Differentialgleichung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Eine Differentialgleichung (auch Differenzialgleichung , oft durch DGL , DG , DGl. oder Dgl. abgekurzt) ist eine mathematische Gleichung fur eine gesuchte Funktion von einer oder mehreren Variablen, in der auch Ableitungen dieser Funktion vorkommen. Viele Naturgesetze konnen mittels Differentialgleichungen formuliert werden. Differentialgleichungen sind daher ein wesentliches Werkzeug der mathematischen Modellierung . Dabei beschreibt eine Differentialgleichung das Anderungsverhalten dieser Großen zueinander. Differentialgleichungen sind ein wichtiger Untersuchungsgegenstand der Analysis , die deren Losungstheorie untersucht. Nicht nur weil fur viele Differentialgleichungen keine explizite Losungsdarstellung moglich ist, spielt die naherungsweise Losung mittels numerischer Verfahren eine wesentliche Rolle. Eine Differentialgleichung kann durch ein Richtungsfeld veranschaulicht werden.

Typen von Differentialgleichungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Man unterscheidet verschiedene Typen von Differentialgleichungen. Ganz grob unterteilen sie sich in die folgenden Teilgebiete. Alle der folgenden Typen konnen im Wesentlichen unabhangig und gleichzeitig nebeneinander auftreten.

Gewohnliche Differentialgleichungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Hangt die gesuchte Funktion lediglich von einer Variablen ab, so spricht man von einer gewohnlichen Differentialgleichung. Es kommen lediglich gewohnliche Ableitungen nach der einen Veranderlichen vor.

Beispiele:

Schreibt sich die gewohnliche Differentialgleichung fur die gesuchte Funktion in der Form

so heißt die gewohnliche Differentialgleichung implizit .

Ist die Differentialgleichung nach der hochsten Ableitung aufgelost, d. h., es gilt

so nennt man die gewohnliche Differentialgleichung explizit . Nicht jede Differentialgleichung, die in impliziter Form vorliegt, kann auf eine explizite Form gebracht werden. In den Anwendungen sind explizite gewohnliche Differentialgleichungen mathematisch einfacher zu verarbeiten. Die hochste vorkommende Ableitungsordnung wird Ordnung der Differentialgleichung genannt. Beispielsweise hat eine explizite gewohnliche Differentialgleichung 1. Ordnung die Gestalt

Es gibt eine abgeschlossene Losungstheorie expliziter gewohnlicher Differentialgleichungen.

Eine gewohnliche Differentialgleichung ist linear , falls sie linear in der Funktion und ihren Ableitungen ist:

Sie ist semilinear , falls sie zwar in den Ableitungen und der Funktion auf der linken Seite linear ist, die Funktion aber auch von der Funktion und ihren Ableitungen abhangen kann, außer der hochsten Ableitung: [1]

Partielle Differentialgleichung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Hangt die gesuchte Funktion von mehreren Variablen ab und treten in der Gleichung partielle Ableitungen nach mehr als einer Variable auf, so spricht man von einer partiellen Differentialgleichung. Partielle Differentialgleichungen sind ein großes Feld und die Theorie ist mathematisch nicht abgeschlossen, sondern Gegenstand der aktuellen Forschung in mehreren Gebieten.

Ein Beispiel ist die sog. Warmeleitungsgleichung fur eine Funktion

Man unterscheidet verschiedene Typen partieller Differentialgleichungen. Zunachst gibt es lineare partielle Differentialgleichungen . Dabei gehen die gesuchte Funktion und ihre Ableitungen linear in die Gleichung ein. Die Abhangigkeit bezuglich der unabhangigen Variablen kann dabei durchaus nichtlinear sein. Die Theorie linearer partieller Differentialgleichungen ist am weitesten fortgeschritten, jedoch weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein.

Man spricht von einer quasilinearen Gleichung, falls alle Ableitungen von hochster Ordnung linear auftreten, dies aber nicht mehr fur die Funktion und Ableitungen niedrigerer Ordnung gilt. Eine quasilineare Gleichung ist schon schwieriger zu behandeln. Eine quasilineare partielle Differentialgleichung ist semilinear , falls die Koeffizientenfunktion vor den hochsten Ableitungen nicht von niedrigeren Ableitungen und der unbekannten Funktion abhangt. Gerade im Gebiet der quasi- und semilinearen Gleichungen werden zurzeit die meisten Resultate erzielt.

Kann man schließlich auch keine lineare Abhangigkeit bezuglich der hochsten Ableitungen feststellen, nennt man die Gleichung eine nichtlineare partielle Differentialgleichung oder eine vollstandig-nichtlineare partielle Differentialgleichung .

Besonders interessant in dem Gebiet partieller Differentialgleichungen sind die Gleichungen zweiter Ordnung. In diesen Spezialfallen gibt es noch weitere Klassifikationsmoglichkeiten.

Weitere Typen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Beim Typus der stochastischen Differentialgleichungen treten in der Gleichung stochastische Prozesse auf. Eigentlich sind stochastische Differentialgleichungen keine Differentialgleichungen im obigen Sinne, sondern lediglich gewisse Differentialrelationen, welche als Differentialgleichung interpretiert werden konnen.

Der Typus der Algebro-Differentialgleichungen zeichnet sich dadurch aus, dass zusatzlich zur Differentialgleichung auch noch algebraische Relationen als Nebenbedingungen gegeben sind.

Weiter gibt es noch sogenannte retardierte Differentialgleichungen . Hier treten neben einer Funktion und ihren Ableitungen zu einem Zeitpunkt auch noch Funktionswerte bzw. Ableitungen aus der Vergangenheit auf.

Unter einer Integro-Differentialgleichung versteht man eine Gleichung, in der nicht nur die Funktion und deren Ableitungen, sondern auch noch Integrationen der Funktion auftauchen. Ein wichtiges Beispiel dazu ist die Schrodingergleichung in der Impulsdarstellung ( Fredholm 'sche Integralgleichung ).

Je nach Anwendungsgebiet und Methodik gibt es noch weitere Typen von Differentialgleichungen.

Systeme von Differentialgleichungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Man spricht von einem System von Differentialgleichungen, wenn eine vektorwertige Abbildung ist und mehrere Gleichungen

gleichzeitig zu erfullen sind. Lasst sich dieses implizite Differentialgleichungssystem nicht uberall lokal in ein explizites System umwandeln, so handelt es sich um eine Algebro-Differentialgleichung .

Problemstellungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Differentialgleichungen sind im Allgemeinen nicht eindeutig losbar, sondern benotigen dazu Anfangs- oder Randwerte . Im Bereich der partiellen Differentialgleichungen konnen auch sogenannte Anfangsrandwertprobleme auftreten.

Grundsatzlich wird bei Anfangs- oder Anfangsrandwertproblemen eine der Veranderlichen als Zeit interpretiert. Bei diesen Problemen werden gewisse Daten zu einem gewissen Zeitpunkt, namlich dem Anfangszeitpunkt, vorgeschrieben.

Bei den Randwert- oder Anfangsrandwertproblemen wird eine Losung der Differentialgleichung in einem beschrankten oder unbeschrankten Gebiet gesucht und wir stellen als Daten sogenannte Randwerte, welche eben auf dem Rand des Gebietes gegeben sind. Je nach Art der Randbedingungen unterscheidet man weitere Typen von Differentialgleichungen, etwa Dirichlet-Probleme oder Neumann-Probleme .

Losungsmethoden [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Auf Grund der Vielfaltigkeiten sowohl bei den eigentlichen Differentialgleichungen als auch bei den Problemstellungen ist es nicht moglich, eine allgemein gultige Losungsmethodik anzugeben. Lediglich explizite gewohnliche Differentialgleichungen konnen mit einer geschlossenen Theorie gelost werden. Eine Differentialgleichung nennt man integrabel , wenn es moglich ist, sie analytisch zu losen, also eine Losungsfunktion (das Integral ) anzugeben. Sehr viele mathematische Probleme, insbesondere nichtlineare und partielle Differentialgleichungen, sind nicht integrabel, darunter schon ganz einfach erscheinende wie die des Dreikorperproblems , des Doppelpendels oder der meisten Kreiseltypen .

Lie-Theorie [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ein strukturierter allgemeiner Ansatz zur Losung von Differentialgleichungen wird uber die Symmetrie und die kontinuierliche Gruppentheorie verfolgt. 1870 stellte Sophus Lie in seiner Arbeit die Theorie der Differentialgleichungen mit der Lie-Theorie auf eine allgemeingultige Grundlage. Er zeigte, dass die alteren mathematischen Theorien zur Losung von Differentialgleichungen durch die Einfuhrung von sogenannten Lie-Gruppen zusammengefasst werden konnen. Ein allgemeiner Ansatz zur Losung von Differentialgleichungen nutzt die Symmetrie-Eigenschaft der Differentialgleichungen aus. Dabei werden kontinuierliche infinitesimale Transformationen angewendet, die Losungen auf (andere) Losungen der Differentialgleichung abbilden. Kontinuierliche Gruppentheorie, Lie-Algebren und Differentialgeometrie werden verwendet, um die tiefere Struktur der linearen und nichtlinearen (partiellen) Differentialgleichungen zu erfassen und die Zusammenhange abzubilden, die schließlich zu den exakten analytischen Losungen einer Differentialgleichung fuhren. Symmetriemethoden werden benutzt, um Differentialgleichungen exakt zu losen.

Existenz und Eindeutigkeit [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Fragen der Existenz, Eindeutigkeit, Darstellung und numerischen Berechnung von Losungen sind somit je nach Gleichung vollstandig bis gar nicht gelost. Aufgrund der Bedeutung von Differentialgleichungen in der Praxis ist hierbei die Anwendung der numerischen Losungsverfahren besonders bei partiellen Differentialgleichungen weiter fortgeschritten als deren theoretische Untermauerung.

Eines der Millennium-Probleme ist der Existenzbeweis einer regularen Losung fur die Navier-Stokes-Gleichungen . Diese Gleichungen treten beispielsweise in der Stromungsmechanik auf.

Approximative Methoden [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Differentialgleichungen haben als Losung Funktionen, die Bedingungen an ihre Ableitungen erfullen. Eine Approximation geschieht meist, indem Raum und Zeit durch ein Rechengitter in endlich viele Teile zerlegt werden ( Diskretisierung ). Die Ableitungen werden dann nicht mehr durch einen Grenzwert dargestellt, sondern durch Differenzen approximiert. In der numerischen Mathematik wird der dadurch entstandene Fehler analysiert und moglichst gut abgeschatzt.

Ein fruhes Verfahren, das Euler 1768 in seinem Buch Institutiones Calculi Integralis vorstellte , ist das Eulerverfahren .

Je nach Art der Gleichung werden unterschiedliche Diskretisierungsansatze gewahlt, bei partiellen Differentialgleichungen etwa Finite-Differenzen-Verfahren , Finite-Volumen-Verfahren oder Finite-Elemente-Verfahren .

Die diskretisierte Differentialgleichung enthalt keine Ableitungen mehr, sondern nur noch rein algebraische Ausdrucke. Damit ergibt sich entweder eine direkte Losungsvorschrift oder ein lineares oder nichtlineares Gleichungssystem , welches dann mittels numerischer Verfahren gelost werden kann.

Auftreten und Anwendungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Eine Vielzahl von Phanomenen in Natur und Technik kann durch Differentialgleichungen und darauf aufbauende mathematische Modelle beschrieben werden. Einige typische Beispiele sind:

Das Feld der Differentialgleichungen hat der Mathematik entscheidende Impulse verliehen. Viele Teile der aktuellen Mathematik forschen an der Existenz-, Eindeutigkeits- und Stabilitatstheorie verschiedener Typen von Differentialgleichungen.

Hohere Abstraktionsebenen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Differentialgleichungen oder Differentialgleichungssysteme setzen voraus, dass ein System in algebraischer Form beschrieben und quantifiziert werden kann. Weiterhin, dass die beschreibenden Funktionen zumindest in den interessierenden Bereichen differenzierbar sind. Im naturwissenschaftlich-technischen Umfeld sind diese Voraussetzungen zwar haufig gegeben, in vielen Fallen sind sie aber nicht erfullt. Dann kann die Struktur eines Systems nur auf einer hoheren Abstraktions-Ebene beschrieben werden. Siehe hierzu in der Reihenfolge ansteigender Abstraktion:

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • G. H. Golub, J. M. Ortega: Wissenschaftliches Rechnen und Differentialgleichungen. Eine Einfuhrung in die Numerische Mathematik . Heldermann Verlag, Lemgo 1995, ISBN 3-88538-106-0 .
  • G. Oberholz: Differentialgleichungen fur technische Berufe. 4. Auflage. Verlag Anita Oberholz, Gelsenkirchen 1995, ISBN 3-9801902-4-2 .
  • P.J. Olver: Equivalence, Invariants and Symmetry . Cambridge Press, 1995.
  • L. Papula: Mathematik fur Ingenieure und Naturwissenschaftler Band 2 . Viewegs Fachbucher der Technik, Wiesbaden 2001, ISBN 3-528-94237-1
  • H. Stephani: Differential Equations: Their Solution Using Symmetries. Edited by M. MacCallum. Cambridge University Press, 1989.
  • H. Benker: Differentialgleichungen mit MATHCAD und MATLAB . Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 2005.

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wiktionary: Differentialgleichung  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Guido Walz (Hrsg.), Lexikon der Mathematik, Springer-Spektrum Verlag, 2017, Artikel lineare Differentialgleichung, semilineare Differentialgleichung
  2. Ivars Peterson: Filling in Blanks . In: Science News . 161. Jahrgang, Nr.   19 . Society for Science, 11. Mai 2002, S.   299?300 , doi : 10.2307/4013521 (englisch).