Unter einem
Ubersiedler
versteht oder verstand man einen Menschen, der zu Zeiten der
deutschen Teilung
seinen Wohnsitz von der
Deutschen Demokratischen Republik
(DDR) in die
Bundesrepublik Deutschland
verlegte oder seltener auch in umgekehrter Richtung.
Bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 gab es ungefahr 4 Millionen Ubersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik und nahezu 400.000 Ubersiedler aus der Bundesrepublik in die DDR.
[1]
[2]
Ein
ungesetzlicher Grenzubertritt
war in der DDR eine strafbare Handlung, fur die Freiheitsentzug vorgesehen war (
siehe auch:
Flucht aus der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR
,
Politische Haft in der DDR
und
Haftlingsfreikauf
).
Nur sehr eingeschrankt war es moglich, legal aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland uberzusiedeln. Hierzu musste in jedem Fall zuvor ein sogenannter
Ausreiseantrag
gestellt werden; allerdings hatten Antrage auf dauerhafte Ausreise vor dem Rentenalter
negative Folgen fur den Antragsteller
, und dies bereits ab dem Zeitpunkt der Antragstellung. Beispiele sind ?Zuruckdrangungsgesprache“ mit dem Versuch, den Ausreisewilligen durch Drohungen und positive Anreize zugleich zur Zurucknahme seines Ubersiedlungsersuchens zu bewegen, Einschrankungen bei der Berufswahl und Kundigungen.
[3]
Ungeklart ist, wie viele
Zwangsadoptionen
es in diesem Zusammenhang gab.
[4]
Wurde ein Ausreiseantrag abgelehnt, so konnte er neu gestellt werden. Die Bearbeitungsdauer bis zur Ausreise betrug ublicherweise zwischen einem und zehn Jahren.
Ubersiedler aus der DDR werden heute haufig als ?
Fluchtlinge
“ bezeichnet. Teils wird dies als eine unzulassige Verallgemeinerung betrachtet, da neben einer wirtschaftlich oder politisch motivierten Ausreise auch die Moglichkeit bestand, die Ausreise aufgrund von familiaren Grunden zu beantragen. DDR-Botschafter
Siegfried Bock
erklarte 1975, es seien ab 1969 insgesamt 9.000 DDR-Burger außerhalb des Rentenalters im Zuge der
Familienzusammenfuhrung
in die Bundesrepublik ausgereist.
[5]
Erst die
Verordnung zur Regelung der Familienzusammenfuhrung und der Eheschließung zwischen Burgern der Deutschen Demokratischen Republik und Auslandern
von 1983 ermoglichte einen offiziellen Antrag auf Familienzusammenfuhrung. Allein 1984 wurden uber 32.000 solche Antrage genehmigt.
[6]
Nach der
Offnung der innerdeutschen Grenze 1989
vereinfachte sich die Ubersiedlung zu einem einfachen Umzug.
Rund 4 Millionen Menschen siedelten bis zum Mauerbau 1961 aus der DDR in die Bundesrepublik uber.
[1]
[2]
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Laut Statistiken kamen 1961 bis 1988 weitere uber 600.000 Personen aus der DDR dauerhaft in die Bundesrepublik. Im Einzelnen waren dies: 383.181 Ubersieder, 178.182 Fluchtlinge, die uber Drittlander o. a. gefluchtet waren, 40.101 Sperrbrecher, die uber Grenzbefestigungen in die Bundesrepublik gelangt waren, sowie ungefahr 15.000 Personen (in der Graphik nicht dargestellt), die von 1961 bis 1988 als politische Haftlinge von der Bundesrepublik freigekauft wurden.
[7]
[8]
Im Jahr 1989 kamen insgesamt weitere 343.854 Personen aus der DDR in die Bundesrepublik, 1990 weitere 238.384.
[7]
Altersgruppe
|
Bevolkerung gesamt
|
Ubersiedler aus der DDR
|
65 Jahre und alter
|
15,3 %
|
1,7 %
|
61?64 Jahre
|
5,5 %
|
1,1 %
|
45?60 Jahre
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20,4 %
|
7,8 %
|
25?44 Jahre
|
29,4 %
|
42,2 %
|
18?24 Jahre
|
11,1 %
|
22,1 %
|
6?17 Jahre
|
11,9 %
|
16,6 %
|
unter 6 Jahre
|
6,3 %
|
8,6 %
|
Quelle: Statistisches Bundesamt, 1989
Da die Ausreise gewohnlich von einem Tag auf den anderen erfolgen konnte, wurden auf westlicher Seite geeignete Maßnahmen getroffen, um einen reibungslosen Ablauf zu gewahrleisten, z. B. durch die Einrichtung von Wohnunterkunften fur Ubersiedler.
In der Bundesrepublik angekommen, wurden die in der DDR erworbenen Bildungsabschlusse und Berufserfahrungen anerkannt oder konnten durch Weiterbildung erganzt werden, was die berufliche Integration ermoglichte. Ihre
Bildungsaffinitat
, ihr familiarer Zusammenhalt auch mit Familienmitgliedern in Westdeutschland sowie ihre ?Fahigkeiten, soziale Netzwerke knupfen, relevante Informationen aufspuren und mit begrenzten Ressourcen wirtschaften zu konnen“ bildeten ein
inkorporiertes kulturelles Kapital
, das dazu beitrug, den Ubergang in die Bundesrepublik zu meistern. Zu nennen sind auch die sofortige Anerkennung als Staatsangehorige sowie diverse instrumentelle und finanzielle Hilfen.
[9]
Vielen aus der DDR Zugewanderten kam ihr kulturelles Kapital beim Neuanfang im Westen zugute. Forschungen weisen hierbei vor allem auf Bildungsaffinitat sowie Fahigkeiten, soziale Netzwerke zu knupfen, relevante Informationen aufzuspuren und mit begrenzten Ressourcen zu wirtschaften.
[10]
Einige berichteten spater uber
Diskriminierungserfahrungen
in der Bundesrepublik.
Beim Rentenbezug wurden Ubersiedler aus der DDR durch das
Fremdrentengesetz
(FRG) so gestellt, als hatten sie ihre rentenrechtlichen Beitragszeiten in der Bundesrepublik erbracht. Nach der Wiedervereinigung wurde die Anwendbarkeit des FRG allerdings durch das im Einigungsvertrag vorgesehene
Rentenuberleitungsgesetz
(RUG) vom 25. Juli 1991 begrenzt ? zunachst auf Personen mit einem Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1996, spater auf Personen, die vor dem 1. Januar 1937 geboren wurden. Fur jungere Ubersiedler gilt gemaß RUG eine neue Rentenberechnung, die von den in der DDR tatsachlich in die Rentenversicherung eingezahlten Beitragen ausgeht.
[11]
In vielen Familien besteht ? im Unterschied zu vielen anderen Zugewandertengruppen ? kein Kontakt mehr zur Herkunftsregion. Auch bildeten aus der DDR Zugewanderte kaum eigene Diaspora-Communities oder politische Interessensgemeinschaften.
[10]
- ↑
a
b
Eine Zahl von uber 4,3 Millionen Ubersiedlern in die Bundesrepublik bis zum Mauerbau ist angegeben in:
Hans-Peter Schwarz
:
Die Bundesrepublik Deutschland: eine Bilanz nach 60 Jahren
, Bohlau Verlag Koln Weimar, 2008,
ISBN 978-3-412-20237-8
,
S. 576
.
- ↑
a
b
Eine Zahl von 3,8 Millionen Ubersiedlern in die Bundesrepublik bis zum Mauerbau ist angegeben in:
Wolfgang Seifert
:
Ubersiedler aus der DDR und Auswanderer aus Deutschland.
Bundeszentrale fur politische Bildung, 31. Mai 2012,
abgerufen am 25. Februar 2018
.
- ↑
Im Kreisarchiv entdeckt.
Kreisarchiv Bautzen, 29. Januar 2015,
abgerufen am 11. Februar 2018
.
- ↑
Entrissen ? Zwangsadoptionen in der DDR.
In:
planet-wissen.de.
ARD,
abgerufen am 11. Februar 2018
.
- ↑
?Die DDR gehort zu den weltoffensten Staaten“.
In:
Der Spiegel.
4. August 1975,
abgerufen am 11. Februar 2018
.
- ↑
Helge Heidemeyer
:
Deutsche Fluchtlinge und Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR in den westlichen Besatzungszonen bzw. in der Bundesrepublik Deutschland
, in Bade u. a. (Hg.), Enzyklopadie Migration, S. 485?488, hier S. 485. Zitiert nach: Maren Mohring:
Mobilitat und Migration
. In:
Frank Bosch
(Hrsg.):
Geteilte Geschichte: Ost- und Westdeutschland 1970?2000
, Vandenhoeck & Ruprecht, 2015,
ISBN 978-3-647-30083-2
, S. 369 ff,
S. 379
.
- ↑
a
b
Quelle: Hans Hermann Hertle,
Konrad H. Jarausch
und
Christoph Kleßmann
, Hrsg.,
Mauerbau und Mauerfall. Ursachen ? Verlauf ? Auswirkungen
. Berlin, 2002, S. 310?314. Zitiert nach:
Band 9. Zwei deutsche Staaten: 1961?1989. Statistische Aufstellung uber die Zahl der Ubersiedler und Fluchtlinge (1961?1990).
In:
Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern (DGDB), flucht-und-ausreise.info.
Abgerufen am 25. Februar 2018
.
- ↑
Jurgen Ritter/Peter Joachim Lapp, Die Grenze. Ein deutsches Bauwerk, Berlin 1997, S. 167. Zitiert nach:
Ubersiedler und Fluchtlinge aus der DDR (1961-1990).
In:
Chronik der Mauer, chronik-der-mauer.de.
Abgerufen am 25. Februar 2018
.
- ↑
Laura Wehr:
Vergessene Migrationsgeschichte/n? Die Ausreise aus der DDR in der Erinnerung von Ubersiedler-Eltern und -Kindern.
In:
Deutschland Archiv.
Bundeszentrale fur politische Bildung, 14. Dezember 2016,
abgerufen am 11. Februar 2018
.
- ↑
a
b
Laura Wehr:
Vergessene Migrationsgeschichte/n? Die Ausreise aus der DDR in der Erinnerung von Ubersiedler-Eltern und -Kindern.
In:
Deutschland Archiv, bpb.de.
Bundeszentrale fur politische Bildung, 14. Dezember 2016,
abgerufen am 26. April 2022
.
- ↑
Verfassungsbeschwerde gegen die Anderung der gesetzlichen Bewertung von in der DDR zuruckgelegten rentenrechtlichen Zeiten erfolglos.
In:
Pressemitteilung Nr. 5/2017, Beschluss vom 13. Dezember 2016, 1 BvR 713/13.
Bundesverfassungsgericht, 18. Januar 2017,
abgerufen am 26. Dezember 2018
.