Akadien
(
frz.
Acadie
,
engl.
Acadia
) ist die deutschsprachige Bezeichnung fur ein ehemaliges franzosisches Kolonialgebiet, das im nordostlichen Teil Nordamerikas lag. Seine geschichtliche Entwicklung wurde im Wesentlichen von den beiden rivalisierenden Kolonialmachten
Frankreich
und
Großbritannien
gepragt. Der franzosische Anspruch auf Akadien wurde hauptsachlich mit den Expeditionsfahrten der beiden Seefahrer
Giovanni da Verrazzano
und
Jacques Cartier
begrundet, der britische fußte vor allem auf der Erkundungsreise von
Giovanni Caboto
. Die Grenzen des Territoriums waren nie exakt definiert worden und blieben bis zum Ende seiner Geschichte umstritten. Das historische Akadien umfasste ungefahr das Gebiet der heutigen kanadischen Provinzen
Nova Scotia
,
New Brunswick
,
Prince Edward Island
und mit dem Suden der
Gaspe-Halbinsel
auch Teile der Provinz
Quebec
. Weiterhin zahlte dazu auch noch der nordostliche Teil des US-Bundesstaates
Maine
.
Zu den Nachkommen der ersten europaischen Siedler siehe
Akadier
Die Herkunft des Namens ist ungeklart, wahrscheinlich wurde er aber von dem Mi’kmaq-Wort
quod(d)y
abgeleitet, das als
cadie
in die franzosische Sprache Eingang fand. Dieser indianische Begriff bedeutet in der Kombination mit Ortsnamen so viel wie
besonders fruchtbare
Orte, er findet sich auch in heutigen Ortsnamen, zum Beispiel
Tracadie
, wieder. Eine andere Interpretation der Namensherkunft geht von einer etymologischen Verbindung mit der griechischen Landschaft
Arkadien
aus. Diese zweite Erklarung geht auf den florentinischen Seefahrer Giovanni da Verrazano zuruck, der 1524 die Ostkuste Nordamerikas in franzosischem Auftrag erkundet hatte. In seinem Bericht an den franzosischen Konig hatte er dabei im Rahmen eines Vegetationsvergleichs auch den Begriff
Archadia
erwahnt.
Bei der Ankunft der ersten Europaer war das Gebiet von den indianischen Stammen der
Mi’kmaq
,
Maliseet
und
Abenaki
besiedelt. 1598 versuchten die Franzosen erstmals eine permanente Siedlung auf der abgelegenen und unbewohnten
Sable-Insel
zu errichten. Nach dem Scheitern dieses Unternehmens wurde 1604 durch
Pierre Dugua
und
Samuel de Champlain
der zweite franzosische Kolonisationsanlauf auf der
Dochet-Insel
unternommen, einer kleinen Insel in der Mundung des
St.-Croix-Flusses
(der heute die Grenze zwischen Kanada und den USA bildet). Die damit geschaffene Ansiedlung wurde ein Jahr spater nach
Port Royal
verlegt, nahe dem heutigen
Annapolis Royal
in Nova Scotia. Die Grundung von Port Royal gilt heute als der eigentliche Beginn der franzosischen Kolonisation Nordamerikas und damit der Begrundung
Neufrankreichs
.
Kurz danach begannen zwischen Briten und Franzosen die ersten militarischen Auseinandersetzungen um den Besitz Akadiens, denn fur beide Seiten war das Gebiet von erheblicher Bedeutung. Zum einen waren die umgebenden Kustengewasser bedeutende Fanggrunde fur ihre Fischereiflotten, insbesondere die nordlich davon gelegenen
Neufundlandbanke
. Noch hoher einzuschatzen war jedoch der strategische Wert Akadiens, als dem Sudpfeiler des maritimen Eingangstores nach Neufrankreich, der
Cabotstraße
: Wer ganz Akadien besaß, der konnte die Seewege zum neufranzosischen Hauptsiedlungsgebiet am
Sankt-Lorenz-Strom
kontrollieren. Die Blockade dieser Seewege hatte Neufrankreich weitgehend von der logistischen Versorgung durch das europaische Mutterland abgeschnitten. Die Herrschaft uber Akadien war deshalb wahrend der folgenden Jahrzehnte heftig umkampft. Mehrfach wechselte das Gebiet den Besitzer, doch bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts konnten die Franzosen ihre Vormachtstellung in Akadien behaupten. Zuletzt bildete es dabei zusammen mit dem kanadischen Sankt-Lorenz-Gebiet und
Louisiana
eine formelle Verwaltungseinheit, namlich die koloniale
Krondomane
Neufrankreich. Akadien war dabei wie die beiden anderen Territorien eine eigenstandige Kolonie und wurde von einem eigenen Gouverneur regiert. Dieser unterstand aber dem in
Quebec-Stadt
residierenden Intendanten Neufrankreichs, der zugleich auch Gouverneur der kanadischen Kolonie war.
Nach mehreren vergeblichen Angriffen gelang es den Briten dann aber 1710 wahrend des
Spanischen Erbfolgekrieges
, den franzosischen Hauptstutzpunkt Port Royal einzunehmen. Als der Krieg schließlich 1713 mit dem
Frieden von Utrecht
beendet wurde, musste Akadien endgultig von Frankreich an Großbritannien abgetreten werden. Nur die beiden großen Inseln im Norden blieben von dieser Abtretung ausgenommen: Die Ile Saint-Jean (das heutige Prince Edward Island) und vor allem die Ile Royale (die heutige
Kap-Breton-Insel
) waren fur die Franzosen zur Absicherung ihrer maritimen Versorgungswege unverzichtbar. Der franzosische Konig hatte seine Unterhandler deshalb auch angewiesen, unbedingt auf den Besitz der Kap-Breton-Insel zu bestehen. So verblieben diese beiden Inseln fur ein weiteres halbes Jahrhundert unter franzosischer Herrschaft.
Aufgrund der unklaren Bestimmungen des Friedensvertrages (
la nouvelle Ecosse, autrement dit Acadie, en son entier, conformement a ses aciennes limites
, dt.
das neue Schottland, auch Akadien genannt, in seiner Ganze, entsprechend seinen alten Grenzen
) war vor allem der festlandische Grenzverlauf des abgetretenen Territoriums umstritten. Nach franzosischer Auffassung bildete der
Isthmus von Chignecto
(auf dem die heutige Provinzgrenze zwischen New Brunswick und Nova Scotia verlauft) diese Grenzlinie. Die Briten bezogen dagegen in ihrer Interpretation der Vertragsbedingungen auch das nordlich und westlich dieser Landenge gelegene Territorium in ihren Gebietsanspruch mit ein. Tatsachlich verblieb aber auch diese, die heutige Provinz New Brunswick bildende Region unter franzosischer Kontrolle: der Isthmus von Chignecto bildete bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts die faktische Trennlinie zwischen den britischen und franzosischen Gebieten Akadiens.
Die dem Friedensschluss von Utrecht folgenden drei Jahrzehnte entwickelten sich zur friedfertigsten Periode in der Geschichte Akadiens, denn in dieser Zeit fanden keine offen ausgetragenen militarischen Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien statt. Die Briten benannten ihr neu erworbenes Kolonialgebiet in
Nova Scotia
um und etablierten in Annapolis Royal eine dafur zustandige Verwaltungsbehorde. Die Franzosen begannen 1720 auf der Kap-Breton-Insel mit dem Bau der See
festung Louisbourg
, um ihre maritimen Verbindungen im Fall eines neuen Krieges besser schutzen zu konnen. Neben dieser rein militarischen Funktion spielte die neu gegrundete Festungsstadt aber auch eine wichtige Rolle als Fischereistutzpunkt und Handelszentrum. Die Handelsbeziehungen beschrankten sich dabei nicht nur auf Frankreich und seine uberseeischen Kolonien, sondern bezogen auch die Kolonialgebiete anderer Staaten mit ein. Insbesondere mit den britischen Kolonien
Neuenglands
entwickelte sich ein reger Warenaustausch, es war eine Phase des relativ friedlichen Miteinanders.
Die nunmehr unter britischer Herrschaft stehenden franzosischen Kolonisten Akadiens blieben in dieser Zeit relativ unbehelligt. Die britische Kolonialverwaltung versuchte zwar mehrfach vergeblich, ihnen einen Treueschwur (engl.
Oath of allegiance
, frz.
Serment d’allegeance
) auf den englischen Konig abzuringen. Die Siedler verweigerten jedoch die Ablegung dieses Eides, denn dann hatten sie in allen zukunftigen Konfliktsituationen gezwungen werden konnen, unter britischer Flagge gegen ihre franzosischen Landsleute anzutreten. Stattdessen bemuhten sie sich darum, ihre strikte Neutralitat fur den Fall erneuter bewaffneter Auseinandersetzungen zu betonen. Wenn auch widerwillig, so wurde dieses Verhalten uber einen langeren Zeitraum von der britischen Kolonialregierung toleriert. Die franzosischen Kolonisten wurden deshalb von ihnen als
French neutrals
(franzosische Neutrale) bezeichnet. Diese selbst nannten sich dagegen Akadier.
Gleichzeitig versuchten auch die Behorden der franzosischen Restgebiete Akadiens die Siedler wieder in das franzosische Machtgefuge zu integrieren. Mit der Aussicht auf Unterstutzung sollten diese dazu veranlasst werden, in die franzosischen Gebiete umzusiedeln. Doch nur wenige ließen sich zu einem Umzug bewegen, was vor allem an der großen Fruchtbarkeit ihrer beiden bisherigen Hauptsiedlungsgebiete lag, dem Gebiet um das Minas-Becken und dem
Annapolistal
. Die ihnen von den franzosischen Behorden zur Neuansiedlung angebotenen Landstriche waren dagegen von eher karger Natur.
Die langste Friedensperiode in der Geschichte Akadiens ging jedoch mit dem Ausbruch des
Osterreichischen Erbfolgekrieges
abrupt zu Ende. Die bedeutendste militarische Auseinandersetzung in diesem Krieg war der Kampf um die strategisch wichtige Festung Louisbourg. 1745 wurde diese von einer hauptsachlich aus neuenglischen Kolonialtruppen bestehenden Streitmacht belagert und schließlich auch eingenommen. Dessen ungeachtet wurde sie durch den 1748 geschlossenen
Frieden von Aachen
wieder an Frankreich zuruckgegeben, im Austausch gegen den britischen Kolonialstutzpunkt
Madras
, der 1746 von franzosischen Truppen in Indien erobert worden war.
Mit dem Friedensschluss von Aachen begann noch einmal eine kurze Phase scheinbaren Friedens in Akadien. Die direkten Kriegshandlungen ruhten zwar weitgehend, aber beide Seiten bereiteten sich schon wieder auf die nachsten Auseinandersetzungen vor. Als Gegengewicht zu Louisbourg begannen die Briten 1749 damit, an der Sudwestkuste von Nova Scotia eine eigene Festung anzulegen, das heutige
Halifax
. Ein Jahr spater folgte mit der Anlage von
Fort Lawrence
die Errichtung eines militarischen Stutzpunktes an der direkten Konfrontationslinie zwischen britischem und franzosischem Machtbereich, dem Isthmus von Chignecto. Bereits 1751 reagierten die Franzosen darauf mit dem Bau des unmittelbar nordlich des Grenzfluss
Missaguash
gelegenen
Forts Beausejour
sowie des am ostlichen Ende des Isthmus befindlichen kleineren
Forts Gaspareaux
. Vier Jahre lang lagen sich dann die beiden bedeutendsten Großmachte der damaligen Zeit in direkter Sichtweite gegenuber, die Landenge von Chignecto wurde zum
Checkpoint Charlie
des 18. Jahrhunderts.
In den wenigen Friedensjahren, die dem Osterreichischen Erbfolgekrieg folgten, kam es in Europa zu einer Umgruppierung der traditionellen Bundnissysteme, der
Umkehrung der Allianzen
. Fur Großbritannien bedeutete dieser Bundniswechsel, dass es sich seiner bisherigen Beistandsverpflichtungen gegenuber dem habsburgischen Osterreich entledigen konnte. Stattdessen konnte es seine militarischen Anstrengungen nun in weit großerem Maß auf die uberseeischen Interessengebiete konzentrieren, vor allem auf Indien und Amerika. In Nordamerika hatte sich mittlerweile das Tal des
Ohio
zu einem Brennpunkt der Auseinandersetzungen beider Konfliktparteien entwickelt. Ohne dass der Kriegszustand erklart worden ware, kam es dort bereits seit 1754 zu ersten Kampfen, in denen sich zunachst aber die franzosischen Truppen und ihre indianischen Verbundeten behaupten konnten. Die Auseinandersetzungen und Spannungen dieses unerklarten Krieges fuhrten 1756 schließlich zum Ausbruch des alles entscheidenden
Siebenjahrigen Krieges
. Sein amerikanisches Pendant, der bereits seit 1754 gefuhrte Konflikt, wird als
Franzosen- und Indianerkrieg
bezeichnet.
Nach den militarischen Ruckschlagen in Nordamerika beschloss die britische Regierung 1755 die Durchfuhrung mehrerer Offensiven, um den franzosischen Einfluss entscheidend zuruckzudrangen. Doch nahezu alle Angriffe scheiterten, lediglich die beiden franzosischen Forts auf der Landenge von Chignecto konnten von britischen Truppen im Juni 1755 erobert werden. Zu den Verteidigern von Fort Beausejour hatten auch akadische Milizionare gehort, die aus dem franzosisch kontrollierten Teil Akadiens stammten und von der franzosischen Armee zum Militardienst eingezogen worden waren. Die britischen Behorden von Nova Scotia nahmen dies zum Anlass, von den in ihrem Machtbereich ansassigen akadischen Siedlern erneut die Ablegung des Treueschwures zu fordern. Wie bereits mehrfach zuvor, verweigerten diese jedoch wiederum die Ablegung des Eides. Daraufhin fassten die britischen Behorden den Beschluss, alle akadischen Kolonisten in die englischen Kolonien an der Ostkuste Nordamerikas zu deportieren. Nur einer Minderzahl der verfolgten Siedler gelang es danach, sich den Zwangsmaßnahmen zu entziehen und nach Westen und weiter bis nach
Louisiana
[1]
zu fliehen. Die Tragodie dieser
Deportation der Akadier
wurde von
Henry Wadsworth Longfellow
in seiner Verserzahlung
Evangeline
(1847)
[2]
beschrieben.
Mit dem Verlust der beiden Isthmus-Forts war der franzosischen Herrschaft im festlandischen Akadien das Ruckgrat gebrochen worden. Die wenigen verbliebenen Truppen zogen sich in die Walder zuruck und leisteten den siegreichen Briten in einem mehrjahrigen Kleinkrieg nur noch hinhaltenden Widerstand. 1758 wurde schließlich auch Louisbourg erneut von britischen Streitkraften eingenommen, und mit dem Fall dieser Schlusselstellung fiel nicht nur die Kap-Breton-Insel endgultig in britische Hande, sondern ebenso das unbefestigte Prince Edward Island. Die Bewohner beider Inseln wurden danach von den Briten nach Frankreich deportiert. Das letzte großere Gefecht in Akadien fand 1760 in der Chaleur-Bucht statt, als die Reste einer fur Kanada bestimmten franzosischen Nachschubflotte dort vergeblich Schutz vor britischen Kriegsschiffen suchten.
Die franzosische Niederlage im Siebenjahrigen Krieg wurde 1763 mit dem
Pariser Frieden
besiegelt. Mit der damit erfolgten Abtretung Neufrankreichs verzichtete Frankreich endgultig auf seine Kolonialgebiete im Nordosten Nordamerikas. Der Name des Territoriums lebt heute noch in der Regionsbezeichnung sowie in der Bezeichnung seiner ersten europaischen Kolonisten als Akadier fort.
Das Gebiet wurde bis zur Grundung von
New Brunswick
ein Teil der britischen Kolonie
Nova Scotia
.
- Tom Wessels:
Granite, Fire, and Fog: The Natural and Cultural History of Acadia.
University Press of New England, Hanover 2017,
ISBN 978-1-5126-0008-7
.
- Ursula Mathis-Moser,
Gunter Bischof
Hgg.:
Acadians and Cajuns: The Politics and Culture of French Minorities in North America / Acadiens et Cajuns: politique et culture de minorites francophones en Amerique du Nord.
Innsbruck University Press, 2008 (Canadiana oenipontana, 9)
- Ingo Kolboom, Roberto Mann:
Akadien: ein franzosischer Traum in Amerika ? Vier Jahrhunderte Geschichte und Literatur der Akadier
. Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, Heidelberg 2005,
ISBN 3-935025-54-8
.
- Meyers Kontinente und Meere ? Nordamerika
, Bibliographisches Institut, Mannheim 1970,
ISBN 3-411-01166-1
.
- ↑
Archivierte Kopie
(
Memento
vom 24. Mai 2012 im
Internet Archive
) zur Herkunft des Begriffs
Cajun
aus
Akadians
- ↑
Evangeline: A Tale of Acadie
, Wildside Press 2006,
ISBN 978-1-55742-520-1