Eine
Trauung per Stellvertreter
ist eine
Eheschließung
, die formgultig vollzogen wird, obwohl einer der Brautleute bei der
Trauung
nicht personlich zugegen ist. Ein
Stellvertreter
des abwesenden Partners gibt dabei
per procurationem
(kraft Vollmacht) in dessen Namen und Auftrag das Jawort ab, mit dem die Ehe zwischen dem abwesenden und dem anwesenden Partner als geschlossen gilt.
Andere Bezeichnungen fur diese Art des Eheschlusses sind
Prokuration
,
[1]
Stellvertreterhochzeit
oder
Handschuhehe
. Letztere Bezeichnung deutet auf die fruher ubliche Uberreichung eines Handschuhs als Sinnzeichen der Botenbeauftragung hin. Als Stellvertreter konnte ein Ehevormund,
Bevollmachtigter
,
Bote
oder
Diplomat
auftreten.
Die Stellvertretung bei der Eheschließung war historisch vor allem in Adelskreisen weit verbreitet und ist heute noch in einigen Rechtsordnungen moglich, auch innerhalb
Europas
. In den deutschsprachigen Landern ist fur die Eheschließung als
personenrechtliches Rechtsgeschaft
heute jedoch uberall die
hochstpersonliche
Mitwirkung erforderlich und eine Stellvertretertrauung daher ausgeschlossen.
Politische Allianzen wurden durch Heiraten zwischen den herrschenden Familien geschlossen. War solch eine Allianz vereinbart, so konnte es aber durchaus eine Weile dauern, bis die Braut auf die oftmals weite Reise zu ihrem Brautigam geschickt wurde. Dabei war nicht nur die reine Reisezeit zu bedenken. Prinzessinnen reisten mit einem standesgemaßen Gefolge, das mehrere hundert Personen umfassen konnte, so dass die Planung entsprechend viel Zeit in Anspruch nahm. Diese Reise endete erst mit der feierlichen Ubergabe der Braut an der Landesgrenze des Landes des Brautigams (der
remise
).
Wollte man die politische Allianz schon befestigen, bevor sich Braut und Brautigam personlich gegenuberstanden (oft zum ersten Mal in ihrem Leben), feierte man eine Stellvertreterhochzeit. In der Regel nahmen die Braut und ein Stellvertreter des Brautigams an einer solchen Trauung teil. Seltener kam es vor, dass die Braut vertreten wurde.
Diese Praxis war in Europa im 17. Jahrhundert noch ublich und auch im 18. Jahrhundert noch weithin zulassig. Auch im 19. sowie zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand noch diese Moglichkeit.
[2]
Die Trauung per Stellvertreter war im Adelsstand und insbesondere am Hofe der Habsburger in Wien und Madrid gebrauchlich. Am Wiener Hof entwickelte sich fur die Handschuhehe eine skurrile Prozedur. Die Braut und der Stellvertreter des Brautigams stiegen voll bekleidet vor der versammelten Hofgesellschaft in ein prachtig geschmucktes Bett und entbloßten jeweils ein Bein; dies galt als symbolische Eheschließung. Als
Vollzug der Ehe
galt jedoch erst der erfolgte
Beischlaf
der Ehepartner.
Bei Stellvertreterhochzeiten gab es auch eine besondere Form der
Beschreitung des Ehebettes
: In Gegenwart des Hofstaates legte sich der Stellvertreter
geharnischt
neben die auf das Prachtigste gekleidete Braut, wobei ein blankes
Schwert
zwischen beiden lag.
[3]
Allerdings konnte eine auf diese Weise geschlossene Ehe nach kirchlichem Recht bis zu ihrem Vollzug (Geschlechtsverkehr der Ehegatten) annulliert werden.
Im Jahr 1490 wurde die Trauung des deutschen Kronprinzen
Maximilian von Osterreich
mit der dreizehnjahrigen
Anna von Bretagne
per Stellvertreter vollzogen. Dazu entbloßte der von Maximilian als dessen Stellvertreter entsandte
Wolfgang von Polheim
in Gegenwart des gesamten
bretonischen
Hofes sein Bein bis zum Knie und schob es in das Bett der schlafenden Prinzessin; damit galt die
Ehe
als geschlossen.
[4]
Da sie wegen der fehlenden Einwilligung des franzosischen Konigs nicht vollzogen werden konnte, wurde die Ehe im folgenden Jahr mit papstlichem
Dispens
fur ungultig erklart.
Herzog
Johann II.
von
Julich
und
Berg
gedachte sich vier Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau neu zu vermahlen. 1691 schickte er den Freiherrn von Wachtendonk nach
Florenz
zur Brautwerbung um
Anna Maria Luisa de’ Medici
, die Tochter des Großherzogs
Cosimo III. de’ Medici
. Nachdem die Werbung Erfolg hatte, vertrat der Bruder der Braut, Erbprinz Ferdinando de’ Medici, am 29. April 1691 den Brautigam bei der vorlaufigen Hochzeit in Florenz. Am 5. Juni wurde die Ehe in
Ulm
an der Donau mit einer regelrechten Hochzeit besiegelt.
[5]
Ein prominentes Beispiel ist der Eheschluss von
Marie-Antoinette
und dem spateren Konig
Ludwig XVI.
am 19. April 1770 in der
Augustinerkirche in Wien
, bei der der franzosische Thronfolger durch Erzherzog
Ferdinand
, einen Bruder der Braut, vertreten wurde.
[6]
Anschließend musste die vierzehnjahrige Braut
nach Frankreich reisen
. Die eigentliche Vermahlung wurde am 16. Mai in der
Schlosskapelle von Versailles
durch den
Erzbischof von Reims
geschlossen.
[7]
Weitere Beispiele sind die Trauungen von
Henrietta Maria von Frankreich
(1625),
Henriette Adelheid von Savoyen
(1650),
Caroline Mathilde von Hannover
(1766),
Marie Clothilde von Frankreich
(1775),
Maria Leopoldine von Osterreich
(1817) und
Amelie von Leuchtenberg
(1829).
Mit der so genannten
Stahlhelmtrauung
gab es wahrend des
Zweiten Weltkriegs
auch in Deutschland die Moglichkeit einer
Ferntrauung
, bei der die personliche Gegenwart des Soldaten (Brautigam) nicht notwendig war, sondern eine von seinem Vorgesetzten beglaubigte schriftliche Erklarung ausreichte.
Heute mussen nach den meisten
Rechtsordnungen
der Welt die Verlobten personlich zur
Trauung
erscheinen; die so genannte Handschuhehe ist im Geltungsbereich dieser Rechtsordnungen daher unzulassig. Dies gilt gemaß
§ 1311
Satz 1
BGB
auch in
Deutschland
;
[8]
immerhin hatte der historische Gesetzgeber des BGB die Zulassung der Handschuhehe Ende des 19. Jahrhunderts allerdings erwogen (Prot. IV 51 f.). Dem Verbot der Handschuhehe liegt die Idee zugrunde, dass die Ehe ein
hochstpersonliches
Rechtsgeschaft
ist.
Manche andere Rechtsordnungen lassen die Handschuhehe hingegen zu;
- gemaß der unten als erstes genannten Fallgruppe ist die Handschuhehe zulassig nach dem Recht
Italiens
,
Kolumbiens
,
Nordmazedoniens
,
Mexikos
,
[9]
der
Niederlande
im Falle der Ministererlaubnis,
Polens
,
Portugals
,
Spaniens
und diverser US-amerikanischer Bundesstaaten;
- gemaß der unten als zweites genannten Fallgruppe ist die Handschuhehe zulassig nach dem Recht einiger islamischer Staaten.
In Fallen grenzuberschreitender Eheschließungen (d. h. zumindest einer der Ehegatten gehort einem Staat an oder hat seinen Wohnsitz in einem Staat, der nicht identisch ist mit demjenigen Staat, in dem sich der Ort des Eheschlusses befindet) gilt:
Welche Rechtsordnung bei der Beantwortung der Frage uber die Zulassigkeit der Handschuhehe zur Anwendung kommt, entscheidet sich nach dem sog.
Internationalen Privatrecht
desjenigen Staates, dessen Gericht um Beantwortung angerufen wird. Nach dem Internationalen Privatrecht Deutschlands ?
Art. 11
Abs. 3 des
Einfuhrungsgesetzes zum Burgerlichen Gesetzbuch
(EGBGB) ? ist die Rechtsordnung desjenigen Staates anzuwenden, in dem sich der Bote oder der Vertreter zum Zeitpunkt des Eheschlusses befindet. Zudem haben die Gerichte stets den sog.
ordre public
desjenigen Staates zu beachten, in dem sich ihr Sitz befindet (siehe unten, zweite Fallgruppe). Der ordre public sind die rechtlichen Mindestanforderungen, die ein jeder Staat an die Anerkennung auslandischer Rechtsakte stellt; die Anforderungen konnen, je nach den Grundwertungen seiner Rechtsordnung, unterschiedlich ausfallen.
Bei der Handschuhehe sind danach zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
- Bei der ersten Fallgruppe haben der Bote bzw. der Vertreter keinerlei Entscheidungsspielraum (Vertreter mit ?festgelegter Marschroute“). Sie uberbringen lediglich die Erklarung des Eheschließenden bzw. vertreten den Eheschließenden nach dessen Weisungen. Fur den Fall, dass eine solche Ehe nach der gemaß dem Internationalen Privatrecht anwendbaren Rechtsordnung wirksam zustande gekommen ist (s. o. die unter Ziff. 1 und 2 genannten Staaten), ist sie auch vor deutschen Gerichten als wirksam anzusehen.
- Bei der zweiten Fallgruppe wird dem Vertreter sogar die Auswahl des Ehepartners ermoglicht (?Vertretung im Willen“). Nutzt ein Vertreter eine solche rechtliche Moglichkeit tatsachlich aus und wurde diese Ehe nach der gemaß dem Internationalen Privatrecht anwendbaren Rechtsordnung wirksam sein (s. o. die unter Ziff. 2 genannten Staaten), ware sie jedenfalls im deutschen Rechtsraum dennoch als unwirksam anzusehen, weil sie mit dem ordre public Deutschlands nicht vereinbar ist (
Art. 6
EGBGB). Der Grund fur die Annahme des ordre-public-Verstoßes wird darin gesehen, dass diese Art der Handschuhehe gegen das aus
Art. 2
Abs. 1 GG bzw.
Art. 6
Abs. 1 GG resultierende Verbot des
Eheschließungszwangs
verstoßt. Diesem Verbot entspricht es, dass die Ehe nur zwischen Partnern geschlossen werden kann, die sich aufgrund freien Entschlusses und ubereinstimmenden Willens selbst gewahlt haben. In der Folge ist bei der Frage der Wirksamkeit von Handschuhehen in solchen Landern stets zu prufen, ob die Vollmacht zur Eheschließung soweit eingeschrankt und konkretisiert war, dass keine Stellvertretung im Willen mehr vorlag.
[10]
Die rechtliche Beurteilung einer Handschuhehe hangt nicht davon ab, ob diese in einem Vertragsstaat des CIEC-Ubereinkommens vom 10. September 1964 zur Erleichterung der Eheschließung im Ausland (
Deutschland
,
Griechenland
, die
Niederlande
,
Spanien
und die
Turkei
) geschlossen wurde oder nicht. Denn das CIEC-Ubereinkommen enthalt keinerlei Regelung zur Handschuhehe.
Es ist umstritten, inwieweit die Anerkennung von im Ausland gultig geschlossenen Handschuhehen ein Schlupfloch fur
Zwangsehen
sein konnte.
[11]
- Jorg von Uthmann:
Die Diplomaten. Affaren und Staatsaffaren von den Pharaonen bis zu den Ostvertragen
(=
dtv
10926
dtv-Geschichte
). Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen 1988,
ISBN 3-423-10926-2
, insb. S. 107.
- ↑
Prokuration
. In:
Meyers Großes Konversations-Lexikon
. 6. Auflage.
Band
16
:
Plaketten?Rinteln
. Bibliographisches Institut, Leipzig / Wien 1908,
S.
377
(
Digitalisat.
zeno.org
).
- ↑
Eherecht
. In:
Meyers Großes Konversations-Lexikon
. 6. Auflage.
Band
5
:
Differenzgeschafte?Erde
. Bibliographisches Institut, Leipzig / Wien 1906,
S.
405?407
(
Digitalisat.
zeno.org
).
?Das alte Sonderrecht von Personen, die aus landesherrlicher oder nach 1815 noch landesherrlich gewesener deutscher Familie stammen, ihre Ehen durch einen Stellvertreter (per procurationem) einzugehen, gilt nur noch, sofern dies zu Neujahr 1900 durch besondere Vorschrift ihrer Hausverfassung oder der Gesetze ihres Landes bestimmt war.“
- ↑
Beschreitung des Ehebettes
. In:
Heinrich August Pierer
, Julius Lobe (Hrsg.):
Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit
. 4. Auflage.
Band
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:
Aug …?Bodmer
. Altenburg 1857,
S.
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(
Digitalisat.
zeno.org
).
- ↑
Jorg von Uthmann:
Die Diplomaten.
1988, S. 107.
- ↑
Franz Gruß:
Geschichte des Bergischen Landes.
Neu bearbeitet von
Klaus Herdepe
. Vollstandig uberarbeitete Neuauflage. Bucken Sulzer, Overath u. a. 2007,
ISBN 978-3-936405-06-4
, S. 247.
- ↑
Marie Antoinette
(
Memento
des
Originals
vom 7. Juli 2010 im
Internet Archive
)
Info:
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@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/www.historicum.net
historicum.net
- ↑
Peter C. Hartmann
(Hrsg.):
Franzosische Konige und Kaiser der Neuzeit. Von Ludwig XII. bis Napoleon III. 1498?1870
. 2. Auflage. Beck, Munchen 2006,
ISBN 3-406-54740-0
, S. 276 f. (=
Beck’sche Reihe
, Band 1724)
- ↑
§ 1311 BGB
- ↑
Die Ehe zwischen
Ingrid Bergman
und
Roberto Rossellini
wurde 1950 als
Handschuhehe
in Mexiko geschlossen, wobei sich beide vertreten ließen. (Aussage Isabella Rossellini in der Dokumentation ?Ingrid Bergman ? zum Gedenken“ uber ihre Mutter Ingrid Bergman auf der DVD
Indiskret
)
- ↑
OLG Zweibrucken
, Beschluss vom 8. Dezember 2010 - 3 W 175/10
(
Memento
des
Originals
vom 5. Marz 2016 im
Internet Archive
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@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/www3.mjv.rlp.de
.
- ↑
Hochzeit ohne Brautigam.
In:
Focus.
6. April 2012,
abgerufen am 19. Marz 2018
.