Afrobrasilianer
ist eine Bezeichnung fur
Brasilianer
mit
afrikanischen
Vorfahren. In der Regel wird der Begriff eher kulturell als
ethnisch
verwendet. Damit unterscheidet er sich von der nordamerikanischen Bezeichnung
Afroamerikaner
.
In Brasilien leben die meisten Nachfahren von Afrikanern außerhalb Afrikas. Bei der Volkszahlung 2022 bezeichneten sich 10,6 % der Befragten als schwarz
(preto)
und 45,3 % als gemischter Abstammung
(pardo)
.
[1]
Nachdem sich die indigene Bevolkerung aus Sicht der Europaer als ungeeignet fur die Arbeit auf den Zuckerrohr
plantagen
erwiesen hatte, begann die Kolonialmacht
Portugal
um 1550, Afrikaner zu importieren. Mehr als 3 Millionen
Sklaven
, etwa 37 % aller nach Amerika verschleppten Afrikaner, wurden nach Brasilien gebracht.
Wahrend der kolonialen Epoche Brasiliens war die Sklaverei die Hauptstutze der brasilianischen Wirtschaft, besonders im
Bergbau
und bei der Produktion von
Zuckerrohr
. Sklaven erfuhren große Ausmaße an physischer und psychischer Gewalt von ihren ?Besitzern“, wobei Peitschenhiebe gangig waren. Die
Mascara de flandres
wurde Sklaven zur
Folter
aufgezwungen, um sie vom Verzehr von Erde abzuhalten.
[2]
1835/1836 wurden freigelassene afrobrasilianische Sklaven in Afrika wieder angesiedelt. Sie wurden
Retornados
genannt,
Tabom
in
Ghana
und
Amaros
oder
Agudas
in
Benin
,
Togo
und
Nigeria
. Im 19. Jahrhundert betrieb eine Gruppe evangelikaler Politiker in
Großbritannien
Lobbyarbeit fur die Abschaffung der Sklaverei in Brasilien. Neben moralischen Bedenken gab es auch handfeste wirtschaftliche Interessen: Die
Kolonien Großbritanniens
, in denen die Sklaverei verboten war, hatten dadurch Konkurrenznachteile gegenuber Brasilien. Darum verstarkte die britische Regierung den Druck auf Brasilien und erreichte am 13. Mai 1888 die endgultige Aufhebung der Sklaverei. Damit war Brasilien das letzte Land der westlichen Hemisphare, das die Sklaverei abschaffte.
In
Rio de Janeiro
findet sich die Gedenk- und Forschungsstatte
Cemiterio dos Pretos Novos
, einem
Sklavenfriedhof
, auf dem zwischen 20.000 und 30.000 umgekommene Sklaven in Massengrabern beerdigt wurden.
Die Afrikaner, die nach Brasilien verschleppt wurden, setzten sich im Wesentlichen aus zwei Gruppen zusammen. Die erste Gruppe kommt aus dem
Sudan
und
Westafrika
. Sie waren meist
Yoruba
,
Fon
,
Aschanti
,
Ewe
und
Mandinka
. Sie wurden hauptsachlich in
Bahia
zwangsangesiedelt.
Die zweite Gruppe waren
Bantu
aus
Angola
, dem
Kongo
und
Mosambik
, die hauptsachlich in
Rio de Janeiro
,
Minas Gerais
und dem Nordosten der
zona mata
angesiedelt wurden. In den letzten Jahrzehnten der Sklaverei kamen schwarze
Kontraktarbeiter
nach Brasilien, hauptsachlich aus dem
portugiesischsprachigen
Afrika.
Die Grundbezeichnung fur Schwarze ist
Negro
oder
Preto
, wahrend Mischlinge als
Pardo
(graubraun) bezeichnet werden, fur deren Entwicklung der Hautpigmentierung sich in den letzten Jahrhunderten eine Vielzahl von Bezeichnungen fur Mischlingskategorien gebildet hatten.
Die meisten Afrobrasilianer sind
Christen
, hauptsachlich der
romisch-katholischen Kirche
sowie den
Pfingstbewegung
zuzuordnen. Daneben haben auch
Religionen afrikanischen Ursprungs
wie
Candomble
Millionen Anhanger, die meisten davon Afrobrasilianer. Die Anhanger konzentrieren sich hauptsachlich auf die großen urbanen Zentren im Nordosten Brasiliens wie
Salvador da Bahia
,
Recife
.
Rio de Janeiro
im Sudosten ist ein weiteres Zentrum. Auch in
Sao Paulo
und dem Bundesstaat
Rio Grande do Sul
gibt es Anhanger, meist Immigranten aus dem Nordosten. Neben Candomble existiert unter anderem auch noch
Umbanda
, das eine Mischung aus afrikanischem Glauben und
Spiritismus
ist.
Fruher wurden die afrobrasilianischen Religionen verfolgt, spater wurden die Religionen von der brasilianischen Regierung legalisiert.
Weitere Varianten neben Candomble und Umbanda sind unter anderem
Batuque
, der
Xango
-Kult im Nordosten und
Macumba
.
Die Kuche im Bundesstaat
Bahia
dominiert die afrobahianische Kuche, die sich aus der
west-
und
zentralafrikanischen
, der amerikanisch-indianischen Kuche und typisch
portugiesischen
Gerichten zusammensetzt.
Typische Gerichte sind
Vatapa
und
Moqueca
, beide werden mit
Meeresfruchten
und
Palmol
zubereitet.
Palmol (
Azeite de Dende
) ist ein tropisches Ol, das aus der
Olpalme
, die im Norden Brasiliens gedeiht, gewonnen wird.
Ein weiteres typisch brasilianisches Gericht ist
Feijoada
. Ublicherweise besteht es aus schwarzen Bohnen, Reis, Schweinefleisch und
Farofa
. Ursprunglich ein portugiesisches Gericht, entwickelten es die afrikanischen Sklaven weiter und fuhrten einige minderwertige Bestandteile ein: Schweineohren, -fuße und -taille und Bohnen. Es wurde von allen Kulturen weiterentwickelt und es gibt hunderte Zubereitungsarten.
Capoeira ist eine
Kampfkunst
, die in der Kolonialzeit Brasiliens von afrikanischen Sklaven eingefuhrt wurde. Es zeichnet sich durch flinke und trickreiche Bewegungen aus. Capoeira stammt aus Angola. Dort heißt es aber capoeira rhoda. Begleitet wird der Kampftanz von
Perkussionsmusik
, die auf dem
Berimbau
,
Atabaques
, der
Agogo
und
Xequeres
gespielt wird.
Die Musik der Afrobrasilianer beruht auf der
Musik Afrikas
. Sie betont sehr stark die Perkussion und ist von starken
Synkopierungen
und
polyrhythmischen
Strukturen gepragt.
Die Afrobrasilianer konnten die afrikanischen Traditionen eher beibehalten als die Sklaven in Nordamerika, da die portugiesischen Sklavenhalter dies weitgehend erlaubten. Die afrobrasilianische Musik hat sich dennoch stark mit portugiesischen und afrikanischen Einflussen vermischt.
Musikstile mit besonders starkem afrobrasilianischen Anteil sind unter anderem die
Musik des Candomble
,
Samba
,
Maracatu
, die Musik der
Capoeira
,
Afoxe
,
Lundu
und
Batuque
.
Zu den afrobrasilianischen Instrumenten gehoren
Atabaque
,
Agogo
,
Berimbau
und
Xequere
.
- Chirly dos Santos-Stubbe,
Hannes Stubbe
:
Kleines Lexikon der Afrobrasilianistik. Eine Einfuhrung mit Bibliografie
(=
Kolner Beitrage zur Ethnopsychologie und transkulturellen Psychologie
, Sonderband 3). Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 2014,
ISBN 978-3-8470-0182-9
.
- Jeffrey D. Needell:
The Sacred Cause: The Abolitionist Movement, Afro-Brazilian Mobilization, and Imperial Politics in Rio de Janeiro.
Stanford University Press, Stanford 2020,
ISBN 978-1-5036-0902-0
.
- Elaine Rocha:
Racism in novels. A comparative study of Brazilian and South American cultural history
. Cambridge Scholars Publ., Newcastle upon Tyne 2010,
ISBN 978-1-4438-2137-7
.
- Ricardo Salles:
Episodios de historia afro-brasileira
. DP & A Editora, Rio de Janeiro 2005,
ISBN 85-7490-332-9
.
- Petra Schaeber:
Die Macht der Trommeln. Olodum und die Blocos Afros aus Salvador/Bahia; afro-brasilianische Kultur und ?Rassen“-Beziehungen
. Edition Tilsner, Bad Tolz 2006,
ISBN 978-3-936068-97-9
(zugl. Dissertation FU Berlin 2003,
Nachweis
auf FU Dissertationen Online).
- Martiniano J. da Silva:
Racismo a brasileira. Raizes historicas; um novo nivel de reflexao sobre a historia social do Brasil
. Garibaldi, Sao Paulo 1995,
ISBN 85-7277-006-2
.
- Edward E. Telles:
Racial Classification
. In: Ders.:
Race in another America. The significance of skin color in Brazil
. University Press, Princeton 2004, S. 81?84,
ISBN 0-691-11866-3
.
- Jonathan W. Warren:
Racial revolutions. Antiracism and Indian resurgence in Brazil.
University Press, Durham, N.C. 2001,
ISBN 0-8223-2731-7
.
- ↑
Instituto Brasileiro de Geografia e Estatistica
[1]
- ↑
Vilson Pereira dos Santos:
Tecnicas da tortura: Punicoes e castigos de escravos no Brasil escravista
. In: Centro Cientifico Conhecer (Hrsg.):
Enciclopedia Biosfera
.
Band
9
,
Nr.
16
, 2013,
S.
2403
(
org.br
[PDF]).