Cavaillé-Coll versteht es in der
Tat, sich mit diesem "Dandy" zusammenzutun, dem es gelungen ist,
das musikalische Potential der neuen Klänge und Registrierungen zu erfassen,
um daraus eine packende, mitreißende, beeindruckende, zuweilen auch
erschütternde Musik zu schaffen (man denke an solch denkwürdige
Darbietungen wie anläßlich der Bestattung von Chopin oder zum Gedenken
an die Opfer von Naturkatastrophen?)
Den Orgelbauer und den Musiker verbindet eine
echte Freundschaft. In der Kirche Saint-Roch löst Lefébure-Wely
noch als Kind seinen Vater ab. Er ist ein Schützling der Aristokratie
und geht in den bürgerlichen Salons ein und aus, wo er oft zusammen mit
seiner Frau, einer Sängerin (ihr ist unter anderem die berühmte
"Serenade" nach Victor Hugo de Gounod gewidmet?), und seinen beiden
Töchtern, Pianistinnen, auftritt. Er verkörpert die Orgel des Zweiten
Kaiserreichs. Seine Bewunderer bedrängen ihn wiederholt, sich den "geistlichen
Stil" zu eigen zu machen, der ihm im Grunde nicht fremd ist und dem er
durchaus nicht ablehnend gegenübersteht. Aber er hat seine Gewohnheiten,
seine Präferenzen und vor allem seine "Kundschaft". So sind
seine Zeitgenossen zwar quasi einhellig Bewunderer seiner Improvisationen,
aber Lefébure-Wely scheint häufig den Weg des geringsten Widerstands
zu wählen, das heißt eine leicht zugängliche Musik, die keine
Fragen aufwirft.
Und Cavaillé-Coll, ein aufmerksamer Beobachter, hat
sich nicht getäuscht: er hat verstanden, daß dieser Stil zwar "ankam",
aber in eine Sackgasse führte. Trotz seines fieberhaften Erfindungsgeistes
und seiner künstlerischen Integrität war es nicht Lefébure,
der den symphonischen Aufstieg, von dem Aristide Cavaillé-Coll träumt,
begleitete. Um den Preis persönlicher Spannungen, die vielleicht nicht
ohne Zusammenhang mit dem frühen Tod des Organisten sind, und mittels
eines doppelten Diskurses als Künstler und Händler hat Cavaillé-Coll
seine Wahl getroffen und sich zu der großen polyphonen Tradition bekannt,
die zumindest von Lemmens und seiner Schule verkörpert zu werden scheint.
Ist nicht César Franck einer der wichtigsten Erben
von Lefébure-Wely, was die geistige Verwandschaft und die innere Inspiration
angeht?
Louis-James-Alfred Lefébure-Wely
Paris 1817- Paris 1869
Organist der Cavaillé-Coll-Orgeln von Saint-Roch (1841-1846),
La Madeleine (1846-1858) und Saint-Sulpice (1863-1869)
Über die übliche Nutzung der
Klangbilder der Orgeln von Cavaillé-Coll geben die Meisterwerke von
Franck, Widor oder Vierne Aufschluß. Das "tägliche Brot"
der Gemeindemitglieder in der Zeit von 1840 bis 1870 wird aber durch die Musik
von Lefébure-Wely am besten widergespiegelt. Alle großen, berühmten
Pariser Instrumente von Cavaillé-Coll stammen gerade aus dieser Zeit.