Afroamerikanische Religion in den Vereinigten Staaten

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Als Afroamerikanische Religion in den Vereinigten Staaten werden Religionen und Religionsformen der Nachkommen von Afroamerikanern bezeichnet, die wahrend der Sklaverei in den Vereinigten Staaten in die USA verkauft wurden.

Wird uber die Geschichte der Religion in den USA geschrieben, so stehen meist der Puritanismus und die religiose Verfolgung der ersten Siedler in Europa im Mittelpunkt, die als Ausgangspunkt der europaischen Besiedlung gesehen werden. Dabei wird haufig zu wenig beachtet, dass ?Religion in Amerika“ schon vor der Besiedlung von den Ureinwohnern praktiziert wurde ( Indianer ) und dass ein großer Teil der ersten Einwanderer nicht freiwillig auf den Kontinent kamen, sondern in die Sklaverei verkauft wurden. Ihre Nachkommen entwickelten in diesem Kontext eigene, afroamerikanische Formen von Religion .

Wahrend die ersten Afrikaner noch als indentured servants nach Nordamerika kamen, etablierte sich relativ schnell das System der Sklaverei, in dem Menschen aus Afrika wie Waren verkauft wurden. Ob und in welchem Maße diesen Menschen die Ausubung von Religion zugestanden werden sollte oder ob sie missioniert werden sollten, war anfangs in der Sklavenhaltergesellschaft umstritten. Unumstritten war jedoch, dass die traditionellen Religionen, die die Menschen aus Afrika mitbrachten ( Afrikanische Religionen ), von den Sklavenhaltern abgelehnt wurden.

Christianisierung wahrend des Great Awakening

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Auch wenn es seit den ersten Kontakten zwischen der weißen und der schwarzen Bevolkerung der U.S.A. einen Austausch religioser Praktiken gegeben hatte (z. B. Aberglaube ), so fand ein tatsachlicher Austausch erst im 18. Jahrhundert statt, als die Erweckungsbewegung ( Great Awakening ) eine vorher nicht dagewesene Welle von religiosem Enthusiasmus ausloste. Ein Grund fur die große Popularitat der Erweckungsbewegung lag darin, dass sie ein Ventil fur weniger Privilegierte (Frauen, arme Landarbeiter ohne Landbesitz, Indianer) wie auch fur Sklaven war, die hier vor Teilnehmern aus allen Schichten der Gesellschaft fur ihre Gruppe sprechen und wichtige religiose Funktionen ubernehmen konnten.

Viele Afroamerikaner konvertierten zum Christentum und nutzten die Bewegung, um sich zu organisieren, zu predigen und gleichberechtigt mit ?Weißen“ an der Bewegung teilzunehmen. Ab 1830 gab es afroamerikanische Kleriker, die sogar ihre eigenen Bischofe wahlten. Manner wie Richard Allen und Andrew Marshall wurden zu den theologischen Sprechern der Afroamerikaner in der Erweckungsbewegung. [1]

Diese relative Freiheit dauerte jedoch im Suden der U.S.A. nicht lange, die Erweckungsbewegung wurde zu einer Massenbewegung, in der auch die Sklaverei akzeptiert wurde. Die in den Nordstaaten lebenden Afroamerikaner reagierten darauf mit der Grundung eigener religioser Gemeinschaften. Dies war in den Sudstaaten viel schwieriger, musste oft geheim geschehen und fuhrte zu einer geografischen Ausdifferenzierung von Afroamerikanischer Religion.

Religionsausubung und Abolitionismus

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Das 19. Jahrhundert war fur die afroamerikanische Bevolkerung der U.S.A. bestimmt durch Bestrebungen, die Sklaverei abzuschaffen ( Abolitionismus ). Nord- und Sudstaaten unterschieden sich in dieser Hinsicht stark, so dass der Wohnort großen Einfluss auf die Moglichkeit zur Religionsausubung hatte.

In den Nordstaaten

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In den Nordstaaten begannen Methodisten wie Richard Allen und James Varick, sich aus den weißen Kirchenverbanden zuruckzuziehen und eigene Denominationen zu grunden. Die African Methodist Episcopal Church entstand 1816, die African Methodist Episcopal Zion Church wurde im Jahr 1821 gegrundet. 1840 organisierten die Black Baptists die American Baptist Missionary Convention, die erste von zahlreichen Baptist Conventions (d. h. Zusammenschlussen mehrerer Einzelkirchen), die alle im Jahre 1895 in der National Baptist Convention der USA. aufgehen sollten. Die Fahigkeit, eigene religiose Korperschaften zu grunden, die denen der weißen Gesellschaft stark in Glaubenspraxis und -Uberzeugungen ahnelten wurde sowohl von den Afroamerikanern als auch von weißen Vertretern der Emanzipation als Argument fur die Gleichberechtigung bzw. die Abschaffung der Sklaverei ins Feld gefuhrt.

In den Sudstaaten

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In den Sudstaaten war durch die Sklaverei die religiose Freiheit der Afroamerikaner stark eingeschrankt. Oft war es den Sklaven gesetzlich verboten, den in den Nordstaaten gegrundeten Kirchen beizutreten oder aber eigene offizielle religiose Institutionen zu grunden. Haufig lehnten sie es auch ab, die ihnen von den Sklavenhaltern erlaubten Gottesdienste bei weißen Predigern zu besuchen, da ihnen bei dieser Gelegenheit haufig Gehorsam und Akzeptanz der Sklaverei gepredigt wurden. Es entwickelte sich eine Ausdifferenzierung der religiosen Praxis in außerliche Anpassung an die Forderungen der Sklavenhalter und innerliches Festhalten an eigenstandiger Religionsausubung.

?Unsichtbare Kirche“
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Um Verbote zu umgehen, verlegten die Afroamerikaner in den Sudstaaten ihre religiose Praxis an geheime Orte und Zeiten ( invisible institution ). Die Gottesdienste waren typischerweise ein gemeinsames Singen, das durch Zurufe einzelner Teilnehmer, die so ihre Gedanken und Emotionen mit der Gruppe teilten, angereichert wurde. Oft mundete diese Kommunikation uber improvisierte Musik in ein Nacherleben (re-enactment) bestimmter biblischer Szenen von besonderer Bedeutung fur die Afroamerikaner. Solch eine Szene war z. B. der Exodus der Israeliten aus Kanaan, wobei Jesus als ein zweiter Moses gesehen wurde, der die Afroamerikaner aus der Sklaverei fuhren wurde. Die in dieser Form ausgedruckte Hoffnung auf Befreiung aus der Sklaverei verknupfte religiose Vorstellungen von der Erwartung des jungsten Gerichts mit der Erwartung der weltlichen Emanzipationsbewegung. [2]

Erweckungserlebnis
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Das Erweckungserlebnis, ein zutiefst individuelles Ereignis, das daher Autorisierung durch den weißen Klerus uberflussig machte, das jedoch in der (geheimen) Gemeinde verkundet wurde, war hier der wichtigste Punkt in der Biografie eines Glaubigen. Durch die Konversion zu Gott konnte die Glaubigen in der Religion eine Bestatigung ihres Werts als Menschen finden, die ihnen in der Alltagswelt als Sklaven verwehrt war. Statt offizieller Rituale und Predigten druckte sich der Glaube der Afroamerikaner in Geschichten, Liedern und eigenen Traditionen aus.

Abgrenzung nach außen
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So konnten sie sich von der die Sklaverei bejahenden Religion der weißen Sklavenhalter abgrenzen. Strikte moralische Grundsatze wurden innerhalb der Gemeinschaft der Afroamerikaner vertreten, fur das Verhalten gegenuber den Weißen konnten andere Maßstabe gelten. Diese moralische Unterscheidung zwischen Weißen und Afroamerikanern sowie die noch mehr an afrikanische Gebrauche erinnernden Formen religiosen Handelns wurden teils nicht nur von Weißen, sondern auch von afroamerikanischen Missionaren aus den Nordstaaten als falsch angesehen.

Religioser Protest gegen die Sklaverei

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Obwohl die christlichen Afroamerikaner mit der Bibel ihrer Religion denselben Text zugrunde legten wie die weißen Christen und teilweise gezwungen waren, dieselben Gottesdienste zu besuchen, gab es jedoch Unterschiede im Glauben, die es ihnen ermoglichten, mental oder konkret Widerstand gegen die Sklaverei zu leisten. Sie lehnten die weiße Doktrin des Fluch von Canaan ab, mit dem die angebliche Minderwertigkeit der Afroamerikaner begrundet werden sollte. Außerdem hoben sie Bibelstellen hervor, die ihnen in ihrer Situation halfen und verwarfen andere, die die Sklaverei bejahten.

Um der Existenz der Sklaverei einen Sinn zu geben, wurde die Idee entwickelt, dass die Afroamerikaner deswegen nach Amerika verschleppt worden seien, um das Christentum kennenzulernen und dann nach ihrer Befreiung Afrika zu missionieren.

Einige Afroamerikaner verfolgten auch einen strikten moralischen Lebensstil um sich gegen die Dekadenz der Weißen abzugrenzen. Sie engagierten sich in christlichen Organisierungen um die Bildung und Qualifizierung der Afroamerikaner zu verbessern. Außerdem versuchten sie die Plane der American Colonizing Society zu verhindern, die plante Afroamerikaner nach Afrika zu deportieren. Es entwickelte sich eine afroamerikanische Auspragung des Christentums, die Anfuhrer von Anti-Sklaverei-Aufstanden wie Turner und Vesey als Vollstrecker von Gottes Wille sahen. Teilweise gipfelte sie jedoch auch in ?Schwarzem Nationalismus“: 1829 publizierte David Walker, ein freier Afroamerikaner aus Boston, ein Flugblatt, in dem er die Afroamerikaner als die wahren Christen beschrieb, die die Sunde Sklaverei beenden und danach die Welt zum Christentum bekehren wurden.

Nach dem Sezessionskrieg

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Auch nachdem der Sezessionskrieg , der von den Nordstaaten auch zur Abschaffung der Sklaverei gefuhrt wurde und von den Sudstaaten als Angriff auf ihre Selbstbestimmung ausgelegt wurde, bestanden erhebliche geografische Unterschiede in der Ausubung von afroamerikanischer Religion.

Wahrend die Afroamerikaner der Nordstaaten versuchten, im gesellschaftlichen Mainstream anzukommen und ihre religiose Praxis eng mit vorhandenen weißen Kirchen vernetzten und sich an diese anpassten, verweigerten sich die befreiten Sklaven der Sudstaaten dieser Entwicklung. Sie zogen es vor, ihre eigenen Kirchen zu grunden und ihre bislang im Verborgenen gepflegten Rituale, Glaubenssatze und Ausdrucksformen, die noch starke Ahnlichkeiten mit afrikanischen Religionen aufwiesen, weiter zu pflegen.

Die weißen Kirchen im Norden verloren nach der Abschaffung der Sklaverei das Interesse, sich gegen die anhaltende Diskriminierung der schwarzen Bevolkerung zu engagieren und mit ihren Kirchen zusammenzuarbeiten. Außerdem wurden sie haufig von den Afroamerikanern selbst als bevormundend empfunden.

Die weißen Kirchen im Suden dagegen hatten große Probleme damit, die Neugrundungen der afroamerikanischen Mitburger zu akzeptieren.

Neuere Entwicklungen

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Die afroamerikanischen Religionen hatten sowohl auf das Civil Rights Movement als auch fur das Black Power Movement des 20. Jahrhunderts Einfluss.

Glaubensgrundsatze

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Die Religionsausubung der Afroamerikaner speist sich sowohl aus verschiedenen noch aus Afrika mitgebrachten Religionen (z. B. animistische Religionen, Islam) wie auch aus spater angenommenen Religionen wie dem Christentum. Es gibt jedoch einige Konstanten, die alle afroamerikanischen Glaubensgemeinschaften beschaftigen: [3]

Afrika als historische Realitat und religioses Bild

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Durch die deutliche optische Unterscheidbarkeit der meisten Afroamerikaner sowie durch die restriktive One-Drop-Rule wurde ein Verschwinden dieser Gruppe in die Mainstream-Gesellschaft durch Assimilation unmoglich gemacht. Die Gruppenzugehorigkeit uber die Hautfarbe blieb also ein entscheidender Faktor des Selbstbildes, der immer wieder auf die gemeinsame Herkunft aus Afrika verwies (historische Realitat). Gleichzeitig wurde versucht, die Abwertung, die mit der Kategorie ?Afroamerikaner“ verbunden war, zu entscharfen, indem im religiosen Kontext auf vielfaltigen Wegen eine Aufwertung des Herkunftsortes Afrika unternommen wurde. Viele Elemente der afroamerikanischen Folklore (Slave Narratives, Predigten, Negro Spirituals , Brer Rabbit oder High John the Conqueror-Geschichten) bewahren afrikanische Elemente von religioser Bedeutung wie Trickster -Figuren.

Unfreiwillige Anwesenheit der Afroamerikaner in den USA

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Die Ansiedlung von Afrikanern in den USA begann als Zwang. Das Land stellte fur sie eine bizarre Realitat dar: sie kamen in Kontakt mit einem neuen Lebensraum, wurden aber durch die Sklaverei daran gehindert, eigene Strategien des Umgangs damit zu entwickeln. Passten sie sich jedoch der Unterdruckung des Sklavereisystems an, so konnte das kaum ohne psychologischen Schaden geschehen. Um fur Afroamerikaner bedeutsam sein zu konnen, mussten Religionen diesen Zustand berucksichtigen und eine Form der Opposition bieten. So wurden z. B. im Zuge der Christianisierung biblische Geschichten und Denkfiguren fur die Religionsausubung ubernommen, jedoch wurde besonders das ausgewahlt, was der Lebenswelt der Afroamerikaner entsprach (z. B. die Befreiung des Volks Israel aus Agypten).

Gott als Symbol und Erlebnis

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Die Gotter der afrikanischen Religionen waren weniger aus der taglichen Lebenswelt entfernt als der Gott des Christentums, durch den Ahnenkult waren eher fließende Ubergange zwischen Alltag und ubernaturlicher Welt moglich. Dieses Konzept wirkt auch in den afroamerikanischen Religionen weiter. Statt die Dreifaltigkeit des Christentums z. B. als Dogma zu sehen, wird sie eher in Analogie zu den Stufen der afrikanischen Ahnenverehrung verstanden. Die Gotter verschiedener Stufen sind Mittler, die durchaus in der Alltagswelt anwesend sein konnen, auch wenn sie nicht unbedingt die Macht haben, diese Realitat auch zu verandern. Viele Negro Spirituals drucken die Nahe zwischen Mensch und Gott aus, auch die Erweckungsgeschichte ist ein wichtiges Genre der afroamerikanischen Religion.

  • Henry Louis Gates: The Black Church: This Is Our Story, This Is Our Song. Penguin Press, New York 2021, ISBN 978-1-984880-33-8 .
  • Josef Sorett: Black is a church. Christianity and the contours of African American life . Oxford University Press, New York 2023, ISBN 978-0-19-061513-0 .
  • David D. Wills: The Central Themes of American Religious History. Pluralism, Puritanism, and the Encounter of Black and White. In: Timothy E. Fulop, Albert J. Raboteau (Hrsg.): African American Religion. Interpretive Essays in History and Culture. Routledge, New York und London 1997, S. 8?20.
Commons : Afroamerikanische Religion in den Vereinigten Staaten  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Albert J. Raboteau: The Black Experience in American Evangelism. The Meaning of Slavery. In: African American Religion. Interpretive Essays in History and Culture. Timothy E. Fulop & Albert J. Raboteau (Hrsg.). Routledge, New York und London 1997, S. 92
  2. Albert J. Raboteau: The Black Experience in American Evangelism. The Meaning of Slavery. In: African American Religion. Interpretive Essays in History and Culture. Timothy E. Fulop & Albert J. Raboteau (Hrsg.). Routledge, New York und London 1997, S. 102ff
  3. Charles H. Long: A Study of African American Religion in the United States. In: African American Religion. Interpretive Essays in History and Culture. Timothy E. Fulop & Albert J. Raboteau (Hrsg.). Routledge, New York und London 1997, S. 22?35