- 1866
?
Gregor Mendel
veroffentlichte seine
Versuche uber Pflanzen-Hybriden
, die aber kaum beachtet wurden.
- 1869
?
Friedrich Miescher
isolierte aus Zellkernen das ?Nuclein“, dessen Aufbau und Funktion zunachst ratselhaft blieb.
- 1889
?
Richard Altmann
identifizierte die ?
Nucleinsaure
“ und eine basische Proteinfraktion als Bestandteile des Nucleins.
- 1900
?
Hugo de Vries
,
Carl Correns
und
Erich Tschermak
bestatigten Mendels Entdeckungen.
- 1903
?
Chromosomen
wurden als Trager der
Erbinformation
erkannt (
Walter Sutton
).
- 1906
?
William Bateson
schlagt fur die Erblehre das Wort
Genetik
vor.
- 1907
?
Thomas Hunt Morgan
wahlte die
Taufliege
Drosophila melanogaster
als Versuchstier.
- 1909
?
Wilhelm Johannsen
pragte fur einen Erbfaktor die Bezeichnung
Gen
.
- 1911
?
Erwin Baur
veroffentlicht seine
Einfuhrung in die experimentelle Vererbungslehre
.
- 1927
? Auslosung kunstlicher
Mutationen
durch
Rontgenstrahlung
(
Hermann Joseph Muller
)
- 1928
? Erste Beschreibung der
Transformation
durch
Frederick Griffith
(
Griffiths Experiment
)
- 1931
?
Zytologische
Aufklarung des
Crossing-over
(
Barbara McClintock
,
Harriet B. Creighton
,
Curt Stern
)
- 1940
?
George Beadle
und
Edward Tatum
formulierten die
Ein-Gen-ein-Enzym-Hypothese
.
- 1943
? Das
Luria-Delbruck-Experiment
belegte die Zufalligkeit der Mutationen in dem Sinn, dass sie keine Reaktionen auf die Umwelt darstellen.
- 1944
?
Oswald Avery
,
Colin MacLeod
und
Maclyn McCarty
:
Transformation
von Bakterien durch
DNA
- 1950
?
Erwin Chargaff
zeigte mit den
Chargaff-Regeln
, dass die vier
Nukleotide
in paarweise gleicher Haufigkeit in der DNA vorkommen: [A]?=?[T] und [C]?=?[G].
- 1951
? McClintock berichtete erstmals uber
springende Gene
, stieß aber auf komplettes Unverstandnis.
- 1952
? Das
Hershey-Chase-Experiment
zeigte, dass die genetische Information von
Bakteriophagen
in der DNA gespeichert ist.
- 1953
?
James Watson
und
Francis Crick
postulierten die
Doppelhelix
-Struktur der DNA.
- 1957
? Nachweis der semikonservativen
Replikation
der DNA und des
Crossing-over
durch
James Herbert Taylor
(
Taylor-Experiment
)
- 1958
? Nachweis der semikonservativen
Replikation
der DNA durch
Meselson und Stahl
- 1958
? Crick postulierte das ?
Zentrale Dogma
“ der Molekulargenetik.
- 1961
?
Francois Jacob
und
Jacques Monod
stellten das
Operon
-Konzept vor
- 1961
bis
1965
?
Dechiffrierung
des
genetischen Codes
(
Marshall Warren Nirenberg
und
Heinrich Matthaei
)
- 1969
?
Jonathan Beckwith
gelang als erstem die Isolierung eines einzelnen Gens (aus
E. coli
).
- 1969
?
Werner Arber
,
Daniel Nathans
und
Hamilton Othanel Smith
entdeckten die
Restriktionsenzyme
.
- 1975
?
DNA-Sequenzierung
(
Frederick Sanger
,
Allan Maxam
,
Walter Gilbert
)
- 1977
?
Intron
-
Exon
-Struktur eukaryotischer Gene
- 1983
?
Kary Mullis
entwickelte die
Polymerase-Kettenreaktion
(PCR) zur Vervielfaltigung von DNA.
- 1995
? Das erste
prokaryotische
Genom
(von
Haemophilus influenzae
) wurde sequenziert.
- 1997
? Das erste
eukaryotische
Genom, das der
Backerhefe
Saccharomyces cerevisiae
, ist
sequenziert
.
- 2003
? Als Resultat des
Humangenomprojektes
steht die Referenzsequenz des menschlichen Genoms zum Download im Internet bereit
Schon in der
Antike
versuchten Menschen die Gesetzmaßigkeiten der
Zeugung
und die Ahnlichkeiten zwischen Verwandten zu erklaren, und einige der im antiken Griechenland entwickelten Konzepte blieben bis in die
Neuzeit
gultig oder wurden in der Neuzeit wieder aufgegriffen.
[6]
[7]
So lehrte der griechische Philosoph
Alkmaion
um 500?v.?Chr., dass die Zeugung der Nachkommen durch die Zusammenwirkung des mannlichen und des weiblichen ?
Samens
“ geschehe. Sein
Postulat
eines weiblichen Samens fand in der damaligen
Naturphilosophie
und spater auch in der
hippokratischen
Medizin allgemeine Anerkennung. Davon abweichend behaupteten
Hippon
und
Anaxagoras
, dass nur der Mann zeugungsfahigen Samen bilde und dass der weibliche Organismus den Keim nur ernahre. Die Bildung des Samens erfolgte laut Alkmaion im Gehirn, von wo aus er durch die
Adern
in den
Hoden
gelange. Demgegenuber erklarten Anaxagoras und
Demokrit
, dass der gesamte Organismus zur Bildung des Samens beitrage ? eine Ansicht, die als
Pangenesistheorie
uber 2000 Jahre spater von
Charles Darwin
erneut vertreten wurde. Auch die Uberlegungen des Anaxagoras, wonach alle Korperteile des Kindes bereits im Samen (Sperma) vorgebildet seien, traten als
Praformationslehre
in der Neuzeit wieder auf. In der Antike wurden diese fruhen Lehren weitgehend abgelost durch die Ansichten des
Aristoteles
(
De generatione animalium
), wonach das Sperma aus dem Blut entsteht und bei der Zeugung nur immateriell wirkt, indem es Form und Bewegung auf die durch den weiblichen Organismus bereitgestellte flussige Materie ubertragt.
[8]
Die Entwicklung des Keims beschrieb Aristoteles als
Epigenese
, wonach im Gegensatz zur Praformation die verschiedenen Organe nacheinander durch die Einwirkung des vaterlichen Formprinzips ausgebildet werden. Neben der geschlechtlichen Zeugung kannte Aristoteles auch die
Parthenogenese
(Jungfernzeugung) sowie die (vermeintliche)
Urzeugung
von Insekten aus faulenden Stoffen.
Der Aristoteles-Schuler
Theophrastus
postulierte eine
transmutatio frumentorum
und nahm an, dass sich Getreidearten zu ihrer Wildform zuruckverwandeln konnen. Zudem unterschied er mannliche und weibliche Pflanzen bei der Dattelpalme.
[9]
Vererbung war bis in das 18. Jahrhundert ein juristischer Begriff und fand fur naturliche Vorgange keine Anwendung. Denn Ahnlichkeiten zwischen Verwandten wurden ausreichend uber jeweils spezifische lokale Faktoren und die Lebensweise des Individuums erklart: uber das Klima, die Ernahrung, die Art der Betatigungen usw. Wie gewisse Merkmale unter Nachkommen blieben auch diese Faktoren fur die Nachkommen in der Regel konstant. Irregulare Merkmale konnten dann entsprechend auf irregulare Einflusse bei der Zeugung oder der Entwicklung des Individuums zuruckgefuhrt werden. Erst mit dem zunehmenden internationalen Verkehr und zum Beispiel der Anlage von exotischen Garten wurde ein Wahrnehmungsraum dafur geschaffen, dass es vom Individuum und seinem jeweiligen Ort ablosbare, naturliche Gesetze geben musse, die sowohl die Weitergabe von regularen als auch zuweilen eine Weitergabe von neu erworbenen Eigenschaften regeln.
[10]
Praformistische Darstellung des
Spermiums
von
Nicolas Hartsoeker
, 1695
Der Begriff der
Fortpflanzung
oder
Reproduktion
, in dessen Kontext von Vererbung im biologischen Sinn gesprochen werden kann, kam erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf.
[11]
In fruheren Jahrhunderten galt die ?Zeugung“ eines Lebewesens als ein
Schopfungsakt
, der grundsatzlich eines gottlichen Eingriffs bedurfte und im Rahmen des Praformismus vielfach als Teilaspekt der Erschaffung der Welt betrachtet wurde. Dabei unterschied man die Zeugung durch den Samen (Sperma) im Mutterleib von der
Urzeugung
, durch welche niedere Tiere (etwa Wurmer, Insekten, Schlangen und Mause) aus toter Materie hervorzugehen schienen.
[12]
Die ?Samenzeugung“ betrachtete man als Eigenheit des Menschen und der hoheren Tiere, welche zu ihrer Ausbildung eines Mutterleibs bedurfen. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts setzte sich, vor allem aufgrund der Experimente
Francesco Redis
, die Einsicht durch, dass Wurmer, Insekten und andere niedere Tiere nicht aus toter Materie entstehen, sondern von gleichartigen Tieren gezeugt werden. Nun betrachtete man die Zeugung nicht mehr als Schopfungsakt, sondern verlegte diesen in die Zeit der Erschaffung der Welt, bei der, wie man annahm, alle zukunftigen Generationen von Lebewesen zugleich ineinandergeschachtelt erschaffen wurden. Die Zeugung war somit nur noch eine Aktivierung des langst vorhandenen Keims, der sich dann zu einem voll ausgebildeten Organismus entfaltete. Strittig war dabei, ob die Keime durch das weibliche oder durch das mannliche Geschlecht weitergegeben werden, ob sie also im Ei oder im ?Samentierchen“ eingeschachtelt sind. Beide Ansichten hatten ihre Anhanger (Ovisten und Animalkulisten), bis die Entdeckung der
Jungfernzeugung
bei der
Blattlaus
durch
Charles Bonnet
1740 den Streit zugunsten der Ovisten entschied.
[13]
Neben der sehr popularen Praformationslehre, die 1625 durch
Giuseppe degli Aromatari
(1587?1660) ins Spiel gebracht worden war, gab es im 17. Jahrhundert auch renommierte Anhanger der an Aristoteles anknupfenden Epigenesislehre, namentlich
William Harvey
und
Rene Descartes
. Deren Ansichten galten jedoch als antiquiert und wurden als unwissenschaftlich verworfen, da sie immaterielle Wirkprinzipien voraussetzten, wahrend der Praformismus rein mechanistisch gedacht werden konnte und zudem durch die Einfuhrung des Mikroskops einen starken Auftrieb erfuhr.
[14]
Die Vorstellung der Praformation herrschte bis in das 19. Jahrhundert hinein vor, obwohl es durchaus Forschungsergebnisse gab, die nicht mit ihr in Einklang gebracht werden konnten. Großes Erstaunen riefen die Versuche zur
Regeneration
bei
Salamandern
,
Sußwasserpolypen
und anderen Tieren hervor. Polypen kann man fein zerhacken, und jedes Teilstuck entwickelt sich, wie
Abraham Trembley
1744 beschrieb, innerhalb von zwei bis drei Wochen zu einem kompletten Tier. In den Jahren 1744 bis 1754 veroffentlichte
Pierre-Louis Moreau de Maupertuis
mehrere Schriften, in denen er aufgrund von Beobachtungen bei Tieren und Menschen, wonach beide Eltern Merkmale an ihre Nachkommen weitergeben konnen, die Praformationslehre kritisierte und ablehnte. Entsprechende Beobachtungen publizierte auch
Joseph Gottlieb Kolreuter
(1761), der als Erster
Kreuzungen
verschiedener Pflanzenarten studierte. Und
Caspar Friedrich Wolff
beschrieb 1759 minutios die Entwicklung des Embryos im Huhnerei aus vollig undifferenzierter Materie. Trotz der Probleme, die derartige Forschungen aufwarfen, geriet die Praformationslehre jedoch erst im fruhen 19. Jahrhundert durch die
embryologischen
Untersuchungen von
Christian Heinrich Pander
(1817) und
Karl Ernst von Baer
(1828) ins Wanken, bei denen diese die Bedeutung der
Keimblatter
aufklarten und allgemein gultige Gesetzmaßigkeiten der
Embryogenese
der Tiere aufzeigten.
[15]
Mit der Etablierung der von
Matthias Jacob Schleiden
(1838),
Theodor Schwann
(1839) und
Rudolf Virchow
(1858) entwickelten Allgemeinen
Zelltheorie
wurde deutlich, dass die Grunde fur die Ahnlichkeit von Eltern und Nachkommen in der
Zelle
lokalisiert sein mussen. Alle Organismen bestehen aus Zellen, Wachstum beruht auf der Vermehrung der Zellen durch
Teilung
, und bei der
geschlechtlichen Fortpflanzung
, die bei Vielzellern der Normalfall ist, vereinigen sich je eine
Keimzelle
beiderlei Geschlechts zu einer
Zygote
, aus welcher durch fortwahrende Teilung und
Differenzierung
der neue Organismus hervorgeht.
[16]
Die Gesetzmaßigkeiten der Vererbung blieben lange im Unklaren. Schon in den Jahren 1799 bis 1823 fuhrte
Thomas Andrew Knight
? wie einige Jahrzehnte spater
Gregor Mendel
? Kreuzungsexperimente mit Erbsen durch, bei denen er bereits die Erscheinungen der
Dominanz
und der Aufspaltung von Merkmalen beobachtete.
[17]
1863 publizierte
Charles Victor Naudin
(1815?1899) die Ergebnisse seiner Kreuzungsexperimente mit zahlreichen Pflanzengattungen, wobei er das sehr gleichartige Aussehen aller Pflanzen der ersten Tochtergeneration und die ?extreme Verschiedenartigkeit der Formen“ in den folgenden Generationen konstatierte und damit weitere bedeutende Aspekte der fast zeitgleichen Erkenntnisse Mendels vorwegnahm, aber im Unterschied zu Mendel keine
statistische
Auswertung durchfuhrte.
[18]
Gregor Mendel
Der entscheidende Durchbruch gelang dann Mendel mit seinen 1856 begonnenen Kreuzungsversuchen, bei denen er sich auf
einzelne Merkmale
konzentrierte und die erhaltenen Daten
statistisch auswertete
. So konnte er die grundlegenden Gesetzmaßigkeiten bei der Verteilung von Erbanlagen auf die Nachkommen ermitteln, die heute als
Mendelsche Regeln
bezeichnet werden. Diese Entdeckungen, die er 1866 publizierte, blieben jedoch zunachst in der Fachwelt fast unbeachtet und wurden erst im Jahr 1900 von
Hugo de Vries
,
Carl Correns
und
Erich Tschermak
wiederentdeckt und aufgrund eigener Versuche bestatigt.
Einen radikalen Umbruch der Vorstellungen von der Vererbung brachte die Keimbahn- oder
Keimplasmatheorie
mit sich, die
August Weismann
in den 1880er Jahren entwickelte.
[19]
Schon seit dem
Altertum
galt es als selbstverstandlich, dass Merkmale, welche die Eltern wahrend ihres Lebens erworben haben, auf die Nachkommen ubertragen werden konnen. Nach
Jean-Baptiste de Lamarck
, in dessen
Evolutionstheorie
sie eine bedeutende Rolle spielte, wird diese Ansicht heute als
Lamarckismus
bezeichnet. Doch auch
Charles Darwin
postulierte in seiner
Pangenesistheorie
, dass der ganze elterliche Organismus auf die Keimzellen einwirke ? unter anderem sogar indirekt durch
Telegonie
. Weismann unterschied nun zwischen der
Keimbahn
, auf der die Keimzellen eines Organismus sich von der Zygote herleiten, und dem Soma als der Gesamtheit aller ubrigen Zellen, aus denen keine Keimzellen hervorgehen konnen und von denen auch keine Einwirkungen auf die Keimbahn ausgehen. Diese Theorie war allerdings anfangs sehr umstritten.
[20]
Hugo de Vries
Mit seinem zweibandigen Werk
Die Mutationstheorie
(1901/03) fuhrte de Vries den bis dahin in der
Palaontologie
gebrauchlichen Begriff ?
Mutation
“ in die Vererbungslehre ein. Nach seiner Auffassung handelte es sich bei Mutationen um umfassende, sprunghafte Veranderungen, durch welche eine neue
Art
entstehe. Dabei stutzte er sich auf seine Studien an
Nachtkerzen
, bei denen eine ?in allen ihren Organen“ stark veranderte Pflanze aufgetreten war, deren Merkmale sich als erbkonstant erwiesen und die er daher als neue Art (
Oenothera gigas
) beschrieb. (Spater stellte sich heraus, dass
Oe. gigas
im Unterschied zu den
diploiden
Ausgangspflanzen
tetraploid
war und somit ? aus heutiger Sicht ? der Sonderfall einer
Genommutation
(Autopolyploidie) vorlag.) Dieser Befund stand im Widerspruch zu der an
Charles Darwin
anschließenden
Evolutionstheorie
, die das Auftreten geringfugiger Veranderungen voraussetzte, und das war einer der Grunde, warum der ?
Mendelismus
“ sich zeitweilig im Widerstreit mit dem damals noch nicht allgemein akzeptierten
Darwinismus
befand.
In den Jahren um die Jahrhundertwende untersuchten etliche Forscher die unterschiedlichen Formen der
Chromosomen
und deren Verhalten bei
Zellteilungen
. Aufgrund der Beobachtung, dass gleich aussehende Chromosomen paarweise auftreten, außerte
Walter Sutton
1902 als erster die Vermutung, dass dies etwas mit den ebenfalls gepaarten Merkmalen und deren ?Spaltung“ in den Untersuchungen von Mendel und seinen Wiederentdeckern zu tun haben konne.
[21]
Im Anschluss daran formulierte
Theodor Boveri
1904 die
Chromosomentheorie der Vererbung
, wonach die Erbanlagen an die Chromosomen gebunden sind und deren Verhalten bei der
Meiose
und
Befruchtung
den Mendelschen Regeln entspricht.
[22]
Vererbung der Augenfarbe bei
Drosophila
. Abbildung aus
The Physical Basis of Heredity
(1919)
Eine sehr folgenreiche Entscheidung war die Wahl von
Taufliegen
als Versuchsobjekt durch die Arbeitsgruppe um
Thomas Hunt Morgan
im Jahre 1907, vor allem weil diese in großer Zahl auf kleinem Raum gehalten werden konnen und sich sehr viel schneller vermehren als die bis dahin verwendeten Pflanzen. So stellte sich bald heraus, dass es auch geringfugige Mutationen gibt, auf deren Grundlage allmahliche Veranderungen innerhalb von Populationen moglich sind (Morgan:
For Darwin
, 1909). Eine weitere wichtige Entdeckung machte Morgans Team etwa 1911, als man die schon 1900 von Correns publizierte Beobachtung, dass manche Merkmale meist zusammen vererbt werden (
Genkopplung
), mit Untersuchungen der Chromosomen verband und so zu dem Schluss kam, dass es sich bei den Koppelungsgruppen um Gruppen von Genen handelt, welche auf demselben Chromosom liegen. Wie sich weiter herausstellte, kann es zu einem Austausch von Genen zwischen homologen Chromosomen kommen (
Crossing-over
), und aufgrund der relativen Haufigkeiten dieser intrachromosomalen
Rekombinationen
konnte man eine lineare Anordnung der Gene auf einem Chromosom ableiten (
Genkarte
). Diese Erkenntnisse fasste Morgan 1921 in
The Physical Basis of Heredity
und 1926 programmatisch in
The Theory of the Gene
zusammen, worin er die Chromosomentheorie zur Gentheorie weiterentwickelte.
Diese Theorie war schon wahrend ihrer allmahlichen Herausbildung sehr umstritten. Ein zentraler Streitpunkt war die Frage, ob die Erbanlagen sich ausschließlich im
Zellkern
oder auch im
Zytoplasma
befinden. Vertreter der letzteren Ansicht waren u.?a. Boveri, Correns,
Hans Driesch
,
Jacques Loeb
und
Richard Goldschmidt
. Sie postulierten, dass im Kern nur relativ geringfugige Erbfaktoren bis hin zu Artmerkmalen lokalisiert seien, wahrend Merkmale hoherer systematischer Kategorien (
Gattung
,
Familie
usw.) durch das Plasma vererbt wurden. Der entschiedenste Vertreter der Gegenseite war Morgans ehemaliger Mitarbeiter
Hermann Joseph Muller
, der in
The Gene as the Basis of Life
(1929) die im Kern lokalisierten Gene als die Grundlage des Lebens uberhaupt bezeichnete und die Bedeutung des Plasmas als sekundar einstufte.
Muller war es auch, der 1927 erstmals von der Erzeugung von Mutationen durch
Rontgenstrahlung
berichtete, wodurch die genetische Forschung nicht mehr darauf angewiesen war, auf spontan auftretende Mutationen zu warten. Der von de Vries, Morgan, Muller und Anderen vertretenen Ansicht der Zufalligkeit der Mutationen stand das u.?a. von
Paul Kammerer
und
Trofim Denissowitsch Lyssenko
verfochtene Postulat gegenuber, dass Mutationen ?gerichtet“ und qualitativ durch Umwelteinflusse bestimmt seien.
Zur Forderung der ?menschlichen Erblehre“ trugen im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts auch
Erwin Baur
,
Eugen Fischer
und
Fritz Lenz
bei, ebenso mit Arbeiten zur Zwillingsforschung
Wilhelm Weitz
,
Hermann Werner Siemens
und
Otmar Freiherr von Verschuer
.
[23]
Nach dem allgemeinen Bekanntwerden von Mendels mathematisch exakter Beschreibung des
dominant-rezessiven Erbgangs
im Jahr 1900 wurde die Frage diskutiert, ob
rezessive
Merkmale in naturlichen
Populationen
allmahlich verschwinden oder auf Dauer erhalten bleiben.
[24]
Hierzu fanden der deutsche Arzt
Wilhelm Weinberg
und der britische Mathematiker
Godfrey Harold Hardy
1908 fast gleichzeitig eine Formel, die das Gleichgewicht dominanter und rezessiver Merkmale in Populationen beschreibt. Diese Entdeckung wurde jedoch unter Genetikern zunachst kaum beachtet. Erst 1917 fuhrte
Reginald Punnett
das von ihm so genannte ?Hardy-Gesetz“ in die Populationsforschung ein, was ein wichtiger Beitrag zur Begrundung der
Populationsgenetik
als eigenstandigem Forschungszweig in den 1920er Jahren war. Weinbergs Beitrag wurde sogar erst 1943 von
Curt Stern
wiederentdeckt, der die Formel daraufhin in ?
Hardy-Weinberg-Gesetz
“ umbenannte.
Die Grundlagen der Populationsgenetik wurden parallel von
Sewall Wright
,
Ronald A. Fisher
und
J. B. S. Haldane
entwickelt.
[25]
Sie erkannten, dass Vererbungsvorgange in der Natur sinnvollerweise auf der Ebene von Populationen zu betrachten sind, und formulierten dafur die theoretischen Grundlagen (Haldane:
A Mathematical Theory of Natural and Artificial Selection.
1924?1932; Fisher:
The Genetical Theory of Natural Selection.
1930; Wright:
Evolution in Mendelian Populations.
1931).
Seit 1889 (
Richard Altmann
) war bekannt, dass Chromosomen aus ?
Nucleinsaure
“ und basischem Protein bestehen. Uber deren Aufbau und Funktion konnte jedoch lange Zeit nur spekuliert werden. 1902 postulierten
Emil Fischer
und
Franz Hofmeister
, dass Proteine
Polypeptide
seien, also lange Ketten von
Aminosauren
. Das war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch sehr spekulativ. Als 1905 die ersten Analysen der Aminosauren-Zusammensetzung von Proteinen publiziert wurden, erfassten diese lediglich ein Funftel des untersuchten Proteins, und die Identifikation aller 20 proteinogenen Aminosauren zog sich bis 1935 hin. Dagegen war bei der Nukleinsaure schon 1903 klar (
Albrecht Kossel
), dass sie neben Zucker und Phosphat lediglich funf verschiedene
Nukleinbasen
enthalt. Erste Analysen der Basenzusammensetzung durch
Hermann Steudel
ergaben 1906, dass die vier hauptsachlich vorhandenen Basen zu annahernd gleichen Anteilen enthalten sind. Daraus schloss Steudel (1907), dass die Nukleinsaure ?ein relativ einfach gebauter Korper sei“,
[26]
dem man keine anspruchsvollen Funktionen beimessen konne. Dies etablierte sich als Lehrmeinung, die bis in die 1940er Jahre gultig blieb, und auf dieser Grundlage betrachtete man nicht die Nukleinsaure(n), sondern die Proteine als ?Erbsubstanz“.
Zu der Einsicht, dass es sich gerade umgekehrt verhalt und die Nukleinsaure
DNA
als Erbsubstanz angesehen werden muss, fuhrten die Experimente der Arbeitsgruppe von
Oswald Avery
zur
Transformation
von
Pneumokokken
(1944)
[27]
und das
Hershey-Chase-Experiment
von 1952 mit
Bakteriophagen
. Außerdem zeigte
Erwin Chargaff
1950, dass die vier
Nukleotide
, aus denen die DNA besteht, nicht zu gleichen, sondern zu
paarweise
gleichen Anteilen enthalten sind. Zusammen mit
Rontgenstrukturanalyse
-Daten von
Rosalind Franklin
war das die Grundlage fur die Entwicklung des
Doppelhelix
-Strukturmodells der DNA durch
James Watson
und
Francis Crick
1953.
Ab 1985 fand die
Polymerase-Kettenreaktion
(PCR), mit deren Hilfe eine bestimmten DNA-Sequenz millionenfach vervielfaltigt werden kann, breite Anwendung und ermoglichte die genauere Untersuchung der DNA, zum Beispiel mit
Agarose-Gelelektrophorese
.
[28]
1995 wurde mit
Haemophilus influenzae
das erste vollstandige Genom sequenziert. 1996 wurde mit der
Backhefe
das erste Genom eines
Eukaryonten
veroffentlicht
. 2001 wurde das menschliche Genom im
Humangenomprojekt
sequenziert.
[29]
Im Folgenden konnte die molekulare DNA-Struktur eines Gens mit der RNA und dem zugehorigen Protein und der Funktion dieses Proteins im Korper verknupft werden
[30]
und das Gebiet der Genomik, das sich mit der Erforschung des Aufbaus von Genomen und der Wechselwirkungen zwischen Genen befasst, entwickelte sich.
[31]
Dazu wurden Datenbanken wie
NCBI
und
Ensembl
aufgebaut.
[32]