Alfred Grotjahn

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Alfred Grotjahn, 1929
Urnen-Grab Alfred Grotjahns auf dem Friedhof Baumschulenweg in Berlin-Baumschulenweg .

Alfred Grotjahn (* 25. November 1869 in Schladen im Harzvorland ; † 4. September 1931 in Berlin ) war ein deutscher Arzt, Sozialhygieniker, Eugeniker , Publizist und sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter der SPD . Er gilt als Begrunder und erster Ordinarius der Sozialen Hygiene in Deutschland, wurde als ?Vater der Sozialmedizin “ bezeichnet und forderte 1926 die Zwangssterilisierung ?Schwachsinniger“ und Epileptiker.

Alfred Grotjahn studierte in Greifswald , Leipzig , Kiel und Berlin Medizin und war wahrend seines Studiums, beeinflusst durch seinen Schulfreund Albert Sudekum , in sozialistischen Studentenkreisen aktiv. Auch sein Großvater Heinrich Grotjahn , der Mitinitiator der Grotjahn-Stiftung zu Schladen, sein Vater Robert Grotjahn (1841?1908) und sein Vetter Carl Grotjahn waren Arzte. Er wurde 1894 an der Poliklinik fur Nervenkranke in Berlin zum Dr. med. promoviert . Im Jahr 1896 eroffnete er in Berlin-Kreuzberg eine eigene Arztpraxis. Bald befasste sich Grotjahn wissenschaftlich mit sozialen Themen wie Alkoholismus , mit den Verhaltnissen des Gesundheitswesens und des Wohnens. 1901 bis 1902 besuchte er das staatswissenschaftliche Seminar von Gustav Schmoller . 1905 war er Initiator und in der Folge Vorstandsmitglied des Vereins fur soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik.

Im Jahr 1912 habilitierte sich Alfred Grotjahn als Erster in Deutschland im Fach Soziale Hygiene. Er war dann Privatdozent der Berliner Universitat an der Charite . 1915 gab er seine eigene Praxis auf und ubernahm die Leitung der Abteilung Sozialhygiene des stadtischen Medizinalamts Berlin. Ab 1919 war Grotjahn arztlicher Leiter des Berliner Heimstattenamts. 1920 wurde Grotjahn vom sozialdemokratischen Kultusminister Konrad Haenisch gegen den Willen der Medizinischen Fakultat zum ordentlichen Professor fur Sozialhygiene an die Universitat Berlin berufen. [1] Fur die Amtszeit 1927/28 wurde er zum Dekan der Charite ernannt.

Grotjahn war Mitglied der SPD und von 1921 bis 1924 Mitglied des Reichstags . Er war auch Autor des gesundheitspolitischen Abschnitts des Gorlitzer Programms der SPD von 1922.

Alfred Grotjahn erhielt ein Urnen-Grab auf dem Friedhof Baumschulenweg in Berlin, das als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet ist. Er war verheiratet mit Charlotte geborene Hartz. Gemeinsam hatten sie die Kinder Gertrud, Martin und Peter. Neben Sohn Martin fuhrten auch seine Enkel Eva , Marianne und Michael die Arztetradition der Familie fort.

Grotjahns Tagebuch ist eine wichtige Quelle fur die Verhaltnisse in Berlin wahrend des Ersten Weltkrieges . [2]

Schriften zu Sozialhygiene und Eugenik

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Ab 1900 gab Grotjahn mit F. Kriegel den Jahresbericht uber die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der sozialen Hygiene und Demographie heraus. [3] 1902 entwickelte er seine Theorie der Sozialen Hygiene, die er zehn Jahre darauf in seinem wohl wichtigsten Werk Soziale Pathologie zusammenfasste. Seiner Theorie zufolge hat das soziale Umfeld des Patienten Einfluss auf den Verlauf von Krankheiten wie auch auf deren Heilung. Besondere Beachtung fand diese Theorie zu seiner Zeit allerdings nicht, denn soziale Bedingungen spielten fur die streng naturwissenschaftlich ausgerichtete Medizin seiner Zeit keine bedeutende Rolle. Ebenfalls 1912 gab er gemeinsam mit dem Munchner Professor fur Hygiene Ignaz Kaup das grundlegende, zweibandige Handworterbuch der Sozialen Hygiene (F. C. W. Vogel, Leipzig) heraus.

Anfangs von Eugenikern wegen seiner Theorie angegriffen, bewegte sich Grotjahn selbst immer weiter in die eugenische Richtung. Er war Mitglied der Gesellschaft fur Rassenhygiene . In der 1926 erschienenen Hygiene der menschlichen Fortpflanzung trat er fur die ?planmaßige Ausmerzung durch Verwahrung und Zwangsunfruchtbarmachung“ erblich Belasteter ein. [4] Mit seinen Forderungen war er einer der radikalsten Eugeniker der Weimarer Republik. [5] So forderte er als Mittel zur Rationalisierung der menschlichen Fortpflanzung in ?quantitativer und qualitativer Hinsicht“ eine ?Reinigung der menschlichen Gesellschaft von Krankem, hasslichen und Minderwertigen“, deren Anteil an der Bevolkerung er auf ein Drittel schatzte. Er sprach sich ferner fur eine Zwangssterilisierung von Schwachsinnigen, Epileptikern, Alkoholikern und Kruppeln und fur eine ?Dauerasylierung“ von etwa 1 % der Bevolkerung aus. [6]

Beispiel fur Grotjahns Vorstellungen einer ?praktischen Eugenik“

In seiner, etwa von dem Rassenhygieniker Fritz Lenz zitierten, 1926 erschienenen Schrift Die Hygiene der menschlichen Fortpflanzung: Versuch einer praktischen Eugenik. forderte Grotjahn als Eugeniker bzw. Fortpflanzungshygieniker und Vertreter einer ?sozialen und generativen“ [7] Hygiene, den Ubergang von einer rein wissenschaftlichen Eugenik hin zu deren praktischen Anwendung. Deren Verwirklichung beschrieb er anhand verschiedener Bevolkerungsgruppen beispielsweise so:

?Trotzdem die gesamte Bevolkerung mit Schwachlingen oder Asthenikern , wie sie die neuere Konstitutionspathologie nennt, durchsetzt ist, ist es nicht ganz leicht, sie von der durchschnittlichen Bevolkerung abzugrenzen. Einigermaßen sicher konnte das nur durch eine anthropometrische Musterung der gesamten Bevolkerung geschehen. […] Alles in allem wird sich also dieser durch die Lungen tuberkulose stigmatisierte Kreis der Astheniker auf eine Million Volksgenossen erstrecken, von denen zur Zeit noch die meisten heiraten und sich fortpflanzen. Diese Million Menschen braucht es nicht zu geben. Sie ist nicht nur ein Ballast in wirtschaftlicher Hinsicht, was zu ertragen ware, sondern eine Quelle sich durch den Erbgang fortsetzender Minderwertigkeit. Soviel Mitleid wir auch mit den Erkrankten haben und so sehr wir ihre Leiden durch Fursorge, Pflege und spezifische Behandlung aufzuhalten suchen mussen: als Gegenleistung konnen wir verlangen, daß sie auf Familiengrundung und Fortpflanzung verzichten […]. Den Gegenpol zu den Asthenikern, korperlich Minderwertigen und Schwachlingen bilden die muskelstarken, breitschulterigen, organgesunden Starken und Rustigen, deren uberdurchschnittliche Fortpflanzung nicht nur vom fortpflanzungshygienischen Standpunkte aus wunschenswert ist. Dieser Personenkreis laßt sich zur Zeit noch nicht in einer Weise abgrenzen, die besondere Maßnahmen zur Hebung ihrer Bevolkerung ermoglichte. […] [Zumindest im Bereich des Beamtentums] sollte dafur gesorgt werden, daß das durch arztliche Untersuchung als besonders rustig ausgesiebte Menschenmaterial fruhzeitig zur Ehe mit gleichgearteten Partnern gelangt und durch eine fuhlbare Berucksichtigung der Kinderzahl bei der Besoldung zu Kinderreichtum angereizt wurde.“ [8]

In dem Buch Die Hygiene der menschlichen Fortpflanzung propagierte Grotjahn ein ?Dreikinder-Minimalsystem“. Jedes Elternpaar habe die Pflicht, mindestens drei Kinder uber das funfte Lebensjahr hinaus aufzuziehen. Gegen die Richtigkeit dieser Regel konne man ?nichts Stichhaltiges erwidern“, schrieb Rainer Fetscher . [9]

Die Deutsche Gesellschaft fur Bevolkerungswissenschaft (DGBW) vergab in Gedenken an Alfred Grotjahn die Alfred-Grotjahn-Medaille.

Einzelnachweise

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  1. Michael Gruttner u. a.: Die Berliner Universitat zwischen den Weltkriegen 1918?1945 (= Geschichte der Universitat Unter den Linden. Bd. 2). Berlin 2012, S. 108 und 121 f.
  2. Andreas Conrad: Weihnachten 1916: Ruben morgens, mittags, abends … und zwischendurch eine Nebelkrahe. In: tagesspiegel.de . 25. Dezember 2016, abgerufen am 25. November 2019 .
  3. Walter Artelt : Ernst Georg Kurz 1859?1937. [ Vortrag, gehalten am 1. Oktober 1963 auf der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft fur Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e. V. in Schaffhausen und meinem Lehrer Paul Diepgen zu seinem bevorstehenden 85. Geburtstag am 24. November 1963 gewidmet. ] Senckenbergisches Institut fur Geschichte der Medizin der Universitat, Frankfurt am Main 1963, S. 7 f.
  4. Alfred Grotjahn: Die Hygiene der menschlichen Fortpflanzung: Versuch einer praktischen Eugenik. Urban&Schwarzenberg, Berlin/Wien 1926, S. 330.
  5. Matthias Willing: Das Bewahrungsgesetz (1918?1967). Mohr Siebeck Verlag 2003, S. 64.
  6. Gerhard A. Ritter : Der Sozialstaat: Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 1991, S. 134.
  7. Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-10-039310-4 , S. 34 und 285.
  8. Alfred Grotjahn: Die Hygiene der menschlichen Fortpflanzung. Versuch einer praktischen Eugenik. Urban & Schwarzenberg, Berlin/Wien 1926, S. 185?192.
  9. R. Fetscher: Besprechung von A. Grotjahn, Die Hygiene der menschlichen Fortpflanzung, in: Archiv fur Soziale Hygiene und Demographie. 2 1926/27, S. 167?169.
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