Bibliothekssaal im Kollegiengebaude, Kupferstich von 1747
Die Bibliothek wurde 1734 gegrundet und war ursprunglich untergebracht in dem 1735?1737 an der heutigen Prinzenstraße in der Gottinger Innenstadt erbauten ersten
Kollegiengebaude
, das auf Grundmauern eines vormaligen Dominikanerklosters (Paulinerklosters) entstand. Die Bibliotheksnutzung erfolgte dort zunachst im Obergeschoss des Mittelbaus um den inneren Hof herum. Ein 1747 von
Georg Daniel Heumann
geschaffener Kupferstich zeigt den großen Bibliothekssaal. In der Bildunterschrift wird die stutzenfreie Grundflache des Saals mit 40 auf 100 Fuß angegeben, was etwa 28,50 m auf 11,40 m,
[1]
d.?h. rund 325 m² Flache entspricht.
Der
Kurator
der 1737 eroffneten Universitat
Gerlach Adolph Freiherr von Munchhausen
konnte
Johann Matthias Gesner
als ersten Direktor gewinnen und die umfangreiche Privatbibliothek von
Joachim Hinrich von Bulow
(1650?1724) als Grundstock einwerben (unter der Bedingung, dass die Gottinger Universitatsbibliothek dauerhaft den Namen
Bibliotheca Buloviana
tragen solle, was heute nicht mehr der Fall ist). Insgesamt besaß die Bibliothek bereits im Jahre 1734 einen soliden Grundbestand von etwa 12.000 Banden aus allen Wissensgebieten.
[1]
Fruh begann die Bibliothek, einem fur die
Bibliotheksgeschichte
bedeutenden Konzept zu folgen: Die Bestande waren fur den wissenschaftlichen Gebrauch bestimmt, die einzelnen Titel wurden nicht nach dem Kriterium des Schauwertes erworben, sondern nach deren Inhalt, und es wurde ein regelmaßiger Erwerbungsetat festgeschrieben. Durch ihren planmaßigen
Bestandsaufbau
galt die Bibliothek schnell als eine der bedeutendsten Bibliotheken Deutschlands und Prototyp einer modernen Universitatsbibliothek. Die Bestande wurden durch ein umfangreiches
Katalogsystem
erschlossen.
Kollegien-
und Bibliotheksgebaude, um 1800
Langjahriger Leiter (von 1763 bis 1812) war
Christian Gottlob Heyne
, zugleich Professor fur
Klassische Philologie
. Heyne machte die Bibliothek rasch zu einer uberregional wichtigen und beispielhaften Einrichtung. Er organisierte eine
Fernleihe
fur auswartige Gelehrte und beschaffte neben deutschen Neuerscheinungen auch uber Korrespondenzen mit anderen Gelehrten Literatur des Auslands, nicht nur franzosische, englische und amerikanische, sondern auch arabische und orientalische Literatur. Bei seinem Amtsantritt hatte die Bibliothek einen Bestand von 60.000 Banden. Bei seinem Tod hatte er sich auf 200.000 Bande vergroßert. Zum Vergleich: Der Bestand der
Universitatsbibliothek Halle
zahlte 1795 nur 20.000 Bande.
[2]
Seit dem 18. Jahrhundert wurde das ursprungliche Gottinger Bibliotheksgebaude durch An- und Ausbauten erweitert, so z.?B. 1812 durch den Einbezug des oberen Saals der
Paulinerkirche
.
Blick in den Historischen Saal (
Paulinerkirche
). Friedrich Besemann (1796?1854) zugeschriebene Federzeichnung (um 1820)
Heyne-Saal (2022)
Im 19. Jahrhundert stagnierte die Entwicklung der Bibliothek (nach Errichtung des
Konigreichs Hannover
nunmehr ?Konigliche Universitatsbibliothek“ genannt) aufgrund des unzureichenden Etats. Beruhmteste Bibliothekare dieser Epoche waren von 1830 bis 1837 die Bruder
Jacob
und
Wilhelm Grimm
.
1866 in die Tragerschaft
Preußens
ubergegangen, wurde die Bibliothek seit Ende des 19. Jahrhunderts in das sich entwickelnde System der uberregionalen Literaturversorgung (verteilter Bestandsaufbau, Preußischer, spater Deutscher, Gesamtkatalog, Fernleihe) aufgenommen. Damit die Bibliothek diesen Aufgaben gerecht werden konnte, wurde zwischen 1878 und 1882 an der Prinzenstraße ein großer Erweiterungsbau errichtet, in dem sich heute auch der nach Christian Gottlob Heyne benannte Heyne-Saal befindet. Der zeitgemaße Baustil dieses Baukorpers setzte sich in seiner
historisierenden
Architektur deutlich von den bisherigen
klassizistischen
Bauten ab und wies im Inneren auch preußische
Kappendecken
auf. Er steht bis heute auf dem großzugigen Vorhof des alten Kollegien- und Bibliotheksgebaudes in der Gottinger Altstadt. Der Gebaudekomplex wurde zuletzt 1916 erweitert durch einen Bau fur Magazinbestande.
[3]
1992 wurde ein von dem Architekten
Eckhard Gerber
entworfener Neubau, die Zentralbibliothek, auf dem nordlich an
Auditoriengebaude
und Altstadt angrenzenden Campus der Universitat am Platz der
Gottinger Sieben
nach mehrjahriger Bauzeit eingeweiht.
[4]
Der Baukorper ist im Grundriss an eine sich in Richtung Altstadt offnende Hand angelehnt. Die Stockwerke fur das
Magazin
liegen unterhalb der Erdoberflache. Im Nordwesten bildet eine Rotunde den Eingangsbereich der Zentralbibliothek. Glasfassaden kennzeichnen die Sudseite des Bauwerks mit dem Lesesaal. Dort ist seither auch die Verbundzentrale des
Gemeinsamen Bibliotheksverbundes
(GBV) untergebracht.
Der
Historisches Gebaude
genannte Gebaudekomplex am ursprunglichen Standort an der Prinzenstraße und am Papendiek beherbergt seit 1992 die Spezialsammlungen der Bibliothek. Zudem ist dort eine Werkstatt fur
Restaurierungen
von Buchern untergebracht. Die Paulinerkirche wird fur Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt.
Außerdem gibt es mehrere auf das Stadtgebiet verteile
Fachbereichsbibliotheken
.
Zwischen den 1920er Jahren und 2015 betreute die Bibliothek zahlreiche
Sondersammelgebiete
,
[5]
neben weiteren Fachern z.?B. auch den angloamerikanischen Kulturraum, in dessen Rahmen die
Virtuelle Fachbibliothek
Anglo-Amerikanischer Kulturraum entwickelt wurde. Ihr Exemplar der
Gutenberg-Bibel
, eine von vier weltweit bekannten vollstandigen Pergamentausgaben, wurde 2001 in das UNESCO-
Weltdokumentenerbe
aufgenommen.
[6]
2002 wurde die SUB Gottingen als
Bibliothek des Jahres
ausgezeichnet.
[7]
Erweiterungsbau, errichtet 1878?1882, heute als
Prinzenstraßengebaude
bezeichnet
Die Niedersachsische Staats- und Universitatsbibliothek Gottingen verfugt derzeit uber einen Bestand von rund 9 Millionen
[9]
Medieneinheiten, darunter rund 5,9 Millionen Bande, 1,6 Millionen Mikroformen, 50.000 lizenzierte elektronische Zeitschriften sowie 126.000 weitere digitale Bestande, 327.000 Karten und Plane sowie mehr als 14.000 Handschriften, 3.100 Inkunabeln und 400 Nachlasse (Stand: Ende 2016).
[10]
Bereichsbibliothek Kulturwissenschaften
Lern- und Studiengebaude
- Grundungs- und Zentralstandorte
- Zentralbibliothek (ZB) (am Platz der Gottinger Sieben)
- Historisches Gebaude (HG), Kurzbezeichnung fur den Gebaudekomplex von Prinzenstraßengebaude,
Kollegiengebaude
und
Paulinerkirche
in der Gottinger Innenstadt (Prinzenstraße 1, Papendiek 14)
- Bereichsbibliotheken
- Bereichsbibliothek Forstwissenschaften
(BBF) (am Nordcampus bei Weende)
- Bereichsbibliothek Physik (BBP) (am Nordcampus bei
Weende
)
- Bereichsbibliothek Kulturwissenschaften (BBK) (im Quartier ostlich der Zentralbibliothek)
- Bereichsbibliothek Medizin (BBM) (im Klinikum der
Universitatsmedizin Gottingen
)
- Bibliothek Waldweg (fur die Fachgebiete Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft, Psychologie und Sport) (im Quartier ostlich der Zentralbibliothek)
- Bereichsbibliothek Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (BBWiSo) (im Oeconomicum am Platz der Gottinger Sieben)
- weiterer Standort (Betrieb durch die SUB Gottingen)
- Lern- und Studiengebaude der Universitat Gottingen (am Platz der Gottinger Sieben)
Seit 1997 unterhalt die SUB Gottingen das
Gottinger Digitalisierungszentrum
. Die SUB Gottingen betreibt zudem den hochschuleigenen
Universitatsverlag Gottingen
, der seit seiner Grundung im Jahre 2003 stetig expandiert und sich dem
Open-Access
-Prinzip verpflichtet fuhlt. 2004 wurde die Abteilung Forschung und Entwicklung gegrundet, die an der Entwicklung neuer Angebote wie dem Aufbau von virtuellen Forschungsumgebungen und Infrastrukturen fur wissenschaftliche Daten und Dienste maßgeblich beteiligt ist.
Sie betreut die Fachinformationsdienste Mathematik (seit 2015, mit der Technischen Informationsbibliothek Hannover), Anglo-American Culture (seit 2016, mit der Bibliothek des
John-F.-Kennedy-Institut
der Freien Universitat Berlin), Geowissenschaften der festen Erde (seit 2016, mit dem Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam) und Finnisch-ugrische / uralische Sprachen, Literaturen und Kulturen (seit 2017). Sie koordiniert den Aufbau eines bundesweiten Kompetenzzentrums fur die Lizenzierung elektronischer Ressourcen, an dem neben der SUB Gottingen die Staatsbibliothek zu Berlin ? Preußischer Kulturbesitz und die Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes beteiligt sind. Diese Verbundzentrale ubernahm 2020 auch
BARTOC
.
[11]
Seit 2014 betreibt die SUB Gottingen gemeinsam mit der
Gesellschaft fur wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Gottingen
(GWDG) die Gottingen eResearch Alliance. Sie koordiniert das Verbundprojekt
DARIAH-DE
zum Aufbau geistes- und kulturwissenschaftlicher
Forschungsinfrastrukturen
in Deutschland und unterstutzt die konsortiale Etablierung von europa- und weltweit vernetzten Open-Access-Forschungsinfrastrukturen (OpenAIRE 2020, COAR e.?V.).
Die heutigen Bestande der Bibliothek sind teilweise auch Schenkungen von Forderern und Mazenen. Ebenso loste das bereits im 18. Jahrhundert erlangte Ansehen der Universitat Gottingen ein Mazenatentum ihrer Alumni aus. So errichtete der amerikanische Bankier
John Pierpont Morgan
1912 mit 50.000 US-$ eine Stiftung, die bis 1967 den Ankauf angelsachsischer Literatur ermoglichte.
[12]
[13]
Zudem werden zahlreiche ubergebene Wissenschaftler-Nachlasse verwaltet.
- Margo Bargheer,
Klaus Ceynowa
(Hrsg.):
Tradition und Zukunft ? die Niedersachsische Staats und Universitatsbibliothek Gottingen. Eine Leistungsbilanz zum 65. Geburtstag von Elmar Mittler
. Universitatsverlag, Gottingen 2005,
ISBN 3-938616-03-2
(
Volltext, PDF
).
- Bernhard Fabian
(Hrsg.):
Handbuch der historischen Buchbestande in Deutschland
. Bd. 2, 1. Olms-Weidmann, Hildesheim 1998,
ISBN 3-487-09575-0
, S. 140?266.
- Jan-Jasper Fast, Tobias Moller (Red.):
Zukunft mit Tradition. Niedersachsische Staats- und Universitatsbibliothek Gottingen, Bibliothek des Jahres 2002
. Niedersachsische Staats- und Universitatsbibliothek, Gottingen 2003.
- Christiane Kind-Doerne:
Die Niedersachsische Staats- und Universitatsbibliothek Gottingen. Ihre Bestande und Einrichtungen in Geschichte und Gegenwart
. Harrassowitz, Wiesbaden, 1986,
ISBN 3-447-02590-5
.
- Elmar Mittler
:
Niedersachsische Staats- und Universitatsbibliothek Gottingen
. In: Bernd Hagenau (Hrsg.):
Regionalbibliotheken in Deutschland
. Klostermann, Frankfurt am Main 2000, S. 187?195,
ISBN 3-465-03085-0
.
- Werner Seidel:
Baugeschichte der Niedersachsischen Staats- und Universitatsbibliothek in Gottingen 1734?1953
. Gottingen 1953. (
Digitalisat auf gdz.sub.uni-goettingen.de
, abgerufen am 11. September 2023) ? Enthalt zahlreiche Abbildungen von Bau- und Projektplanen des 18. Jahrhunderts.