Alexander Fjodorowitsch Kerenski
(
russisch
Александр Фёдорович Керенский
, wiss.
Transliteration
Aleksandr Fedorovi? Kerenskij
,
IPA
: [?l???ksandr ?k?er??nsk??j]; * 22. April
jul.
/
4. Mai
1881
greg.
in
Simbirsk
; †
11. Juni
1970
in
New York
, USA) war ein
russischer
Politiker der
Trudowiki
bzw.
Sozialrevolutionare
. Nach der
Februarrevolution 1917
war er Justizminister (Marz bis April 1917), Kriegs- und Marineminister (Mai bis September 1917) sowie nach dem gescheiterten
Juliaufstand
bis zur Machtergreifung der
Bolschewiki
in der
Oktoberrevolution
am 7. November 1917 zweiter und letzter Ministerprasident der
Provisorischen Regierung
.
Kerenski wurde wie
Lenin
in Simbirsk geboren. Sein Vater war
adliger
Herkunft und Leiter eines Gymnasiums in der Stadt, das zeitweise auch der junge Wladimir Uljanow (Lenin) besuchte. Die Mutter, Nadeschda (geborene Adler), war Tochter des Chefs des topographischen Buros des Kasaner Militarbezirkes (KazVo) und Enkelin eines wohlhabenden Moskauer Kaufmannes. Wahrend einige Forscher die Familie Adler als judisch bezeichnen, gehen andere von einer russlanddeutschen Herkunft aus.
[1]
[2]
[3]
Alexander Kerenski studierte seit 1899 in
Sankt Petersburg
zuerst Geschichte und Philosophie und danach Jura. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums im Jahre 1904 wurde Kerenski in die Anwaltskammer von Sankt-Petersburg aufgenommen. Im selben Jahr heiratete er Olga, die Tochter eines russischen Generals.
[4]
Wahrend der
ersten russischen Revolution
1905?1907 sympathisierte er offen mit der
Partei der Sozialrevolutionare
. Im Dezember 1905 wurde er kurzzeitig inhaftiert, weil die Behorden ihm die Mitgliedschaft in der Terrororganisation von
Boris Sawinkow
vorwarfen. Nachdem er diese Verdachtigungen hatte zerstreuen konnen, wurde Kerenski freigelassen. In spateren Jahren erlangte er als Anwalt in vielen politischen Prozessen große Beruhmtheit, in denen er haufig antizaristische Revolutionare verteidigte.
Im Jahre 1912 wurde er als Abgeordneter der
Trudowiki
, einer sozialdemokratischen Partei, in das russische Parlament, die
Duma
, gewahlt und war zuerst ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender und seit 1915 Fraktionsvorsitzender. Ebenfalls 1912 schloss er sich einer Loge russischer
Freimaurer
an.
[5]
1915 bis 1916 war Kerenski Sekretar der Obersten Freimaurerversammlung Russlands. Mehrere Minister seiner kunftigen Regierung wie
Konowalow
oder
Michail Iwanowitsch Tereschtschenko
waren auch Freimaurer.
[6]
Kerenski war einer der Unterzeichner der pazifistischen Erklarung der
Menschewiki
-Fraktion der Duma, die zu Beginn des
Ersten Weltkrieges
verabschiedet wurde. Danach anderte Kerenski seine Positionen und wurde zum Verfechter der großtmoglichen gesellschaftlichen Mobilisierung mit dem Ziel, nach einem Sieg im Krieg die staatlichen Strukturen zu demokratisieren und eine
konstitutionelle Monarchie
zu etablieren.
Nach der
Februarrevolution 1917
und der Absetzung des Zaren wurde Kerenski, jetzt Mitglied der
Partei der Sozialrevolutionare
, Justizminister in der
Ubergangsregierung
des
Fursten Lwow
(3. Marz
jul.
/
16. Marz 1917
greg.
). Die neue Regierung stand außenpolitisch vor der Frage, ob sie den Krieg weiterfuhren wollte oder bereit war, große Gebietsverluste zugunsten Deutschlands in Kauf zu nehmen. Nach einer Regierungsumbildung im Mai 1917 ubernahm Kerenski das Kriegs- und Marineministerium. Die Regierung Lwow bekannte sich zu diesem Zeitpunkt zu einem ?Frieden ohne
Annexionen
und
Kontributionen
“. Kerenski hoffte durch die großangelegte
Kerenski-Offensive
die Position gegenuber den
Mittelmachten
zu verbessern, um so zu einem gunstigen Frieden zu gelangen. Die Offensive brach jedoch im Juli nach kurzer Zeit zusammen.
Nach dem missgluckten
Juliaufstand
der Bolschewiki und dem Rucktritt von Furst Lwow ubernahm Kerenski am 7. Juli
jul.
/
20. Juli 1917
greg.
zusatzlich zum Kriegs- und Marineministerium als Ministerprasident den Vorsitz der Regierung. Seine Ernennung
Kornilows
zum
Obersten Befehlshaber
erwies sich als Fehlgriff, denn Kornilow versuchte mit den ihm unterstellten Truppen eine eigene Politik zu betreiben, und unternahm einen
Putschversuch
.
Am 1. September
jul.
/
14. September 1917
greg.
rief Kerenski die Russische Republik aus. Anschließend bildete er eine neue, vom Parlament unabhangige Regierung, das sogenannte Direktorium, und ließ die Duma auflosen. Die Gefahr, die seiner Regierung durch die
Bolschewiki
drohte, verkannte er. Der Geschaftsfuhrer der Provisorischen Regierung
Wladimir Dmitrijewitsch Nabokow
erzahlt in seinen Memoiren, er habe Kerenski Mitte Oktober 1917 nach der Moglichkeit einer bolschewistischen Aktion gefragt, worauf dieser erklart habe, er sehne eine solche geradezu herbei, um die Partei
Lenins
bei dieser Gelegenheit zu zerschlagen: ?Ich verfuge uber mehr Krafte, als dazu notig sind“.
[7]
Das Gegenteil war der Fall. Wenige Tage spater floh Kerenski noch vor Ausbruch der
Oktoberrevolution
im offenen Wagen aus
Petrograd
, seine Regierung wurde am 25. Oktober
jul.
/
7. November
1917
greg.
von bolschewistischen Matrosen verhaftet. Kerenski stellte eine kleine kampfbereite Truppe auf, die aber gegen die Bolschewisten in Petrograd keine Chance hatte
[8]
. Kerenski floh nach
Pskow
, wo er mit
Pjotr Nikolajewitsch Krasnow
militarischen Widerstand organisierte. Seine Truppen konnten
Zarskoje Selo
nehmen, wurden aber auf den
Pulkowo-Hohen
besiegt. Kerenski konnte knapp entkommen und lebte wochenlang in einem Versteck, bevor er das Land verließ.
Im
Exil
in Frankreich veroffentlichte er mehrere Bucher uber die russische Revolution. Wahrend des
Burgerkriegs
blieb er neutral. 1939 ließ er sich scheiden und heiratete seine Sekretarin, die australische Journalistin
Lydia Ellen Tritton
.
[9]
Nach dem deutschen Einmarsch in Paris (1940) fluchtete Kerenski mit seiner Frau in die
USA
. Nach dem deutschen
Uberfall auf die Sowjetunion
bot er
Stalin
seine Hilfe an, was dieser jedoch ablehnte.
Kerenski lehrte an verschiedenen amerikanischen Universitaten und veroffentlichte eine Reihe von Buchern, darunter im Jahre 1965 seine Memoiren (
The Kerensky memoirs
). Nach dem Krieg rief er eine ?Union zur Befreiung Russlands“ ins Leben, die jedoch keinen Zulauf hatte. Die ortliche
russisch-orthodoxe Kirche
in New York verweigerte ihm ein christliches Begrabnis, da sie ihn dafur verantwortlich machte, dass sich in Russland der Kommunismus etabliert hatte. Der Leichnam Kerenskis wurde daraufhin nach
London
uberfuhrt, wo er auf dem bekenntnisfreien Friedhof
Putney Vale Cemetery
beerdigt wurde.
- Allied policy towards Russia
. Kraus, Nendeln 1975 (Nachdruck der Ausgabe London 1920).
- The catastrophe
. Kraus, Millwood/NY 1977 (Nachdruck der Ausgabe London 1927).
- The crucification of liberty
. Kraus, New York 1972 (Nachdruck der Ausgabe New York 1934).
- Die Kerenski-Memoiren. Russland und der Wendepunkt der Geschichte.
Rowohlt, Reinbek 1989,
ISBN 3-499-12477-7
.
- Martin Spahn
: Der Diktator Kerenski, in: Der Tag Nr. 200, 28. August 1917, S. 1f. (ein Vergleich Kerenskis mit
Georges Danton
).
- Oscar Blum
:
Russische Kopfe. Kerenski, Plechanow, Martow, Tschernow, Sawinkow-Ropschin, Lenin, Trotzki, Radek, Lunatscharsky, Dzerschinsky, Tschitscherin, Sinowjew, Kamenew. Mit 9 Portratswiedergaben.
Schneider, Berlin 1923.
- Richard Abraham:
Alexander Kerensky. The First Love of the Revolution
, Columbia University Press, New York 1987.
- Boris Kolonitskii II:
Comrade Kerensky.
Polity, Oxford 2020,
ISBN 978-1-5095-3364-0
.
- ↑
≪
Товарищ Керенский
≫:
антимонархическая революция и формирование культа
≪
вождя народа
≫ (
март ? июнь 1917 года). Глава
I.
Революционная биография и политический авторитет (Б. И. Колоницкий, 2017)
. (
kartaslov.ru
[abgerufen am 5. November 2018]).
- ↑
Susan Rubin Suleiman:
The Nemirovsky Question: The Life, Death, and Legacy of a Jewish Writer in Twentieth-century France
. Yale University Press, 2016,
ISBN 978-0-300-17196-9
(
google.de
[abgerufen am 5. November 2018]).
- ↑
Alexander Kerensky Net Worth - Bio, Facts, Popularity
. In:
How Rich is Celebs?
27. August 2018 (
howrichcelebs.com
[abgerufen am 5. November 2018]).
- ↑
A Doomed Democracy
.
alumni.stanford.edu, abgerufen am 26. August 2012.
- ↑
FAZ.net:
Februar 1917: Kerenskis Stunde
Frankfurter Allgemeine Zeitung 1. August 2007, S. N3.
(
Memento
vom 27. Marz 2017 im
Internet Archive
)
- ↑
Pavel Miljukov:
Vospominanija
. Moskau 1991, S. 475 ff.
- ↑
Wladimir D. Nabokow:
Petrograd 1917. Der kurze Sommer der Revolution.
Rowohlt, Berlin 1992, S. 65.
- ↑
Women Soldiers in Russia's Great War.
Great War,
abgerufen am 1. April 2013
.
- ↑
Kurzbiografie
Australian Dictionary of Biography, abgerufen am 26. August 2012.
- ↑
Oktober
in der
Internet Movie Database
(englisch).
Vorganger
| Amt
| Nachfolger
|
---|
Georgi Lwow
| Ministerprasident des Russischen Reiches/Russische Republik
21. Juli 1917 ? 8. November 1917
| (Amt abgeschafft)
|