locker, Wien 1985. Diverse Neuausgaben, 2005 wieder Locker Wien,
ISBN 3-85409-423-X
. (ersetzte Weinzierls Werk
Er war Zeuge. Alfred Polgar. Ein Leben zwischen Publizistik und Literatur,
Locker & Wogenstein, Wien 1978,
ISBN 3-85392-018-7
)
- Evelyne Polt-Heinzl,
Sigurd Paul Scheichl
(Hrsg.):
Der Untertreiber schlechthin. Studien zu Alfred Polgar
. Locker, Wien 2007,
ISBN 978-3-85409-451-7
.
- Marcel Reich-Ranicki
:
Alfred Polgar ? Der leise Meister.
In:
Die Anwalte der Literatur.
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Lexikaeintrage
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VEB Bib-liographisches Institut Leipzig, 1975; Band 2, S. 180/181
- Herbert A. Straus, Werner Roder (Hrsg.):
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Band 2/I:
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. Deuticke, Wien 2000,
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In:
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Digitalisat
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- Susanne Blumesberger, Michael Doppelhofer, Gabriele Mauthe:
Handbuch osterreichischer Autorinnen und Autoren judischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert
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Band 2:
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Hrsg. von der Osterreichischen Nationalbibliothek. Saur, Munchen 2002,
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- ↑
Harry Rowohlt
:
Alfred Polgar: Lauter gute Kritiken.
Rezension von Helmut Sturm
, 20. Juni 2006. Abgerufen am 29. Juli 2018.
- ↑
Wolfgang U. Eckart
:
Der hungrige Krieg. Verletzte Seelen
, mit e. Zsfss. in engl. Sprache, in: Universitat Heidelberg: Ruperto Carola, 4(2014) S. 76?83,
Online Ressource
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a
b
Ulrich Weinzierl:
Polgar, Alfred.
In:
Neue Deutsche Biographie
(NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001,
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Digitalisat
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- ↑
Karin Ploog (2015):
..Als die Noten laufen lernten...Band 1. 2
, S. 309 (
online
)
- ↑
Doblin in Hollywood.
Abgerufen am 17. Oktober 2023
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- ↑
Fritz Hofmann:
Polgar, Asthet der kleinen Form.
In:
Die Weltbuhne
, Berlin, 42/1974, S. 1138/1139
- ↑
Rezension von
Gunter Kaindlstorfer
in
Deutschlandradio Kultur
vom 25. Janner 2015:
Huldigung aus den 30er Jahren
(
Memento
vom 12. Februar 2015 im
Internet Archive
).
Link-Text