Alexander Michailowitsch Ljapunow

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Alexander Michailowitsch Ljapunow

Alexander Michailowitsch Ljapunow ( russisch Александр Михайлович Ляпунов , wissenschaftliche Transliteration Aleksandr Michajlovi? Ljapunov ; * 25. Mai jul. / 6. Juni   1857 greg. in Jaroslawl ; † 3. November 1918 in Odessa ) war ein russischer Mathematiker und Physiker . Ubliche Schreibweisen sind auch Ljapunov, Ljapunoff oder (insbesondere im Englischen) Lyapunov und Liapunov .

Ljapunows Vater, Michail Ljapunow (1820?1868) war ein bekannter Astronom und Direktor des Jaroslawler Demidowski-Lyzeums. Wegen der Reaktion der Universitatsadministration auf den Weggang Lobatschewskis gab er seine Tatigkeit am Observatorium der Kasaner Universitat 1864 ganz auf. Er ubersiedelte mit seiner Familie auf den Besitz seiner Ehefrau im Gouvernement Simbirsk , wo er seine Zeit der Unterrichtung seiner altesten Sohne, Alexander und Sergej (1859?1924) widmete. Sergej und ein weiterer Sohn, Boris, schlugen spater eine Laufbahn als Komponist ein. Der Vater verbrachte die langen Winterabende mit den Sohnen und unterrichtete sie mit Hilfe von Spielen auf Landkarten der ganzen Welt. Er besaß viele Bucher in Russisch, Deutsch und Franzosisch uber Mathematik, Astronomie, Philosophie, Geschichte, Ethnographie, Politische Okonomie und Literatur. Nach dem plotzlichen Tod seines Vaters wurde Alexander von seinem Onkel R. M. Setschenow ( russisch Р. М. Сеченов ), Bruder des beruhmten Physiologen Iwan Setschenow , unterrichtet. Dort wurde er gemeinsam mit seiner Cousine, seiner spateren Ehefrau Natalja Rafailowna, unterrichtet. Im Jahre 1870 ubersiedelte seine Mutter mit ihren Sohnen nach Nischni Nowgorod , wo er von der dritten Klasse ab das Gymnasium besuchtem, das er 1876 mit Auszeichnung absolvierte.

Ljapunow studierte an der physikalisch-mathematischen Fakultat der Universitat Sankt Petersburg ; dort war Andrei Markow ein Kommilitone von ihm und ein enger Freund. Am Anfang besuchte er die Vorlesungen von Mendelejew uber Chemie. Nach einem Monat wechselte er zur Mathematik, besuchte aber weiterhin die Chemie-Vorlesungen. Zu seinen Professoren in Mathematik gehorten Tschebyschow und seine Studenten Alexander Korkin und Jegor Solotarew . Ljapunow schrieb seine ersten eigenstandigen Arbeiten unter der Anleitung des Mechanik-Professors Dmitri Bobyljow (1842?1917). Im vierten Studienjahr errang er auf Vorschlag der Fakultat eine Goldmedaille fur eine Arbeit in der Hydrostatik. Diese Arbeit war die Grundlage seiner ersten Veroffentlichung Uber das Gleichgewicht von schweren Korpern in dichten Flussigkeiten, die sich in Behaltern bestimmter Form befinden ( О равновесии тяжелых тел в тяжелых жидкостях, содержащихся в сосуде определенной формы ) und Uber das Potential des hydrostatischen Druckes ( О потенциале гидростатических давлений ). In beiden Arbeiten nutzte er viele neue Herangehensweisen und entwickelte neue strenge Beweise fur einige vorher unvollstandige Theoreme der Hydrostatik. Mit der ersten Arbeit errang er den Titel eines ?Kandidaten der mathematischen Wissenschaften“, was dem deutschen Doktortitel entspricht. Nun konnte er die Universitat verlassen, um sich fur die Berufung zum Professorenamt vorzubereiten.

Im Jahre 1882 bestand er erfolgreich das Magister-Examen und erlangte spater, 1885, den Magister-Titel fur die Angewandte Mathematik mit der Dissertation Uber die Stabilitat von elliptischen Gleichgewichtsformen rotierender Flussigkeiten. ( Об устойчивости эллипсоидальных форм равновесия вращающейся жидкости ). Diese Arbeit behandelte eine wichtige und schwierige Problematik zum Verstandnis der Gestalt von rotierenden Flussigkeiten, der Frage ob bei hohen Rotationsgeschwindigkeiten, bei denen das Ellipsoid als Gleichgewichtsfigur instabil wurde, neue Gleichgewichtsfiguren auftreten. Tschebyschow hatte diese Aufgabe auch Solotarew und Sofja Kowalewskaja angeboten, und Tschebyschow war sich ihrer Schwierigkeit bewusst. Wladimir Steklow , ein Schuler von Ljapunow und spater Mitglied der Akademie der Wissenschaften, hat dazu bemerkt: ?Tschebyschew sah in dem jungen Mann ein solch immenses Forschungspotential, dass er es wagte, ihm eine solch muhsame Arbeit zu ubertragen.“ Ljapunow hatte an der gestellten Aufgabe zwei Jahre gearbeitet und sie verschaffte ihm unmittelbar internationale Anerkennung.

Im Jahre 1885 wurde er Privatdozent an der Charkower Universitat an dem Lehrstuhl fur Mechanik, wo er W. G. Imschenezki ersetzte, der zum Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften gewahlt worden war. Ljapunow hatte schon seit 1880 Vorlesungen am Lehrstuhl fur Mechanik gegeben und dafur viel Zeit aufgewendet. Steklow sagte uber seine Vorlesungen:

?Ein gut aussehender junger Mann, von der Erscheinung fast wie die anderen Studenten, betrat gemeinsam mit dem alten Dekan, Professor Lewakowski, der von allen Studenten respektiert wurde, das Auditorium. Nachdem der Dekan gegangen war, begann der junge Mann mit zitternder Stimme seine Vorlesung mit einem Thema uber die Dynamik des Punktes anstelle der mit dem Thema uber die Dynamik von Systemen. Dieser Gegenstand war schon in den Vorlesungen von Professor Delarju enthalten. Ich war in der vierten Klasse. Ich hatte die Vorlesungen in Moskau von Dawidow, Zinger, Soletow und Orlow gehort. Ich war auch schon zwei Jahre an der Charkower Universitat gewesen, so dass mir die Mechanik-Vorlesungen vertraut waren. Aber ich kannte den Gegenstand nicht von Anfang an und ich hatte ihn niemals in einem Lehrbuch gesehen. So verflog die Langeweile bei der Vorlesung vollstandig. Alexander Michailowitsch errang in einer Stunde ? ohne es selbst zu wissen ? den Respekt des Auditoriums mit der Gewalt eines Naturtalentes, wie man es in solcher Jugend selten gesehen hat. Von diesem Tage an betrachteten die Studenten ihn mit anderen Augen und bezeigten ihm besonderen Respekt. Oft haben sie es nicht einmal gewagt, mit ihm zu sprechen, um nicht ihr Unwissen zu zeigen.“

Ljapunow lehrte an der Universitat Spezialkurse zur Theoretischen Mechanik, Integration von Differentialgleichungen und zur Wahrscheinlichkeitstheorie . Diese Vorlesungen wurden niemals veroffentlicht, sind aber durch Aufzeichnungen der Studenten uberliefert. Die Mechanik lehrte er in sechs Fachern: Kinematik , Dynamik der Punktmasse , Dynamik von Punktmassen-Systemen, Theorie der Anziehungskrafte, Theorie der Deformation fester Korper und Hydrostatik . Zur selben Zeit lehrte er zwischen 1887 und 1893 Analytische Mechanik an der Technischen Hochschule Charkow.

Zum Doktor der Wissenschaften (Habilitation) wurde er 1892 promoviert mit der Dissertation Eine allgemeine Aufgabe zur Stabilitat einer Bewegung ( Общая задача об устойчивости движения ). Einer der Gutachter war Nikolai Jegorowitsch Schukowski , einer der Grunder des ZAGI , der uber die gleiche Thematik schon zehn Jahre fruher eine Dissertation verteidigt hatte. Nach dem Doktorat wurde Ljapunow ordentlicher Professor an der Charkower Universitat. Nach Tschebyschows Tod 1894 wurde er 1901 Ordentlicher Professor fur den Lehrstuhl fur Angewandte Mathematik der Petersburger Universitat, wo er sich ganzlich der Lehre und Forschung widmete.

Im Jahre 1908 nahm er am vierten Mathematischen Kongress in Rom teil. Zu dieser Zeit arbeitete er an der Gesamtausgabe der Werke von Euler mit und war der Herausgeber des 18. und des 19. Bandes dieser Ausgabe. 1916 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Academie des sciences in Paris gewahlt. [1] Ende Juni 1917 ging er mit seiner schwer erkrankten Ehefrau zu seinem Bruder Boris nach Odessa . Der drohende Tod seiner Frau, seine eigene Sehbehinderung und die allgemein schlechten Lebensbedingungen fuhrten bei ihm zu Depressionen . Dennoch hielt er seine letzte Vorlesung im September 1918 uber die Gleichgewichtsform von Himmelskorpern auf Einladung der Fakultat fur Physik und Mathematik in Odessa. Am 31. Oktober starb seine Frau und am selben Tag versuchte er sich zu erschießen. Er lag noch einige Tage im Koma bis zu seinem Tode.

Gewohnlich arbeitete er vier bis funf Stunden in der Nacht und oft sogar die ganze Nacht hindurch. Einmal oder zweimal im Jahr besuchte er das Theater oder er ging in ein Konzert. Er hatte viele Studenten. Fur die, die ihn wenig kannten, war Ljapunow ein eher verschlossener Mensch. Er hatte eine schlanke Figur, außerlich wirkte er manchmal ziemlich grob, andererseits hatte er ein heißblutiges und sensibles Temperament.

Er korrespondierte unter anderem mit Henri Poincare [2] , Jacques Hadamard , Heinrich Burkhardt , Camille Jordan , Paul Appell , Pierre Duhem und Vito Volterra .

Von ihm stammen bedeutsame Arbeiten auf den Gebieten der Mechanik und mathematischen Physik, der Differentialgleichungen , der Potentialtheorie , der Stabilitat von Dynamischen Systemen und ihrer Gleichgewichtspunkte und der Wahrscheinlichkeitstheorie .

Seine Arbeit von 1898 Uber einige Fragen, verbunden mit Dirichlets Aufgaben ( О некоторых вопросах, связанных с задачей Дирихле ) enthalt eine Studie der Eigenschaften des Potentials um Ladungen und Dipole , die kontinuierlich auf einer beliebigen Oberflache verteilt sind. Seine Arbeit auf diesem Gebiet ist mit der Arbeit Steklows eng verbunden. Ljapunow entwickelte viele wichtige Naherungsmethoden. Seine Methoden, die er 1889 entwickelte, heute als Ljapunow-Methoden bekannt, erlauben, die Stabilitat von Losungen gewohnlicher Differentialgleichungen zu definieren und zu untersuchen. Er arbeitete die moderne strenge Theorie der Stabilitat der Bewegung eines mechanischen Systems mit einer endlichen Anzahl von Parametern aus. In der Wahrscheinlichkeitstheorie verallgemeinerte er die Ergebnisse von Tschebyschow und Markow und bewies schließlich den Zentralen Grenzwertsatz ( Satz von Ljapunow ) unter weniger speziellen Bedingungen als seine Vorganger ( Ljapunow-Bedingung ). Die von ihm benutzte Methode ist heute eine der Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie.

Ehrungen und Mitgliedschaften

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Von 1899 bis 1902 war er Vorsitzender der Charkower Mathematischen Gesellschaft und ein Herausgeber ihrer Mitteilungen . Am 2. Dezember 1900 wurde er zum Korrespondierenden Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften gewahlt und am 6. Oktober 1901 zum Ordentlichen Mitglied der Akademie fur das Gebiet der Angewandten Mathematik. Er war Ehrendoktor in Charkow , St. Petersburg und Kasan , auswartiges Mitglied der Accademia dei Lincei (1909) und korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Paris (1916).

Der Mondkrater Lyapunov sowie der Asteroid (5324) Lyapunov sind nach ihm benannt.

  • Ausgewahlte Werke (Russisch), Moskau, Leningrad 1948
  • Gesammelte Werke (Russisch, auch russische Ubersetzung der franzosisch veroffentlichten Aufsatze), 5 Bande, Moskau 1954 bis 1965

Von Ljapunows Hauptwerk ?Ein allgemeines Problem der Stabilitat der Bewegung“ (erstveroffentlicht 1892 in Russisch und in Charkow 1902) existieren bislang folgende Ubersetzungen:

  • Liapounoff: Probleme general de la stabilite du mouvement. Annales de la faculte des sciences de Toulouse, Ser. 2, 9, 1907, S. 203?474, numdam.org
  • Probleme generale de la stabilite du mouvement. Annals of Mathematics Studies ( ISSN   0066-2313 ) Nr. 17, Princeton 1949 (Nachdruck der Ausgabe von 1907)
  • The General Problem of the Stability of Motion. Taylor & Francis 1992, ISBN 978-0-7484-0062-1 .

Weitere Arbeiten sind:

  • Uber konstante schraubenformige Bewegungen eines festen Korpers in einer Flussigkeit ( О постоянных винтовых движениях твердого тела в жидкости ), 1890
  • Sur la stabilite des figures ellipsoidales d’equilibre d’un liquids anime d’un mouvement de rotation , Annales de la Faculte des sciences de l’Universite de Toulouse, 2. Reihe, Band 6, 1904, S. 5?116, numdam.org
  • Uber eine Reihe in der Theorie linearer Differentialgleichungen (Sur une serie dans la theorie des equations differentielles lineaires etc.) , St. Petersburg 1902
  • Recherches dans la theorie de la figure des corps celestes, St. Petersburg, 1903
  • Sur l’equation de Clairaut et les equations plus generales de la theorie de la figure des planetes , St. Petersburg, 1904
  • Sur un probleme de Tchebycheff , St. Petersburg, 1905
  • Nouvelle forme du theoreme sur la limite de probabilite , Memoirs Acad. Imp. Sci. St. Petersburg 1902, S. 1?24 (Nachdruck in William J. Adams (Hrsg.), The life and times of the central limit theorem, 2. Auflage, AMS 2009)
  • Sur une proposition de la theorie des probabilites , Bull. Acad. Sci. St. Petersburg, Band 13, 1906, S. 126?128 (Nachdruck in Adams, loc.cit.)
  • Sur les figures d’equilibre peu differentes des ellipsoids d’une masse liquide homogene doulee d’un mouvement de rotation, 4 Bande, St. Petersburg, 1906?1914
  • Probleme de minimum dans une question de stabilite des figures d’equilibre d’ masse fiuide en rotation, St. Petersburg, 1908
  • Sur certaines series de figures d’equilibre d’un liquide heterogene en rotation, 2 Bande, Leningrad, 1925, 1927 (postum veroffentlicht)
  • Arbeiten uber Potentialtheorie (Russisch), Moskau, Leningrad, 1949
  • A. T. Grigorian: Lyapunov, Aleksandr Mikhailovich . In: Charles Coulston Gillispie (Hrsg.): Dictionary of Scientific Biography . Band   8 : Jonathan Homer Lane ? Pierre Joseph Macquer . Charles Scribner’s Sons, New York 1973, S.   559?563 .
  • Joseph P. LaSalle, Solomon Lefschetz : Die Stabilitatstheorie von Ljapunoff , (Reihe: BI Hochschultaschenbuch) Bibliographisches Institut, Mannheim 1967
  • Nicolas Rouche et al.: Stability Theory by Lyapunov's Direct Method. Springer, Berlin 1977, ISBN 3-540-90258-9 .
  • Vangipuram Lakshmikantham et al.: Vector Lyapunov Functions and Stability Analysis of non linear Systems. Kluwer Academic, Dordrecht 1991, ISBN 0-7923-1152-3 .

Einzelnachweise

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  1. Verzeichnis der Mitglieder seit 1666: Buchstabe L. Academie des sciences, abgerufen am 13. Januar 2020 (franzosisch, hier die Schreibweise: Alexandre Liapounoff).
  2. V. I. Smirnov, A. P. Youchkevitch (Hrsg.), Correspondance de A. M. Liapunov avec H. Poincare. Cahiers du seminaire d'histoire des mathematiques, 8 (1987), p. 1-18, numdam.org ( Memento vom 9. August 2016 im Internet Archive )