Als
Session
bezeichnet man den Zeitraum, in dem sich die beiden Kammern des
schweizerischen Parlaments
(
Nationalrat
und
Standerat
) sowie die
Vereinigte Bundesversammlung
zu Sitzungen versammeln.
Die beiden Parlamentskammern (auch Rate genannt) tagen in der Regel im
Bundeshaus
in
Bern
. Die
Bundesversammlung
kann aber mit einfachem
Bundesbeschluss
festlegen, ausnahmsweise an einem anderen Ort zu tagen (
Art. 32
ParlG). Diese Sessionen werden auch als
Sessionen ≪extra muros≫
bezeichnet. Das geschah dreimal, als aufgrund der Renovationen des Bundeshauses in den anderen Sprachregionen der Schweiz getagt wurde: in der Herbstsession 1993 in
Genf
, der Fruhjahrssession 2001 in
Lugano
und der Herbstsession 2006 in
Flims
.
Gemass Parlamentsgesetz sind die Ratsmitglieder verpflichtet, wahrend der Sessionen an den Sitzungen der Rate teilzunehmen (
Art. 10
ParlG). Die Sessionsteilnahmegarantie bedeutet, dass ein Strafverfahren gegen ein Ratsmitglied wegen Verbrechen oder Vergehen, welche nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner amtlichen Stellung oder Tatigkeit stehen, wahrend der Session nur eingeleitet werden kann mit seiner schriftlichen Zustimmung oder mit Ermachtigung der zustandigen Kommission seines Rates; vorbehalten bleibt die vorsorgliche Verhaftung wegen Fluchtgefahr oder im Fall des Ergreifens auf frischer Tat bei der Verubung eines Verbrechens (
Art. 20
ParlG). Die Ratsprasidenten (
Nationalratsprasident
und
Standeratsprasident
) konnen zudem als Disziplinarmassnahme ein Ratsmitglied von der Teilnahme der restlichen Dauer einer Sitzung ausschliessen (
Art. 13
ParlG).
Der Nationalrat und der Standerat werden von ihren
Buros
, die Vereinigte Bundesversammlung durch die Koordinationskonferenz (beide Buros gemeinsam) zu den Sessionen einberufen (
Art. 33
ParlG). Die Buros beschliessen in der Regel am drittletzten Freitag vor Beginn einer Session die Sessionsprogramme. Diese konnen durch die Ratsburos oder die Ratsprasidenten wahrend der Session durch die einzelnen Tagesordnungen modifiziert werden. Durch Annahme eines Ordnungsantrags aus der Mitte des Rates kann ein Rat das Sessionsprogramm oder eine Tagesordnung abandern (
Art. 9
Abs. 1 GRN,
Art. 6
Abs. 1 GRS).
Die beiden Parlamentskammern versammeln sich regelmassig zu ordentlichen Sessionen (
Art. 2
Abs. 1 ParlG). Sie tagen in der Regel viermal im Jahr jeweils drei Wochen lang (
Art. 33d
GRN). Diese Sessionen finden im Marz, Juni, September und November/Dezember statt und werden auch als Fruhlings-, Sommer-, Herbst- und Wintersession bezeichnet.
Falls die Geschaftslast nicht innerhalb dieser vier ordentlichen Sessionen abgebaut werden kann, konnen beide Rate unabhangig fur sich
Sondersessionen
beschliessen. Seit 1992, als die Moglichkeit der Durchfuhrung einer Sondersession eines einzelnen Rates eingefuhrt wurde, fanden 28 Sondersessionen statt. Achtmal tagten beide Rate, 18-mal allein der Nationalrat und zweimal allein der Standerat (Stand 14. Marz 2024).
[1]
Ein Viertel der Mitglieder eines Rates oder der Bundesrat konnen die Einberufung der Rate oder der Vereinigten Bundesversammlung zu einer
ausserordentlichen Session
verlangen (
Art. 2
Abs. 3 ParlG). Einer Ratsminderheit oder dem Bundesrat wird mit diesem Recht die Moglichkeit gegeben, die parlamentarische Agenda mitzubestimmen. Die eigentliche Einberufung und damit die Festlegung des Zeitpunktes der Session erfolgt aber durch die Ratsburos. Im Spezialfall einer ausserordentlichen Session zur Behandlung eines
dringlichen Finanzbeschlusses
, der 500 Millionen Franken uberschreitet, muss die Session spatestens in der dritten Kalenderwoche nach der Einreichung des Begehrens stattfinden (
Art. 28
und
Art. 34
FHG). Um derartige ausserordentliche Sessionen handelte es sich bei den Sessionen vom
4.?6. Mai 2020
, vom 26./28. September 2022 (im Rahmen der ordentlichen Herbstsession 2022; Genehmigung des dringlichen Kredites von 4 Mia CHF fur einen ≪Rettungsschirm≫ fur die
Axpo
[2]
) und vom
11.?12. April 2023
.
Um die Handlungsfahigkeit der Bundesversammlung in Krisensituationen zu verbessern, wurde im Nachgang zur
Covid-19-Pandemie
im Parlamentsgesetz prazisiert, dass eine ausserordentliche Session unverzuglich stattzufinden hat, wenn ihre Einberufung verlangt wird, nachdem der Bundesrat eine eigene
Notverordnung
erlassen oder dem Parlament den Entwurf einer Notverordnung der Bundesversammlung oder eines dringlichen Bundesgesetzes unterbreitet hat oder nachdem eine Session verschoben oder unterbrochen wurde (
Art. 2
Abs. 3
bis
ParlG).
[3]
Nach dem
≪Grounding≫ der Swissair
am 2. Oktober 2001 beschloss der Bundesrat am folgenden Tag mit Zustimmung der
Finanzdelegation der Eidgenossischen Rate
einen dringlichen Kredit an die Swissair von 450 Mio. CHF, um den Flugbetrieb im Oktober vorlaufig weiterfuhren zu konnen. Am 9. November 2001 unterbreitete er der Bundesversammlung eine Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses fur die nachtragliche Genehmigung sowohl des ersten Kredites wie auch weiterer mit Zustimmung der Finanzdelegation bereits beschlossener weiterer Kredite uber 1,6 Mia CHF (1 Mia CHF fur die Weiterfuhrung des reduzierten Flugbetriebs bis Ende Marz 2002 und 600 Mio. CHF fur die Erhohung des Aktienkapitals der Crossair). Die Kredite stutzten sich nicht auf
Notrecht
, sondern hatten eine gesetzliche Grundlage.
In der ausserordentlichen Session am 16.?17. November 2001, deren Einberufung von mehr als einem Viertel der Mitglieder des Nationalrates (mehrheitlich aus der SP-Fraktion) gefordert worden war, wurden die Kredite im Nationalrat mit 110 zu 56 und im Standerat mit 36 zu 3 Stimmen genehmigt.
[4]
Nachdem der Bundesrat nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie gestutzt auf Notrecht verschiedene dringliche Kredite im Gesamtbetrag von 57 Mia CHF mit Genehmigung der Finanzdelegation beschlossen hatte, wurde auf Begehren sowohl des Bundesrates wie auch von mehr als einem Viertel der Mitglieder des Standerates eine ausserordentliche Session fur den 4.?6. Mai 2023 einberufen. Das Parlament genehmigte den Kreditbeschluss mit kleineren Anderungen und behandelte eine Reihe von anderen Geschaften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie.
[5]
Nachdem die systemrelevante Grossbank
Credit Suisse
in eine existenzielle Notlage geraten war, beschloss der Bundesrat am 19. Marz 2023 gestutzt auf Notrecht zwei dringliche Kredite im Gesamtbetrag von 109 Mia CHF mit Genehmigung der Finanzdelegation. Zur Unterstutzung der
Ubernahme der Credit Suisse durch die UBS
erhielt die
Schweizerische Nationalbank
eine Ausfall-Garantie fur Liquiditatshilfe-Darlehen an die Credit Suisse fur 100 Mia CHF und die
UBS
eine Garantie zur Verlustabsicherung abzuwickelnder Aktiven der Credit Suisse fur 9 Mia CHF.
Mehr als ein Viertel der Mitglieder des Nationalrates verlangte die Einberufung einer ausserordentlichen Session, die fur den 11.?13. April 2023 einberufen wurde. Umstritten waren weniger der Kreditbeschluss selbst als der Bundesbeschluss, mit dem Rahmenbedingungen zur Kreditverwendung festgelegt und Auftrage an den Bundesrat fur eine Reform der Regulierung des Finanzmarktes erteilt werden konnen. Der Standerat nahm die Kredite in seiner ersten Beratung an, der Nationalrat lehnte sie ab. In der Differenzbereinigung versuchte der Standerat, dem Nationalrat entgegenzukommen und stimmte der Kreditvorlage mit 29 zu 5 Stimmen bei 7 Enthaltungen erneut zu. Der Nationalrat bestatigte aber seine Ablehnung auch in der zweiten Beratung mit 103 zu 71 Stimmen bei 8 Enthaltungen, womit die Vorlage definitiv abgelehnt war und die Session vor dem provisorisch vorgesehenen dritten Sessionstag geschlossen wurde.
[6]
Seit 1985 haben 42 weitere ausserordentliche Sessionen stattgefunden (Stand 14. Marz 2024)
[7]
. Alle diese anderen ausserordentlichen Sessionen wurden im Rahmen einer ordentlichen Session oder einer Sondersession durchgefuhrt. Es handelte sich dabei in der Regel um ausserordentliche Sessionen, welche von politischen Minderheiten der Linken oder der Rechten im Nationalrat gefordert wurden, um die Durchfuhrung von Debatten zu von ihnen eingereichten Vorstossen zu erzwingen. Die behandelten Vorstosse fanden allerdings meistens keine Mehrheit. Indem die Ratsburos diese ausserordentlichen Sessionen in eine ordentliche Session einfugten, konnten sie die von den Initianten bezweckte ≪Ausserordentlichkeit≫ schwachen. Als sich die derartigen ausserordentlichen Sessionen immer mehr hauften, uberlegte sich die
Staatspolitische Kommission des Standerates
Abhilfe. Zweck einer ausserordentlichen Session sollte nicht bloss die Durchfuhrung einer Debatte, sondern eine Beschlussfassung durch die Bundesversammlung sein.
[8]
Mit der Anderung des Parlamentsgesetzes vom 21. Juni 2013 wurde prazisiert, dass das Begehren fur die Einberufung neu nicht nur ein politisches Thema, sondern einen in beiden Raten hangigen Beratungsgegenstand bezeichnen muss.
[9]
Als in beiden Raten hangigen Beratungsgegenstand werden auch ≪in beiden Raten eingereichte gleich lautende
Motionen
≫ betrachtet (
Art. 2
Abs. 3 Bst. b ParlG). Nach dieser Gesetzesanderung fanden wahrend zwei Jahren keine ausserordentlichen Sessionen mehr statt. Dann wurde entdeckt, dass die neue Regelung einer Fraktion, die in beiden Raten vertreten ist, mit der koordinierten Einreichung gleich lautender Motionen erlaubt, mit dem Begehren fur die Einberufung einer ausserordentlichen Session die politische Agenda des Parlaments mitzubestimmen. Seither gibt es erneut zahlreiche in die ordentlichen Sessionen eingeschobene ausserordentliche Sessionen, z. B. allein im Jahr 2022 deren sechs.
- Barbara Brun del Re:
Art. 2 Zusammentreten der Rate
. In: Martin Graf, Cornelia Theler, Moritz von Wyss (Hrsg.):
Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung. Kommentar zum Parlamentsgesetz (ParlG) vom 13. Dezember 2002
. Basel 2014,
ISBN 978-3-7190-2975-3
,
S.
26–34
.
(
Online
)
- Die Bundesversammlung ? Das Schweizer Parlament:
Sessionen
(Informationen uber die jeweils aktuelle und fruhere Sessionen, mit Sessionsprogrammen, Schlussabstimmungstexten usw.)
- ↑
Faktenbericht: Sessionen.
(PDF) In:
parlament.ch.
Parlamentsbibliothek,
abgerufen am 14. Marz 2024
.
- ↑
22.042 Voranschlag 2022. Nachtrag II.
In:
Geschaftsdatenbank Curia Vista.
Parlamentsdienste,
abgerufen am 14. April 2023
(mit Links zu der Botschaft des Bundesrates, den Verhandlungen der Rate und weiteren Parlamentsunterlagen).
- ↑
20.437 Handlungsfahigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessern.
In:
Geschaftsdatenbank Curia Vista.
Parlamentsdienste,
abgerufen am 14. Marz 2024
(mit Links zu Kommissionsbericht, Verhandlungen der Rate und weiteren Parlamentsunterlagen).
- ↑
01.067 Redimensionierungskonzept fur die nationale Zivilluftfahrt. Finanzierung.
In:
Geschaftsdatenbank Curia Vista.
Parlamentsdienste,
abgerufen am 14. April 2023
(mit Links zur Botschaft des Bundesrates, den Verhandlungen der Rate und weiteren Parlamentsunterlagen).
- ↑
Ausserordentliche Session, 4.?6. Mai 2020 in der BernExpo.
In:
parlament.ch.
Abgerufen am 14. April 2023
(mit Links auf die Sessionsprogramme, die Wortprotokolle inklusive Abstimmungsresultate und weitere Unterlagen).
- ↑
Ausserordentliche Session 2023: 11.?13. April.
In:
parlament.ch.
Abgerufen am 14. April 2023
(mit Links auf die Sessionsprogramme, die Wortprotokolle inklusive Abstimmungsresultate und weitere Unterlagen).
- ↑
Faktenbericht: Sessionen.
In:
parlament.ch.
Parlamentsbibliothek,
S. 13?17 (Anhang II)
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abgerufen am 14. Marz 2024
(Liste aller ausserordentlichen Sessionen).
- ↑
10.440 Parlamentarische Initiative. Verbesserungen der Organisation und der Verfahren des Parlaments. Bericht der Staatspolitischen Kommission des Standerates.
In:
Bundesblatt.
29. August 2011,
S. 6806
,
abgerufen am 14. April 2023
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- ↑
10.440 Verbesserungen der Organisation und der Verfahren des Parlamentes.
In:
Geschaftsdatenbank Curia Vista.
Parlamentsdienste,
abgerufen am 14. April 2023
(mit Links zu Kommissionsbericht, Verhandlungen der Rate und weiteren Parlamentsunterlagen).