Erich Hugo Frost
(*
22. Dezember
1900
in
Leipzig
; †
30. Oktober
1987
in
Lubeck
) leitete die Tatigkeit der
Zeugen Jehovas
in Deutschland und war Verfolgter des
Nationalsozialismus
.
Ab 1919 studierte Frost in Leipzig Musik. Seine Mutter wurde eine
Bibelforscherin
, die fruhere Bezeichnung fur die Zeugen Jehovas. Schließlich ließ sich Frost selbst am 4. Marz 1923 als Bibelforscher taufen. Nach dem Abbruch des Musikstudiums verdiente Frost sein Geld durch Engagements in Kaffeehausern und Vergnugungslokalen.
1924 wurde Erich Frost von der
Wachtturm-Gesellschaft
beauftragt, das Leipziger Literaturdepot zu beaufsichtigen. Ab 1928 wirkte er bei den Auffuhrungen des
Photo-Dramas der Schopfung
in Deutschland mit. In
Stettin
ubernahm Frost die musikalische Begleitung des Stummfilms.
[1]
Ab 1932 wurde das Photo-Drama in
Ostpreußen
aufgefuhrt. Er besuchte als reisender Aufseher (?Pilgerbruder“) oder Bibelredner viele Gemeinden der Zeugen Jehovas
[2]
.
Nach dem
Verbot der Zeugen Jehovas durch das NS-Regime
kam es im Fruhjahr 1934 zu Frosts erster Verhaftung. Nach zehn Tagen Haft wurde er wieder freigelassen. Es gelang ihm nach kurzer Zeit, zuruck in die
Tschechoslowakei
zu gelangen. Dort fuhrte er das Photo-Drama 122-mal auf. Im Mai 1935 kehrte Frost nach
Deutschland
zuruck. Am 13. Juni 1935 wurde er erneut verhaftet und funf Monate im
KZ Columbia
in
Berlin
gefangen gehalten.
Im September 1936 fand ein Kongress der Zeugen Jehovas in
Luzern
(
Schweiz
) statt. Frost wurde von
J. F. Rutherford
mit der Untergrundtatigkeit der Zeugen Jehovas in Deutschland beauftragt. Dadurch wurde
Paul Balzereit
, der vorherige Beauftragte, endgultig abgelost. Fur den 12. Dezember 1936 wurde von Frost eine reichsweite Flugblattaktion organisiert. Am 21. Marz 1937 wurde Frost durch zehn Angehorige der
Gestapo
verhaftet. Frost wurde bis zum Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges
in das
KZ Esterwegen
eingewiesen. Im Juli 1937 wurde seine Frau ebenfalls verhaftet. Ihr gemeinsamer Sohn sollte national erzogen werden.
Nach Kriegsausbruch wurde Frost in das
Konzentrationslager Sachsenhausen
uberstellt. Hier komponierte er das Lied
?Vorwarts, ihr Zeugen!“
.
Frost kam auch in ein Arbeitskommando, das am
Wolfgangsee
ein Haus fur hohe
SS
-Offiziere bauen sollte.
[3]
Danach wurde er bei der
SS-Baubrigade I
auf der
Kanalinsel
Alderney
im
dortigen Konzentrationslager
eingesetzt. Es folgte der Rucktransport mit dem Schiff nach
St. Malo
und schließlich mit der Eisenbahn durch
Frankreich
,
Belgien
und die
Niederlande
nach Deutschland. Ursprunglich sollte Frost mit anderen Gefangenen in der
Kieler Bucht
auf Schiffen versenkt werden. Doch der Transport wurde nach
Osterreich
abgedrangt. Seine Befreiung erlebte er am 5. Mai 1945.
Frost war bis zum Verbot durch die
DDR
am 30. August 1950 der Leiter der Wachtturm-Gesellschaft in
Magdeburg
. Danach war er der Aufseher des neuen Zweigburos der Wachtturm-Gesellschaft in
Wiesbaden
. 1955 trat er von diesem Amt aus gesundheitlichen Grunden zuruck.
Mitte der 1950er Jahre versuchte das
Ministerium fur Staatssicherheit
(MfS) der DDR Frost als
inoffiziellen Mitarbeiter
(IM) anzuwerben. Der Deckname des Operativen Vorgangs war ?Winter“. Am 12. Juli 1956 fand das Treffen zwischen einem IM und Frost in Wiesbaden statt, welches jedoch erfolglos blieb. Beim MfS begann man daraufhin die Person Erich Frost viele Jahre lang zu diskreditieren. So wurde eine Broschure mit dem Titel:
Erich Frost ? Der Verrater an der Sache Jehovas
verbreitet. In der Ausgabe des Nachrichtenmagazins
Der Spiegel
vom 19. Juli 1961 erschien ein Bericht uber Erich Frost mit dem Titel
Vaterchen Frost
. In diesem Artikel wurde auf Verhorprotokolle der Gestapo verwiesen und ihm vorgehalten, in Haft verschiedene Glaubensbruder verraten zu haben
[4]
. Diese Informationen waren dem
Spiegel
vom MfS zugespielt worden, wie spater klar wurde. Die Vorwurfe gegen Frost endeten damit jedoch nicht.
[5]
1964 schied Erich Frost als hauptamtlicher Mitarbeiter aus dem Zweigburo aus.
Bekanntheit erlangte er als Redner auf den Kongressen der Zeugen Jehovas, so zum Beispiel 1946, 1953 und 1955 in
Nurnberg
, 1949 und 1951 in Berlin, und 1961 in
Hamburg
. Erich Frost starb am 30. Oktober 1987 im Alter von 86 Jahren.
Wahrend seiner Haft im
Konzentrationslager Sachsenhausen
komponierte Frost das Lied
?Vorwarts, ihr Zeugen!“
.
Frost berichtet:
- ?Einem Komponisten gehen unentwegt Melodien durch den Sinn, und so hatte ich auch die Musik dieses Liedes schon lange im Kopf. Mein Arbeitskommando bestand aus 40 Zeugen Jehovas, die taglich etwa eine halbe Stunde zu einer Klaranlage außerhalb des KZ Sachsenhausen marschieren mußten. Auf solch einem Marsch kam mir eines Morgens der Gedanke: ?Es wird Zeit, zu der Melodie ein paar Strophen zu schreiben, damit man das Lied auch singen kann.‘ Und schon nahm die erste Strophe in meinem Sinn Gestalt an.“
Frost brachte die einzelnen Strophen vier Mitgefangenen bei. Diese sollten sie auswendig lernen. Nach der Arbeit trugen sie ihm die vier Strophen vor. So konnte er die Worte unter das schon vorhandene Notenbild setzen. Das Lied wurde außerhalb des Lagers in einem Kaninchenstall versteckt und gelangte schließlich in die Schweiz. Die Zeugen in der Schweiz sandten das Lied nach
Brooklyn
in die Weltzentrale der Zeugen Jehovas. Schließlich wurde es in den
USA
am 1. August 1948 erstmals von einem Chor gesungen.
[6]
[7]
- 1. Strophe
- Fest und entschlossen in dieser bosen Zeit,
- fur Wahrheit zu kampfen steht Gottes Volk bereit.
- Vor Satans gehassigen Scharen
- als Christen sie Mut offenbaren.
- Refrain
- Drum vorwarts, ihr Zeugen, nun starken Herzens seid,
- Und freut euch im Werke Jehovas allezeit.
- Verkundet die Botschaft, ob alt oder jung.
- Bald kommt Segen durch die neue Ordnung.
- 2. Strophe
- Wahrheit und Recht haben Menschen weggetan.
- Den Namen Jehovas Verleumder greifen an.
- Sie werden in Schranken getrieben
- durch Christen, die Gott wirklich lieben.
- 3. Strophe
- Streiter Jehovas sind heute nicht bequem,
- zwar weder der Welt noch den Herrschern angenehm;
- doch stehen sie da, fest im Glauben.
- Nichts kann ihre Lauterkeit rauben.
Das Lied war uber viele Jahrzehnte Bestandteil der
Liederbucher
, die die Zeugen Jehovas wahrend ihrer Zusammenkunfte in ihren
Konigreichssalen
und auf ihren Kongressen verwendeten. Die dritte Strophe wurde 1986 verandert. Fur die 2010 bzw. 2017 eingefuhrten Liederbucher
Singt Lieder fur Jehova
und
Singt voller Freude fur Jehova
wurde unter dem Titel "Fest und entschlossen" weitgehend ein neuer Text geschrieben, sodass nur noch die ursprungliche Melodie erhalten blieb.
- Der Wachtturm
, 1. Juli 1961 S. 410 bis 415
- Singt und spielt dabei Jehova in euren Herzen
, Watchtower Bible and Tract Society of New York, 1969, Lied 11
- Singt Jehova Loblieder
, Watchtower Bible and Tract Society of New York, 1986, Lied 29
- Singt Lieder fur Jehova
, Watchtower Bible and Tract Society of New York, 2009,
Lied 17
- Singt voller Freude fur Jehova
, Watchtower Bible and Tract Society of New York, 2016, Lied 61
- Jonas Holtig:
"Zeugen Jehovas, unverzagt!"
. In:
Traumen von der Freiheit. Lieder von Verfolgten
. Herausgegeben von Jonas Holtig und Tassilo Rinecker, Norderstedt/Munster 2018,
ISBN 9783752859133
, S. 74 ff.
- Waldemar Hirch:
Operativer Vorgang ?Winter“, ?Zersetzungsmaßnahmen“ des Ministeriums fur Staatssicherheit gegen den Leiter des deutschen Zweiges der Zeugen Jehovas, Erich Frost, verbunden mit einem Mißbrauch westdeutscher Medien
. In:
Kirchliche Zeitgeschichte
.
Band
12
,
Nr.
1
, 1999,
S.
225?239
.
- ↑
Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974
, S. 96
- ↑
Der Wachtturm ? Studienausgabe Februar 2013
- ↑
Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974, S. 198
- ↑
Vaterchen Frost.
Der Spiegel
, 19. Juli 1961,
abgerufen am 5. Marz 2010
.
- ↑
Waldemar Hirch:
Operativer Vorgang ?Winter“, ?Zersetzungsmaßnahmen“ des Ministeriums fur Staatssicherheit gegen den Leiter des deutschen Zweiges der Zeugen Jehovas, Erich Frost, verbunden mit einem Mißbrauch westdeutscher Medien
. In:
Kirchliche Zeitgeschichte
.
Band
12
,
Nr.
1
, 1999,
S.
235
.
- ↑
Der Wachtturm
, 15. Marz 1988, S. 21
- ↑
Ein Lied, das zum Ausharren motivierte (JW Broadcasting)